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15. Juni 2018

Eine Radinfrastruktur, die sich anfühlt wie ein SUV

Wie steigert man wirklich den Radverkehr? Und warum klappt das mit der Art von Radförderung, wie wir sie derzeit praktizieren, nicht? 

Dass man was für die eigene Gesundheit und die Umwelt tut, reicht als Argument nicht aus, das Rad zu nehmen. Schnelligkeit interessanterweise auch nicht. Gerade in Großstädten legen Menschen Wege mit dem Auto zurück, die mit dem Rad viel schneller zu bewerkstelligen wären. Alles unter drei Kilometer sowieso, alles unter fünf Kilometer auch, wenn die Parkplatzsuche und der Weg vom Parkhaus zum Ziel noch dazukommt, den Stau nicht mit eingerechnet. Dass sie mit dem Fahrrad schneller und stressfreier zum Ziel kommen, wissen allerdings viele gar nicht, denn sie fahren ihre kleinen Strecken mit dem Auto.


Die meisten Städte, auch Stuttgart, bemühen sich, den Radverkehr zu unterstützen, bauen hier Radstreifen, ziehen dort mal einen Sicherheitsstreifen, bauen auch mal einen Radweg, wo der Autoverkehr so gering ist, dass man dafür Platz findet (wie etwa beim Radweg an der Neckartalstraße). Die Radler werden zwar immer mehr auf unseren Straßen, vor allem bei gutem Wetter und trotz der mangelhaften Infrstruktur. Aber die Zahl der Radfahrenden steigt nur langsam im Verhältnis zum Autoverkehr, der gleichzeitig auch zunimmt. Irgendwie funktioniert das so nicht. Dem berühmten 20 Prozent Radanteil im Verkehrsmix, kommt man einfach nicht näher.

Momentan sind die Radfahrenden mit einem ordentlichen Hang zur Selbstbehauptung diejenigen, die das Fahrrad nehmen. Und die Aggressiveren unter ihnen sind dabei auch noch am sichersten unterwegs. Der Dresdner Verkehrswissenschaftler Martin Rendelhoff sagt in Spektrum der Wissenschaft: "Neongelbe Kleidung, Tempo 25 Kilometer pro Stunde, schneller aggressiver Fahrstil, männlich, 35, auf dem Weg zur Arbeit – das sind die, die sowieso Rad fahren." Die werden von schlechten Radwegen, komplizierten Wegführungen und Hinternissen nicht abgeschreckt. Studien, so Rendelhoff, hätten auch gezeigt, dass Radfahrer mit einem gewissen Aggressionspotenzial sicherer in der Stadt unterwegs sind: "Wer gewisse Regeln ignoriert, erhöht die eigene Sicherheit."

Und so was ist nun gar kein Argument für Autofahrende, sich aufs Fahrrad zu schwingen. Zumal sie diese aggressiven Radler ja hassen.

Die, die sich in ihrer Geländelimousine so wohl und sicher fühlen, lockt man weder  mit Appellen aufs Fahrrad, noch mit der Verteufelung des SUVs. Die wollen nicht auf schmalen Radstreifen oder gestrichelten Sicherheitsstreifen fahren, an denen sie selber im Auto entlangrauschen, oftmals viel zu knapp am Radler vorbei. Für die, die sich in ihrem Auto so warm und wohl fühlen, braucht es schon deutlich verführerischere Angebote. Radfahren muss bequem, sicher und fröhlich aussehen. Da hilft der Berufspendler mit Helm und Warnweste gar nicht. Auch nicht das Geschrei an einer Kreuzung, an der sich ein Radler bedrängt fühlt. Die meisten Menschen haben keine Lust auf Kampf. Die Selbstbehauptung im Straßenraum übernimmt ihr SUV mit seiner Breite und Wucht. Und das sage ich nicht, um zu verurteilen, sondern damit wir verstehen, warum Radfahren unter den Stuttgarter Bedingungen für viele Autofahrende keine Option ist. Unsere Radinfrastruktur ist nicht vertrauenerweckend.

Eine Radinfrastruktur, die wirklich alle, die können und wollen, aufs Fahrrad lockt, ist angelegt wie ein SUV, breit, großräumig und sicher. 

So weit so gut. Es mag Städte geben, da sind die Straßen breit genug, um Radfahrenden zusätzlich zu Fußgängern und Autofahrern geschützte Radwege einzuräumen, aber in Stuttgart ist das nicht der Fall. Und damit wird die Frage, was den Radverkehr wirklich fördert und ob man das überhaupt will, zum Kulturkampf. Radstreifen oder Radweg contra Parkplätze und Autospuren. Erneuerung der Verkehrskonzepte gegen konservatives Beharren auf alten Kfz-zentrierten Konzepten.

Dabei ist gerade Stuttgart für den Radverkehr besonders gut geeignet. 
Denn je enger die Bebauung, desto schlechter sind die Straßen für Autos und desto besser fürs Fahrrad (Pedelec) geeignet. Die Strecken sind kurz, man muss nie Parkplatz suchen, man steht nie im Stau, man kommt überall hin. Während das Auto, allemal der SUV, überall zu breit ist, zu breit für die Gassen, für die Kurven und für die Parkplätze in der Tiefgarage.

Angesichts von Enge verwickeln wir uns nun in einen Entweder-oder-Absolutismus: Fahrrad gegen Auto. Das Auto muss Platz hergeben, damit Radfahrende Platz bekommen. Und schon wieder sind wir beim Kulturkampf, der nicht immer auf belastbaren Fakten beruht. Keineswegs sinkt etwa die Kapazität einer Straße immer, wenn man ihr eine Spur wegnimmt. Rendelhoff weist in demselben Artikel auf einen Versuch in Karlsruhe hin, wonach Autofahrer selbst zur Hauptverkehrszeit nur 12 Sekunden Verzögerung in Kauf nehmen mussten. Außerhalb der Hauptverkehrzeit sind Autofahrer auf den Straßen schneller unterwegs, wo es Radstreifen oder Radwege gibt, denn sie Radler radeln nicht vor ihnen, sondern neben ihnen. Radwege helfen nämlich auch dem Autoverkehr zu flüssigem Vorankommen.

Doch in an die Hauptstraße gehauener Radstreifen erzeugt noch keine Zunahme des Radverkers. Vor allem dann nicht, wenn sie von den üblichen Radfahrstrecken nur schwer zu erreichen sind  oder wenn man ihn nur über große Kreuzungen ohne Radinfrastruktur oder enge Gehwege verlassen kann(wie etwa beim Radstreifen Waiblinger Straße).
Wie man an der Tübinger Straße sieht, braucht es zudem noch ein Signal von Gemütlichkeit. Gleichzeitig muss Autofahrenden das Autofahren unattraktiver erscheinen. Und damit es so erscheint, muss es wohl auch tatsächlich ein bisschen unattraktiver gemacht werden. Bequemlichkeit ist letztlich ein Parameter unserer Alltagsbewältigung: Schnell soll es gehen, ich möchte mir keine großen Gedanken machen und ich möchte keinen Stress dabei. Ich will nur von A nach B, und dabei will ich kein Statement zu meinem Verhältnis zur Umwelt abgeben, so wenige Schrecksekunden wie möglich erleben, mich trocken, sicher und wohlig fühlen und nette Gedanken und Gefühle haben. Und tatsächlich bringt der Stress, keinen Parklatz (oder nur einen ziemlich teuren) zu finden, Autofahrende am ehesten dazu, ein anderes Verkehrsmittel zu nutzen.

Allerdings warnen uns Schwarzmaler immer davor, dass die, die zum Einkaufen in ihren Autos nach Stuttgart hineinfahren, sich woanders hinwenden, wenn es in Stuttgart fürs Auto zu unbequem wird. Dann werde man eben nach Böblingen oder Ludwigsburg zum Samstagsshoppen fahren. Glaube ich nicht. Schließlich sind Großstädte wegen ihrer Vielfalt an Läden zwischen Billig und Boutique interessant, zumindest bei Frauen. Und die schoppen ja am liebsten.

Übrigens die Unterschriftensammlung für den Radentscheid hat begonnen. Hier könnt ihr die Listen selbst herunterladen und ausfüllen. 

9 Kommentare:

  1. Ich frage mich bei der ganzen Diskussion: "man muss/kann/sollte den Autofahrern mal hier mal da eine Spur wegnehmen" oder "man muss/kann/sollte das Autofahren unbequem machen" was passiert, wenn das heute noch zu "dreckige" Elektroauto seinen Siegeszug antritt? Braucht dieses in Zukunft keinen Raum sprich Fahrspuren? Braucht dieses in Zukunft keinen Parkplatz? Weshalb soll man sich in Zukunft dann überhaupt ein Elektroauto kaufen, wenn man keinen Platz hat es zu fahren und zu parken, gerade in Städten?

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  2. Das mit dem Radentscheid ist ja schön und gut, es wird meiner meinung nach aber rein gar nichts ändern. Ich lese diesen Blog hier sehr gerne und regelmäßig und finde es super informativ und toll wie hier auf die aktuellen Situationen und Aussichten hingewiesen wird. Allerdings finde ich, braucht man sich keine falsche Hoffnungen mehr machen und muss für sich andere Lösungen finden. Ich gehöre zu der oben beschriebenen Gruppe, 35 Jahre alt, 25 km/h auf dem Weg zu Arbeit wobei ich nicht aggressiv fahre, sondern immer eher zu defensiv, jedenfalls fahre ich sehr viel und ich würde sagen, ich fahre gut und trotzdem hab ich langsam keine Lust mehr. Es hängt natürlich stark vom Arbeitsweg ab, aber durch Feuerbach durch und am miserablen Neckar und bei schönem Wetter durch den Rosensteinpark, überall ist einfach zu vie los. Zu viele Autos, zu viele Radfahrer bei zu schlechter Infrastruktur, zu viele Fußgänger/Kinder/Hunde in den Parks, das ist alles viel zu gefährlich geworden, ich hatte die letzten Wochen echt Glück und mich hätte es ein paar mal schlimm erwischt. Ich sehe eher eine Verschlechterung der Situation als eine Verbessserung, gerade deshalb weil generell immer mehr los ist. Ich überlege schon den Wohnort zu wechseln oder am liesten den Arbeitsplatz, den ich aber eigentlich nicht aufgeben will und so einfach ist es ja auch nicht immer. Die Situation schärft sich immer mehr zu. Ich sage voraus, dass das System in 10 bis 20 Jahren kollabieren wird, es wird einfach nicht mehr tragbar sein, die Menschen und gerade die Pendler werden immer noch aggressiver werden weil es einfach unerträglich wird und es wird zu krassen Eskalationen kommen. Ich kann und will nicht glauben, dass die Menschen auf Dauer weiterhin ihr Zombiedasein in ihren fetten Karren im Stau fristen werden und spätestens dann wird wirkich mal aktiv was getan, das dauert dann nochmals 10 bis 15 Jahre und dann sind 35 Jahre vergangen und wir sind wahrscheinlich eh schon tot oder in Rente. Ich sage also, wir werden eine signifikante Änderung nicht mehr erleben.

    Grüße,
    Andre

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  3. "Neongelbe Kleidung, Tempo 25 Kilometer pro Stunde, schneller aggressiver Fahrstil, männlich, 35, auf dem Weg zur Arbeit..."

    Schön einfach, eine ganze Gruppe zu stigmatisieren. Wie bezeichnet der Fachmann eigentlich die Gruppe "männlich/weiblich,Ü18, mit über 50km/h durch die Stadt, Autofahrer/in..."? Sind die superaggressiv?

    Ich werde weiterhin mit Tempo 30-35 auf der Fahrbahn fahren. In Ermangelung einer Radinfrastruktur, die ihren Namen verdient. Und ich werde weiterhin von der Straße gedrängt, angehupt, bedroht, gefährdet,...

    Wenn so genannte Wissenschaftler sich so äußern, wundert es mich nicht, dass in Sachen Radverkehr sich nichts bewegt.

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  4. Sehr schöner Artikel.
    Den Widerspruch habe ich aber nicht verstanden: kein entweder-oder, aber trotzdem den Autos eine Spur wegnehmen?

    In meinen Augen ist es halt doch erstmal ein klassischer Hegemonialkonflikt: erst wenn die MIF-Spur dann mal an uns abgetreten ist, kommen o.g. Wohlfühlthemen zum Tragen.

    Bis dahin heißt's leider "us vs. them".
    Und in diesem Konflikt versagt der Staat mit seinem Gewaltmachtmonopol bei der Herstellung eines Kräftegleichgewichts leider weitgehend.

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  5. RadlerIn Wiesbaden15. Juni 2018 um 19:00

    Toller Artikel, den ich nur bestätigen kann.

    Erkenntnisse aus der fahrradunfreundlichsten Großstadt:

    Radinfrastruktur ist nicht einladend, nicht offensichtlich,nicht “hygge“. Wer ein Auto hat und die Stadt nur aus der Perspektive kennt, weil die Stadt einen dazu einlädt, mit dem Auto zu kommen, steigt nicht um!

    Solange Radfahrer Bettelampeln haben, sich zwischen vielen Bussen -beängstigend! - einordnen müssen, Parkplätze zugleich innenstadtnah wenig bis gar nichts kosten, auch Busfahren relativ teuer ist, bleibt meine Heimat Auto-Stadt. Schade: auch hier ist das Fahrrad in der Kernstadt unschlagbar in Sachen Geschwindigkeit.

    Ja, es werden mehr Radler, aber es sind nicht genug. Den politisch Verantwortlichen scheint nicht klar zu sein, dass auch Radler Wähler sind....

    Weiblich, Ü40, idR auf der Mitte der Spur radelnd, auf nahezu allen Wegen, bei fast jedem Wetter, ohne Warnweste.

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  6. Dass die Separation von Radverkehr in vielen Fällen einen Reisezeitvortteil für den Autoverkehr bringt ist richtig und empirisch recht gut belegt.
    Was ich nicht verstehe: Seit einigen Jahren scheinen sich Teile der 'Radfahrszene' systematisch von ökologischen Forderungen und Perspektiven zu verabschieden.
    Es ist noch gar nicht soo lange her, da hätte das Argument 'das nutzt auch dem Autoverkehr' eher eine kritische Sicht auf eine solche Maßnahme ausgelöst.
    Warum ist es gut ausgerechnet den Autoverkehr noch weiter zu beschleunigen wäre gefragt worden.
    Heute scheint sich das sehr gründlich und, im Falle der Radentscheide, bundesweit vereinheitlicht geändert zu haben.
    Radverkehrsförderung ist im Schwerpunkt auf Kurzstreckenverkehre mit separierter Führung geframt worden, wobei als Hintergrundwissen die Tatsache relevant ist (wäre?), dass gerade die Kurzstreckenverlagerung ökologisch nehezu vollständig irrelevant ist.

    Der ökologische Nutzen liegt knapp über der Messschwelle und bei Berücksichtigung der Tatsache, dass die Verlagerung von Kurzstrecken auf das flächensparsame Fahrrad zusätzliche Kapazitäten für die Autoumlandverkehre schafft wird die Umweltbilanz sogar negativ.
    Ist das nicht bekannt?
    Wird das theoretisch anders gesehen, und wenn ja aufgrund welcher Quellen / Untersuchungen?
    Ist das egal geworden, weil es längst um PR und Campaigning geht und die ökologischen Folgen drittrangig geworden sind?
    Fragen über Fragen.
    Alfons Krückmann

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  7. So leid es mir tut, aber ich halte die These, dass es nur eine ausreichend gute Radinfrastruktur benötige um den SUV-/Autofahrer zum Radfahren zu bewegen, für eine idealistische Träumerei (sage ich, der sich selbst als Idealist einordnet). Leute, die sich für so ein Fahrzeug entscheiden, geben nicht mal eben dessen Statussymbolik und Bequemlichkeitsfaktor auf, an den selbst ein E-Bike nicht herankommt. So zumindest schätze ich die Klientel ein, die da so hinter dem Steuer sitzt. Die Parkplatzssuche und Staus sind kein ausreichendes Argument, weil man sich daran gewöhnt hat und es so hinnimmt. Auf dem Rad hat man keinen schützenden Panzer mehr, ist man nach der eigenen Wahrnehmung ein Niemand, befindet sich in einer Position, die der, die man im kapitalistischen bzw. gesellschaftlichen Hamsterrad inne hat, nicht mehr gerecht zu werden scheint.

    Stuttgart ist dazu insofern ein hoffnungsloser Fall weil es nicht mal die vermeintlich Grünen am Ruder es schaffen, den Kahn in eine andere Richtung zu lenken. Siehe Fahrverbote. Das müsste doch irgendwann mal der feuchte Traum der Grünen gewesen sein. Nur wenn es dann konkret wird... sind sie auch nur der Hampelmann der Industrie.

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  8. Glaubt man MP Winnie, sind die aktuellen Autos alle zu klein. Seinen Dienstwagen der S-Klasse bezeichnet er als Sardinenbüchse. Seitdem habe ich in meinem Octavia Beklemmungen. Und in dem Kleinstwagen meiner Freundin panische Angstattacken.

    Grüne Gesinnung im Wandel der Zeit.

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    1. Nen Link gibt's auch noch

      https://www.google.com/amp/s/www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.mercedes-des-ministerpraesidenten-der-lange-streit-ueber-kretschmanns-sardinenbuechse.0de3d516-baef-4b26-807e-6a753f2abca6._amp.html

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