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7. Juli 2024

Vorfahrt oder nicht - was gilt auf Radwegen?

Wir radeln auf dem prominent geführten Radweg, von rechts kommt ein Radfahrer von irgendeiner Zufahrt. Wer hat Vorfahrt? 

Beispielsweise hier auf der König-Karlsbrücke: Die Rampe vom Wasen kommen immer wieder Radfahrende herauf, die meist nach links auf den Radweg der HRR1 auf der König-Karlsbrücke einbiegen wollen. Eigentlich gilt immer rechts vor links, wenn es nicht anders ausgeschildert ist. Auch dann, wenn der Radfahrer aus einem kleinen, unauffälligem Weg kommt. So hat zumindest das Landgericht Wuppertal 2015 geurteilt (LG Wuppertal, 6.11.2015, 9S218/15). In diesem Fall fuhr einer auf einem schönen Panoramaradweg und von rechts kam einer von rechts aus einem weniger gut ausgebauten Radweg, der auch noch Poller an der Einmündung hatte. Gilt das aber auch, wenn die Zufahrt mit einem Bordstein und zwei weißen Begrenzungs-Linien abgesetzt ist, wie auf der König-Karls-Brücke?

Die Radler:innen, die die Rampe vom Wasen hochkommen fahren nicht auf einem Radweg und sie queren einen Gehweg, bevor sie auf den Radweg auf der König-Karls-Brücke einbiegen können. Demzufolge gilt hier nicht rechts vor links, der Radweg hat Vorrang. Denn rechts vor links gilt nur bei gleichrangigen Wegen oder Straßen. Beim Autoverkehr gilt zum Beispiel keine Vorfahrt von rechts, wenn ein Autofahrer aus einem Feld- oder Waldweg kommt und auf eine Straße fahren will. 

Damit ist auch klar, wer Vorfahrt hat, wenn man mit dem Fahrrad aus der Tübinger Straße am Tagblattturm auf die Eberhardstraße fahren will. Gegenüber den Bussen von links haben wir nicht Vorrang, obgleich wir für deren Fahrer:innen von rechts kommen. Denn wir queren einen durch Bordsteine abgegrenzten sehr breiten Fußgängerbereich. Wir könnten das als Gehwegüberfahrt verstehen. Bordsteine quer zu uns, so könnte man meinen, sind quasi das Zeichen dafür, dass rechts vor links aufgehoben ist, weil es sich nicht um gleichrangige Verkehrswege handelt. Denn sobald man mit dem Auto beispielsweise aus einer Einfahrt kommt und über einen Gehweg mit abgesenktem Bordstein zur Straße fährt, gilt auch nicht rechts vor links. (Auf den Gehwegflächen, über die man fahren darf, haben übrigens die Fußgänger:innen Vorrang.) Aber so einfach ist es dann doch nicht. 

Denn andererseits werden zum Beispiel Einmündungen über eine Gehwegüberfahrt auf eine Fahrradstraße, die Vorfahrt hat, unmissverständlich mit Vorfahrt-achten-Schildern gekennzeichnet. Auf dem Foto von der Seitenstraße zur Fahrradstraße Möhringer Straße sieht man links oben die Ecke  ein Vorfahrt-Achten-Schild. Und diese Verkehrszeichen fehlen an der Ausfahrt der Tübinger Straße. Aber braucht es sie wirklich? 

Es gibt auch - zugegeben ziemlich alte - Kreuzungen im Heusteig- und Lehenviertel, die auf der ganzen Kreuzungfläche und zwischen den Gehwegen über die Einmündung hinweg ein angehobenes Pfaster haben. Aber Obacht: Das hat jedoch außerdem kleine Bordsteine zu den Gehwegecken. Das sind sogenannte Aufpflasterungen. Sie sollen den Fahrenden zeigen, dass hier vermehrt Fußgänger:innen queren und Achtung geboten ist. Fußgäner:innen haben aber nur Vorrang vor einbiegenden Fahrzeugen (wie immer), nicht vor dem Längsverkehr. So zumindest erklärt die Seite Kiel die Querungshilfen für Fußgänger:innen. 

Darum handelt es sich auch bei der Schein-Gehwegüberfahrt an der Einmündung der Zellerstraße auf die Liststraße (wo die Zacke quert). Autofahrende überfahren zwei Borsteine, aber Fußgänger:innen haben ebenfalls Bordsteine zu der Aufpflasterung und damit nicht Vorrang vor den Autofahrenden aus der Zellerstraße. Und in der Regel gehen aufmerksame Autofahrende (die in Blickrichtung dieses Fotos fahren) davon aus, dass der Autofahrer aus der Zellerstraße Vorrang hat, weil er von rechts kommt. 

Dann hätte man also doch rechts-vor-links-Vorrang  an der Ausfahrt der Tübinger Straße zum Rotebühlplatz/Eberhardstraße? Nein, meint Verkehrsrecht für Alle: Der abgesenkte Bordstein, also dieser 3-cm-Bordstein (hohe Bordsteine dürfen überhaupt nicht überfahren werden) setzt die üblichen Vorfahrtsregeln außer Kraft. Er weist daraufhin, dass an dieser Stelle Fußgänger:innen und Radfahrende Vortritt haben. Er wirkt wie ein Verkehrszeichen. Kommt man über eine solche Fläche mit einem oder zwei Bordsteinen, dann muss man dem Verkehr auf der vorbeiführenden Fahrbahn Vorfahrt gewähren. Auch wenn der zuständige Paragraph 10 der StVO genau dazu gar keine Aussage macht, sondern nur äußerste Vorsicht anmahnt und sich mit der Pflicht beschäftigt zu blinken.

Noch Komplizierter wird es für uns Radfahrende, wenn wir eigentlich gar nicht erkennen können, was für Wege das sind, die auf den Radweg zuführen, den wir gerade entlang radeln. Das ist beispielsweise am Neckartor so. Radeln wir stadtauswärts hinterm Innenministerium entlang (Blickrichtung auf dem Doppelfoto oben) zum ausgeschilderten reinen Radweg, der am Neckartor beginnt, dann kann uns hinter der Gebäudeecke unversehens ein Radfahrer vor das Vorderrad sausen, der die Fahrbahnen am Neckartor von der Neckarstraße kommend per Ampel auf den als Radweg ausgeschilderten Radstreifen überquert hat und nun auf die HRR1 fährt (Blickrichtung Doppelfoto unten). 

Er oder sie ist seit der Neckarstraße bis zum Bordstein zum Schlossgarten auf ausgeschilderten Radwegen (Radstreifen mit blauem Schild mit Radzeichen) unterwegs. Ab dem Bordstein gibt es keine Schilder mehr, aber auch keine Aufhebung des Radwegs. Ein reiner Radweg kann die Fläche jedoch nicht sein, denn hier sind ja auch Fußgänger:innen zwischen Schlossgarten und U-Bahn-Haltestelle unterwegs. Als gemischter Geh-Radweg ist die Fläche aber auch nicht ausgeschildert. Der Radfahrer weiß nicht, auf welcher Art von Infrastruktur er sich befindet. 

Wäre aber auch egal, weil der Radler, der auf der Hauptradroute 1 hinter dem Innenminsterium vor sich hin radelt, ohnehin nicht wissen kann, wie der Weg ausgeschildert ist, der am Neckartor von rechts auf seinen mündet. Die einheitliche Fläche deutet darauf hin, dass es sich um eine Kreuzung aus gleichrangigen Wegen handelt, also rechts vor links gilt. Interessant wird es, wenn es hier zu einem Zusammenstoß kommt und polizeilich geklärt werden muss, ob der Radfahrende vom Neckartor her sich als nachrangig hätte sehen und abwarten sollen oder nicht. 

Das rechts vor links gilt, kann man wiederum nicht annehmen, wenn man vom Leuze her den neuen Geradeausradweg zur König-Karls-Brücke radelt, der als reiner Radweg ausgeschildert ist. Wir sehen gestrichelte weiße Linien an den Einmündungen der Seitenwege (vom Leuze und vom Berger Steg), die als gemischter Geh- und Radweg ausgeschildert sind. Das kann ich nur so lesen, als hätten Radfahrende auf dem reinen Radweg Vorrang vor denen, die vom Mischverkehrsradweg kommen, als gälte also rechts vor links hier nicht. Dünne gestrichelte Linien sind allerdings nur Leitlinien, diese hier sind sogar Warnlinien (die weißen Striche sind kürzer), die die Fahrbahnbegrenzung anzeigen. Diese Linie darf überfahren werden. (Wäre sie durchgezogen, dann nicht. An der König-Karls-Brücke (Foto ganz oben) ist sie zum Beispiel durchgezogen. Also dürften wir da eigentlich gar nicht drüber radeln. Vorfahrt- oder Vorfahrtachten-Schilder, wie sie zuverlässig den Autoverkehr regeln, sehen wir hier nicht. (Eine abknickende Vorfahrt hat beispielsweise so eine gestrichelte Linie zur nachrangigen Straße von rechts und außerdem Verkehrszeichen.) Genauso sieht die Einmündung des Radwegs vom Berger Steg (Viererbild links unten) auf die HRR1 aus. Die gestrichelte Linie wirkt wie eine Haltelinie für die, die von rechts kommen, ist aber eine Begrenzungslinie. Verkehrszeichen fehlen. Aber einfach so vom Leuze auf die HRR 1 schießen (Vierbild rechts unten), wäre gefährlich, weil man überhaupt nicht sieht, was auf dem Radweg kommt, und man von dort auch nicht gesehen wird. 

So einfach zu deuten ist diese Situation auf Radwegen, was Vorfahrt von rechts aus den Seitenwegen bedeutet, also doch nicht. Da muss man Spezialist:in sein, was ich nicht bin. 

Wir kennen diese Warnlinien oder Fahrbahnbegrenzungslinien von Fahrspuren auf vielspurigen Fahrbahnen, an Kreuzungen oder über Kreuzungen hinweg. In der Regel haben Fahrzeuge, die zwischen zwei solchen Warnlinien (oder Fahrbahnbegrenzungen) fahren, Vorrang auf ihrer Spur. Wer auf sie oder über sie hinweg wechseln will, muss sie erst mal durchfahren lassen. Das ist auch das Prinzip der Fahrradweiche. So dürfen Autofahrende nicht einfach nach rechts ziehen, wenn sie rechts abbiegen wollen und dabei einen Radfahrstreifen überqueren müssen. Der Radfahrer hat Vorrang. Rückschlüsse auf die Bedeutung für Vorfahrt für rechts vor links oder nicht an der Leuzefahrradkeuzung, mag ich daraus aber nicht ziehen. 

Nun gut, vielleicht muss nicht alles eindeutig sein, denn es gilt im Fahrverkehr immer Vorsicht und Rücksicht auf andere und angepasste Geschwindigkeit. Damit zu rechnen, dass Radfahrende von rechts aus Seitenwegen kommen, ist immer gut, egal, ob sie Vorrang haben oder nicht. Zusammenstöße von Fahrrädern sind mit schmerzhaften Stürzen verbunden. Und das braucht niemand. Bei der Schuld- und Haftungsfrage ist es dann allerdings von Bedeutung, wer im Recht war und wer nicht. 


6 Kommentare:

  1. Schöne und informatve Zusammenstelleng - danke!
    Thomas

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  2. Was sich übrigens vor einigen Tagen geändert hat (StVO Novelle):
    zu Z.240 (gemeinsamer Rad- und Fußweg) erhält jetzt der Fußverkehr eindeutig Vorrecht gegenüber dem Radverkehr.
    "Dabei ist auf den Fußverkehr Rücksicht zu nehmen. Der Fußverkehr
    darf weder gefährdet noch behindert werden. Erforderlichenfalls ist die
    Geschwindigkeit an den Fußverkehr anzupassen“
    Vor dem Hintergrund dass der gesamte überregionale Radverkehr auf ein zweites Netz abseits der regulären Fahrbahn gemeinsam mit dem Fußverkehr (Z.240) 'abgeschoben' werden soll, ist das eine durchaus relevante Klärung.
    Gut für den Fußverkehr, aber natürlich ein weiterer Baustein zur Verringerung des Erreichbarkeitsradius für den Radverkehr.
    Interessanterweise gibt es keinerlei entsprechende hierarchische (also über den nicht hierarchischen §1 StVO "gegenseitige Rücksicht" hinausgehende) Rücksichtsvorschrift für den Autoverkehr in Bezug auf den Radverkehr im regulären gemeinsamen Fahrbahnverkehr.
    Wäre mal interessant zu erfahren, wie das die StVO-Macher begründen würden, wenn sie gefragt würden, wieso zwar (richtigerweise) die Fußgänger:innen besonderen Schutz vor Radfahrenden erhalten, die Radfahrenden aber nicht ebenso gegenüber dem Autoverkehr.
    Zur Rücksichtsnahme des Autoverkehrs gegenüber dem Fußverkehr auf Land- Kreis-und Gemeindestraßen ohne Nebenanlage findet sich - wie zu erwarten - ebenfalls kein einziges Wort, wohl aber natürlich zur Pflicht der Rücksichtnahme von (nicht gegenüber) spielenden Kindern beim Rollschuhfahren auf dafür explizit freigegebenen Strecken gegenüber dem 'Verkehr'.
    Alfons Krückmann

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    1. "Dabei ist auf den Fußverkehr Rücksicht zu nehmen. Der Fußverkehr
      darf weder gefährdet noch behindert werden. Erforderlichenfalls ist die
      Geschwindigkeit an den Fußverkehr anzupassen“
      Da müsste ich doch die Benutzungspflicht erledigt haben ... Stattdessen ein effizientes Mittel zur Radverkehrsbehinderung.
      Thomas

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    2. "sich" statt "ich"

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