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26. November 2017

Wo Radler Kreativität entfalten

Ob Radampeln und Übergänge radgerecht sind, merkt man daran, wie oft sie regelwidrig genutzt werden.

Ich habe kürzlich eine Stunde am Neckartor gestanden. Da herrscht eine recht kreative Grundstimmung. Es sind doch viele hier an einem Vormittag unterwegs und etwa die Hälfte fährt irgendwie anders als vorgesehen. Kommt man aus dem Schlossgarten, und will man in der Neckarstraße weiterfahren, dann muss man an drei Radampeln warten, was einen  ganzen Umlauf für Autofahrer entspricht.


An der Neckarstraße ist parallel zur Radampel ein Fußgängerüberweg, der wie so oft bei uns, früher und öfter Grün bekommt als der parallele Radverkehr. Folglich nutzen viele Radler das Fußgängergrün.

In der Regel halten sie sich an die Signale. Ganz anders, wenn sie auf der Seite mit der Radampel warten (was nur selten passiert), die erstens einen Drücker hat, was bedeutet, dass man sich hinüberbeugen muss, und zweitens lange rot ist. Die meisten Radler schauen, ob frei ist, und fahren rüber.

Übrigens ist der Gehweg dort drüben nicht für Radfahrende freigegeben. Es fehlt das Schild. (Ich habe jedenfalls keines gesehen.) Allerdings sieht man Radpfeile auf dem Gehweg. Radfahrende werden zwischen Hauswand und U--Eingang zur Kernerstraße geleitet. Aus der Kernerstraße kommen sie auch über den Gehweg zur Radampel. Typisch Stuttgart!

Der Radfahrer auf dem Foto kam übrigens auf der Fahrbahn die Kernerstraße herunter und bog dann in die Neckarstraße ein. (Der kann dann wiederum aus dieser Position nicht zum Überweg schwenken, ohne die Autos hinter sich sich zu irritieren.)

Steht man in der Neckarstraße mit Ziel Schlossgarten, hat man eine rote Fahrradampel am Rechtsabbiegebypass für Autos vor sich. Viele wissen, dass die Autos stehen und fahren bis zur roten Ampel auf der Verkehrsinsel vor. Radler bekommen hier übrigens früher wieder Rot als die Autofahrer, die dann nach rechts abbiegen können, ohne auf Radfahrende zu achten. Die Radampel hier könnte man abbauen.

Die Grünphase und Räumzeit hier ist für Fußgänger zu kurz. Dennoch gehen hier immer wieder welche hinübger, weil sie den Weg zur und durch die Unterführung nicht finden.
Manche haben mich orientierungslos gefragt, wo sie zum Amtsgericht kommen, oder wie es über die Cannstatter Straße zum Schlossgarten geht. Es ist ein eigentlich für Fußgänger unzumutbarer Umweg, den sie von der Ampel um den Eingang zur Unterführung herum machen müssen. (Der auf dem Foto kehrt übrigens noch rechtzeitig wieder um und wandert den langen Weg zum U-Eingang.)

Radler, die zum ADAC oder zum Amtsgericht oder zu einem Gebäude in dieser Ecke zwischen Neckarstraße und Cannstatter Straße wollen , nehmen ebenfalls diesen Weg, der für Radfahrende jedoch nicht freigegeben ist. Immer noch besser als linksseitig als Geisterradler auf dem Radstreifen dorthin zu fahren (gegen den Radverkehr und gegen den Autoverkehr), was in der Stunde, wo ich dort stand, zwei Mal passiert ist. Ganz offensichtlich fehlt hier die Zufahrt für Radfahrende ins Gebiet am Amtsgericht. Das können sie nur über einen großen Umweg erreichen, wie ich bei anderer Gelegenheit schon mal beschrieben habe.

Auch schlecht ist der Drücker an der Fahrradampel auf der Verkehrsinsel. Tagsüber braucht man ihn nicht, weil die Radampel im Umlauf geschaltet wird, aber viele Radler glauben, sie müssten absteigen, sich hinüber beugen und den Drücker drücken.

Immerhin ist die Verkehrsinsel groß genug für ein Rad mit Anhänger und ein bis zwei weitere, was auf dem Inselstreifen auf der Neckarstraße, auf dem man als Radler immer halten muss, schon schwieriger wird, aber auch noch geht.

Muss das eigentlich für Radfahrende immer so kompliziert, hindernisreich und langwierig sein?
Solche Radquerungen und ihre Ampeln müsste man eigentlich schnellstens überarbeiten und radfreundlicher machen. Was an dieser Stelle aber heikel ist, weil man ja den Autoverkehr an dieser Feinstaubkreuzung nicht ausbremsen will. Jedenfalls nicht für Radfahrende. 

Wie gefährlich solch kreatives Verhalten, vor allem aber hier auch Geisterfahrten auf dem Radstreifen sind, zeigt dieser Unfall, der im April geschah. Ein Radler fuhr gegen die Fahrtrichtung auf dem Radstreifen vom Neckartor zur Heilmannstraße. Dort wollte er die U-Törn-Stelle für Autos nutzen, um auf die richtige Straßenseite zu fahren. Ein Autofahrer bremste und winkte ihn wohl rüber, doch ein zweiter Autofahrer fuhr auf der zweiten Spur weiter. Und dieses Auto sah der Radfahrer nicht. Er wurde schwer verletzt. Man hat mir berichtet, dass hier lange Zeit ein weißes Ghost-Bike stand. Die Zeitung berichtet nur von der schweren Verletzung, nicht aber vom Tod des Radfahrers. Oder hat jemand hier weitere Informationen?



5 Kommentare:

  1. Weg mit der Radinfra, einfach nur weg! Ich bin den täglichen Hindernislauf nur noch leid. Es sollten gleiche Wege und Regeln für alle gehen, im Zweifelsfall eben eine Verlangsamung und Entzerrung des Autoverkehrs, dann können auch wir Radfahrer nach den gleichen klaren Regeln im Verkehr mitfahren. Die gefährlichsten Situationen und Regelverstöße gibt es, wie in Artikel beschrieben, ja immer dann, wenn die Lage nicht klar ist. Oftmals fahre ich nach Einschätzung der Lage auch bewusst statt auf plötzlich beginnender Radinfra weiter auf der Fahrbahn, weil ein abrupter Wechsel mich und den Autoverkehr in Gefahr bringen würde. Ich bin es leid. Stuttgart wird niemals den Platz für gute Radwege zugestehen, aktuell kann ich sie keinem empfehlen. Einfach nur weg mit diesem Ärgernis!!!

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    1. Seh ich genauso. Nicht nur erspart man sich auf der Fahrbahn ständige Überlegungen wie man nun fahren soll, man hat im Allgemeinen auch eine bessere Oberfläche unter den Reifen. Und fährt sicherer, weil direkt im Sichtfeld der Fahrer.

      Ich will nicht "den Radverkehr" fördern, ich will schlicht sicher und komfortabel Rad fahren. Und das auch für meine Kinder, übrigens.

      Irgendwo habe ich mal einen Kommentar gelesen mit dem Tenor "Ich will nicht mehr gefördert werden". Ich glaube bei der Rad-Spannerei. Leider finde ich ihn nicht mehr, aber er war sehr treffend.

      Martin

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    2. Das unterscheidet uns, lieber Martin. Ich will, dass mehr Menschen Fahrrad fahren, übrigens auch die Kinder, die man schlecht auf die Fahrbahnen zwischen die Autos schicken kann. Es ist aber eben auch gar nicht einfach, zu entscheiden, was am besten ist und auch noch in einer teils engen Stadt wie Stuttgart geht, sowohl tatsächlich räumlich als auch politisch.

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  2. Weg mit der Radinfra, DIE NICHTS TAUGT. Das ja. Aber nicht generell.

    Straßenradeln ist gefährlich. Auch bei geringer Geschwindigkeit. Meinen letzten Unfall hatte ich bei Tempo 25 - 30, und zwar beide, die Autofahrerin war nicht schneller. Sie hatte mich gesehen, ist trotzdem losgefahren und hat mir die Vorfahrt genommen. Sie hatte eigentlich vor, mich beim Einbiegen in die (schmale) Vorfahrtstraße mit ausreichend Seitenabstand zu überholen (so erklärte Sie mir das jedenfalls), ist dann aber doch lieber dem Gegenverkehr ausgewichen.

    Beim Dooring steht das Auto sogar und ist trotzdem eine tödliche Gefahr.

    Letzten Donnerstag war ich an der Ampel direkt vor einem Autofahrer losgefahren. Ich hatte mich umgedreht und Blickkontakt. 100 m weiter in der Tempo 30-Zone/Wohngebiet überholt mich das Auto so eng, während ich an einem parkenden Auto vorbeifahre, dass ich mich nicht einmal getraut habe, eine Hand vom Lenker zu nehmen um anzuklopfen. 20 Sekunden später am Parkplatz: "Was, ich habe Sie überholt? Ich habe Sie gar nicht gesehen.". Wie in der Postillon-Satire am 24.11.2017 kam ich mir vor. So etwas nervt, macht Angst, ist gefährlich und die Aussicht darauf bewegt niemanden, auf das Fahrrad umzusteigen, was in Stuttgart aber eigentlich dringend Not tut.

    Mein Fazit: es geht nichts über eine Trennung der Verkehrsarten mit vernünftigem, baulich angelegtem Abstand. Eben genau das Prinzip, wie es sich in Kopenhagen bewährt. Warum andere Experimente ausprobieren?

    Wenn die Radinfra auf Grundlage der Planzahlen bei 20% Radanteil am Modal Mix so gebaut wird, wie es die ERA vorschreibt, dann gibt es den meisten Murks nicht mehr, den Christine laufend anprangert. Vernünftig und kostensparend wär's auch noch, denn innerhalb von 13 Jahren erst zu schmalspurig planen und bauen und anschließend richtig planen und alles wieder umbauen: das sind 50% Steuergeldverschwendung und bindet dringend benötigte Ressourcen und Kapazitäten.

    Klar kann das bedeuten, dass es unbeliebte Einschnitte gibt, wie jüngst z.B. in Esslingen, wo Radfahrer jetzt einen Umweg nehmen müssen, weil ein nur 160 cm breiter Weg nun mal nicht gemeinsam von Fußgängern und Radfahrern genutzt werden darf (Mindestbreite 250 cm). Anstatt so einen Weg dann entsprechend auszubauen, eine Umweg-Route mit mehreren Ampeln und kreuzendem Busverkehr einzurichten, sieht nach einem Bärendienst aus. Ich fürchte allerdings, dass uns so etwas in Stuttgart auch zunehmend blühen wird (z.B. auf dem Neckardamm). Siehe auch https://www.esslinger-zeitung.de/region/esslingen_artikel,-radler-pochen-auf-weg-am-neckar-_arid,2141236.html

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  3. Lieber Anonymus, noch vor wenigen Jahren habe ich ebenfalls deine Auffassung vertreten. Auch heute nutze ich Radinfrastrukturen in der Regel nur dort, wo sie mir nützt. Aber über die Zeit bin ich doch ein bissel schlauer geworden, nicht zuletzt dank den Beiträgen und Diskussionen in diesem Blog. Ohne überzeugende Infrastruktur kriegen wir einen passablen Radverkehr nicht hin. Das schließt ja die Kritik und den Ärger über miserable Infrastruktur nicht aus, ganz im Gegenteil. Ich kann mich meinem Vorredner Holger nur anschließen. Uns alle verbindet jedoch die traurige Einsicht, dass wir in Stuttgart nicht gerade eine Vorreiterrolle im Radverkehr übernehmen. Und genau deshalb schreibt Christine doch diesen Blog. Viele Grüße und: Keep on rolling.

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