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21. März 2018

Welche Prioritäten setzen wir eigentlich?

Gestern also war die Tübinger Straße und die Autoumleitung während der Baustelle am Österreichischen Platz in diesen Sommerferien und im kommenden Jahr über die Fahrradstraße Thema im Bezirksbeirat Süd.  

Hier mein Bericht aus dem Gedächtnis.

Stadtplanungsamt und Ordungsamt stellten dar, dass der Autoverkehr, der nicht mehr über den Österreichischen Platz auf die Hauptstätter Straße abbiegen kann, schon vorher weiträumig umgeleitet wird. Es wird deshalb keine Umleitungsausschilderung über die Silberburgstraße in die Tübinger Straße geben, sodass man erwartet, dass nur der örtliche Verkehr den Weg über die Fahrradstraße nimmt.

Allerdings soll die jetzige Sperre für Autos an der Feinstraße aufgemacht werden. Dann soll dieses Jahr für mindestens sechs Wochen in den Sommerferien für Autofahrer die Geradausfahrt Richtung Torstaße und das Rechtsabbiegen in die Feinstraße möglich sein. Diese Sperre wird auch in der Bauphase 2 im kommenden Jahr für rund drei Monte für Autos offen sein. (In der Bauphase 3 ist die Tübinger Straße nicht mehr betroffen.)

Radfahrende werden auf diesen knapp 200 Metern außerdem an zwei Ampeln warten müssen.
Die eine steht bei Dinkelacker  an der Cottastraße und soll den Verkehr zwischen abbiegenden Autos aus den Richtungen Silberburgstaße und Marienplatz regeln.  Zumindest die Radfahrer, die vom Marienplatz her kommen, müssen dann ebenfalls an einer roten Ampel warten. Wie die Signalisierung genau sein wird, konnte man noch nicht sagen. Außerdem gibt es eine Ampelanlage an der Kreuzung Fangelsbach, bzw. Silberburgstraße. Hauptsächlich zum Schutz der Schulkinder vor den Autos, die die Silberburgstaße runter kommen, und den Autos, die aus der Fangelsbachstraße kommen. An diesen Ampeln müssen dann auch die Radfahrer warten.

Im Sommer voller Autos oder doch nicht? 
Es entwickelte sich eine rege Diskussion zwischen den Bezirkbeiratsvertretern der Grünen und von Stadtisten und Linken, die für einen weniger schwerwiegenden Eingriff an diesen beiden Stellen in die Fahrradstraße plädierten und Alternativen vorschlugen. Tenor: Die Fahrradstraße ist zu jung und zu kostbar, um sogleich wieder, und sei es auch nur temporär, dem Autoverkehr geopfert zu werden. Die Vertreter der anderen Parteien schwiegen. Anschließend meldeten sich viele Radfahrende zu Wort, die verschiedene Aspekte herausstellten, die dieser Eingriff für Radfahrende bedeutet.

Ich gebe hier die Argumente und Fragen summarisch wieder.
1. Wenn es eine großräumige Autoumleitung gibt, wozu brauchen wir dann auf der Fahrradstraße diese aufwändige Fahrbahnmalerei. Mit den Autos, die dann da noch fahren, kommen wir zurecht.
2. Sollen wir das so verstehen, dass die Fahrradstraße eine reine Verfügungsmasse für Engpässe bei Autostraßen ist? Wenn das Fahrrad nicht stört, kriegt es mal Raum, stört es, werden Räder wieder an den Rand gedrängt und Radfahrende durch Ampeln ausgebremst.
3. Was ist das für ein Signal an die Radfahrenden in Zeiten von drohenden Fahrverboten und Feinstaubalarmen?
4. So einen Aufwand für 200 Autofahrer? Auf der Fahrradstraße fahren 3.000 Radler  pro Tag. (Die Zahlen wurden dann vom Ordnungsamt noch mal relativier, siehe unten bei den Antworten).
5. Müssen die Radfahrer an der T-Kreuzung vor Dinkelacker Richtung Marienplatz wirklich an einer Ampel halten? (Nein, das werde man wohl so nicht machen, so die Antwort.)
6. Schon jetzt sind Autos im Shared Space zu schnell unterwegs, wenn jetzt zusätzlich Autos bei offener Sperre geradeaus bis zur Torstraße vorfahren können, wird das noch schlimmer. Außerdem nimmt der Parkplatzsuchverkehr zwischen Silberburg und Gerber zu, weil man wieder durchfahren kann.
7. Welche Prioritäten setzt eigentlich die Stadt,? fragte ein Vater, der mit seiner kleinen Tochter radelt. Geht es der Stadt um Eltern und ihre Kinder (er fahre mit seiner Tochter dann nicht mehr durch die Tübinger Straße) oder um den Autoverkehr?
8. Die Stadt habe nach eigenen Aussagen alle Aspekte des Verkehrs berücksichtigt, um welche Aspekte handelt es sich da eigentlich genau?
Und eine Frau beschwerte sich über die Radfahrer, sie traue sich nicht mehr mit dem Auto zu fahren. Sie war augenscheinlich für einen Rückbau der Fahrradstraße.

Hier summarisch zusammengefasst die Antworten der Verwaltung:
Ziel sei die Sicherheit und die Leichtigkeit des Verkehrs für alle Verkehrsteilnehmer gewesen, antwortete der Vertreter des Ordnungsamts. Damit der Verkehr fließe, gebe es eben auch Einrichtungen für den Radverkehr. Er glaube nicht, dass dann weniger Leute dort Rad fahren. (Eine kleine Bemerkung kann ich mir hier nicht verkneifen: Es redeten Männer unter Männern. Männer fahren anders Fahrrad als Frauen oder als Eltern mit Kindern. Für routinierte Radler sind Radstreifen und Ampeln (die werden missachtet) keine Problem, sie kommen mit dem Stellungskampf auf den Straßen besser zurecht. Mehr Frauen als Männer weichen diesen Konflikten allerdings auf Gehwege aus oder fahren gar nicht dort, wo die Lage für sie unübersichtlich wird, weil zu viele Autos in zu viele Richtungen über Radstreifen hinweg abbiegen.)

Die Sperre muss nach Ansicht des Ordnungsamts offen sein, damit die Autofahrer in die Tiefgaragen der WGV (die da auch Begutachtungen von Unfallwagen macht) und des Caleido kommen. Außerdem soll der Lieferverkehr hier geradeaus zum Gerber fahren. Laut Angaben der Stadt handelt es sich in Spitzenzeiten abends um 200 Autos, die aus der WGV-Tiefgarage heraus fahren (Anmerkung dazu von mir: das allerdings  über die Feinstraße oder wie bisher auch über die Fangelsbachstraße und hoch in die Silberburgstraße, für die braucht man die Öffnung der Sperre nicht.) Diese 200 Autos fahren vormittags allerdings in die Tiefgaragen. (Sie könnten, was die WGV betrifft, in der Fangelsbachstraße schon rein fahren, allerdings die Autos, die zum Caleido wollen, nicht.) Tatsächlich dürften es mehr Autos sein, die Sperre heute über die Feinstraße passieren. Eine Zahl hat das Ordnungsamt nicht genannt.

Anmerkung von mir: Bei der Zählung im Rahmen des Stoppschildkonflikts kam am 10. 6.2105 heraus, dass 2.220 Radfahrende 1.930 Autos gegenüber standen. Vor allem war der Lieferverkehr bei weitem nicht so stark, wie vorher von der Stadt angenommen. Inzwischen ist die Zahl der Radfahrer auf 3.000 täglich gestiegen, weil die Tübinger Straße Fahrradstraße geworden ist. Die Zahl der Autos ist zumindest in der Tübinger Straße zurückgegangen. Wie viele Autos heute über die Feinstraße vom und zum Gerber fahren, ist unklar. Eine Umleitung des Parksuch- und Tiefgaragenverkehrs über das Gerberviertel (Gerberstraße, Paulinenstraße, Tübinger,str Feinstraße) oder über die Marienstraße Richtung Shared Space lehnte das Ordnungsamt mit dem Argument ab, dass dann viel zu viel Autoverkehr in beiden Richtungen auf dem so genannnten Shared Space und zwischen Feinstraße und Gerber herrschen würde. Der Begegnunsverkehr der Autos werde dann auch die Radler behindern und die Fußgänger natürlich sowieso.

Die Diskussion war, wenn sie ungewohnt wegen der regen Beteiligung der Bürger/innen, freundlich, unaufgeregt und unaggressiv. Allerdings gingen beide Seiten auseinander, ohne zu einer Verständigung auf einen Kompromiss gekommen zu sein.

Dieser Kompromiss könnte nach meiner Ansicht lauten:
1. Wir erwarten nicht viel Autoverkehr über die Silberburgstraße zur Cottastraße (Autofahrer warten so lange an der Ampel zur Hauptstätter Straße, dass die das nur einmal machen), deshalb soll das dort so sein wie geplant. Wir finden auch den Radstreifen auf der Cottastraße zur Tübinger Straße super. Die Ampelanlage brauchen wir dort allerdings nicht, denn sie dient ja nicht unserer Sicherheit, sondern nur der Regelung der Autoströme. (Die Ampel an der Fangelsbachkreuzung reicht vollauf, und auch die dient nicht unsere Sicherheit, sondern dem Schutz der Schulkinder vor dem Autoverkehr.)
2. Dafür aber bleibt die Sperre an der Feinstraße geschlossen, und der Autoverkehr zu den Parkhäusern in der Feinstraße wird über das Gerberviertel abgewickelt. (Zur WGV können Autofahrer ja ohnehin auch über die Fangelsbachstraße einfahren.)

Und eines zum Schluss: Ich höre immer: "Es sind ja nur sechs Wochen!", (zumindest diesen Sommer, nächsten sind es mindestens drei Monate). Ja, es sind nur sechs Wochen, aber wem sagen wir das eigentlich anklagend ins Gesicht, den Radfahrern ("Habt euch gefälligst nicht so!") oder den Autofahrern ("Ja, dann fahrt halt mal nicht da lang oder nehmt mal die Stadtbahn oder das Fahrrad!")? Wer muss sechs Wochen zurückstecken, die Stadtgesellschaft, die hier zu Fuß unterwegs ist und im Sommer die Ruhe der Fahrradstraße genießt und all die die Menschen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind (zahlreicher als diejenigen, die mit dem Auto hier sehr viel Platz beanspruchen), oder die Autofahrer? Und wie viele Menschen betrifft die Änderung nachteilig: 3.000 Radler und mindestens drei mal so viele Fußgänger jeden Tag, nur damit rund 1.500 Autofahrer keine komplizierten Umwege in Kauf nehmen müssen? Passt das? Wie setzen wir hier die Prioritäten? Was ist das für ein Signal? 



3 Kommentare:

  1. Vielen Dank für den Bericht und mit deinem Kommentar hast du es auf den Punkt gebracht.

    mfG
    Andreas

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  2. Es wäre echt schön, wenn wir billige Verkehrszählungsgeräte "überall" installieren könnten. Derzeit kostet so ein Ding 2000,- EUR.
    Wenn es da eine DIY-Lösung gäbe, könnte man die in jeder Straße aufhängen und so an realistische Zahlen kommen.

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  3. Es gibt sehr aussagekräftige flächendeckende Zahlen mit hoher Korrelation mit den Gesamtzahlen, und zwar von Strava. Dresden beispielsweise nutzt die und die TU Dresden hat im Auftrag des Verkehrsministeriums die Zahlen bewertet und Anleitungen und Interpretationshilfen erstellt. Stuttgart meint es besser zu wissen und verzichtet auf den Datenschatz mit der Argumentation, dass die beiden Zählstellen Rentner auf dem Weg zum Bäcker besser erfassen würden (stand so in einem Artikel in der Sonntag Aktuell letztes Jahr).

    An einigen Kreuzungen gibt es doch Kameras. Kann man die nicht mit Mustererkennung "Fahrradfahrer" ausstatten und die Treffer zählen lassen?

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