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11. September 2024

Radeln mit Behinderung - geht trotz Hindernissen

Wir gehen in Deutschland - und nicht nur hier - ziemlich ruppig mit den Menschen um, die nicht so gut zu Fuß sind. Wir erleichtern es ihnen kaum, sich im öffentlichen Raum aktiv zu bewegen.

An den Stadtbahnen und Zügen fehlen barrierefreie Zugänge, Bordsteine sind zu hoch. Sitzt man gar im Rollstuhl hat man auf unserer Stuttgarter Infrastruktur keine Chance auf Gehsteigen zum Ziel zu kommen (die sind zugeparkt oder enden an hohen Bordsteinen), nicht einmal in die Zacke kommt man mit dem schweren elektrischen Rollstuhl ohne Hilfe hinein, obgleich die barrierefrei geplant wurde. Eine Rollstuhlfahrerin gab vor meinen Augen auf, weil die kleine Schwelle immer noch zu hoch war und ist. 

Wir sehen deshalb nur wenige moblitätseingeschränkte Menschen in unseren Straßen. Sie sitzen daheim und trauen sich nicht raus, sie vereinsamen still und leise und von uns unbeachtet. Wir glauben, es gäbe sie nicht. Dabei würde gerade den gehbehinderten Menschen die Bewegung draußen besonders gut tun und ihren Gesundheitszustand vermutlich in den meisten Fällen auch verbessern. Sie könnten mehr Orte in ihrer Stadt erreichen, sie können am Leben teilnehmen und hätten mehr Sozialkontakte und Freude. 

Die Stadt Stuttgart fördert deshalb den Kauf von mehrspurigen Elektrorädern für Mobilitätseingeschränkte mit einer stattlichen Summe. Damit hat sie schon einige glücklich gemacht. Und es gibt für dieses Jahr noch Fördermittel. 

Für viele Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, ist oft viel einfacher, mit dem Fahrrad zu fahren: mit einem Trike (Dreirad-Bike), mit einem Handbike, mit eine doppelspurigen Liegerad, auf einem Doppelspurigen Tandem, wo man nebeneinander sitzt. 

Aber vor ihnen bauen sich durchaus neue Hindernisse auf. Mit breiteren oder längeren Rädern als dem Standardfahrrad kommt man nicht durch Umlaufsperren. Das ist schon für ein Rad mit Kinderanhänger schwierig, Lastenräder scheitern auch.

Ein Trike lässt sich noch schwerer in der Stadtbahn mitnehmen als ein Normalrad. Die sogenannten Schuztstreifen sind zu schmal, vor allem, wenn sie alt sind. So manche für Stuttgarter Radfahrende freigegebene Gehwege wie der entlang der Hofener Straße, macht den Begegnungsverkehr riskant, weil er zu schmal ist. Stehen Poller zu eng beineinander, kommt man mit dem breiten Doppeltandem nicht durch. Verkehrsinseln bei mehrzügigen Fußgänger-Radampeln sind zu schmal, die Räder ragen darüber hinaus in die Autofahrbahnen. Radabstellanlagen für Sonderräder gibt es praktisch gar nicht. In unsere schützenden Radgaragen gehen sie überhaupt nicht rein. Und in den meisten Wohnhäusern fehlen die Abstellräume  für größere und breitere Räder. 

Unsere Fußgängerzonen sind für Fahrräder gesperrt, das heißt aber auch, dass ein gehbehinderter Mensch auf seinem Trike da nicht hineinradeln darf (obgleich er/sie auf sicherlich langsam genug unterwegs wäre!), um einen Laden anzufahren und ihn - vielleicht mit Krücken - auf kurzem Fußweg aufzusuchen. Nicht einmal die Königstraße zwischen Planie und Kronprinzenstraße kann er oder sie überqueren, denn dazu muss man absteigen und schieben, und ein Dreirad oder ein breites Doppeltandem lässt sich nur schlecht schieben. Ein Rad, auf dem man einen Menschen im Rollstuhl transportiert, lässt sich überhaupt nicht schieben. 

Die britische Organisation Wheels for Wellbeing kämpft seit 2007 dafür, dass es gehbehinderten Menschen, die noch gut Rad fahren können, dafür aber besondere und breitere Räder brauchen, wenigstens genauso gut durch die Stadt kommen wie junge Leute auf Standardrädern oder mit Pedelecs. Sie hat einen Guide to Inclusive Cycling herausgegeben. Er will helfen, die Bedürfnisse behinderter Radfahrender besser zu verstehen und eine Orientierungshilfe für alle sein, die Radinfrastruktur planen, ihre Radverkehrsstrategie zu aktualisieren. 


4 Kommentare:

  1. Wie hat es mal jemand im Rollstuhl so treffend beschrieben? Ich bin nicht behindert, ich werde behindert.
    Mein AHA-Erlebnis hatte ich, als mir mal auf der für Fahrräder gesperrten B38 ein Rollstuhl begegnet ist. Es gab damals einfach keine Möglichkeit, die Fahrbahn mit dem Rollstuhl zu überqueren. Schon garnicht, wenn man alleine unterwegs ist. Heute gibt es eine ebenerdige Querung, aber ob die so wirklich Barrierefrei ist?
    Am übelsten finde ich diese rücksichtslose Parkerei. Kann man beim Abstellen nicht bitte mal darübernachdenken, ob auf der Restgehwegbreite noch ein Mensch mit Rollstuhl, Kinderwagen, Rollator vorbeikommt? Ich bin schonoft wieder weggefahren, wenn das nicht möglich war. Und kann man nicht die Parkplätze für Mobilitätseingeschränkte frei lassen? Und beim Danebenparken das Hirn einschalten, ob der Rollstuhlfahrer noch die Tür aufkriegt, wenn ich so parke? Ich glaube das Zitat am Anfang triffts ganz gut. Wir sollten alle viel mehr Rücksicht nehmen und Verantwortung für unser Handeln.
    Karin

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  2. Minderheiten werden in der Gesellschaft, die AfD, Union und FDP und deren Wähler gerade vorbereiten, einen schweren Stand haben.
    Ans Gemeinwohl, an Andere denken, vorausdenken.... steht deren Ideologie der Konkurrenz, des Individualismus, des "Daseinskampfes" diametral gegenüber.

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    1. Kommt ganz auf die 'Minderheit' an?
      Die kleine Minderheit der Multimillionär:innen und Multimilliardär:innen wird ihre bereits jetzt schon quasi astronomischen Reichtümer mit A-fD-P Union, Seeheimer-sPD und den regierenden grünen Chefetagen weiterhin mehren können, während die Mehrheit, also die Summe der jeweiligen diskriminierten 'Minderheiten', da stimme ich zu, 'einen schweren Stand' haben wird, zumal ja in der 'Konkurrenzgesellschaft' die eine diskriminierte Minderheit gern mal auf den jeweils anderen noch 'tiefer' stehenden diskriminierten Minderheiten rumhackt (Geringstverdiener hetzen gegen H4-'Schmarotzer', diese dann gegen Asylbewerber, usw usw).
      Ziemlich unten in der Nahrungskette: die nicht-vermögenden 'Behinderten', die nach wie vor fast ohne Multiplikatoren ihrer Interessenvertretungen in den etablierten Medien dasteht, bzw. dasitzt.
      Im Bereich der Mobilität stellen viele der infrastrukturellen Bedingungen einen klaren Rechtsbruch im Hinblick auf die von D ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention dar. Interessiert aber fast niemanden, und Artikel wie der obige bilden leider eine seltene Ausnahme.
      Alfons Krückmann

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  3. Der verlinkte 'Guide to inclusive cycling' weist übrigens auf S.42 richtigerweise auf die notwendigen Breiten von Verkehrswegen für inklusiven Radverkehr hin.
    Für funktionierenden inklusiven Zweirichtungsverkehr sind halt nunmal volle 4Meter notwendig, was auf 'Straßen' (also Auto-Straßen) für sehr schmal gehalten wird, aber auf dem 'Radwegenetz' quasi bereits eine 'Überbreite' darstellt.
    Als künftiges Regelmaß für die allerorten geforderten und gebauten Außerorts Zweirichtungs Rad/Fußwege wird die kommende ERA übrigens wohl weiterhin die untauglichen 250cm nebst obligatem Fahrbahnverbot setzen, was vermutlich von der 'Separationsgemeinde' nach dem Motto 'Hauptsache Radweg' toleriert werden wird.
    Da spielt dann ganz plötzlich Inlusivtät keinerlei Rolle mehr!?
    Alfons Krückmann

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