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10. November 2025

Einfach verbieten, was durch den Autoverkehr gefährdet wird?

Verbieten wir doch einfach denen, die besonders oft Opfer des Autoverkehrs werden, die Teilnahme am Straßenverkehr.

Das ist die Konsequenz aus Überlegungen, die in Frankfurt angestellt werden, Nachtfahrten von E-Scootern zu verbieten, weil sie besonders oft in Crashs mit Autos verwickelt sind. Diesen Zusammenhang stellt jedenfalls die Frankfurter Neue Presse her. In Frankfurt hatte im Juli ein Autofahrer unter Drogen zwei 23-jährige Zwillinge, die "verbotenerweise zu zweit auf einem S-Scooter fuhren", mit seinem Auto getötet. Wobei auch das Fahren unter Drogen und das Töten von anderen mit dem Auto verboten ist, was aber der Zeitungsbericht nicht so klar herausstellt. 

Nun werden auch Menschen zu Fuß oft Opfer von Autofahrenden, die nichts sehen und nichts sehen wollen. Also müssten wir auch das zu Fuß Gehen verbieten, insbesondere nachts, wo sie auf Gehwegen kaum sichtbar sind, wenn sie schwarze Kleidung tragen. Nur zum Schutz der Fußgänger:innen natürlich. Übrigens auch das Motorradfahren. Und natürlich das Radfahren. Und überhaupt alles, was bei Autofahrenden das Risiko erhöht, alkoholisiert, unter Drogen oder im Tran, unaufmerksam, abgelenkt oder zu schnell fahrend Mitmenschen, die nicht in Autos sitzen, das Leben zu nehmen. 

Oder könnten wir - auch in den Medien - vielleicht mal anfangen, uns ernsthaft zu fragen, was wir dagegen tun können und wollen, dass Autofahrende andere Menschen umbringen, weil sie Verkehrsregeln verletzen? Autos sind schwere, hochtechnisierte Geräte, die man leicht mit Assistenzsystemen ausstatten könnte, und zwar zum Schutz von allen anderen, die nicht im Auto sitzen. Das Radfahren, zu Fuß Gehen oder E-Scooter Fahren bezeichnen wir immer wieder als gefährlich, weil der Autoverkehr so gefährlich für alle ist, die nicht Auto fahren. Würden wir anfangen, das Autofahren als gefährlich zu bezeichnen, würden wir plötzlich erkennen, dass der Autoverkehr wirksam entschärft werden muss, zum Beispiel durch flächendeckend Tempo 30 in Städten, konsequente Überwachung und eben Assistenzsysteme. 

Ohne Zweifel gehört der E-Scooter im Vergleich mit Fahrrad oder Motorrad zu den riskantesten Verkehrsmitteln. 

Ein knappe Million E-Scooter sind in Deutschland versichert (also gemeldet), 780.000 davon im Privatbesitz. 2024 starben 27 Menschen auf E-Scootern. Sieben davon wurden bei Zusammenstößen von Autofahrenden getötet. Das Institut für Verkehrsforschung des DLR nimmt an, dass es vor fünf Jahren pro Tag 275.000 Fahrten mit E-Scootern gab und dabei rund 500.000 km zurückgelegt wurden, und bezeichnet das als großzügige Schätzung. Das Unfallrisiko für E-Scooter-Nutzerinnen ist dem DLR zufolge geschätzt doppelt so hoch wie für Radfahrende. Ich errechne ein ungefähres individuelles Sterberisiko auf dem E-Scooter von 0,1 Promille pro Fahrt, was im Vergleich zum Radfahren, zu Fuß gehen oder Auto fahren hoch ist (siehe unten). 

Bei E-Scootern sind etwa ein Drittel der Unfälle Stürze ohne Beteiligung anderer. Ein Problem sind unbestritten die Fahrten in betrunkenem Zustand, beispielsweise nachts vom Club nach Hause. Der E-Scooter wird zudem von Vielen nicht als Fahrzeug, sondern mehr als Spielzeug angesehen und nicht mit dem nötigen Gefahrenbewusstsein gefahren. Übrigens oft auf Gehwegen und ohne Rücksicht auf Fußgänger:innen.  

Auf dem Foto oben (und rechts) sieht man zwei Jugendliche die Alte Weinsteige mit gefühlt 30 km/h runter fahren. Sie ratterten mit den winzigen Reifen fast ungebremst und vor Angst und Lust kreischend über die Gleise der Zacke, die am Pfaffenweg die Alte Weinsteige überqueren, und ließen dann ihre E-Scooter rollen. Auf dem Foto rechts sieht man ein weißes Auto von links aus einer Einfahrt kommen und genau vor dem E-Scooter auf die Fahrbahn einbiegen. Der junge Mann war reaktionsschnell und machte eine pfeifende und schleifende Notbremsung und sprang dabei ab. Man sieht auf dem Foto, dass er danach wieder aufsteigt und sich nach dem zweiten E-Scooter-Fahrer umschaut. Hätte er sein Fahrzeug nicht so gut beherrscht, hätte ich einen Zusammenstoß sehen können, und der Autofahrer oder die Fahrerin wäre allein schuld gewesen. Die Presse hätte aber nur darüber diskutiert, ob E-Scooter die Alte Weinsteige mit 30 km/h runter sausen dürfen (die Jugend macht halt so was), was wir bei Autos wiederum als langsam empfinden. 

Fast genau so gefährlich ist das Motorradfahren. In Deutschland sind ungefähr fünf Millionen Motorräder zugelassen, und es sterben etwa 500 Motorradfahrende im Jahr, oft, weil sei von Autofahrenden nicht gesehen werden, aber auch aus anderen Gründen. Das kennen wir aber schon, und niemand diskutiert darüber, das Motorradfahren zu verbieten, beispielsweise zu Ostern auf kurvigen Landstraßen. Von diesen Osterfahrten (und Sommerfahrten) kehren etliche Familienväter und Söhne (und gelegentlich auch Frauen) nicht mehr zu ihren Familien zurück, ein ziemliches Trauma für diese Familien. Ein Drittel der Motorradunfälle sind übrigens ebenfalls Alleinunfälle. Wieviele Wege mit Motorrädern und Mopeds pro Tag in Deutschland zurückgelegt werden, wird nicht statistisch erfasst. Es sind aber vergleichsweise wenige (viel weniger als Radfahrten), auch in Relation zu den Unfällen. Nach einer Statistik, die die Versicherung "die Bayerische" zitiert, starben pro 100.000 Pkw 3,1 Pkw-Insass:innen und pro 100.000 Motorräder waren es 14,2 Motorradfahrende (oder Mitfahrende). In Relation zu den gefahrenen Kilometern sei das Risiko, mit einem Motorrad tödlich zu verunglücken, 21 Mal höher als für Pkw-Insass:innen. 

Zum Vergleich: 

Fußverkehr: 402 Fußgänger:innen kamen im Jahr 2024 im Straßenverkehr ums Leben. 60 Millionen Wege (oder 56 Millionen) werden täglich vollständig zu Fuß zurückgelegt. Hinzu kommen die vielen Fußwege zu Stadtbahnen oder zu geparkten Autos, die kaum erfasst sind. Das individuelle Risiko, als Fußgänger:in dabei tot gefahren zu werden, könnte bei rund 0,007 Promille oder weniger liegen.

Autoverkehr: Insass:innen von Autos stellen mit knapp 2000 Getöteten zwar die größte Gruppe bei den Verkehrstoten dar, es werden aber eben auch geschätzt 228 Millionen Wege in Deutschland pro Tag mit dem Auto zurückgelegt, bei rund 3 Milliarden Personenkilometern. Das Risiko, im Auto auf einer Fahrt zu sterben, liegt damit bei rund 0,009 Promille. 

Radverkehr:  Im vergangenen Jahr starben in Deutschland 441 Radfahrende im Straßenverkehr. Man geht davon aus, dass es 84 Millionen Fahrräder bei uns gibt, darunter über elf Millionen Pedelecs. In Deutschland werden nach Angaben des Umweltbundesamts schätzungsweise pro Tag 28 Millionen Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt und dabei 112 Millionen Kilometer gefahren. Das individuelle Risiko, beim Radfahren auf einer Fahrt zu sterben, läge damit bei rund 0,02 Promille. 

Ich weiß: So eine Rechnung kann man eigentlich nicht aufmachen, allein deshalb, weil man sich drüber streiten kann, ob man besser die Wegezahl oder aber die Kilometerzahl miteinander vergleicht. Autofahrende fahren weitere Strecken, Fußgänger:innen gehen kurze Strecken, auf denen sie unter Umständen aber so lange unterwegs sind, wie ein Autofahrer zu einem weiter entfernten Ziel. Außerdem sind unsere Statistiken unvollständig und stark auf den MIV konzentriert. Ich finde es dennoch interessant, einen Hinweis darauf zu bekommen, wie hoch das individuelle Risiko ist, auf einem Weg (mit Auto, Fahrrad, zu Fuß oder per E-Scooter) tödlich zu verunglücken, auch weil man sieht, wie gering es ist. Radfahren (und E-Scooter-Fahren) wird in der Presse stets in den Rahmen "gefährlich" gesetzt. Autofahren aber nie. Die Presse diskutiert jeden tödlichen Crash mit Fahrrad oder E-Scooter und fragt nach dem Fehlverhalten von Rad- und E-Scooter-Lenkenden und diskutiert gerne auch darüber, wie die Folgen solcher Crashs abgemildert werden können. Dabei läuft es nie darauf hinaus, dass Auto Assistenzsysteme bekommen sollten, sondern fast immer, dass Rad- oder E-Scooter-Fahrende Helme aufsetzen sollen. Und wenn ein Autofahrer das Auto gegen einen Baum oder eine Wand oder in den Gegenverkehr lenkt und er/sie und womöglich Insass:innen sterben, wird das Autofahren nicht infrage gestellt. 

Weil unsere persönliche Wahrscheinlichkeit für einen Crash so klein ist, empfinden wir tödliche Unfälle als schicksalhafte und singuläre Ereignisse aufgrund irgendeines fatalen Verhängnisses. Dass jemand einen Fahrfehler gemacht hat (der Crash also vermeidbar gewesen wäre) und dass die Infrastruktur solche Fahrfehler begünstigt, bemerken wir kaum, so entsetzt schauen wir auf die Opfer unseres Verkehrssystems (nicht auf die Täter). Diese Perspektive verführt uns dazu, den Opfern des Autoverkehrs Verhaltensänderungen oder Ausrüstungen zu empfehlen oder ihre Anwesenheit im Verkehrssystem zu verbieten, statt die Risiken, die vom Autoverkehr ausgehen, zu entschärfen. Auch Radwege dienen vor allem dazu, den Radverkehr von der Fahrbahn wegzuverlegen, Fahrräder also dem Auto aus dem Weg zu räumen. 

Nebenbei bemerkt sind E-Scooter in der Tat keine glückliche Erfindung der modernen Verkehrswelt, und immer mehr Städte verbieten sie wieder. Nicht nur, weil man mit den Dingern mit den kleinen Reifen leichter verunglückt, sondern auch, weil E-Scooter wild auf den Gehwegen herumstehen und ihre Nutzer:innen verbotenerweise auf Gehwegen und durch Fußgängerzonen fahren und damit den Fußverkehr zusätzlich in Bedrängnis bringen. Unsere Infrastruktur ist auf sie nicht vorbereitet (sie kommt ja schon kaum mit dem Radverkehr klar). Uns fehlt die durchgehende Infrastruktur für Fahrzeuge, die langsamer sind als der Autoverkehr und deutlich schneller als der Fußverkehr. 

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