Warum die Verkehrswende stockt, fragt sich BusinessInsider, und meint, es liege an der schlechten Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern.
In dem Artikel wird von den Stadtverwaltungen und der Lokalpolitik gefordert, dass sie mehr erklären, warum sie einen Radfahrstreifen bauen, eine Straße aufkosten von Parkplätzen begrünen oder Straßen für die Durchfahrt von Autos sperren. Wenn Autoabstellflächen im öffentlichen Raum verkleinert werden, sollten Alternativen angeboten werden. Es brauche für die Verkehrswende eine Kommunikationsstrategie.
Als positives Beispiel wird die Stadt Hamburg angeführt. Die Stadt habe massiv in den öffentlichen Nahverkehr investiert, aber auch den Ausbau des Radschnellwegnetzes und von autofreien Quartieren konsequent vorangetrieben. Dabei habe sie der Bevölkerung stets erklärt, was passiert und warum es passiert. In Berlin hingegen stocke alles, weil es Parteienstreit gebe und Verwaltung und Politik sich gegenseitig blockierten. Dabei sei klar: Verkehrspolitik ist Klimapolitik. Ohne eine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs lassen sich, so der Bericht, die Klimaziele nicht erreichen. Im Verkehrssektor stagnieren die CO2-Emmissionen oder verschlechtern sich sogar. Dass mehr Radwege und Räum für Menschen zu Fuß aufkosten von Raum für Autos dem Klima deutlich helfen, ist belegt. Businesinsider appelliert an die Verwaltung und Politik, Projekte für den Rad- und Fußverkehr nicht halbherzig anzugehen, sondern entschlossen und mit langem Atem. Dafür müssen Mittel gefunden werden, die Bevölkerung mitzunehmen. Die Verkehrswende sei ein Gesellschaftsprojekt.
Besser kommunizieren lässt sich leicht fordern, aber die entscheidende Frage ist: Wie denn eigentliche?
Wie schaffen es Verwaltung und Politik, Anwohnerschaften während der Planung tatsächlich zu Bürgerversammlungen und Infoveranstaltungen zu holen und über welche Organe kommuniziert man das: Zeitungen werden nur noch von 30 Prozent der Leute gelesen, über Facebook erreicht man der jeweiligen persönlichen Algorithmen wegen viele Menschen nicht, die es angehen würde, auf Insta oder Tiktok ist nur die Jugend unterwegs und so weiter. Also plakatieren, Briefe an betroffene Anwohner:innen schreiben? Nach meiner Erfahrung interessieren sich die meisten Leute erst, wenn die Änderung unmittelbar bevorsteht. Erst wenn die Pläne fertig sind und die gemeinderätlichen Beschlüsse unmittelbar bevorstehen, wachen die Leute auf, die für ihre Parkplätze im öffentlichen Raum kämpfen wollen. Die anderen, die mit den Plänen einverstanden sind, sagen gar nichts.
Ein Beispiel dafür ist die Waldburgstraße in Stuttgart. Der Protest einiger Anwohnenden gegen den Wegfall von öffentlichen Stellflächen für ihre Autos wachte schlagartig auf, Verwaltung und Politik reagierten erschrocken und eingeschüchtert, die Entscheidung wurde vertagt, die Verwaltung mit der Suche nach Altnerativrouten für den Radverkehr beauftragt (die das Parkplatzproblem dann in andere Straßen verschieben und dort Protest hervorrufen). Von den Leuten, die einverstanden sind mit der geplanten Veränderung, hört man in der Regel nichts. Sie regen sich nicht genug auf, um sich öffentlich zu äußern.
Das Zeit- und Erwartungsmanagment im Vorfeld ist wohl entscheidend. Das geht aus der Sendung des Deutschlandfunks "Wie Geschäftsleute und Anwohner mitnehmen?" hervor. (Länge 25 Minuten). Die Hauptfrage ist, darf die Politik entscheiden oder müssen Bürgerinnen und Bürger vor der Planung mitreden dürfen. Wann also beginnt man mit der Kommunikation? Antwort: Man muss mit den Zielgruppen (oder Betroffenen) rechtzeitig reden, früh genug. Die Zeit Infoveranstaltungen zu besuchen, haben viele nicht, also muss man sie gezielt aufsuchen, befragen, sich ihre Kritik und Ängste anhören (und auch viel einstecken als Verwaltungsmensch). Und man muss viele Formate einsetzen: online-tools für Jüngere, Hotlines für Ältere, Feste mit Verwaltungspräsenz für Gespräche. Wichtig ist auch, dass klar ist, woran sich die Leute beteiligen können: Können sie die Maßnahme insgesamt infrage stellen oder bei der Ausgestaltung mitsprechen. Das gehört ehrlich kommuniziert, damit keine Frustration entsteht.
Gut hat es die Stadt Stuttgart bei der Augustenstraße gemacht (Foto oben), die derzeit als Stuttgarts erster Superblock gilt, auch wenn da noch sehr viele Autos parken. Gelingt eine Umwandlung in einen menschengerechteren Straßenraum, dann sind die meisten nach einer gewissen Zeit hochzufrieden. Die lautesten Kritiker werden ruhig, ihre Kritik verfliegt. Finanziell am meisten profitieren Gastronomie und Einzelhandel von einer Umwandlung einer Autostraße in eine Fußgänger- und Radzone. Aber auch der soziale Gewinn wird größer: Es halten sich mehr Leute in der Straße auf und lernen einander kennen. Eine Begrünung sorgt für mehr Kühle im Sommer.
Jedoch besteht das Risiko, dass in schönen (autoarmen) Straßen die Mieten steigen (auch das befürchten Kritiker:innen). Allerdings finden solche Umwandlungen ohnehin in Nachbarschaften statt, wo Menschen mit höheren Einkommen und höherer Bildung leben. Die armen Stadtteile haben weniger Chancen, dass man sich um sie kümmert und ihr Wohnumfeld verbessert. Sie sind nicht unbedingt weniger interessiert an Umweltschutz und Verbesserungen im Umfeld, aber sie können sich das oft nicht leisten, beispielsweise zum teuren Auto auch noch Pedelecs zu kaufen um mehr zu radeln. Das Auto aber brauchen sie oft, weil sie weitere Wege zum Arbeitsplatz haben und der öffentliche Nahverkehr womöglich mangelhaft ist.
Übrigens ist die Innenstadt von Gent seit 2017 autofrei und damit die größte verkehrsberuhigte Zone Europas. Nach zwei Jahren Vorbereitung wurde das Konzept dann an einem Wochenende umgesetzt. Taxis, Lieferverkehr und registrierte Fahrzeuge (etwa von körperlich Behinderten) dürfen noch in die Innenstadt fahren. Die autofreie Innenstadt wird von sechs Stadtzonen umgeben, innerhalb derer man auch mit dem Auto fahren kann. Um in die benachbarte Zone zu kommen, muss man allerdings über die Ringstraße fahren, eine direkte Durchfahrt gibt es nicht. Ausgenommen davon sind Busse, Taxis und Einsatzfahrzeuge (die aber eh überall fahren dürfen). Die Übergänge werden von Kameras überwacht. Der Radverkehr hat sich fast verbdoppelt, es gibt dreißig Prozent weniger Zusammenstöße und 25.000 weniger gemeldete Autos. Die Luftqualität hat sich um 25 Prozent verbessert. Heute sind die meisten Brüger:innen von Gent hoch zufrieden und stolz darauf, was ihre Stadt geschafft hat. Sie erkennen die Vorteile, angefangen bei einem pünktlicheren Lieferverkehr über entspannteres Parken bis hin zu einem vielfältigen öffentlichen Nahverkehr. Die Diskussionen im Vorfeld waren jedoch ebenso heftig wie überall sonst auch, der stellvertretende Bürgermeister wurde wüst angefeindet und musste eine zeitlang eine kugelsichere Weste tragen. Für die Belgier:innen ist oder war Autofahren Teil ihrer Kultur, berichtete der der Deutschlandfunk 2017. Der Genter Schokoladenhändler, der das Projekt kritisierte und meinte, nicht ohne sein Auto auskommen zu können, sah schon damals ein, dass es für die Generation seiner Kinder ganz normal sein werde, dass es weniger Autos in den Innenstädten gibt. Und er wird am Schluss mit dem Satz zitiert:
"Eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob uns die Stadtregierung vorschreiben sollte, wie wir zu leben haben. Beim Thema Mobilität allerdings schon! Sonst würden wir unsere Autos immer noch für alles nutzen. Glauben Sie nicht?“
Die Erklärung des besprochenen Business Insider Artikels ist mir zu einfach gestrickt. Einen der Hauptunterschiede zwischen Hamburg und Berlin lässt er beispielsweise unerwähnt, die politische Farbe der Regierung. Und eigentlich sind Hamburg und Berlin als Stadtstaaten sowieso nicht die besten Beispiele, da absolute Sonderfälle unter den dt. Kommunen.
AntwortenLöschenEs ist in Berlin etwa maßgeblich die Union, die die Verkehrwende dort ausbremst. Und für ihre retrograde Pokitik auch die gesellschaftliche Spaltung befördert. In Hamburg regiert Rot-Grün, und zwar ohne neoliberale politische Querschläger.
Wie es der Autor des Artikels selbst am Ende sagt, "die Verkehrswende ist kein Verwaltungsakt, sie ist ein Gesellschaftsprojekt." Und das Gesellschaftsprojekt der Union und anderer Neoliberaler ist eben gerade nicht der soziale Zusammenhalt, der Kampf für das Gemeinwohl so wie er in der Verkehrswende zum Ausdruck kommt, sondern die Individualisierung, die Vereinzelung, die Spaltung und Einschüchterung, alles im Dienst der kapitalistischen Ideologie und des immerwährenden Profits. Verlustängste zu schüren ist das tägliche Brot dieser Art von Politik, und wohl kaum wo äußert sich das so deutlich wie im Straßenverkehr, wo der gemeine Autofahrer sein größtes Statusymbol herumbewegt, sein Auto. Dem er, so wie die gesamte Gesellschaft unter dem kapitalischen Druck, seit über hundert Jahren sein Leben und seine Umwelt völlig untergeordnet hat. Dabei wird diese Politik u.a. massivst unterstützt von den Medien, ob nun klassische oder moderne längst in der Hand der Kapitalisten, die natürlich auch nichts anderes tun werden als zu spalten.
Dass eine Veränderung in disem Rahmen eine Mammutaufgabe für die Kommunen ist, die zwischen allen pokulitschen Fronten einen Eiertanz ausfuhren müssen, ist klar. Sie werden dabei nicht zuletzt vom Bund und den Ländern massivst ausgebremst, ob nun gesetzgeberisch oder finanziell. Aber vor allem durch das Zerreißen des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch die rechte Pokitik.
In HH haben wir gerade ein sog. "Parkplatzmoratorium". Dort wo Parkplätze für Radwege oder andere Maßnahmen wie Begrünung (Schwammstadt, Bäume gegen die Klimakrise) wegfallen könnten, wird die Planung angehalten und der Senat prüft, ob die Planung (im Sinne der autogerechten Stadt) "sinnvoll" ist. Bleiben Parkplätze erhalten, spricht der Senat von "Rettung" der Parkplätze. https://www.buschhueter.de/parkraum-moratorium-wirkt-mehr-als-400-parkplaetze-gerettet/
LöschenDanke, Mottenburger, für diesen Hinweis. Es ist in jedem Fall überall ein gigantischer Kampf zwischen konservativ-rückwärtsgewandter und zukunftsfähiger Politik, und leider übernehmen gerade die Rückwärtsgewandten mit geschicktem sprachlichen Framing die Direktive.
LöschenOffenbar handelt es sich in Hamburg nicht um ein vollständiges Moratorium, es sollen insgesamt etwa ein Viertel weniger Parkplätze entfallen.
LöschenAber es stimmt, die Aktion und die dazugehörige Rhetorik sind rückwärts gewandt.
Als ich meine Diplomarbeit über den ÖPNV schrieb (vor fast 40 Jahren), meinte mein Prof. (Inhaber einer Spedition!), dass erst das Angebot gut sein muss, sprich verlässlich und umfassend, genügend Zugangspunkte haben muss, diese für alle Wetterverhältnisse angenehm gestaltet sein müssen sowie das System für Alle bezahlbar sein muss.
AntwortenLöschenDas finde ich eine patente Sicht:
Diejenigen, die dann nicht teilnehmen wollen, haben noch immer die Möglichkeit sich anders zu organisieren, jedoch nicht zu Lasten des führenden Systems. Aufgrund der vielfältigen Probleme, die der MIV mit sich bringt, kann er nicht mehr das führende System sein. Dieser Paradigmenwechsel wird erst klappen, wenn die Alternativen hoch attraktiv sind und der MIV unattraktiv gemacht wird. Es braucht eben beides. Die Atteaktivierung (gibt's das Wort?) muss forciert werden. Dazu hätte Stuttgart den passenden Gemeinderat und ich Frage mich seit Ewigkeiten, WARUM machen diese Schnarchnasen (müsste jetzt sein) quasi nichts?
Lieber Mathy, ich war ja lange im Gemeinderat, der im Prinzip eine Mehrheit links/grün von den Rückwärtsgewandten Konservativen hatte und jede Menge zukunftsweisender Verkehrsprojekte hätte beschließen können. Aber nicht alle Parteien haben dann die Aufregung der "Parkplatzretter" ausgehalten, führten das Sozialargument an (die Krankenschwester im Schichtdienst braucht Auto und Parkplatz) und beauftragten neuerliche Prüfungen, was oft bedeutete, dass das Projekt gestorben war, beispielsweise der Radstreifen an die Lenzhalde bergauf. Einem Radweg durch den Flughafentunnel hat der Stuttgarter Gemeinderat übrigens zugestimmt, aber die umliegenden Gemeinden wollten nicht, obgleich es zahlreiche Gespräche gab. Es ist halt kompliziert in der Politik. Ein Gemeinderat kann auch einen Beschluss zu einer Verkehrsmaßnahme fassen, aber der Ordnungsbürgermeister sagt dann, das geht rechtlich nicht, was er immer sagt, wenn dem Autoverkehr eine Straße entzogen werden soll.
LöschenStichpunkt Waldburgstraße: Bei einem von den Grünen (Winfried Herrmann) organisierten Bürgergespräch in Vaihingen kam noch ein weiterer Punkt dazu. Die Befürworter haben Argumente vorgebracht, dass das eben Teil der (für viele abstrakten) Verkehrswende ist, oder dass eine Führung eben benötigt wird. Die Gegner hielten mit vereinzelt hysterischen, aber weitestgehend sachlichen Argumenten zur Verkehrssicherheit dagegen, die nicht nur Radfahrer, sondern auch Autofahrer betrifft. In meinen Augen wurde zumindest bei der Veranstaltung nicht arg auf deren Sicherheitsbedürfnis eingegangen. Wenn dem dann noch vorgeschaltet ist, dass bei einer (sorry) noch nicht stark genug ausgeprägten Fahrradkultur in Stuttgart der Hammer rausgeholt wird und 100 Parkplätze wegfallen sollen, muss man sich über Ärger, Verzögerungen und Möglichkeiten zum parteipolitischen Populismus nicht wundern. Man hätte den Anwohnern die geplanten Umbaumaßnahmen viel mehr als Chance verkaufen müssen, die durch eine verringerte Durchfahrtsgeschwindigkeit auch die Radfahrer verlangsamen kann. Es kommt immer wieder darauf zurück, man muss auf der Ebene der Interessen einen Ausgleich finden, nicht auf der Ebene der Positionen.
AntwortenLöschenSoweit ich weiß, kam aber auch das Argument, dass die Radler mit 70 Sachen die Waldburgstraße runter brettern (was ich für völlig ausgeschlossen halte). Vermutlich hätte man früher anfangen müssen, mit den Anwohnenden die wahre Parkplatzsituation zu besprechen (es gibt nämlich in den Seitenstraßen Parkplätze). Aber ich fürchte, gegen die seltsame Angst vor "rasenden Radlern" ist schwer anzukommen. Und wenn man den Anwohnenden keine anderen Vorteile anbieten kann, als dass Radfahrende da fahren, dann gehen einem die Argumente aus. Die Politik hat aber auch schnell klein beigegeben. Bei Systemwechseln müssen alle, die zukunftsfähige Ideen haben, sehr hart im Nehmen sein. Nirgendwo ging es ohne heftigste Gegenwehr vieler Einzelner ab, die sicher nicht die Mehrheit darstellen.
LöschenDas mit 70 km/h meinte ich mit hysterisch, ist aber auch nur Ausdruck eines Unsicherheitsempfindens, das konkrete Tempo spielt da eine untergeordnete Rolle.
LöschenIch gehe viel in den Nachbarstraßen spazieren und von dem her kann ich mit Sicherheit sagen, dass die Behauptung, dass es dort genügend Ersatzparkflächen gibt, haltlos ist, auch wenn das anders dargestellt wird. Da bin ich tatsächlich bei den Anwohnern, wenngleich ich mir eine Verbesserung für Radfahrer wünschen würde.
Das Problem mit den hundert wegfallenden Autoabstellflächen hatten wir beim Radstreifen Böblinger Straße auch. Leute, die sich gut auskannten, haben sich dann angeschaut, wo es private Stellplätze und Garagen gibt und festgestellt, dass mindestens 80 Prozent der Anwohnenden ihre Autos auf eigenem Grundstück abstellen können (zur Not die beiden Autos, die sie haben, hintereinander.) Eine Studie in Darmstadt hat gezeigt, dass rund 50 bis 60 Prozent der Leute ihre Autos in Garagen oder auf dem eigenen Grundstück abstellen können, es aber aus Bequemlichkeit nicht tun. (Zuweilen haben sie sich auch zu große Autos für ihre Garage gekauft und stellen da jetzt Gerümpel unter, was verboten ist.) Die Straßenränder in Wohngebieten sähen ganz anders aus, wenn die Leute ihre privaten Stellplätze nutzen würden, Dienstleister und Pflegedienste oder Handwerker hätten kein Problem, ihre Autos mal kurz abzustellen. Und die, die keine privaten Stellplätze haben, haben es leichter, abends einen Parkplatz zu finden. Wir haben die Straßenränder privatisiert, und die Anwohnenden tun so, als gehörten sie ihnen und als hätten sie ein Anrecht auf (möglichst) kostenlose Stellplätze in unmittelbarer Wohnungsnähe. Und dafür müssen alle zurückstehen, beispielsweise die Radfahrer:innen (oft auf Fußgänger:innen). Das kann's eigentlich nicht sein.
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