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31. März 2021

Auf dem Land geht nix ohne Auto

Und wer keines hat, kommt halt nicht raus aus dem Kaff. 

In ländlichen Gegenden und Dörfern haben neunzig Prozent der Leute Autos. In Großstänten sind es um die fünfzig Prozent. Bei den Haushalten wird das noch deutlicher. Nur drei Prozent der Haushalte mit mehreren Personen haben kein Auto zur Verfügung. Und in vielen stehen zwei bis drei Autos (Quelle). Denn der Öffentliche Verkehr ist so schwach, dass es ohne Auto nicht geht.

Ein Fahrt mit dem Regiozug von 25 km hin und zurück, kostet beispielsweise 12 Euro und der Zug fährt nur alle paar Stunden. Der Bus zur nächsten Kreisstadt (25 km) fährt auch nur zwei Mal am Tag oder vielleicht vier Mal, und die Fahrt dauert dann zwei Stunden, weil der Bus über alle Dörfer kurvt. In den Schulfehrien fahren die Busse noch seltener. Im Ortskern ist vielleicht noch ein Bäcker, aber der letzte kleine Supermarkt ist verschwunden, Ärzt:innen gibt es gar keine. Alte müssen sich fahren lassen. Und für die Jugend ist das ein Alptraum. Normale Strecken (ca. 5 km) kann sie mit dem Fahrrad machen (Pedelecs kauft man der Jugend meistens nicht), zum Sportverein muss man sich zehn Kilometer von Mama fahren lassen (und nimmt noch ein paar Freunde mit). Von der Party gibt es eh kein Heimkommen, es sei denn, man wird geholt oder von Älteren, die schon den Führerschein und einen Überlandflitzer haben, heimgefahren. Und ich kenne in ländlichen Gegenden auch Leute, die jeden Morgen und Abend stundenlang in einem Superstau stehen, um zur (anstrengenden) Arbeit und nach Hause zu kommen, und sich nach einer Bahn- oder Busverbindung sehnen, die sie nicht doppelt so viel Zeit kosten würde.

Damit die Jugend, die ganz Alten, die Armen und alle, die kein Auto fahren können und all die, die eigentlich lieber auf ein oder zwei der teuren Autos verzichten würden, überall leicht hinkommen, braucht es ganz dringend ein Konzept für den öffentlichen Verkehr: 1. Schnelle (häufige und direkte) Verbindungen zu den Kreisstädten und größeren Ballungsräumen, 2. einen Linienverkehr im Landkreis, der wichtige Siedlungsgebiete mit Zielen für Freizeit, Sport, Kultur und Wirtschaft verbindet, 3. ein Zubringersystem in die winzigen Ortschaften und Weier. Der VCD nennt das ein dreistufiges System. Und es darf für Schüler:innen nicht teuer wirken. Und die Fahrpläne müssen einprägsam und die Tarife und die Buchung einfach sein. Schöne und gesicherte Bike&Ride-Stationen oder Radboxen für Räder mit Gepäck tragen dazu bei, dass Leute mit dem Rad zum Bahnhof oder Busbahnhof kommen und mit dem ÖV weiterfahren können. Sie müssen ihr Rad wettergeschützt, und einige auch geschützt gegen Diebstahl und Vandalismus abstellen können.

So etwas kostet Geld, vor allem, weil es einige Jahre lang so aussehen wird, als interessiere es niemanden und als führe niemand damit. Man muss es aushalten, dass die Busse und Bahnen eine ganze Weile recht leer herumfahren und sich das alles nicht rentiert. Aber nur wenn Bus- und Bahnverbindungen für die Zukfunft zuverlässig bestehen, dann spricht sich das herum und die Leute fangen an, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern. Dann würden etwa die Hälfte der Menschen öffentliche Mobilitätsangebote nutzen, schätzt eine Studie der Grünen im Bundestag.

Wir müssen uns aber wirklich endlich aus unserer Lethargie reißen. Unsere Autogesellschaft hat uns unglaublich brutal und mitleidlos gegenüber allen Menschen gemacht, die kein Auto wollen, keines haben, sich keines leisten können, oder (noch) nicht Auto fahren dürfen. Die dürfen stundenlang an einsamen Haltestellen warten oder halt daheim bleiben. Einige können das Rad nehmen, aber Radfahren ist auf Landstraßen echt lebensgefährlich, die seitlichen Radwege sind oft uneben und unbeleuchtet und nachts irre einsam, die Ortsdurchfahrten sind der Enge wegen für Radfahrende gar nicht ausgelegt, Radstrecken führen notgedrungen durch einsame Gegenden. Da radeln junge Frauen nachts dann auch nicht mehr. Und den Bus, in dem man das Rad mitnehmen könnte, gibt es gar nicht.

Eine Belebung der Dorfkerne ist auch nicht einfacher. Weil ja alle Autos haben und zum Einkaufen zum Supermarkt in die nächste Kreisstadt fahren, können sich Läden in den Dörfern nicht mehr halten. Wir beschweren uns zwar lauthals, dass sie zumachen, aber wir haben dort meistens auch nicht eingekauft. Und soll jetzt die Kommune selber kleine Läden betreiben, die nicht rentabel sind? Das könnte der Rechnungshof als Verschwendung von Steuergeldern monieren. Und es wird eben nicht jedes Dorf sein kleines Theater und Kino, seine Bibliothek, seine Festhalle, sein Schwimmbad und Fußballplatz haben. Deshalb muss es leichter sein, ohne Auto überall hin zu kommen.

Ein politisch beschlossenes Konzept für die Mobilisierung des ländlichen Raums jenseits des Pkw gibt es in Deutschland nicht. Es wird dringend Zeit, dass wir mal eine Verkehrsministerin haben, die sich um etwas anderes als den Autoverkehr kümmert. Wir sollten nicht nur in Großstädten den Ausbau des ÖPNV und 365 Euro-Tickets fordern. Die Mobilitätswende entscheidet sich auch auf dem Land, wo die Strecken, die Leute mit dem Auto fahren, häufig und weit sind, weil es an einem alltagstauglichen öffentlichen Mobilitätsausbau und -system und an einer sicheren Radinfrastruktur fehlt.

 

9 Kommentare:

  1. Das Thema öffentlicher Verkehr ist kein Neues. Meine Eltern wohnen seit 52 Jahren am Rande einer Kleinstadt. Quasi direkt vor dem Haus gibt es eine Bushaltestelle. Fahrplan: täglich ab 7:45 jede Stunde ein Bus in die Stadt bis 19:45. Samstags bis 12:45, Sonntags garkeiner. Fahrplan gültig seit 52 Jahren, keinerlei Änderungen, der Bus fährt immer noch genauso wie zu der Zeit als ich in die Schule musste. Schule geht allerdings um 7:30 los. Eltern haben versucht eine Schulbuslinie zu organisieren, gescheitert bis heute. Den Bus habe ich wenn überhaupt nur zum Zurückfahren genutzt, ging meistens allerdings auch nicht, weil der Bus 5min vor Schulschluss wieder zurückgefahren ist. Dort ist in Bezug auf den ÖPNV die Zeit still stehen geblieben. Der Bus fährt seine Runde, unverändert, seit über 50 Jahren. Früher gab es mal drei Supermärkte, sind aber jetzt geschlossen, Nahversorgung gibt es erst in der Stadt, zu Fuß 30-40min, wenn man stramm geht, sonst halt Bus, aber der fährt an keinem Supermarkt vorbei, da muss man dann umsteigen. Nutzerfreundlicher ÖPNV sieht meiner Meinung nach anders aus. Es sind kreative Ideen gefragt.
    Aber ein Gutes hat die Buslinie dort ja-es hat sich wenigstens nichts verschlechtert, auch was.
    Karin

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  2. Nach 37+ Jahren Stillstand werden endlich die Dörfer zwischen Calw und Weil der Stadt zurück ans Schienennetz gebracht. In der Zwischenzeit hat man die Strecke für die Autofahrer mehrfach vergoldet. Das Problem ist so offensichtlich wie die Sonne über den Wolken.

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  3. Das kostet natürlich alles Geld. Die Fahrpreise, insbesondere Einzeltickets und Tageskarten sind trotzdem unverhältnismässig hoch. Zumindest wenn man es mit dem Benzinpreis vergleicht. Seit vielen Jahren ist halt der Preis an der Tanke relativ stabil. Bei den öffentlichen kommen jährlich ziwschen 2% und 3% drauf. Da man auf dem Land ja sowieso ein Auto braucht, ist der Umstieg umso schwieriger. Wir fahren oftmals mit dem Auto in den 'zentrums' Bereich und nehmen dann dort das günstigere Ticket, und das obwohl wir sehr gut angebunden sind. Aber für 2 Personen 20€ ist einfach zuviel (Karlsruhe 4-Zonen Ticket).

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    1. Klar - die meisten rechnen beim Auto mit dem Benzinpreis...! Ich als Wenigfahrer (der seit Jahren versucht am Ort Mitstreiter fürs Carsharing zu finden) komme bei meinem Auto auf einen realen Preis von ca. 40-45 Cent/km. Dagegen ist jedes 1. Klasse-Ticket ein Schnäppchen !

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    2. Wenn man das Auto eh schon hat, dann sind die Fixkosten eben schon eingepreist und man kann/wird den ÖPNV-Ticketpreis mit dem Benzinpreis vergleichen.

      Wir wohnen im semiurbanen Raum und ich würde meine Familie gerne überreden unser einziges Auto abzuschaffen, indem ich vorrechne, was wir mit den freiwerdenden 5000€ jährlich an anderweitiger Mobilität finanzieren könnten, das wird aber mit dem Hinweis auf die Unzuverlässigkeit des ÖPNV und der Unlust zum Radfahren (ich bin hier der einzige passionierte Radler) abgelehnt.

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  4. Ideen einer nicht ganz so autozentrierten Versorgung auf dem Lande gibt es doch schon Jahrzehnte, ohne dass sich etwas tut.

    Meines Erachtens kann das erst dann was werden, wenn

    1. die Autoindustrie wirklich am Boden liegt und aufhört, ihre letzten verbliebenen Land-Kunden lobbyistisch zu verhätscheln. Nachdem die Stadtbewohner begriffen haben, dass sich Stehzeuge einfach nicht lohnen und man für die paar Nutzungsfälle auch ein Prepaid Carsharing-Auto nehmen kann, gibt es nämlich nur noch Landeier (und Rentner) als Neuwagenkunden.

    2. eine angemessene CO2-Abgabe auch das Fahren auf dem Land zu einem teuren Vergnügen macht.

    Vorher wird es laufen wie immer: Politiker im Wahlkampf versichern ihren Wählern: es bleibt alles wie es ist, Sie kennen mich, und die Kosten zahlen eh nicht Sie, sondern höchstens ihre Enkel.

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    1. Vergiss nicht die direkte und indirekte KFZ-Förderung, z.B. über reduzierte Steuersätze für Firmenwagen, z.B. über Kaufprämien oder gleich direkt an die Hersteller. 6000, 7000, 8000 Euro Subventionen pro Auto (große Hybridfahrzeuge). Dazu die Investitionen in die MIV-Infrastruktur. Das 100-fache der Radverkehrsförderung. Entlastung der Besitzer (Landesbauordnung), die im Gegenzug zu Forderung nach öffentlichen Stell- und Parkplätzen befeuert.

      Vergleich' das mal mit der Lastenradförderung. Die ist ein Bruchteil.

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  5. Jörg
    Auf den Dörfern sehe ich Neubaugebiete der verschiedenen Jahrzehnte 1960, 1980, 2000 und die ganz neuen. Alle haben eine geringe Einwohnerdichte, auf den Grundstücke hat es pro Einfamilienhaus versiegelte Fläche für 3 bis 4 Autos. Nachher wohnen noch die 2 Alten im Haus. Wie soll man bei so einer Siedlungsstruktur ÖPNV betreiben? Der Weg ins alte Dorfzentrum ist weit und wird mit jedem Neubaugebiet weiter. Es kommt der Supermarkt mit großen Parkplätzen an die Umgehungsstraße. Mit Glück kommt man auch zu Fuß und Rad dorthin.
    Es braucht flächensparsames Bauen mit einer höheren Einwohnerdichte. Großzügige Wohnungen in 3 bis 4 geschossigen Häusern mit flexibel nutzbaren Gästezimmern. Das könnte schon viel bewirken.
    Pro Bürger gibt es über 200 m² Verkehrsfläche. Der Bürger im Grünen trägt da mehr zu bei als der Städter. Gerecht?
    Leider funktionieren die Rufbussysteme nicht so wie erhofft. Was besseres gibt es derzeit kaum.

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  6. Das ist ein klassisches Sozialisations-Thema und ein ganz dickes Brett, welches langsam gebohrt werden möchte:

    Meine geliebte Ehefrau ist auf dem Lande aufgewachsen und hat den fahrbaren Untersatz als direkte Voraussetzung für gelebte Freiheit erfahren: mein Auto, meine individuelle Freiheit als Frau. Nie mehr abhängig sein, die Flucht aus dem Alltag ist gerade mal eine Schlüsseldrehung entfernt.

    Ich dagegen bin in der Kleinstadt groß geworden, und schon als Kind mit dem Rad zur 5 km entfernten Schule gefahren. Wie auch nachmittags zu all den Freunden, die zum Teil auch mal 20 km entfernt wohnten. 40 km mit dem Fahrrad, das war nicht ungewöhnlich, und ganz unabhängig von der Tageszeit und auch dem Wetter. Rad fahren war der pure Alltag, da habe ich nicht mal drüber nachgedacht.

    Heute fahren wir beide fast nur mit dem Rad, sie ab 8 Grad Außentemperatur, ich ganzjährig. Einkaufen, zu 99% mit dem Rad.
    Aber das Auto vor der Tür braucht sie stets, allein für das Gefühl, nicht eingeschlossen zu sein. Ich glaube nicht, dass sich das noch ändern wird.

    Wie gesagt, dicke Bretter... ;)

    Gruß - Matthias

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