Der autodominierte Straßenverkehr ist gefährlich für ältere Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern. Deshalb fordert die Senioren-Union der CDU etwas, was in der CDU gar nicht populär ist: Eine Verkehrspolitik, die Radfahrende schützt. Alarmiert ist sie von Zahlen des Statistischen Bundesamts, die aussagen, dass unter den im vergangenen Jahr auf den Straßen getöteten 441 Radfahrenden 63,5 Prozent Menschen über 65 Jahre sind. Die kommissarische Bundesvorsitzende der Senioren-Union sagt: "Es darf nicht sein, dass unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich gesund und umweltbewusst mit dem Fahrrad fortbewegen, zur Hochrisikogruppe im Straßenverkehr gehören. Die Zahlen zeigen deutlich: Wer heute alt ist und Fahrrad fährt, lebt gefährlich. Das ist ein unhaltbarer Zustand." Anmerken möchte ich, dass die übergroße Mehrheit der Rad fahrenden Senior:innen im vergangenen Jahr nicht angefahren oder getötet wurde, sondern unbeschadet geradelt ist.
Entgegen der weit verbreiteten Meinung sind es übrigens nicht die hauptsächlich Senior:innen selbst, die Zusammenstöße verursachen. An 70 Prozent von Unfällen mit Personenschaden war ein Autofahrer beteiligt, und bei Dreivierteln der Fälle von Zusammenstößen mit Autos trugen die Autofahrenden die Schuld und die Radfahrenden keine. Das sei ein deutliches Zeichen, so die CDU-Organisation, dass das Verhalten motorisierter Verkehrsteilnehmer:innen in den Fokus rücken müsse. Die Verkehrsplanung müsse sich ändern - weg vom Vorrang für das Autos, hin zu einer Verkehrsordnung, die Leben schützt. Alte Menschen haben das Recht, sich im öffentlichen Raum zu bewegen."
Das sagen wir Radfahrenden jeden Alters schon lange.
Radwege müssen sicher sein, sie brauchen Schutz vor dem Autoverkehr, vor allem an Kreuzungen. Dass Autofahrende, die abbiegen wollen, gleichzeitig Grün bekommen mit Radfahrenden, die auf dem Radweg oder Radfahrstreifen geradeaus wollen, muss der Vergangenheit angehören. Sie brauchen aber auch glatte Untergründe und die Radwege dürfen nicht mit Hindernissen gespickt sein. Sie müssen von allen, von 8 bis 80 intuitiv und durchgängig befahrbar sein. Und abgesehen davon, müssen alle wichtigen Straßen in Stuttgart auch eine Radinfrastruktur haben, damit man - ebenso wie mit dem Auto - sicher und angstfrei auf direktem Weg zum Ziel kommt, statt über Nebenstraßen und die steilsten Strecken.
Und wenn die Autofahrenden mit dem Gucken überfordert sind (ständig Radler "übersehen"), dann müssen eben die Autos mit Warnsystemen ausgestattet sein, die Radfahrende erkennen. Das ist technisch möglich und muss politisch angeordnet werden.
Wie üblich bei diesem Thema rücken sofort die Pedelecs in den Fokus, die von älteren Menschen gefahren werden, die damit aktiv und mobil bleiben wollen. Pedelecs sind schon lange nicht mehr nur Räder für Ältere, sie werden von Menschen jeden Alters gefahren. Aber wenn Ältere Rad fahren - allemal im bergigen Süden Deutschlands - dann eben zumeist mit Pedelecs. Und damit geraten diese Räder praktisch zwangsläufig in Verdacht, irgendwie mitschuldig zu sein an den Stürzen und Crashs, die ihre Fahrer:innen erleiden.
Velototal bringt
altersgerechte Pedelec-Klassen ins Spiel und meint, oftmals passten die Pedelecs, die der Handel verkaufe, nicht zu den Radfahrenden. Sie beschleunigten zu schnell und sie würden zu schnell kippen. Außerdem müsse die Elektronik intuitiv bedienbar sein. (Das ist sie in der Tat nicht immer. Vor allem kann man oft aus Versehen an die Einstellknöpfe kommen und das Rad verhält sich plötzlich ganz anders.) Bei Bremsen gebe es keine Standards, was andeutet, dass die Bremsen vielleicht schlecht sein könnten (was man aber nachweisen müsste). Ich denke durchaus auch, dass der Handel sich oft zu wenig Mühe gibt, uns Fahrräder zu verkaufen, die genau zu uns passen, zur Statur, zum Alter, zu den Zwecken, zu denen wir es nutzen wollen. Viele Fahrräder sind zu groß für die Leute, die drauf sitzen, allemal für Frauen. Oft sind auch die Sättel für den Stadverkehr zu hoch eingestellt (z.B. Foto rechts). Menschen, die hauptsächlich in der Stadt radeln (viele Brems- und Startvorgänge), haben Kettenschlatungen, die auch noch in zu hohen Gängen gefahren werden. Kommen noch Satteltaschen, gefüllt mit Einkäufen dazu, wird das Pedelec schwerer und schwerer zu handhaben.
Andererseits können auch Normalräder zu einem Unfallgeschehen beitragen, etwa, wenn man wegen mangelnder Kraft nicht schnell genug nach einem Bremsmanöver starten und beschleunigen kann und das Rad ins Kibbeln und Kippen gerät. Radfahrradtraining für Ältere, die nach längerer Radelpause wieder ein Rad besteigen, erscheint auch mir sinnvoll. Vor allem aber auch ein Realitätstraining im Straßenverkehr. Dass in den Kommentarfeldern der Artikel auf Facebook sogleich auf die Radfahrenden geschimpft wird, die plötzlich von irgendwoher kämen und ohne Handzeichen irgendwohin führen, ist leider typisch für unsere Neigung, die Opfer verantwortlich zu machen, und ihnen zu empfehlen, auf ihre regelgerechten Fahrrechte und Aufenthaltsrechte zu verzichten, um sich selbst zu schützen.
Aber es ist nicht fair, die älteren Radfahrenden dafür verantwortlich zu machen, dass der Autoverkehr sie in Gefahr bringt, und zwar auch dann, wenn sie sich richtig verhalten. Ich bin ebenfalls eine ältere Radlerin, wenn auch eine mit viel Erfahrung im Stadtverkehr. Ich sehe viel voraus. Aber wenn Autofahrende beim Linksabbiegen über die Gegenfahrbahn hinweg gar nicht gucken, ob ihnen ein Mensch auf dem Fahrrad entgegenkommt, kann auch ich nur in die Eisen greifen, gestikulieren und fluchen. Ich kann nicht jede rabiate Richtungsänderung eines Autofahrers vorhersehen, und ich kann nicht immer sehen, ob der Mensch hinter einer Windschutzscheibe mich auch wirklich gesehen hat. Ständig vorsorglich auf Schrittgeschwindigkeit abzubremsen, bringt die Radfahrenden hinter mir ins Trudeln, geht also auch nicht. Radfahrende haben viel Verantwortung für ihre Unversehrtheit und sie übernehmen auch bereits viel Verantwortung. Es wird dringend Zeit, dass auch die Politik und die Autofahrenden Verantwortung für die Sicherheit und Bequemlichkeit des Radverkehrs übernehmen. Die Vorschläge der CDU-Senior:innen sind gut: Statt Vorrang für den Autoverkehr mehr Schutz für den Radverkehr.
Ich bezweifle allerdings, dass der Verkehrsminister auf die Senioren-Union hört, auch wenn sie von seiner eigenen Partei ist.
Volle Zustimmung.
AntwortenLöschenIch zähle mich noch nicht zu den älteren Radlerinnen aber so ziemlich alles was im Text steht, sehe und erlebe ich auch. Nicht nur auf dem Rad, auch zu Fuß.
Ich fahre mit dem Rad defensiv und halte mich an die Verkehrsregeln. Und damit bin ich eigentlich "vorhersehbar". Mit anderen Radlern (und Fußgängern) gibt es auch selten Probleme den wir können durch Blickkontakt kommunizieren.
Meiner Erfahrung nach scheinen viele Autofahrer nicht zu wissen, dass sie quasi nur mit ihrem Fahrverhalten oder Blinker-Benutzung nach außen kommunizieren. Und ich erlebe immer wieder Situationen wo das kommunizierte Verhalten dann nicht zum tatsächlichen passt. Das bringt mich in Gefahr und führt nur zu Frust bei allen Beteiligten.
Schön, dass die Forderung von der CDU kommt. Käme sie von den Grünen, gäbe es schon Geschrei.
AntwortenLöschenBei manchen Fahrsituationen (einspurige Fahrbahn, dränglendes Auto hinterdran) wünschte ich mir, dass man einen Führerschein einführen täte, mit einer Ausbildung zum Thema Verkehrsregeln, einfache Physik (Bremsweg, Abstand, wo ein Körper ist, kann kein anderer sein, etc), Fahrverhalten und Üben mit einem KFZ zu fahren. Ach, das gibt es ja, aber warum lernen da so viele nichts und wie bekommen die dann Ihren Schein?
Die STVO gibt alles vor und wenn man sich dran hält, passiert auch keinem was.
Nur mit ständigem Fahrradbasching in der Presse (fahren alle bei rot, halten sich an nichts, Rüpel-Radler) wird das Fahrrad zum Feindbild hochstilisiert und man wird schon zur Provokation nur weil man mit dem Rad fährt. Wer bascht denn man das Auto, da gibts genauso Rüpel und Leute, die sich an keine Regeln halten. Es ist kein Problem des Fahrzeugs sondern von dem Menschen, der es fährt.
Ein bisschen mehr Gelassenheit von allen, würde den Verkehr deutlich entspannter machen.
Karin
Dass die besten Verordnungen und Gesetze, ja sogar Verfassungen, nichts wert sind, wenn sich schon die höchsten Verantwortlichen im Staat nicht davon gebunden fühlen, merkt man ja immer deutlicher. Um wieviel weniger zählt also eine StVO, die schon im Ansatz grundfalsch ist, weil sie tatsächlich nur den Autoverkehr begünstigt?
LöschenDass der Verkehrsminister, obwohl er zumindest dem Anschein nach zum weniger schlimmen Personal der Union zu gehört, nicht auf die Senioren-Union hören wird, ist klar. Wieso diese Partei überhaupt Organistionen wie die Frauen-Union, den Arbeitnehmer-Flügel oder eben die Senioren-Union hat, ist mir eigentlich schleierhaft.
Wo begünstigt die StVO den Autoverkehr?
Löschen@Anonym um 12:03:
LöschenIn Deutschland.
Falls Du meinst "Wie begünstigt die StVO den Autoverkehr?", präzisiere doch bitte den Kontext. Ist die Frage sehr eng, nur den Wortlaut der StVO betreffend, oder schließt sie deren Auslegung und Durchsetzung mit ein? Schließt die Frage vielleicht sogar das zugrundeliegende StVG mit ein?
Das klingt vielleicht penibel, muss aber bei deiner Fragestellung sein.
Die Frage bezieht sich auf einen Kommentar weiter oben, also auf "eine StVO, die ... nur den Autoverkehr begünstigt"
LöschenDie Flüssigkeit des Autoverkehrs schlägt immer die Flüssigkeit des Fußverkehrs zum Beispiel. Fußgänger:innen müssen oft lange warten, bevor sie die Fahrbahn überqueren dürfen. Radfahrende warten am Waldeck 2 Minuten, vorher sind immer die Autos aus allen Richtungen dran.
LöschenDass die StVO den Autoverkehr bevorzugt, gehört zur Allgemeinbildung.
LöschenKeine Eingrenzung, das dachte ich mir schon. Und wie gesagt, deine Frage wo die StVO dies oder jenes tut habe ich ja bereits vollständig beantwortet.
LöschenWer kennt sie nicht, die zahlreichen Aspekte, die den MIV im Straßenverkehr bevorzugen, wie z. B.:
Löschen• Freigabe von Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radverkehr
• Freigabe von Fußgängerzonen für Radverkehr
• Abstellen von Fahrrädern auf dem Gehweg
• Grünpfeil für Radverkehr
• Überholen von Fahrzeugen, die vor einer roten Ampel warten, also nicht hinten anstellen
• Versicherungspflicht
• Steuerpflicht
• Pflicht zur regelmäßigen Überprüfung der Verkehrssicherheit
Lieber Uli,
Löschenlese deinen Beitrag doch nochmal in aller Ruhe durch und mache dir ein paar Gedanken zu den einzelnen Punkten. Merkst du selber, oder?
Thomas
Lieber Thomas,
Löschenmein Kommentar bezog sich nicht auf den Beitrag sondern auf den Kommentar, der behauptet, dass im Straßenverkehr bzw. in der StVO ausschließlich der Autoverkehr begünstigt wird. Die von mir genannten Beispiele zeigen, dass es im Straßenverkehr nicht nur Vorteile für Autos gibt, sondern auch für Radfahrer. Worum es mir ging: Eine faire Sicht wäre sinnvoll, statt Pauschalurteile.
Wow cool, endlich kommen auch Teile der CDU zu dieser guten Einsicht. Senioren sind wohl ein wichtiger Teil der CDU Stammwähler, also wenn die so was sagen kann das schon Einfluss haben; oder es ist eine Gelegenheit für die Grünen dieser Teil der CDU Wähler abzuwerben.
AntwortenLöschen63,5% aller im Verkehr getöteten Radfahrer sind über 65 Jahre alt. Eine schrecklich hohe Zahl!!1! EMPÖREND!!1! Da muss man doch was unternehmen!!!1!elf!
AntwortenLöschenBitte entschuldigt, dass ich hier sarkastisch werde. Natürlich ist jeder Todesfall tragisch. Mir geht nur das unqualifizierte in-den-Raum-werfen von vermeintlich hohen Zahlen durch Politik und Journalismus auf die Nerven. Die Sterblichkeit steigt nun mal mit dem Alter und diese Zahl sagt nichts darüber aus, wie riskant das Radfahren für Senioren wirklich ist. Die Zahl muss in Beziehung gesetzt werden zu anderen alterstypischen Risiken um aussagefähig zu werden.
Wie viele Prozent aller Senioren fahren überhaupt mit dem Rad und wie viele sind es in anderen Altersgruppen?
Wie hoch ist der Anteil der Senioren, bei denen, die an Herzkrankheiten, Krebs usw. versterben?
Wie hoch ist der Anteil der Senioren, bei den Menschen, die im Bett versterben? (Und wer fordert deswegen sichere altersgerechte Betten?)
Du bist doch nur ein "Realitätsverweigerer", diese Zahlen sind vielmehr ein "Game-changer"! ...
Löschen/S
(für die Referenz siehe Kommentare N° 3 und 5 unter dem Artikel vom 8. August)
Hier propagiert offensichtlich jemand das sozialverträglich Frühableben - schade.
Löschenhier dazu mal ein Beitrag von der sogenannten Alpen-Prawda:
Löschenhttps://www.sueddeutsche.de/muenchen/pflegekolumne-auf-station-fahrrad-e-bike-unfaelle-intensivstation-li.3289692
Lieber Volker, vielleicht ist dir beim Lesen des Artikels nicht entgangen, dass auch ich sage, dass die allermeisten Fahrten unfallfrei absolviert werden, und dass man auch sonst als älterer Mensch öfter Unfälle hat. Aber an dreivierteln von Unfällen, die Radfahrende erleiden, sind Autofahrende beteiligt und fast immer auch schuld oder mitschuld. Dass die CDU-Frauenunion das bemerkt, ist bemerkenswert. Wenn du meinen Blog kennst, dann weißt du auch, dass ich es ebenfalls nicht mag, dass man Radfahren ständig als gefährlich für einen selber darstellt. Aber nicht-tödliche Crashs und Stürze sind schmerzhaft und es gilt, auch die zu vermeiden. Wer einmal von einem Autofahrer umgenietet worden ist, weiß, wie lange man unter Umständen noch damit zu tun hat (Operationen, Schmerzen, Mobilitätseinschränkungen). Das will man nicht! Und eine sichere Radinfrastruktur hilft halt einfach allen.
Löschendas schöne an Statistiken ist offensichtlich, dass man sich immer die raussucht, die einem in den Kram passt.
LöschenWenn man Krankenhaus- und Unfallforschungsdaten heranzieht, dann liegt der Anteil eher bei 40–60 %.
In GIDAS-Daten (Dresden/Hannover) machen Alleinunfälle sogar knapp 50 % aller behandelten Fahrradunfälle aus.
Eine BASt-Studie fand, dass mehr als die Hälfte der in Notaufnahmen behandelten Radunfälle ohne Kfz-Beteiligung geschah.
Wer weiß denn schon, mit welcher Genauigkeit und Vergleichbarkeit die Daten erhoben und protokolliert werden? Man könnte auch annehmen, dass es mehr Unfälle von Leuten mit dem Rad gibt, weil mehr Rad fahren. Das wäre dann erst einmal positiv. Daran schließt sich die Forderung an, mehr und schneller für sichere Fahrradinfrastruktur zu sorgen, z.B. durch Pflege der Fahrwege, Beseitigung von Konfliktsituationen und unübersichtlichen Bereichen und massiver Reduktion des Raumes für KFZ.
LöschenUnfallzahlen per se sind nicht aussagekräftig, wie jede Statistik, deren Grundlagen nicht klar sind.
Alle Fakten einfach ablehnen, die einem nicht passen, um dann wieder die ideologischen Forderungen rauskramen - diese Komik gefällt mir!
LöschenFakt 1: Statistiken zu Fahrradunfällen sind notorisch unzuverlässig.
LöschenFakt 2: der Radverkehr wächst
Fakt 3: die Gefahr für vulnerable Verkehrsteilnehmer wird nicht mehr unter den Teppich gekehrt, der Bedarf für Infrastruktur zum Schutz vor dem MIV, bzw. die Verlagerung von MIV aus für ihn ungeeignten Bereichen wird verstärkt anerkannt.
Ideologie: das Beharren auf subjektiver Ablehnung des Radverkehrs, und die Unterfütterung desselben durch ungeeignete Argument, wie z.B. unzuverlässige Unfallstatistiken