1. Oktober 2016

Die große Kunst des Übersehens von Radfahrern

Licht und Warnwesten helfen nichts, wenn Autofahrer uns nicht sehen wollen. 

Am Donnerstag früh hat eine junge Autofahrerin einen älteren Rennradler bei Dunkelheit auf der Landstraße von Aichtal-Neuenhaus nach Waldenbuch auf den Kühler genommen und in den Straßengraben geworfen. In der Polizeimeldung und in den Pressemeldungen demzufolge auch, ist wieder mal von "übersehen" die Rede. Selbst wenn wir wie Christbäume leuchtend und blinkend unterwegs wären, es hilft alles nix, wenn Autofahrer/innen nicht gucken. Oder woanders hin schauen.


Der Radler wurde schwer verletzt. Er trug alles, was man so tagen muss: Helm, Warnweste mit Reflektoren, alle Lichter waren eingeschaltet. Die Polizei Ludwigsburg sucht noch Zeug/innen des Geschehens.

Hier noch ein paar Überseher der letzten Tage:


".... ein Audifahrer beim Abbiegen einen Radfahrer übersehen und ist mit diesem 
zusammengestoßen." 

"... Neckartailfingen erlitten. Ein 23 Jahre alter Lenker eines Audi Avant war gegen 19 Uhr auf der Bahnhofstraße in Richtung Reutlinger Straße unterwegs. An der Einmündung übersah er einen vorfahrtsberechtigten 55-jährigen Radler, der mit seinem beleuchteten Mountainbike von rechts auf dem Radweg daherkam."

" ... ein 60 Jahre alter Radfahrer verletzt. Ein 64-Jähriger bog mit seinem Ford Fiesta nach links in Richtung Ziegelbrunn ab. Er übersah dabei den entgegenkommenden Radfahrer."

" ... war der Autofahrer am Samstagabend in der Mittelpartstraße unterwegs und wollte nach links in die Notwendestraße abbiegen. Dabei übersah er den Radfahrer, der Vorfahrt hatte, und stieß mit ihm zusammen. Der Mann stürzte vom Rad und verletzte sich."

"Die tief stehende Septembersonne hat am Donnerstagnachmittag einen Autofahrer so stark geblendet, das er beim Abbiegen einen Fahrradfahrer übersehen hat." 

Immerhin steht jetzt schon vermehrt dabei, dass der Radfahrer Vorfahrt hatte. Unfälle im Längsverkehr wie der ganz oben beschriebene von Waldenbuch sind übrigens doch vergleichsweise selten. Das höchste Risiko hat ein Radfahrer, wenn ein Autofahrer über eine Radroute hinweg abbiegen will. 

Ein Risiko gibt es allerdings noch, das Radfahrende granatenmäßig unterschätzen: Die Dunkelheit und mangelhafte Beleuchtung (Oder gar kein Licht). Die Eßlinger Zeitung berichtet unter der Überschrift "Bei Dunkelheit Radfahrer übersehen" von einem Unfall, bei dem der Autofahrer klar schuld war, denn er fuhr zu weit links und damit über eine Abbiegespur der Gegenfahrbahn, auf der ein Radfahrer stand. Der Radfahrer hatte aber nur eine Stirnlampe. Diese Stirnlampen sind vielleicht schick, aber ich halte sie für sehr gefährlich, weil sie zu klein sind und viel zu weit oben. Sie befinden sich nicht im Blickfeld des Autofahrers. Auch als Radfahrerin sehe ich Radler mit Stirnlampe oft erst spät. Auch dieser Unfall ereignete sich übrigens am frühen Morgen. Ganz offensichtlich sind etliche Autofahrer da noch nicht wach und aufmerksam. 

17 Kommentare:

  1. Ich finde ja bereits die Wortwahl dieser Polizeimeldungen relativierend und verharmlosend. "Übersehen", das klingt wie ein kleines Malheur, eine kleine Unachtsamkkeit, nicht weiter schlimm. Anschließend "verletzte sich" der Radler. Quasi eine Selbstverletzung an der der Autofahrer wohl keine Schuld habe.

    Hat der Radler dann noch keinen Helm, wird darauf in der Regel auch noch hingewiesen. Verletzung am Fuß, selbst schuld, hatte ja keinen Helm auf.


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  2. Mal wider sind die dunklen Abende eingekehrt und wie auf einem Schlag kann ich jeeeden, nun wirklich jeden Tag auf meine vergleichsweise kürzeren zuhause-arbeit-sport-zuhause weg wie im ParkOur mit fahrrad fühlen. Rechstabbieger, die radstreifen als abbieger Spur nutzen, auf radspuren parkenden Autos, Raser, die bei Dämmerung dicht drauffahren und mit wenig Abstand überholen. Oberschauies, die vorbeifahrenden rufen, das ich ja mehr rechts fahren soll. Also am besten aufm Gehweg. Oft halte ich neben an und frage die parkenden oder bei rotem Ampel stehenden abbieger, was soll das. Die ausreden sind immer köstlich. Aber vielen ist es einfach nicht bewusst. Wir brauchen kein krieg auf die Straßen zu führen, wir brauche Dialoge. Das man bei aussteigen aus Auto die tür mit rechten Hand aufmachen soll, um gezwungenermaßen einen schulterblick auf die Straße zu werfen. Das man für kurz anhalten/auf jemand warten doch lieber einen Parkplatz suchen soll und nicht die Straße zu unnötige Gefahrenzone umzuwandeln. Und das man einfach, in warmen, kuscheligen auto sitzend wenigstens ein bisschen Respekt gegenüber Radfahrer äußern kann, die bei egal welchen Wetter sich auf die Straße bringen. Wir sind nicht die Feindbilder, wir helfen der Stadt und dem Verkehr. Werden aber übersehen, verletzt und am Ende noch beschimpft. Es gibt einen enormen bedarf an dialog, vielleich auch ein paar regeln und unbedingt eine überdachte verkehrsstrategiefur Innenstadt. Das wird nich von ein auf anderem tag passieren. Jedoch zur zeit habe ich das Gefühl, das es nicht mal angestoßen wird.

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  3. Hier ist ein schöner Artikel dazu mit Studie:
    http://adfc-blog.de/2013/09/wie-macht-man-einen-rosa-elefanten-unsichtbar-reloaded/

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  4. Mir fällt immer wieder auf, dass viele Verkehrsteilnehmer durch ihr Smartphone abgelenkt werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Großteil der "Überseher" auf die Nutzung des Smartphone's beim Autofahren zurückzuführen ist.

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    1. Ja, sehe ich auch so, das ist eine von vielen Ursachen für die diskutierte Problematik. Erst heute wollten mich zwei abhängige Smartphone-User in ihren Karren über den Haufen fahren, aber ich habe sie nicht übersehen und rechtzeitig reagiert.

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  5. Übrigens werden in Pressemeldungen auch rote Ampeln von Autofahrern meistens nur "übersehen" und nicht mißachtet, wie es bei Radfahrern regelmäßig heisst. Liegt möglicherweise daran, das für die Meldungen verantwortlichen Polizisten und Journalisten wohl eher viel mit dem Auto unterwegs sind.

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  6. Seit dreißig Jahren fahre ich (fast) täglich Rad - immer mit Licht, immer mit Helm - und bin schon unzählige Male "übersehen" worden. Dass es dabei "nur" zweimal zu leichten Unfällen kam, hat einen einfachen Grund: Ich rechne jederzeit damit, übersehen zu werden!

    An jedem geparkten Auto kann eine Tür aufgehen, aus jeder Ausfahrt ein Auto rauskommen. Jedes Auto ist ein potentieller Rechtsabbieger und Radwegkreuzer, egal wie schnell, egal, ob mit Blinker oder nicht. Jedes Kind kann sich losreißen und mir vor's Rad rennen. Und jeder Hund kann mich anfallen. Entsprechend brems- und ausweichbereit nähere ich mich solchen Verkehrssituationen. Die anderen Radfahrer sind übrigens auch nicht ohne. Jeder von denen könnte urplötzlich stehenbleiben, unerwartet rechts oder links abbiegen oder ins Schlingern geraten.

    Kurzum: es hat mir geholfen, Umsicht und Instinkt zu trainieren, immer auf das Unerwartete vorbereitet zu sein und mit einer gewissen Gelassenheit zu agieren. Was hilft mir mein Vorfahrtsrecht, wenn mir eine Tonne Blech den Weg kreuzt? Wenn ich Radfahrerkollegen sehe, die mit dreißig Sachen und Gottvertrauen - und im Wissen, im Recht zu sein - auf dem Radweg über die Kreuzung brettern, muss ich mich jedes Mal an den Kopf langen.

    Versteht mich richtig: ich rede hier nicht von ängstlichem und zögerlichen Rumschleichen. Natürlich fahre ich auch in der Mitte der Fahrspur, wenn ich die Autofahrer nicht zu gefährlichen Überholmanövern verlocken möchte. Aber mit der oben genannten Haltung bin ich bisher (fast) immer sicher, entspannt und zügig ans Ziel gekommen.

    P.S.: die Verniedlichung, die, vor allem in Unfallberichten, in der Vokabel "Übersehen" steckt, die stört mich allerdings auch gewaltig!

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    1. Holger, du sprichst mir aus der Seele. Jeder erfahrene Alltagsradler kann deine Beschreibung nur drei Mal unterstreichen.

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    2. So ist es. Habe für Monate im Dunkeln eine Warnweste getragen und dann für Monate nicht - kaum Unterschied. Wurde nicht öfter "übersehen" als vorher. Das, was mich wirklich als Alltagsradler vor Unfällen bislang geschützt hat, ist meine andauernde Wachsamkeit und mein Vorausahnen von "Übersehen"-werden.

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  7. Sehr treffender Artikel. Wenn man nicht schaut, kann man auch nichts sehen und es fahren zu viele Blinde auf der Straße rum. Treffend auch der Kommentar von Holger Vogt. Ich fahre auch so, an jeder Einmündung in alle Richtungen sehen, Hunde, Kinder, Fußgänger zur Warnung anklingeln (gibt oft Gemotze, ist aber egal), auf engen Straßen soweit in der Mitte fahren, dass man nicht zu eng überholt wird (gibt oft Hupkonzert), hat auch den Zusatzeffekt, dass man Anstand zu parkenden Autos hält und auch nicht gleich von blinden Fußgängern, die auf die Fahrbahn treten, abgeräumt wird. Ist alles eigentlich mehr als anstrengend, hat mich aber bisher vor Unfällen geschützt. Es wär mir auch lieber, ich könnte genauso entspannt und unaufmerksam durch die Gegend fahren wie die anderen, es hilft aber nichts, wenn man dann abgeräumt wird. Und mir geht meine Sicherheit vor. Da bin ich echt egoistisch.
    Was sich übrigens Radfahrer mit Stirnlampe denken, kann ich nicht nachvollziehen. Als Radfahrer sieht man ja schließlich nicht konsequent nach vorne und dann ist die Beleuchtung weg und man kann nicht mehr gesehen werden. Es gibt einen Grund, warum es Vorschriften für Beleuchtung an Fahrrädern gibt und dann sollte man sich dran halten. Mein Fahrrad hat einen Nabendynamo und eine Beleuchtung, die im Automatikmodus bei Dämmerung einschaltet und in beide Richtungen eine Standlichtfunktion hat. So etwas lässt sich auch nach-oder umrüsten, so viel sollte einem Sicherheit wert sein.
    Viele Grüße
    Karin

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    1. Es ist ganz einfach, weshalb Radfahrer eine Stirnlampe benutzen: Billiger als eine neue LED-Radlampe kaufen.
      Ich kenne einen Kollegen, welcher sich zusätzlich zur Radbeleuchtung eine Stirnlampe an seinen Radhelm montiert hat. Der Vorteil ist: Autofahrer machen außerhalb geschlossener Ortschaften kein Fernlicht mehr an und wenn man die Autofahrer an sieht, wird dieser oft langsamer!

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    2. Nichts gegen eine Stirnlampe zusätzlich, aber als alleiniges Licht ist es problematisch für andere Verkehrsteilnehmer, weil sie sich zu weit oben befinden, außerhalb dessen, was man automatisch wahrnimmt.

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  8. Die Stirnlampe hat man zusätzlich um in die Richtung zu leuchten in die man fährt (ist aber eher in Wald und Flur wichtig). Wir sprechen aber über eine Kategorie Stirnlampe, bei der mich niemand "übersieht"). Ausserdem wegen dem oben gesagten Fernlicht und dann noch dass man auf einem Weg bei denen einem Autos entgegenkommen deren Lichter blenden überhaupt noch was sieht. Ganz Ignoranten kann man damit auch noch direkt ins Auto reinleuchten. Heckscheibe oder Frontscheibe direkt rein. Die bleiben dann stehen.. Wirkt gut.
    Am Heck hab ich dann noch eine Lampe die extrem hell wird, sobald sich eine Auto mit Licht nähert. Das hilft beim richtigen Abstand einhalten auch enorm (Lupine Rotlich).

    und alles was am Körper ist unterliegt keiner Stvzo stvo etc... man braucht halt das + die "normale" Funzeln.
    Gruß
    Chris

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    1. Ja, ist ja auch ne tolle Sache, wenn man mit Brennern wie ner Lupine anderen die Augen ausleuchten kann, am besten noch falsch eingestellt und blinkend, dann ist der Sicherheit für alle natürlich enorm viel gedient (auch der eigenen). Es reichen ja schon zugelassene Scheinwerfer, die zu hoch eingestellt sind, andere nichts mehr sehen zu lassen.
      Wer mal kurz nachdenkt, versteht dann auch, warum sich bei Pkw asymetrisches Abblendlicht und der Nichtgebrauch des Fernlichts bei Gegenverkehr etabliert haben.
      Ich hoffe darauf, das endlich kontrolliert und lebensgefährliches Spielzeug wie Lupine und Co einkassiert wird. Ich hatte für meinen Bedarf bereits genügend haarsträubende Situationen..

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  9. Die vermeintliche Problematik des Übersehens ist die eine Sache. Mindestens ebenso relevant ist es aber, dass man von manchen Autokraten einfach ignoriert wird. Sie nehmen mich als Verkehrsteilnehmer schlicht nicht zur Kenntnis, egal, ob sie mich sehen oder nicht. Ich bin als Radfahrer kein Hindernis, sondern lediglich ein weiches Ziel. Ignoranz und Aggression sind möglicherweise bessere Vokabeln zur Beschreibung des diskutierten Sachverhalts.

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    1. Klar. Der Mercedes-Fahrer, der mich vorgestern beim Überholen in die Regenrinne abgedrängt hat, wusste durchaus, dass ich da bin, nahm diese Tatsache aber nicht weiter ernst. An der gleichen Straße (Tempo 30) war heute ein geplätteter Igel. Der wurde gestern wahrscheinlich gesehen (Tempo 30, gut ausgeleuchtete Straße, ruhiges Wohngebiet), aber er war halt völlig unwichtig. So wie ich vorgestern völlig unwichtig war. Als Radler hat man manchmal einen Status irgendwo zwischen Igel und Kakerlake...

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  10. "Übersehen" ist auch andernorts erstaunlich häufig die Unfallursache. Ein aktueller Überblick für RE.

    http://velocityruhr.net/blog/2016/10/01/radfahrer-in-recklinghausen-verstorben/

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