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16. Dezember 2025

Radfahrende müssen nach Sturz Buße bezahlen

In der Schweiz scheint es üblich zu sein, dass Radfahrende nach einem Sturz einen Bußgeldbescheid in Höhe von bis zu 500 Franken bekommen. In Deutschland soll ebenfalls eine Radlerin nach Sturz Buße zahlen. 

In der Schweiz argumentiert die Polizei, sie seien zu schnell gefahren, sonst hätte es den Unfall nicht gegeben, oder sie hätten ihr Fahrrad nicht beherrscht. 

So erging es, wie Schweizer "Seite 20 Minuten" beschreibt, einer Radfahrerin, die auf Glatteis ausrutschte und stürzte, einer 84-jährige Radlerin, die an einer Baustelle in finsterer Nacht einen Bordstein hochfahren wollte, der entgegen ihrer Erwartung nicht abgeschrägt war, oder einem Radler, der bei der Ausfahrt aus einem Kreisverkehr gegen den Bordstein geriet. So kann es auch Radelnden gehen, die auf Laub ausrutschen  oder gegen einen Poller prallen. Theoretisch kann man in der Schweiz jeden Radfahrer bebußen, der gestürzt ist, wenn eine "unverhältnismäßige Fahrweise" dazu geführt hat. Die ergibt sich praktisch immer aus dem Sturz. In Zürich trifft das pro Jahr rund 40 Velofahrende. In Gießen traf es eine Radlerin, die an einem Mast hängen blieb, der mitten auf dem Radweg steht. 

Zuletzt meldete die bzBasel so einen Fall (Bezahlschranke). Diese Fälle kommen zur Anzeige, wenn die Radfahrenden mit der Ambulanz ist Krankenhaus gefahren werden müssen. Im Fall der 84-Jährigen, die in der Nacht am nicht abgeschrägten Bordstein an der Baustelle stürzte, war die Einschätzung eines Polizisten in seinem Bericht über die Fahrweise der 84-Jährigen der Auslöser für die juristischen Folgen. Wer ansonsten die Fahrweise und Radbeherrschung einschätzt, bleibt unklar. Diese Justiz geht davon aus, dass Radfahrende ständig auf Boden und Bordsteine achten müssen, auch dann, wenn ein Autofahrer gerade ein einschüchterndes Manöver macht oder die Situation kompliziert ist und Aufmerksamkeit in alle Richtungen erfordert. Eine unverhältnismäßige Fahrweise wird der Radlerin oder dem Radler unterstellt, sobald es zu einem Sturz kam, dessen Folgen im Krankenhaus behandelt werden mussten. Dass die Radinfrastruktur Lücken hat, mit plötzlichen Hindernissen aufwartet, Baustellen Überraschungen bereit halten oder Radwege schlecht gepflegt und nicht gestreut sind, spielt dabei nur insofern eine Rolle, als man sagt, Radfahrende müssen damit rechnen, dass das so ist. 

Ein Leser machte einen Perspektivwechsel und kommentierte unter dem bz-Artikel: "Wenn ich also auf dem Trottoir über einen bereitgestellten Kehrichtsack stolpere, hinfalle und mir eine Kopfwunde zuziehe, mit der Ambulanz ins Spital gefahren werde und ein Zeuge aussagt, ich hätte nicht aufgepasst, dann droht mir Ähnliches, weil ich meine Gehwerkzeuge nicht beherrscht habe. Mir bleibt ab solchem Blödsinn die Spucke weg.

In der Schweiz können allerdings auch Autofahrende wegen Nichtbeherrschung des Fahrzeugs belangt werden. Die Bußen gehen bis zum Führerscheinentzug. Es gibt die Pflicht, die Fahrweise immer den Straßen-, Verkehrs und Sichtverhältnissen anzupassen. Bei Wildunfällen oder Glatteisunfällen kann das der Fall sein. Alleinunfälle von Autofahrenden werden in der Schweiz statistisch nicht erfasst. Deshalb gibt es dazu keine Zahlen. 

In Deutschland
gibt es im Gesetz diesen Sachverhalt nicht. Hier werden die konkreten Verkehrsverstöße geahndet: nicht angepasste Geschwindigkeit, alkoholisiertes Fahren, Ablenkung oder auch Gefährdung anderer und so weiter. Aber das reichte, um einer Radlerin in Gießen einen Bußgeldbescheid zuzustellen, nach dem sie in Kleinlinden im Juli 2024 schwer (krankenhausreif) gestürzt war, wo ein Mast den Radweg verengt (Foto rechts, Google Maps), und und die Stelle als gefährlich der Polizei gemeldet hatte. Wie der Gießener Anzeiger berichtet, hatte der örtliche ADFC dazu aufgefordert, gefährliche Stellen zu melden. Hier soll es schon mehrfach zu Stürzen gekommen sein. Die Radlerin bekam dann einen Bußgeldbescheid über 141 Euro wegen "nicht angepasster Geschwindigkeit" angesichts "besonderer örtlicher Verkehrsverhältnisse". Der ADFC wandte sich daraufhin ans Polizeipräsidium, weil er befürchtete, dass solche Bußgeldbescheide die Radfahrenden davon abhalten,Alleinunfälle der Polizei zu melden, damit die Statistiken aussagekräftiger werden. Hier ist ja offensichtlich die Radinfrastruktur unfallträchtig. Nach der Klage einer anderen Radfahrerin wegen eines Sturzes dort bescheinigte ein Zivilkammer des Landgerichts Gießen der Polizei, durch Markierung des Masts ihrer Verkehrsicherungspflicht nachgekommen zu sein. Auch könnten die Radfahrenden auf die Fahrbahn ausweichen. In der Tat ist dies inzwischen kein benutzungspflichtiger Radweg mehr, wenn auch so markiert, dass Radfahrende zum Gehwegradeln aufgefordert werden. Die Radpiktogramme auf der Fahrbahn nach dem Fußgängerübergang sind auf dem Google-Foto noch nicht zu sehen: Wann sie dort hingekommen sind, weiß ich nicht. Das Gericht befand außerdem, dass die gestürzte Radlerin ihre Geschwindigkeit hätte drosseln müssen. Die zentrale Bußgeldstelle in Kassel äußerte sich nicht zum konkreten Fall, meinte aber deutlich verständnisvoller: „Bei Alleinunfällen sind in der Regel neben dem Unfallverursacher/der Unfallverursacherin keine anderen Personen betroffen. Ist die einzige geschädigte Person die Fahrerin/der Fahrer selbst und ist darüber hinaus kein Schaden eingetreten, besteht in der Regel keine verkehrserzieherische Notwendigkeit, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren zu führen.

Wobei auch das immer noch sehr vom Auto her gedacht ist. Beim Auto ist Rasen ein Grund für Alleinunfälle. Es scheint naheliegend, nach einem Sturz mit dem Fahrrad zu unterstellen, der Radler sei zu schnell gewesen. Man kann aber auch mit 7 km/h (Schrittgeschwindigkeit) mit dem Lenker gegen den Mast kommen, weil man eine unwillkürliche Ausgleichsbewegung gemacht hat, und stürzen und sich dabei den Ellbogen brechen. In diesem Fall wäre man zu langsam gefahren.

Bei Alleinunfällen mit dem Auto drohen Bußen, Strafen oder Punkte in Flensburg nur, wenn man konkrete Verkehrsregeln verletzt hat. (Eine konkrete Verkehrsregel haben die gestürzten Radler:innen jedoch nicht verletzt.) Außerdem wird einem Autofahrer - wie der Bußgeldkatalog ausführt - ein Unfall nicht angelastet, wenn man beispielsweise auf einer Ölspur wegrutscht. Der Logik der Anzeigen gegen Radfahrende folgend würde das Wegrutschen auf der Ölspur einem Radfahrer aber (zumindest in der Schweiz) sehr wohl durchaus angelastet werden, denn die ist ja deutlich sichtbar auf der Fahrbahn, oder zumindest so deutlich oder undeutlich sichtbar, wie eine vereiste Pfütze auf dem Radweg. 

Foto: Blogleser Christoph
Alleinunfälle machen bei Radfahrenden etwa ein Drittel der Unfälle aus, und oftmals haben die unzureichende Radinfrastruktur oder Gefährdung durch Autofahrende daran einen Anteil. Bei Motorradfahrenden und E-Scooter-Fahrenden machen Alleinunfälle ebenfalls etwa ein Drittel aus. 2013 lag die Alleinunfallquote bei Autofahrenden bei 37 Prozent. Für 2023 bietet der ADAC Zahlen an und beruft sich dabei auf eine eigene Datenbank. Demnach waren bei jungen Autofahrenden (bis 24 J.) knapp ein Drittel der Unfälle Alleinunfälle. Im Durchschnitt aller Altersgruppen lag die Quote bei 18 Prozent. Der Schaden, den ein Autofahrer oder eine Fahrerin anrichtet, wenn er/sie im Gleisbett landet, gegen eine Mauer prallt, in ein Schaufenster kracht oder wenn das Auto im Straßengraben auf dem Kopf liegen bliebt, ist übrigens um ein Vielfaches höher als der, den man mit einem Fahrrad anrichten kann. 





6 Kommentare:

  1. ... wenn ich so was lese, muss ich ganz tief durchatmen um nicht wirklich vor Wut zu kochen.
    Wenn man nur die eigenen Erfahrungen kennt, dann neigen viele dazu das jeweilige Ereignis wirklich auf die eigene Unfähigkeit zu schieben, oder eben auf die Tatsache, dass man mit dem Rad gefahren ist, obwohl (in meinem Fall für München) vor Eisglätte gewarnt wurde. In den letzten 10 Jahren bin ich zwei mal gestürtzt. ein mal bei Eisglätte in einem Wohngebiet das nicht geräumt wird und die Splittstreuung war unter einer dicken feuchten Eisschicht bedeckt.
    Blöd ist nur, dass die Radhauptroute dort verläuft und die Straße mit dem gleichen Ziel der Mittlere Ring in München ist, auf der ich nicht fahren darf. Der Ring war zu den Zeitpunkt nur noch salznass. Klar ist es risikobehaftet auf solchen Straßen zu fahren, aber diese Wege sind halt nach Schneefall wochenlang in dem Zustand, die Straßen für den ""richtigen" Verkehr (zumindest Durchgangsstraßen) sind da schon lange wieder mehrfach komplett schnee- und eisfrei und sogar trocken gewesen.
    Das andere Mal war auf einem benutzungspflichtigen Radweg in einem Kreuzungsbereich wo der Radweg deutlich verschwenkt ist. Die Stadt hat dort einen Laubhaufen aufgetürmt, der sich dann wegen des Windes auch über Rad und Fußweg verbreitet hatte. Unter dem feuchten Laub hab ich die 3cm Schwelle zwischen Rad und Fußweg nicht erkannt. Weil ich den genauen Verlauf der Verschwenkung nicht getroffen hab, bin ich in spitzem Winkel an die Kante gefahren aber natürlich mit dem feuchten Laub nur daran entlanggeglitten.
    Beides sind Alleinunfälle die ich hätte vermeiden können (nicht fahren oder absteigen und schieben wenn Laub den Weg verdeckt)
    Am Tag meines Sturzes auf Eis waren die Münchner Krankehäuser überlastet, da sehr viele Menschen gestürzt waren, also wäre es seltsam wenn einer, nur weil er nicht als Fußgänger sondern als Radfahrer gestützt ist, ein Bußgeld zahlen müsste.
    Im zweiten Fall gibt es nur die Ausrede, dass ich Radpendler bin,, und wenn ich anfange zu schieben weil es eine schlecht erkennbare Gefahr gibt, an dem Tag erst gar nicht in der Arbeit ankomme.
    In beiden Fällen erwarte ich aber, dass eine Unfallmeldung eher dazu führt, die Situation für Radfahrer zu verbessern, statt zu einer Geldbuße
    In deinem Beispiel bekommt man noch zusätzlich Puls wenn man die Bemerkung des Gerichts liest: wenn man so was sieht, kann man ja auf der Fahrbahn fahren.
    Ja kann man, aber dann ist die Anordnung der Benutzungspflicht ja wohl amtliche Gefährdung.
    Wie wäre es, wenn es einen Ampelmast mitten auf dem Fahrsteifen eines freien Rechtsabbiegers gäbe? Das wäre keinen Tag so und jemand der das so gebaut und freigegeben hat wäre zumindest in 50% der Satieresendungen der Hit des Monats.

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    1. Genau! Viele unsere Stürze haben nichts mit nicht angepasster Geschwindigkeit zu tun, sondern damit, dass unsere Infrastruktur so schlecht ist, dass auch langsam radeln nicht hilft, Stürze zu vermeiden. Und wenn die Straßen für den Autoverkehr so aussähen wie unser Wege, würde die Presse (samt Fernsehen) dass so skandalisieren, dass schnell Abhilfe geschaffen würde.

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    2. Da muss man nichts skandalisieren, den Skandal muss man nur kommunizieren, der ist real existierend, so wie der Ampelmast oder ziinkfarbene (matt grau) Drängelgitter ohne extra Beleuchtung die in einem Fal in München auch noch mal offen und mal zu sind.
      D.h wer das Pech hat die Teile das erste mal geschlossen anzutreffen wenn es regnet und dunkel ist, kann die erst wahrnehmen wenn es zu spät ist.
      In der Kombination mit einer StVZO konformen Radbeleuchtung (besonders wenn nach alter Norm vor 2017 eingestellt) sind solche Hindernisse echt ziemlich gefährlich. der Teil der von einem korrekt eingestellten Radscheinwerfer erfasst wird ist eine graue matte schmale Stange die sich so gut wie gar nicht vom Fahrbahnbelag dahinter abhebt. (hier der Link zu Street View: https://maps.app.goo.gl/aJb7pmncuhHmWEyE8)

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  2. Warum sich wundern? Da ist doch nur die perverse Logik unseres Verkehrssystems auf die sie absolute Spitze getrieben.
    Die Leute, die diese Strafen dann aussprechen, könnten durchaus unter den Juristenfiguren Ludwig Thomas auftauchen.

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  3. Die Schweiz. Hierzulande regen sich Autofahrer wenigstens noch über Radfahrer auf, in der Schweiz wird man ganz nüchtern und sachlich mit der S-Klasse von der Straße gefegt. Irgendwie konsequent, dass die Rechtsprechung das wiederspiegelt...

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