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21. Juni 2024

Verkehrsversuche muss man machen. Und dabei die Nerven behalten.

Immer wieder versuchen Städte, einen mehr oder weniger kurzen Straßenabschnitt fürs Radfahren zu ertüchtigen oder sogar für Autos zu sperren und in deine Fußgänger- und Fahrradzone umzuwandeln. Die einen finden es toll, laut werden aber vor allem die aufs Auto Fixierten.  

Seit gut einem Monat ist die Augustenstraße in Stuttgart-West mit Durchfahrtssperren für Autos versehen und verkehrsberuhigt. Es gibt mehr Radabstellanlagen und an verschiedenen Stellen Parkletts, wo sich Menschen hinsetzen und aufhalten können. Dafür sind Parkplätze weggefallen. Allerdings nicht viele. Autofahrende kommen zwar noch überallhin in dieser Straße, die immer noch weitgehend zugeparkt ist, aber sie können nicht durchfahren, sie müssen an den Kreuzungen jeweils wieder abbiegen. Man nennt das Diagonalsperren. Radler:innen kommen durch.

Das Ganze ist monatelang in vielen Runden und Bürger:innengesprächen zusammen mit der interessierten Anwohnerschaft vorbereitet worden. Dennoch titelte die Stuttgarter Zeitung Ende April, die Stadt habe ein Kommunikationsproblem und führt Sorgen der Händler:innen an. Die Stadt hätte mehr unternehmen müssen, auch diejenigen zu erreichen, die sich im Vorfeld für die Gesprächsangebote nicht interessiert hatten. Und Mitte Mai berichtet sie, eine Erotik-Boutique ziehe aus, weil die Auswärtigen nicht mehr hinfänden und es keine Parkplätze gäbe. Als ob es vorher dort freie Parkplätze gegeben hätte. Anwohner:innen hätten ausgerechnet, das mehr als 100 Parkplätze verloren gegangen seien (wobei vermutlich auch die verbotenen Eckenflächen mitgezählt wurden). Aus dem Artikel geht allerdings hervor, dass die Boutique schon vor einem Jahr Probleme wegen steigender Energiekosten und drastischer Mieterhöhung hatte.

Derzeit findet in Crailsheim ein Verkehrsversuch statt. Die Bundesstraße durch den Ort ist von Mai bis zu den Sommerferien Fußgängerzone mit beschränktem Zugang für Autofahrende. Und schon rumort es und die Gegner:innen sammeln Unterschriften. Die einen sagen, sie stünden jetzt eine halbe Stunde im Autostau, die anderen, es kämen zwanzig Prozent weniger Leute in ihren Laden. Wieder andere genießen es, mit dem Rad besser durchzukommen oder sich an der Straße in ein Lokal oder auf eine Bank zu setzen und mit Leuten zu treffen. Der Versuch ist auf drei Monate angesetzt, in der Zeit will die Stadt gründlich Daten sammeln. Eigentlich aber reichen drei Monate nicht, damit sich Menschen wirklich umstellen und einen Stadtraum anders nutzen als bisher. Sie reichen auch nicht, um die Behauptungen des Handels zu entkräften, eine Fußgängerzone mit Radverkehr sorge für den Niedergang des Geschäfts. Erfahrungen aus anderen Städten zeigen nämlich, dass der Umsatz des Einzelhandels steigt, wenn die Autos draußen bleiben. 

Das Drama kennen wir von der Friedrichstraße in Berlin, die vom alten Senat auf fünfhundert Metern in eine Radstraße ohne Autoverkehr umgestaltet worden war und vom neuen Senat wieder in eine Autostraße zurückverwandelt wurde. Der Handel hatte massiv protestiert. Doch scheint es ein Mythos zu sein, dass die Radfahrstreifen für seine Schwierigkeiten verantwortlich waren. Ohnehin parken die meisten in den Seitenstraßen, gar nicht in der Friedrichstraße. Und die allermeisten kommen gar nicht mit dem Auto. Wie die taz darstellt, ging es dem Einzelhandel dort schon lange vorher nicht mehr gut. Und um die Friedrichstraße mit dem Publikum, das bereits vermehrt zu Fuß und mit dem Fahrrad kam, zu beleben, war die Zeit zu kurz. In der Phase der Fahrradstraße gab es bereits positive Effekte, der Autoverkehr nahm in den Seitenstraßen weniger zu, als erwartet und ging damit insgesamt in diesem Gebiet zurück, mehr Menschen kamen zu Fuß, vor allem eher Berliner:innen selber. So ist das in der Regel, wenn man dem Autoverkehr Straßen entzieht. Der Verkehr verpufft

Richtig schief gegangen ist die Sache in Dresden, obgleich der Eingriff harmloser war. Dort hat man Radstreifen auf der Elbebrücke Blaues Wunder eingerichtet. Der Autoverkehr verlor eine Fahrspur. Nach drei Wochen wurde der Versuch abgebrochen. Das Geschrei der Autofahrenden war zu groß. Dabei hatten die Autostaus kurz vor Abbruch bereits abgenommen, weil etliche Autofahrende begonnen hatten, sich anders zu orientieren. Für den Radverkehr gab es nur kurz die Chance, relativ stressfrei über die Brücke zu radeln, die an dieser Stelle auf viele Kilometer die einzige Möglichkeit ist, über die Elbe zu kommen. Deshalb hatte schon vor zwanzig Jahren  ein Dresdner Gemeinderat beschlossen, dass es hier Radstreifen geben müsse. 

Wer Verkehrsversuche zugunsten der aktiven Mobilität macht, muss entschlossen sein und dann die Nerven behalten. Zuerst wird das Autoverkehrschaos beschworen, dann gibt es erst einmal Chaos, dann wird es besser, und nach ein- bis zwei Jahren weiß man, dass es geklappt hat. Und auch der örtliche Handel will die Autos nicht zurück. Ganz im Gegenteil. 


7 Kommentare:

  1. "Man nennt das Dialogsperren."
    Zumindest soll es Diagonalsperren geben, die bei schlechter Kommunikation zur Dialogsperre mutieren ;-)
    Alfons Krückmann

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  2. Bei uns gab es auch so einen Verkehrsversuch. Man sperrte zwei "Durchfahrtsstrassen". Zu Anfang ein einziges Verkehrschaos, was vorzugsweise an den ganzen automobilen Anaphabeten lag, die einfach die Beschilderung nicht lesen konnten. Es musste nachgebeseert werden, weil die Sperrungen zum teil nicht beachtet wurden. Autos nutzten Radwege und Fußgängerquerungen für ein Durchkommen.
    Das einzige Problem in meinen Augen war aber die mangelnde Betrachtung der "Ausweichstrecken". Man hat Verkehr an zwei stellen verhindert, hat aber den ganzen umlaufenden verkehr nicht mitbetrachtet, also mit Ampelschaltungen, gescheiter, verständlicher Beschilderung, extra-Beschilderung für Parkhäuser, etc.
    Schlussendlich wurde der Verkehrsversuch als gescheitert beendet und für alle ist es wieder wie vorher.
    Statt den Versuch auszuwerten, wurde nur geschimpft und anschließend nichts ansgewertet. Wenn man einen Versuch macht, muss man anschließend eine Liste aufmachen, was war gut, was war schlecht, was könnte besser sein. Diese Methode scheinen aber nur Techniker zu kennen. Alle anderen rennen emotional irgendeiner Meinung hinterher und können nicht mal rational über etwas nachdenken. Also Emotionen raus, rational die Aufgabe angehen, Lösungswege ausdenken, Optimierungen vornehmen und dann das Ganze entsprechend kommunizieren und gemeinsam umsetzen.
    Dann sollte man doch einen Versuch mit anschließender Nachjustierung hinbekommen, mit dem (fast) alle leben können.
    Karin

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  3. superbock auf superblock.

    das funktioniert. keine weitere wissenschaftliche auswertung erforderlich.
    gesunder menschenverstand reicht.
    leider kann miv nur physische sperre. aber dann bekommt er die halt. (hätt's auch gern mit weniger pollern gehabt)

    karl g. fahr

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  4. Bei uns im Münchner Viertel Haidhausen wird es ab Juli für ein Jahr Testphase eine Fußgängerzone geben. Die Einwände und Bedenken im Vorfeld decken sich mit den hier beschriebenen. Wir haben uns im Vorfeld als Pro-Initiative zusammengetan, die der Politik explizit den Rücken stärkt damit nicht nur immer die Dagegen-Stimmen zu hören sind. Bin auf auf das Ergebnis nach einem Jahr gespannt: https://haidhausenfueralle.de/

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    1. Es ist auch immer die Art, wie man über solche Zonen spricht. Exkludierend und als Ausnahme: Fußgängerzone (bedeutet, Autos raus = negativ) oder "Maßnahme zur Förderung der Nachbarschaft" oder "Förderungsmaßnahme für den Einzelhandel". Das wäre positiver und es ist schwerer, dagegen zu protestieren.

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    2. Nennt man das nicht Framing? Erfunden und praktiziert von den öffentlich- rechtlichen Anstalten? Andreas

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    3. Andreas, das war auch mein allererster Gedanke! Da wird man mit Worten schon dort hin gelenkt, wie man denken soll :D

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