Seiten

3. März 2023

Prinz Harrys Enthüllungsbuch und das Radfahren

Es ist schon eine Weile her, dass sich die Öffentlichkeit über Prinz Harry und sein Enthüllungsbuch den Kopf zerbrach. Und mit Radfahren hat das ja nun gar nix zu tun. Oder doch? 

Die Zeit ließ Patrik Schwarz darüber nachdenken, inwiefern der Gestus des Buchs symptomatisch für die Rechthaber-Schlachten unsere Zeit sei. Der Artikel ist am 11. Januar unter dem Titel "Das Prinzip Harry" erschienen und befindet sich leider hinter der Bezahlschranke. Und mit Radfahren hat er nichts zu tun. Doch, hat er.  

Der Autor sucht nämlich ein Beispiel für unsere absolutistische Haltung bei Diskussionen und unsere Neigung, uns jeweils als Benachteiligte zu stilisieren. Er greift dabei auf den emotionsgeladenen politischen Konflikt zwischen Autofahrenden und Radfahrenden zurück. 

"Im Rechthaber-Raum der politischen Meinungsbildung", heißt es da, "dominiert inzwischen eine Sortenreinheit der Sichtweisen, die mit den Gemischtwaren-Zuständen der Welt wenig gemein hat. Während etwa im Straßenverkehr die Bürger in ihrer großen Mehrzahl sowohl Auto fahren als auch Rad, suggeriert die öffentliche Debatte ein Universum sich ausschließender Wahrheiten. Für die einen sind Tempolimit-gequälte Autofahrer unterdrückter als jeder Radfahrer, während andere die Wehrlos-Radler gegenüber den SUV-Bonzen im Rückstand sehen, schließlich komme bei einer Kollision von beiden immer ersterer ums Leben.

Kurios. Vermutlich hat der Autor dieses Beispiel gewählt, weil tatsächlich fast alle Menschen Auto fahren und Rad fahren (und zu Fuß gehen, was er aber ausspart) und weil wir alle übers Radfahren jederzeit eine erbitterte Diskussion vom Zaun brechen können. Es reicht, wenn ich sage: "Ich bin mit dem Fahrrad gekommen." Und schon befinden wir uns in der Wutspirale von Anklagen gegen rücksichtslose Gehwegradler:innen und kriminelle Autofahrer:innen und werfen uns gegenseitig Rüpeleien vor. Und immer in dem Gefühl, nur wir seien die Opfer politischer Entscheidungen, die anderen aber nicht. 

Immerhin gibt es für uns Verkehrs-Kontrahent:innen eine Lösung.  Die meisten von uns können nämlich mal die Rolle wechseln. Ein Radler fährt Auto, eine Autofahrerin fährt mit dem Rad. Und auf einmal ändern sich die Wirklichkeiten. Der autofahrende Radfahrer erschrickt, weil er beim Abbiegen beinahe selbst eine Radlerin umgefahren hätte. Die radfahrende Autofahrerin begreift auf einmal, wie beängstigend es ist, wenn ein Auto eng überholt oder vor ihr nach links abbiegt, weil der Fahrer glaubt, das reiche noch, während sie hektisch in die Bremsen fasst. 

Abgesehen davon könnten wir auch unsere Diskussionstechniken ändern, unsere Aufregung reduzieren, die Entrüstung runter fahren, nicht übertreiben, leise miteinander zu reden und vor allem zuhören mit der Absicht zu verstehen, wo das jeweilige Problem steckt. Und dann eine Lösung suchen. Oder? 

7 Kommentare:

  1. " Es reicht, wenn ich sage: "Ich bin mit dem Fahrrad gekommen." Und schon befinden wir uns in der Wutspirale von Anklagen gegen rücksichtslose Gehwegradler:innen und kriminelle Autofahrer:innen und werfen uns gegenseitig Rüpeleien vor. "
    Tatsächlich mache ich in Stuttgart solche Erfahrungen und sicherlich auch an vielen anderen Orten, an denen die Infrastruktur und der Geist der meiste Menschen untrennbar mit dem PKW verbunden scheint. Ja, ich bin sogar in solch einer Gegend aufgewachsen. Wenn man allerdings Zeit an Orten verbringt, an denn Radfahren und zu Fuß gehen ganz normale und alltäglich Mobilitätsformen sind, dann passiert so etwas kaum noch... Durfte ich zum Glück auch viele Jahre erleben und auch dort fuhren Menschen auch Auto aber es gab einfach keine solche starken Fronten. Der "Verteilungskampf" um Infrastruktur ist dort flächenmäßig fairer für alle verlaufen und es funktioniert. So lange es aber Städte wie Stuttgart gibt, die Mobilität im Jahr 2023 noch immer rein für den MIV denken, planen und umsetzen, so lange sehe ich keine Möglichkeit für ein gutes Miteinander (denn es wird ja gegen das Rad geplant, auch wenn so getan wird, als seien ein bisschen Farbe und ein paar Meter Radweg aus dem nichts Infrastruktur...) wenn immer die selben Gruppen benachteiligt werden. In anderen Bereichen der Gesellschaft fordert man ja auch nicht, dass Benachteiligte oder Diskriminiere (zB sozioökonomisch schlechter gestellte, Menschen mit Behinderung, BPOC etc) einfach Mal die Perspektive der Mehrheitsgesellschaft einnehmen sollen, um zu wissen, weshalb sie systematisch diskriminiert und benachteiligt werden. Dann geht's miteinander auch nicht besser...
    Ich verstehe den Ansatz der Kommunikation, finde ihn aber schwierig, wenn er helfen soll, strukturellen Benachteiligung zu beheben. Die Hoffnung bleibt!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das ist ja genau das, was dieser Kommentator der Zeitung beklagt, dass wir nur mit der Opferperspektive argumentieren. Ich gebe dir aber Recht, wir können nicht die Perspektive der Mächtigeren übernehmen, um zu sagen, ihre Macht solle nicht beschnitten werden. Ich bin ja eine Frau und seit den 80er Jahren zwangsläufig mit feministischen Perspektiven auf die Welt beschäftigt. Ein Radler hat mir mal erklärt, die Radfahrenden würden im Grunde so behandelt wie die Frauen, das System ist ein autotechnisches oder eben patriarchalisches, und er verstünde jetzt auch den Feminismus besser. Die Frage ist dennoch, wie wir miteinander reden und mit wieviel Zorn wir es tun oder wie schlau wir es tun. Als feministische Frau muss ich ja auch nicht jedes irgendwie krasses Fehlverhalten einer Frau gut finden, und ich mache mir als Radlerin schon auch Gedanken, dass manche Autofahrenden uns und unser Verhalten im Straßenverkehr überhaupt nicht verstehen, weil sei nie unsere Perspektive eingenommen haben. Sie erleben uns dann als fäusteschwingende Rüpel und fühlen sich dabei auch noch im Recht. Deshalb denke ich immer auch darüber nach, wie man den Mächtigen erklärt, wie giftig ihre Macht ist.

      Löschen
    2. Da kann ich natürlich zustimmen und gehe mit dem Vergleich absolut mit. Auch der Perspektivwechsel schadet zumindest nicht. Ich fahre aber "auch" manchmal Auto in Stuttgart und werde auch dabei regelmäßig bedrängt und genötigt, weil ich andere (meist auf dem Rad) nicht bedränge oder nötige. Je mehr ich mit dem Auto in Stuttgart unterwegs bin, desto weniger kann ich diejenigen verstehen, für die der Status Quo zementiert bleiben soll. Und noch weniger Hoffnung habe ich, dass sich hier etwas auf individueller Ebene lösen ließe... Das muss institutionell geschehen. Auch vergleichbar mit dem Handeln gegen die Klimakrise. Ich versuche auf individueller Ebene entsprechend zu handeln aber wenn staatlich nichts geschieht, werde ich aufgerieben im täglichen Klein Klein der Diskussionen mit Menschen, die eine andere Perspektive haben (aka Leugnung der Realität). Danke für deinen unermüdlichen Einsatz für die Verständigung. Ich hoffe, irgendwann bewegt sich was.

      Löschen
  2. Bietet der Blick nach Niederlande eigentlich eine Perspektive? Klar die Radfahrer sind dort zufriedener. Sind die Autofahrer umso unzufriedener? Oder ist dort das Autofahren auch angenehmer? Hat das Nachbarland also ein höheres Gesamtoptimum im Verkehr gefunden? Oder kommt der Vorteil der Radfahrer durch den Nachteil der Autofahrer zustande.? Ich werde die Bewertung nur am Stresslevel der Verkehrsteilnehmer ausmachen und gerne die CO2 Klimabilanz aussen vor lassen. Grüße Michael S.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich höre, dass die Autofahrenden in den Niederlanden durchaus Radfahrende nicht mögen, auch die Fußgänger:innen mögen RAdfahrende nicht. Aber man ist trotzdem irgendwie auch stolz auf die Fahrradkultur. Am 11. März wird es von mir einen Betrag dazu geben, wie sich das Radfahren in den Niederlanden für verschiedene Leute anfühlt, mit Blick auf eine konkrete Verkehrssituation.

      Löschen
    2. Die Niederlande haben es zwar geschafft, dem Radfahren und dem Gehen den entsprechenden Raum zu geben und die Innenstädte vom Autoverkehr zu befreien, aber sie haben es trotz dessen und eines landesweit (!) integrierten öffentlichen Verkehrs nicht erreicht, den Autobesitz zurückzudrängen, dieser nimmt sogar noch zu. Und die Zahlen der Autofahrten sowie der Nur-Auto-Fahrer sind nach wie vor hoch, die Verkehrsstaus auf Autobahnen etc. zu Stoßzeiten horrend.

      Für das grundlegende Verkehrsproblem an sich, wir fahren zu viel, zu weit, zu oft haben auch die Niederlande keinerlei Lösung und auch noch nicht mal ein Problembewusstsein. Man muss sich ja auch nur anschauen, wie vollgebaut das Land ist...

      Löschen
    3. Es scheint ja wirklich Spass zu machen in den Niederlanden Auto zu fahren ... ( Darf man hier so etwas schreiben? ). https://youtu.be/OObd6v6S7qg
      Oder:
      Not Just Bikes
      https://youtu.be/d8RRE2rDw4k

      Ich gewinne immer mehr den Eindruck, wie wollen uns in Deutschland selbst martern... Grüße Michael S.

      Löschen