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29. August 2021

Lastenrad und Auto werden politisch

Wer eine Elektroauto kauft, bekommt bis zu 6000 Euro vom Staat. Wer kein Auto, sondern ein Lastenfahrrad kauft bekommt ... nun ja, je nachdem, wo er oder sie wohnt, auch was oder gar nichts. 

In Baden-Württemberg bekamen Vereine und Freiberufler seit 2017 eine Förderung, in Stuttgart werden zusätzlich Familien gefördert, auch finanziell benachteiligte sollen eine Chance haben, und ein Förderprogramm für E-Trikes für Gehbehinderte wurde aufgelegt. Die Seite Greenbike-Shop listet alle Förderprogramme bundesweit auf. Bayern hat zum Beispiel kein Lastenradförderprogramm. Gewerbetreibende können hier, wie anderswo, wo es keine kommunale Unterstützung gibt, seit diesem Jahr beim Bund einen Zuschuss beantragen. Familien, also Privatleute, aber nicht. 

Die im Wahlkampf von den Grünen vorgeschlagene generelle Bezuschussung von Lastenrädern mit 1000 Euro würde wohl bis zu 250 Millionen Euro im Jahr kosten (1 Milliarde in vier Jahren), und zwar endlich auch für Privatleute. Gleichzeitig aber kosten die aktuellen Subventionen für Autos rund 7,4 Milliarden allein für das Dieselprivileg und 3,1 Milliarden für das Dienstwagenprivilig, den teuren Straßenbau und die Gesundheits- und immensen Umweltkosten nicht mitgerechnet. Die Kaufprämie für Elektroautos hat 2020 mehr als 1 Milliarde Euro verschlungen, und wächst in diesem Jahr rasant, wird sich vermutlich mehr als verdoppeln. Die Abwrackprämie, mit der 2009 in der Finanzkrise die Autoindustrie gerettet werden sollte, kostete 5 Milliarden Euro. So what?

Das sind übrigens unsere Steuergelder, und so bezahlen an die Autobesitzer:innen auch diejenigen, die kein Auto haben, die sich keines leisten können oder keines wollen, nicht mitgerechnet die Kosten für Umwelt, Wirtschaft und Gesundheit, die wir alle je Einkommen mal stärker oder weniger stark mittragen. 

Und da regen sich nun Leute über eine kleine Lastenradsubvention auf. Da heißt es "teure Klientel-Politik". Und wenn es so wäre! FDP und CDU haben wohl völlig vergessen, dass die Subvention von Autos in Höhe von rund 10 oder 11 Milliarden pro Jahr ihre Klientel zufriedenstellt, die eher nichts von Klimawandel und Konsequenzen hören will und Radfahrende für miesepetrige Gutmenschen-Moral-Monster hält. Die Welt lässt den Kommentator von "ethischem Statussymbol" sprechen. "Das E-Lastenrad ist das Arschgeweih des Alnatura-Adels." Ja, was? Als ob der Porsche, der SUV oder der laute Auspuffklappen-Audi kein Statussymbol wären. Nur eben echt sauteuer und deshalb wirklich von (Geld-)Adel. So ähnlich hat es schließlich auch der Zeit-Kommentator erkannt, auch wenn er bei der Bequemlichkeit des Autos endet. 

Lastenradförderungen bringen schnell viele Lastenräder auf die Straße und das Bild des Straßenverkehrs verändert sich deutlich sichtbar. Schafft einer in der Nachbarschaft ein Lastenrad an, kommt er mit vielen Leuten ins Gespräch, die sich die Anschaffung von Pedelecs oder eines Lastenrads überlegen. Auffällige Fahrräder verändern eine Nachbarschaft, sie wirken weiter. Natürlich ist es eine Subvention. Ich selbst habe nie in meinem Leben für irgendetwas eine Subvention bekommen, all meine Pedelecs habe ich selbst bezahlt, und keines habe ich über einen Bekannten billiger bekommen. Manchmal denke ich, eigentlich sollte man generell Pedelecs oder Fahrräder bezuschussen, nicht nur die Lastenräder. An Pedelecs kann man auch Kinderanhänger oder Lastenanhänger hängen, mit ihnen macht man alle Fahrten im Umkreis von 15 bis 25 km, egal wie hügelig das Gelände ist. 

Aber der Regen. Bei Regen, da radelt doch keiner, wie soll das gehen ohne Auto?, höre ich dann, wenn gar kein Argument mehr geht. Ja, der Regen! Ich weiß nicht, ob Menschen, die bei Regen im Auto sitzen, noch sehen können, wie viele Menschen zu Fuß (und mit Bahnen) unterwegs sind, mit der nützlichen Erfindung des Regenschirms, oder wie viele doch immer noch auf Fahrrädern sitzen, in Regencapes mit Regenhosen, wenn es ganz doll kommt. Nicht nur das Auto schützte vor Regen. Und wer nie bei Regen geradelt ist, weiß auch nicht, wie klar die Luft ist und wie gut es tut, Wind, Tropfen und Natur zu spüren und erfrischt anzukommen. Dazu hat sich ein schöner Tweet auf Twitter entwickelt. Lastenradbesitzer:innen, die kein Auto mehr haben, werden für den Regenguss sicher eine Lösung finden. Entweder man wartet ab, bis er nachlässt oder man nimmt Bahn oder Bus, geht auch mal zu Fuß. Und schließlich kann man auch auf dem Weg vom Parkplatz zum Ziel klatschnass werden. Ich habe das Wetter beim Radfahren nie als wirklich problematisch erlebt. Und nachdem ich einmal mit nassen Knien acht Stunden auf der Arbeit saß und mich erkältete, habe ich gelernt, Regenschutz dabei zu haben, wenn es ein Regenrisiko gibt. Und ich habe inzwischen auch den richtigen, der wirklich dicht hält. 

Aber die Sicherheit! Die meisten, die nicht Radfahren, halten Radfahren für lebensgefährlich. Offenbar fahren sie mit ihren Autos selber so, dass sie denken, sich selbst möchten sie als Radfahrer nicht begegnen. In der Tat nehmen Radunfälle zu, weil mehr Leute Rad fahren, wir aber in unserem Straßenverkehr noch nicht die kritische Masse erreicht haben, die sich wieder schützend auf Radfahrende auswirkt. Wenn Autofahrende Lastenräder mit Kindern in der vorderen Schütte sehen, wird ihnen Himmelangst. Der Radler schiebt seine kostbare Fracht vor sich her, und das Auto, das das Lastenrad erwischt, trifft zuerst die Kinder, erklären sie mir. In der Tat zieht ein Lastenrad bei einem Zusammenstoß mit dem Auto den Kürzeren, wie immer, wenn tonnenschwere Autos mit leichten Gefährten und Menschen ohne Panzer zusammenstoßen. Genaue Zahlen über Cargo-Bike-Unfälle gibt es nicht, das hat bislang weder Polizei noch Statistiker:innen interessiert. Lastenradradler:innen berichten mir aber, dass ihr großes und nicht nach klassischem Fahrrad aussehendes Gefährt von Autofahrenden besser wahrgenommen wird, sie bremsen eher mal, wo sie bei Fahrrädern nicht bremsen würden. (Kein Autofahrer will eine Ladung Kinder verletzen!) Eine kursorische Suche im Internet ergab, dass zwar viel und gern gewarnt wird vor den Gefahren bei Lastenrädern, dass aber Lastenradunfälle noch sehr selten sind (unter fünf habe ich gefunden, zwei Abbiegeunfälle, zwei Alleinunfälle, keine Toten). Wenn Kinder zu Schaden kommen, wird ja immer berichtet, auch weil es ein gute Gelegenheit bietet, das Radfahren als falsche, weil gefährliche Mobilitätsform darzustellen. 

Eigentlich aber sollten wir nicht immer die typische Frage stellen, wie wir Kinder (und uns selbst) auf Fahrrädern besser vor Autos schützen - wie wir uns also immer mehr aufrüsten - , sondern wir sollten uns fragen, wie wir Autos technisch so ausstatten, dass sie Fußgänger:innen und Radfahrende vor den Fahrfehlern ihrer Lenker:innen schützen. Das geht nämlich und nähme die Verursacher in die Verantwortung, nicht die Opfer. 

Übrigens, am 19. September ist zum dritten Mal  Cargobike-Day in Stuttgart, 11 bis 17 Uhr auf dem Karlsplatz

12 Kommentare:

  1. Die Argumentation, Lastenräder mit Kindern sind gefährlich, kommen hauptsächlich von Autofahrern. Vor über 20 Jahren hatten wir mal eine heftige Diskussion zum Thema Kindertransport im Anhänger. Auslöser war ein Unfall bei dem ein Autofahrer einen Kinderanhänger gerammt hat. Er dachte, das Fahrrad wäre ja vorbei und ist (äußerst knapp) hinter dem Rad durch, durch den Kinderanhänger (übersehen!, wohl eher nicht hingesehen). Der Diskussionspartner hat dann allen ernstes geäußert, dass Kinderanhänger verboten gehören und Mütter, wenn sie kein Auto für den sicheren! Kindertransport hätten, halt laufen müssten. Wir sind darüber regelrecht in Streit geraten, weil wir diese autozentrierte Ansicht nicht teilen konnten.
    Vor ein/zwei Jahren gab es in Österreich auch mal einen tödlichen Unfall mit Kinderanhänger, da kam in den Medien dieselbe schwachsinnige Diskussion auf. Keiner hat gefordert, dass der Autofahrer, der das Fahrrad übersehen! hat, mal auf seine Fahrtüchigkeit überprüft wird. Nein es wurde über ein Verbot von Anhängern diskutiert. 1A victim blaming.
    Wie verunfallen denn Radfahrer denn häufig? Beim Abbiegen übersehen (nicht hingesehen), beim Türöffnen übersehen (nicht hingesehen), beim Überholen abgeräumt (fehlender Abstand und vermutlich nicht hingesehen).
    Wie wäre es mal mit hinsehen beim Autofahren und nicht auf dem Handy daddeln, mit den Navi spielen, die Kinder bespassen, angeregt mit dem Beifahrer unterhalten (möglichst noch mit ständigem Ansehen). Alles Tätigkeiten im Auto, die Aufmerksamkeit binden und Hinsehen verhindern.
    Die Lastenradförderung finde ich gut. Die Teile sind wirklich teuer. Den Aufschrei, zu teuer, kann ich nicht nachvollziehen. Die Fahrräder werde doch auch in Deutschland gebaut, das ist doch auch Wirtschaft, die davon profitiert. Und sie könnten einen Teil der Fahrten mit Zweitwagen verhindern, wenn Eltern ihre Kinder auch einfacher rumkutschieren könnten. Es könnten auch Eltern profitieren, die sich kein Auto im Unterhalt leisten können und sie könnten sich und Ihren Kinder dadurch den Aktionsradius vergrößern.
    Übrigens Klientelpolitik, da möchte ich an die Steuererleichterung für Hotels durch die FDP erinnern. Da ist übringes nichts billiger geworden. Die Hotels haben dadurch einfach ordentlich mehr Geld behalten.
    Wir brauchen eine Verkehrswende, da könnte man doch schonmal bei den Kurzstrecken mit Lastenrädern oder Rädern überhaupt anfangen. Und dann könnte man doch eine Prämie ausloben, wenn man den Zweitwagen verkauft und statt dessen ein (wie auch immer geartetes) Fahrrad anschafft.
    Karin

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    1. Ralph Gutschmidt29. August 2021 um 13:07

      Übrigens: in Österreich kam dazu, dass der Anhänger verbotenerweise am einem Moped hing.

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    2. In Stuttgart werden ja schon seit vielen Jahren Lastenräder bezuschusst, und wenn man nach drei Jahren ein Auto abgemeldet hat (oder weiter ohne Auto geblieben ist), dann bekommt man noch mal Geld. Ich finde es nur etwas ungünstig, dass nur Lastenräder, nicht auch Pedelecs mit Kinderanhänger bezuschusst werden, oder nicht überhaupt auch - zumindest bei Einkommenschwachen - auch der Kauf eines Pedelecs. In Stuttgart haben wir jetzt auch eine Bezuschussung von E-Trikes (elektrischen Dreirädern für Gehbehinderte) gestartet.

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  2. Ralph Gutschmidt29. August 2021 um 13:05

    Übrigens: in Österreich kam dazu, dass der Anhänger verbotenerweise am einem Moped hing.

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  3. Ralph Gutschmidt29. August 2021 um 13:10

    Und vor 3-5 Jahren gab es in Holland einen schweren Unfall, weil sich ein Lastenrad voller Kindergartenkinder vor dem Bahnübergang nicht mehr bremsen ließ.

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    1. Diese Unfälle habe ich nicht aufgezählt, vor allem den in den Niederlanden nicht, weil es ich dabei um ein besonderes Gefährt handelte, das viele Kinder transportiert, nicht um ein Lastenrad. Der österreichische Unfall vor ein paar Jahren, den Karin meint, war einer mit einem Fahrrad mit Kinderanhänger in der Dämmerung. Die Diskussion war in der Tat abartig. So wie die Diskussion bei dem Kinderunfall am Kreisverkehr Backnang auch schnell in die Richtung ging, dass die Infrastruktur daran Schuld sei.

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  4. "dass die Infrastruktur daran Schuld sei."
    Was zum Teil stimmt, da sie solche Unfälle wahrscheinlicher macht.

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    1. Dass wir so denken, kommt vermutlich daher, dass wir Infrastruktur immer wieder anpassen, weil Autofahrende nicht mit angepasster Geschwindigkeit fahren oder bewusst regelwidrig abbiegen oder absichtlich dort parken, wo sie nicht dürfen. Und dann sagen wir, die Infrastruktur sei schuld, weil sie Autofahrende nicht gezwungen habe, langsamer zu fahren oder zu gucken, bevor sie abbiegen. So entlasten wir die Fahrer:innen großer schwerer Fahrzeuge von ihrer Verantwortung, diese Panzer so zu bewegen, dass niemand anderes zu Schaden kommt.

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    2. Naja, wir drehen uns bei dieser Diskussion im Kreis. Es ist immer eine Systemfrage

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  5. Nach dem Hass auf Pedelecs folgen nun die Lastenräder. Die verbitterte Lobby arbeitet mit schmutziger Wäsche, um ihre Ziele weiterhin aufrecht zu erhalten. Der Trick ist jetzt, da nicht drauf rein zu fallen.

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  6. Gleichzeitig höre ich aber von den Grünen im Wahlkampf (gesten Baerbock) nur, dass die Zuschüsse für E-Autos aufgestockt werden müssen. Damit dann der deutsche Staat den Gutverdienern den Tesla bezuschusst, der nach einem Jahr mit Gewinn nach Norwegen verkauft wird... Den Zuschuss sollte es über 10 Jahre gestreckt geben, bzw. bei Veräußerung nach 3 Jahren sollte (10-3)/10 = 70% zurückgezahlt werden (grober Vorschlag, aber in die Richtung sollte es gehen).

    Von Pedelecs/Lastenrädern, etc hat sie nicht geredet. Außer Christine Lehmann ist mir überhaupt noch niemand von den Grünen aufgefallen, der glaubwürdig und offensiv für das Fahrrad wirbt. Bei den anderen großen Parteien sieht es leider natürlich auch nicht besser aus...

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    1. Ich frage mich auch oft, warum nicht massiver fürs Fahrrad geworben wird. Ich höre und erlebe aber auch, dass der Straßenverkehr insgesamt, der in unserem Alltag eine so große Rolle spielt, wie fast gar nichts sonst, sozusagen als Selbstverständlichkeit nicht mehr auffällt und nicht thematisiert wird. Autos sind so viel präsenter als Fahrräder (es sind solche Unmengen, die täglich durch unsere Städte und Dörfer fahren, dass man zunächst daran denkt, diese Mobilität umwelttechnisch zu entschärfen, es sind ja wirklich Massen! Fahrräder gibt es zwar mehr als Autos, aber sie fahren eben nicht so oft im Alltag, sie machen optisch nur einen winzigen Bruchteil im Stadtverkehr aus (weil sie schmal sind) und erreichen ja kam mehr als 10 Prozent am Mobilitätsanteil. Da erscheint sozusagen die Fahrradförderung nicht das, womit man viel in Sachen C02-Reduktion erreichen könnte, sondern eben die E-Auto-Förderung. Und auch wenn in Städten etwa die Häfte der Menschen Rad fahren könnten (statt Auto oder Öffentliche), so ist es in unserem deutschen Denken noch recht unvorstellbar, dass das Fahrrad wirklich das Auto ersetzen könnte. Kann es ja auch nicht immer und überall. Daher mag es kommen, dass man, wenn man über wirksame Maßnahmen sprechen will, zuerst E-Auto und massive Stärkung von Bahn und Bussen nennt. So erkläre ich mir das.

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