9. April 2015

In fünf Jahren ist Stuttgart eine Fahrradstadt

  Quelle Wikipedia 
Die Frage ist: Was müsste man tun, damit Stuttgart in fünf Jahren eine Fahrradstadt ist wie Kopenhagen? 

Dort fahren über die Hälfte der Menschen mit dem Rad zu Arbeit und zur Schule. Mikael Colville-Anderson ist Radbotschafter und berät andere Städte, wie sie planen müssen, damit mehr Leute aufs Rad umsteigen. "Es sind überall exakt die gleichen Probleme", zitiert ihn der Spiegel. Die Städte seien nicht für Autos gebaut worden, würden aber von ihnen beherrscht. Vielen Verkehrsplanern sei gar nicht klar, wie verschwenderisch sie mit dem knappen Raum in Städten umgingen. "Aber immer mehr Politiker und Bürgermeister begreifen, dass Städte nicht für Autos, sondern für die Menschen da sein sollten."

So sieht in Stuttgart die Fahrradstraße aus. (Finster!) 
Stellen wir uns vor, Vater und Mutter besteigen in Degerloch ihre Fahrräder, ein Kind sitzt auf einem eigenen Rad, es ist 11 Jahre alt, das andere im Kinderanhänger. Und dann geht es die Neue Weinsteige hinunter und über den Charlottenplatz mitten hinein in die Stadt. Am Schlossplatz lassen sie ihre Räder stehen und gehen shoppen. Drei Stunden später radeln sie gemütlich die Neue Weinsteige wieder hinauf. Die Einkäufe stecken bei dem Kleinen im Hänger. Alle Räder sind mit Pedelec-Motoren ausgestattet.

Geht nicht? Geht natürlich nur, wenn breite Radwege die Neue Weinsteige hinunter und hinauf führen. Den Autos bleibt immer noch eine Spur in jede Richtung. Das reicht, denn die meisten fahren in Stuttgart mit dem Fahrrad.

Eigentlich wissen wir es alle und wir wünschen es uns auch: Es sollten weniger Autos in der Stadt herumfahren und herumstehen. 82 Prozent der Deutschen wollen laut einer Umfrage des Umweltbundesamts weniger Autos und mehr Fußgänger und Radfahrer in den Städten. Lebenswert wird eine Stadt, wenn sich das Tempo der Autos an dem von Fußgängern und Radlern orientiert, sagt auch das European Institute of Sustainable Transport, das Städten beibringt, wie man eine moderne Mobilität hinkriegt. Jede Stadt kann das schaffen. Man braucht nur Mut und Entschlossenheit.

Wie wandelt man nun eine Stadt also in eine lebenswerte Fußgänger- und Fahrradstadt um?
  • Man baut breite und durchgängige Radwege in die heute noch vierspurigen Autostraßen.
  • Und in zweispurigen Straßen legt man die Radwege dorthin, wo heute die Autos parken. 
Das ist eigentlich alles. Denn es beinhaltet alles andere. Auf einmal ist es praktischer mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu fahren, auch für ganze Familien. Die Kopenhagener Erfahrung zeigt, die meisten Leute steigen erst dann aufs Rad um, wenn es damit schneller geht und bequemer ist als mit dem Auto, nicht etwa aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie an Umweltschutz denken. Schnelligkeit und Bequemlichkeit entscheidet über die Wahl des Verkehrsmittels. 

Wenn sie dann aber mal radeln, sind die meisten Menschen stolz darauf. Sie bewegen sich, sie treffen mehr Leute, sie kaufen in kleinen lokalen Läden ein, sie sind gesünder und besser gelaunt. Sie lieben ihre Stadt.

Typische Radweganlage in Kopenhagen (Wikipedia)
Alle Stadtplaner wissen es im Grunde auch ganz genau: Will man ernsthaft mehr Radverkehr in den Innenstädten haben, dann muss man Parkplätze für Autos reduzieren, vor allem auch die am Straßenrand.

Den dort freiwerdenden Platz kann man für Radspuren oder Radwege nutzen, was wiederum mehr Menschen aufs Rad lockt. Für diejenigen, die  auf keinen Fall Rad fahren wollen oder können und mit dem Auto in die Innenstadt fahren, gibt es Parkhäuser, und das sind in Stuttgart wahrlich viele. So viele, dass wir in der Innenstadt das Straßenrandparken überhaupt nicht mehr bräuchten.

Man stelle sich das mal genüsslich vor: Straßenränder ohne diese Blechbarriere auf beiden Seiten.

Schon jetzt kommt man mit dem Rad auf einer Strecke von 5 km schneller zum Ziel als  im Auto, auch weil die Parkplatzsuche wegfällt und der Gang vom Parkplatz zum Ziel. Verlangsamt man außerdem den Durchgangsverkehr grundsätzlich auf 30 bis 40 Stundenkilometer, verliert das Auto zusätzlich an Vorteil dem Rad gegenüber.

Auf von Radlern viel befahrenen Straßen wird außerdem die Grüne Welle nicht mehr  für Autos eingerichtet, sondern für Radler, also auf eine Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h ausgelegt. Dann müssen Autofahrer, die schneller sind, an den Ampeln halten und warten. Und weil das dann deutlich weniger Autos sind als heute, reduziert sich trotzdem der Feinstaub.

Ebenso wichtig ist aber auch ein in sich schlüssige Radwegekonzept. Ein paar rote Spuren auf der Fahrbahn reichen nicht. Auch nicht ein paar Hauptrouten, irgendwo verstreut in Stuttgart anfangen und enden, sich aber nicht verbinden.

Däniche Post wir per Fahrrad ausgefahren (Wikipedia)
Derzeit müssen wir in Stuttgart (so wie in anderen Städten) immer rätseln, wo unser Radweg gerade ist und wie er weitergeht. Im Pfadfinder- und Abenteurermodus schlängeln und hüpfen wir von der Fahrbahn über Fußgängerampeln und Bordsteine rauf und runter und in verwinkelte von drei Ampeln unterbrochene Radspuren über Kreuzungen. Und genau das schreckt heute noch sehr viele vom Radfahren in Stuttgart ab. "Da kann man doch nicht radeln", ist eines der häufigsten Argumente, die ich gegen das Radeln höre, "die Radwege enden immer nach ein paar Metern." Gleichzeitig macht der Autoverkehr auf den Straßen solchen Vielleicht-Radlern Angst. Sie fahren vielleicht mal am Wochenende hinaus ins Grüne, aber nicht täglich auf dem Pfadfinderkurs durch Stuttgart.

Es braucht eine klare und durchgängige Wegführungen, damit sich alle Radfahrerinnen und Radfahrer sicher und gut aufgehoben fühlen und rasch und ohne Irritationen vorankommen. Das bedeutet: bauen und Verbindungen schaffen, Ampelanlagen radgerecht umgestalten, den Autos Fahrspuren wegnehmen.

Derzeit liegen die Radwege und Radspuren weit verstreut in Stuttgart herum (siehe Karte). Dazwischen wird man mal unter Fußgänger, mal unter die Autos gemischt oder schlingert auf schmalen Sicherheitsstreifen einen Anstieg hinauf. Auf der Karte sieht das ungefähr so aus, auch wenn ich nicht alle Straße exakt getroffen habe. Und ich habe nur die Radspuren und echten Radwege gekennzeichnet, nicht aber die gemischten Fußgänger/Radwege etwa im Schlossgarten. (Und vermutlich habe ich irgendwo noch ein paar Schnipsel vergessen.)

Wenn wir anfangen, durchgängige Radrouten zu bauen, dann herrscht natürlich zuerst Heulen und Zähneknirschen, weil alle nur sehen, dass den Autofahrern etwas weggenommen wird, was nun die Radfahrer bekommen, nämlich Raum auf der Fahrbahn. Autos stehen im Stau (was sie vorher auch taten) und sehen nur wenige Radler an sich vorbei ziehen. Doch dann kommt der Moment, wo die Radwege auf einmal eifrig genutzt werden. Und schon stehen auch die Autofahrer dort nicht mehr im Stau, weil deutlich weniger Autos unterwegs sind. Und wenn dann ein Viertel bis ein Drittel aller Fahrten mit dem Rad gemacht werden, stellen wir aufatmend fest, wie nett es in der Innenstadt geworden ist, so ganz ohne das Geschiebe der Autos auf Parkplatzsuche. Und wir wissen dann, auch Stuttgart kann innerhalb weniger Jahre zur Fahrradstadt werden. Und dafür wird es auch noch international bewundert werden.

Die Schwaben haben halt mehr Mut und Cleverness als die anderen deutschen Städte, gell. 

Und was London, oder Madrid und Paris können, das können wir allemal.

11 Kommentare:

  1. Das Radwegenetz in Stuttgart istclächerlich und es macht keinen Soaß die Wege zu benutzen. Ich habe den Eindruck, dass in Stuttgart der Mut fehlt einfache, aber eben auch radikale (für Autofahrer) Konzepte durchzusetzen. Zudem zeichnet sich Stuttgart durch seinen eigenbrötlerischen, urschwäbischen Charakter aus. Erfolgreiche Systeme die auf langjährige Erfahrung basieren können nicht einfach adaptiert werden. Nein. Stuttgart muss es selbst erfinden, egal wie absurd oder teuer es ist. Das ist nicht immer besser (siehe shared space). Ich lasse mich übrigens gerne eines besseren belehren.

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    1. Ich gebe zu, auch mich verlässt zuweilen der Mut, wenn ich mir das Gestoppel in Stuttgart angucke. Es fehlt wirklich ein Konzept, vor allem eines für die Innenstadt und für einen Parallelweg zum Schlossgarten. Aber ich schreibe unermüdlich darüber, damit darüber diskutiert wird. Wir sind nicht allein auf unseren Rädern ,wie sind viele und werden vor allem immer mehr. Und sie fahren alle im Pfadfindermodus, weil es ja nicht anders geht. Und das verursacht der Stadt bald größere Probleme als der Bau von Radrouten.

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  2. Schöne Utopie die nur umgesetzt werden kann, wenn verantwortliche Politiker (wie Kuhn) tatsächlich eine Vision für eine Stadt haben, diese laut träumen, für diese kämpfen und einstehen. ... Leider ist Stuttgart zu einer Stadt geworden die keine richtige Linie zu haben scheint, eine Stadt die lieber sagt wir sind ein bisschen wie die aber auch wie dort... Schön wäre es wenn die Stadt selbst sagen kann: Wir sind Stuttgart, so sind wir und da wollen wir hin. Eben Stuttgart!

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    1. Wir träumen ja schon mal laut. Ich vermute, bisher hat noch niemand ernsthaft Stuttgart als Fahrradstadt gedacht. Und vom Denken zum Handeln ist es auch noch mal ein langer Weg. Die Radfreunde im Gemeinderat müssen ja die Autofans dort auf ihre Seite kriegen, es geht ja nur mit einer Mehrheit im Gemeinderat. Es geht aber auch mithilfe der vielen Radler. Und die werden sichtbar immer mehr.

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  3. "82 Prozent der Deutschen wollen laut einer Umfrage des Umweltbundesamts weniger Autos und mehr Fußgänger und Radfahrer in den Städten."

    Na klar, wer will das wohl nicht? Die Frage, die man dann aber gleich danach stellen sollte, lautet: Wären Sie bereit, dafür auf ihr Auto in der Stadt zu verzichten? Das ist der Punkt. Natürlich wollen wir alle weniger Verkehr, Lärm, Stress, bessere Luft etc. Aber wie viele sind wirklich bereit, selbst etwas dazu beizutragen?

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    1. Ja, klar. Die Bürgerinnen und Bürger kämpfen gegen jedes Auto, das durch ihre Wohnstraße fährt, teils leidenschaftlich, wie am Streit um die Wochenendsperrung der Hofener Staße zu sehen war, wollen aber natürlich selber mit ihrem Auto durch anderer Leute Wohnstraßen fahren. Anderseits: Wenn sich so viele nach weniger Autoverkehr in der Stadt sehnen, und wenn man ihnen gute Radrouten anbietet, dann sind auch mehr bereit, für ihre Kurzsstreckenfahrten das Rad zu benutzen, auch weil es plötzlich als schick gilt (ist ja jetzt schon so), und weil es schicke Räder gibt, und weil es schneller geht und bequem ist. Und gleichzeitig muss man es Autofahrern schwerer machen, in die Innenstadt reinzurammeln und dort Fahrzeuge überall abzustellen.

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  4. Radfahrer sind Verkehrsteilnehmer und gehören grundsätzlich auf die Straße. Diese Radwege-Ideologen machen mich wahnsinnig! Architekten wollen grundsätzlich immer irgendetwas bauen – das ist zwar verständlich, aber nicht nur in diesem Fall völlig kontraproduktiv. So lange innerörtlich kein Tempolimit von etwa 30 km/h umgesetzt wird, bleibt alles so, wie es ist und es wird sogar noch schlimmer. Die Ver-Radwegung unserer Städte zementiert die Vorstellung, dass die Straße ausschließlich den Autofahrern gehört. Es ist ein Drama. Radwegeplaner fahren kein Rad oder höchstens die nächsten 500 m zu ihrem „Bio“-Markt. Wenn Radfahrer nicht die Straße benutzen sollen, sollten die Planer folgerichtig das Radfahren auf der Straße verbieten. Darauf läuft es in der Praxis jedenfalls hinaus mit dem diesem Radwegemantra. Zumindest innerorts ist dies völlig inakzeptabel.
    Allerbeste Grüße von Stefan K.

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    1. Lieber Stefan, interessant, dass der Ideologie-Vorwurf mich stets von beiden Seiten trifft, den Autoverkehrverteidigern und vielen Radfahrern. Wenn du das Blog kennst, weißt du, dass ich finde, dass Radfahrer auf die Straße gehören. Und dass ich gegen Radwege bin (also jenen seltsamen Spuren, die von der Fahrbahn getrennt sind). Ich sehe aber auch, dass man tatsächlich ungeübtere Radler oder Autofahrer, die sich das Radfahren in Stuttgart schwer vorstellen können, nur dann tatsächlich aufs Rad und mit dem Rad runter vom Gehweg auf die Fahrbahn kriegt, wenn dort deutlich sichtbare (auch für Autofahrer sichtbare) Radzeichen und Linien aufgemalt sind. Der Weg in eine Radstadt - das sehe ich an anderen Städten - führt über eine auf die Fahrbahn gemalte und gebaute Radinfrastruktur. Ich rede deshalb gern von Radrouten, die durchgängig für Radler befahrbar sein müssen. Das heißt, keine Wegführungen mal über Gehwege, mal über Fußgängerübewege und dann ein paar Meter über eine Fahrbahn, sondern erkennbar durchgängige Routen für Radler, sogar mit entsprechenden Ampelschaltungen, die ihnen Vorrang vor Autofahrern gibt. Es gibt ganz verschiedene Radler, und für mich ist keiner besser oder schlechter als andere. Besser eine Kurzstrecke mit dem Rad fahren als mit dem Auto. Ich finde verächtliche Äußerungen über Kurzstreckenradler oder ängstliche oder unerfahrene Radler/innen nicht fair. Es darf in unserer Gesellschaft von allen Sorten geben.

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    2. Hi, der pauschale Ideologie-Vorwurf - der ohnehin ziemlich blöd ist - war nicht an Dich persönlich gerichtet, sondern an die Phalanx der Architekten mit ihren Moden. Wir sind uns einig in den Zielen und wissen, dass sich Politik auf die Kunst des Möglichen konzentriert. Ich betone lediglich, dass ich in der Fläche einer Stadt die Kooperation der Verkehrsteilnehmer bevorzuge im Gegensatz zur separativen Flächenkonkurrenz. Es geht nicht ohne Kooperation in den Innenstädten. Und genau diesen Konflikt will ich betonen, anstatt ihn über separate Herrschaftsgebiete (scheinbar) aufzulösen. Auf Hauptverkehrsstraßen können die Autokranken meinetwegen rasen und rumsen, wie sie wollen - aber für lebenswerte Städte müssen sie sich schon ein bissel einschränken, sonst funktioniert es nicht. Dein Wort von den Radrouten (ohne Radwege) ist übrigens völlig in meinem Sinne. Allerbeste Grüße und herzlichsten Dank für Deine großartige Arbeit, Stefan K.

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  5. Friedhelm Waitzmann25. April 2015 um 21:39

    »Radfahrer sind Verkehrsteilnehmer und gehören grundsätzlich auf die Straße. […] So lange innerörtlich kein Tempolimit von etwa 30 km/h umgesetzt wird, bleibt alles so, wie es ist und es wird sogar noch schlimmer. Die Ver-Radwegung unserer Städte zementiert die Vorstellung, dass die Straße ausschließlich den Autofahrern gehört. Es ist ein Drama. Radwegeplaner fahren kein Rad oder höchstens die nächsten 500 m zu ihrem „Bio“-Markt.« (Anonym (Stefan K.), 12. April 2015 um 08:04)

    Genau. Man sieht es an der neuen Planung zur Tübinger Straße: Als Verkehrsteilnehmer 2. Klasse bekommen Radfahrer ein Stoppschild, wo Autofahrer keins bekämen (s. Punkt (1)).

    »Wenn Radfahrer nicht die Straße benutzen sollen, sollten die Planer folgerichtig das Radfahren auf der Straße verbieten. Darauf läuft es in der Praxis jedenfalls hinaus mit dem diesem Radwegemantra.«

    Ja. Und die Polizei und die für Ordnungswidrigkeiten zuständige Behörde (ist diese eigentlich identisch mit der die Verkehrszeichen anordnenden unteren Verkehrsbehörde?) warten nicht solange, bis es soweit ist, sondern verbiegen schon mal die Norm (s. Punkt (2)).

    Friedhelm Waitzmann, Stuttgart, <publicJJJJMM.fwnsp@spamgourmet.com>

    Bitte JJJJ durch das Jahr und MM durch den Monat des Datums der Kontaktaufnahme ersetzen.

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