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23. Januar 2018

Fahrradrealpolitik: "Im Prinzip ja, aber ..."

Grundsatzbeschlüsse zum Ausbau des Radverkehrs sind schnell gefasst, aber dann scheitern sie an der Umsetzung. 

Wir Radfahrer/innen träumen von einer Radinfrastruktur wie in Kopenhagen oder den Niederlanden (mit breiten Radwegen, sicheren Kreuzungen und Grüner Welle für Radfahrende), aber tatsächlich scheitert bei uns schon der Schutz- oder Radstreifen in den zuständigen Gemeinderatsausschüssen an der Abwägung Radstreifen gegen Parkstreifen. Unser Stuttgarter Beispiel dafür ist die Radhauptroute 2 in Wangen und Hedelfingen.


Parkplatz contra Fahrrad
Sie wurde trotz eines Gemeinderatsbeschlusses bisher nicht gebaut. Allein der Gedanke, dass Parkplätze, die man gar nicht in  dieser Menge braucht, einem Radstreifen weichen müssen, kurbelte die gesamte Aufregungs-Maschinerie der politischen Parteien an. Und dies, obgleich sich die Frage stellt, ob öffentlicher Raum etwa Mietwagen von Sixt oder Firmen für ihre Mitarbeiter/innen kostenlos zur Verfügung stehen muss.

Das Fahrrad ist dort aufgestellt, wo die Ständer hinkommen
sollen, nur damit zwei Parkplätze nicht wegfallen. 
In Hedelfingen scheitern sogar Radständer daran, dass dafür auf der Fläche vor dem Rathaus Parkplätze umgewidmet werden müssten, die bisher von der Polizei genutzt wurden (dort wo auf dem Foto rechts das dunkle Auto steht). Die Autofraktion im Bezirksbeirat lehnte die Idee ab. Die Radbügel sollen - so jetzt Vorschlag des Tiefbauamts - auf die Fußgängerfläche gebaut werden (wo auf dem Foto das Fahrrad steht). Das ist aber eine Stelle, wo viele Fußgänger die Heumadener Straße überqueren, weil es der direkte Weg über die Straße ist. Denen würde man die Räder direkt in den Weg stellen. Die Sache ist noch nicht entschieden, aber der Kampf um zwei Parkplätze tobt. Wenn ziemlich unbekümmert die eine Verkehrsart gegen die andere ausgespielt wird, dann Radfahrer gegen Fußgänger.

Das ist nur ein Beispiel von vielen, und es ist in den meisten deutschen Städten so. Dazu Jürgen Gerlach, Prof. für Straßenverkehrsplanung an der Bergischen Universität Wuppertal in Spektrum: "Man bekennt sich zwar übergeordnet dazu, Fahrradstadt zu werden; geht es dann an den einzelnen Straßenzug ran, muss plötzlich wieder der Parkraum gesichert werden. Geht die Verkehrsplanung ins Detail, werden Entscheidungen doch eher für den Kfz-Verkehr gefällt."

Radstreifen Löwentorstr. So was macht Ungeübten
Angst, aufs Rad zu steigen
Radfahren nur für Kenner und Geübte
In Stuttgart erkennen nur diejenigen, die bereits Fahrrad fahren, dass man sich keineswegs ständig in Lebensgefahr befindet und eigentlich sogar ganz gut Rad fahren kann. Aber Menschen, die die Straßen nur aus dem Blickwinkel hinterm Lenkrad hervor kennen oder nur ÖPNV fahren, erklären mir immer wieder vehement, dass man in Stuttgart nicht Rad fahren könne, weil es lebensgefährlich sei. Erstens, weil es keine Radwege gebe, zweitens, weil die wenigen nach ein paar Metern wieder aufhörten und drittens, weil die Autofahrer viel zu schnell führen. Man kriegt in Städten wie Stuttgart nur dann mehr Menschen aufs Fahrrad, wenn man eine deutlich sichtbare und sicher wirkende Radinfrastruktur baut. Ungeübte, Alte und vor allem Kinder und Jugendliche lieben Radwege, weil sie von Autos entfernt verlaufen. Und ausgerechnet die schicken wir dann auf Radwegen oder freigegebenen Gehwegen an den Kreuzungen in Lebensgefahr, weil wir es nicht schaffen, Abbiegeunfälle mit technischen oder baulichen Mitteln zu unterbinden.

Autoverkehr contra Sicherheit für Radfahrer
Doch sichere Kreuzungen für Radfahrende fallen regelmäßig der Idee zum Opfer, der Autoverkehr müsse fließen und dürfe nicht extra für Radfahrer angehalten werden. Von 17 tödlichen Fahrradunfällen in Berlin 2016 geschahen 6 durch abbiegenden LkW-Fahrer, die den Radfahrer nicht wahrgenommen hatten. Bei uns in Stuttgart passiert das so selten, weil wir kaum Radwege haben und weil es für Lkw ein Durchfahrtsverbot gibt. Aber Unfälle von Radfahrern mit in Tiefgaragen oder Tankstellen einbiegenden Autos gibt es auf dem Radweg Heilbronner Straße durchaus nicht selten. Diese Radwege - sehr autoverkehrsfern gelegen - zeigen, wie gefährlich Radwege sind, wenn Autos sie kreuzen können, auch wenn gerade ungeübte Radfahrer sich dort besonders wohl fühlen.

Eine Möglichkeit für eine sichere Kreuzung, Niederlande.
Die Verkehrsinsel hält
abbiegende Autos auf Abstand
Man kann Kreuzungen für Radfahrende durchaus sicherer machen, in dem man ihnen viel Platz einräumt und ihre Wege durch Fahrbahnteiler schützt. Ist der Platz nicht da, sollte man eigentlich dem Abbiegeverkehr NIE gleichzeitig mit dem Geradeausverkehr auf dem Radweg Grün geben. Aber das ginge halt aufkosten der Leistungsfähigkeit der Autostraßen und ihrer Ampelschaltungen, die nur darauf getrimmt sind, den Autoverkehr am Fließen zu halten. Dafür nimmt man den Tod von Radfahrern in Kauf.

Kaum Geld für den Radverkehr
Der Radverkehr macht übrigens in Deutschland rund 12 Prozent der Mobilität aus. Aber im Verkehrsetat der Bundesregierung kommt er nur mit 0,5  Prozent zum Zuge (130 Millionen 2917 zu 30 Milliarden). Ich vermute, in den meisten Kommunen sieht es ähnlich aus. So recht ist der politische Wille eben noch nicht erkennbar. Und trotzdem  steigen auch in Stuttgart immer mehr Menschen aufs Fahrrad und fahren. Der Trend ist nicht aufzuhalten. Es wird dringend Zeit, dass die Politik hier gestaltet.

Und so kann eine Kommune den Radverkehr effizient fördern. Zukunft Mobilität macht hierfür konkrete Vorschläge, die im Wesentlichen darauf hinaus laufen, dass es in einer Stadt Leute gibt, die sich hinter das Thema klemmen und jährlich Bericht erstatten. Und es müssen im Haushalt konkrete Strecken und Projekte (etwa für Radparkplätze) festgelegt werden, die gebaut werden sollen, so wie das beim Stuttgarter Haushalt im vergangenen Dezember auf konkrete Anträge der Grünen hin geschehen ist.

3 Kommentare:

  1. Gut geschrieben Christine, gerade der Absatz "Radfahren nur für Kenner und Geübte" bringt die Stuttgarter Verhältnisse auf den Punkt.
    Ich habe in Stuttgart eher Respekt vor den Ein-/Ausfahrten, ob es nun die Tankstellen oder einfache Parkplätze/-häuser sind; die Autofahrer achten teils gar nicht auf Radfahrer, als auch Fußgänger.

    Mal hoffen, dass sich das in der kommenden Zeit ändert, wird aber wohl in Jahren zu bemessen sein.

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    1. Es ändert sich durchaus spürbar etwas in Stuttgart. Vor allem übrigens auch deshalb, weil wir hier eine sehr wache und vielfältige Fahrradkultur haben. Das unterscheidet uns in der Tat von Fahrradstädten wie Münster oder Freiburg.

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  2. Die "Radroute 2" ist ein Trauerspiel. Haben wir da nicht lange genug gewartet, @Peter Pätzold?

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