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27. Oktober 2024

Der Straßenverkehr ist ein Kriminalitätsschwerpunkt

Bei seltenen Einzeltaten mit ideologischem Hintergrund reagiert die Politik schnell mit Gesetzesänderungen und Verboten. Bei häufigen Taten, bei denen andere verletzt werden oder zu Tode kommen, nicht. 

Im Straßenverkehr werden knapp 1000 Menschen pro Tag verletzt (4 bis 5 sterben), 80 Prozent davon durch Menschen, die Auto fahren. Aber niemand redet von einem "nationalen Notstand" und die Politik bringt keine Strafverschärfungen ins Gespräch und plant keine Gesetzesänderungen. Die Taten, die mit dem Auto begangen werden, werden von uns nicht einmal als kriminelle Handlungen wahrgenommen, obgleich sie sogar in der Statistik der Straftaten (also der Kriminalitätsstatistik) auftauchen. 

Der Straßenverkehr ist tatsächlich ein Kriminalitätsschwerpunkt. Jede vierte Verurteilung in Deutschland hat mit einer Straftat im Straßenverkehr zu tun. Und da sind die Ordnungswidrigkeiten noch gar nicht mit drin wie rasen, mangelnder Abstand oder falsches und gefährdendes Parken. In einer - nicht vorstellbaren - Welt ohne privaten Autoverkehr würden nicht nur Umwelt und Krankenhäuser, sondern auch die Justiz deutlich entlastet. Das schreibt die taz in einem Beitrag unter dem Titel "Mit aller Brutalität", der sich mit dem Strafbefehl gegen den Mann beschäftigt, der den Fahrradaktivisten Natenom mit seinem Auto umgebracht hat.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat gegen ihn einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung erwirkt. Strafbefehle werden zwischen Staatsanwaltschaft und Richter:in besprochen, wenn die Sachlage völlig eindeutig ist, so eindeutig, dass es keine Verhandlung braucht, aber auch wiederum nicht so schwerwiegend wie ein Kapitalverbrechen (vollendete oder versuchte Tötungsdelikte). Aber auch fahrlässige Tötung ist ein Verbrechen, auf das immerhin bis zu fünf Jahre Haft (wird nur selten verhängt) oder eine Geldstrafe stehen.  Der 78-jährige Fahrer soll 150 Tagessätze bezahlen, was einem halben Jahresgehalt entspricht (ab 90 Tagessätzen ist man vorbestraft), und zwei Monate seinen Führerschein hergeben. Dagegen hat der offensichtlich völlig uneinsichtige Fahrer Widerspruch eingelegt. Deshalb kommt es nun zu einer Verhandlung. Und ob er dabei so glimpflich wegkommt, wird sich zeigen. 

Diese Verhandlung eröffnet zudem - wie auch die taz bemerkt - die Chance, öffentlich über die Frage zu diskutieren, ob wir unachtsames Fahren mit dem Auto (bei dem dann jemand anders stirbt), für eine Kleinigkeit halten oder für das, was es ist: ein Gesetzesverstoß, also ein kriminelles Verhalten. Wahrscheinlich hat der Senior den Radfahrer nicht absichtlich töten wollen, aber er hat eine Entscheidung getroffen, die Radfahrende auf der Landstraße, auf der er fuhr, in Todesgefahr gebracht hat. Er hat sich entschlossen, nicht vorausschauend und seiner Sehfähigkeit angemessen zu fahren. Einen Radfahrer wie Natenom (mit Warnweste und ordentlicher Beleuchtung) kann man nicht "übersehen", wenn man nach vorne guckt, während man fährt. Und wir als Gesellschaft müssen uns schon fragen, wie lange wir Fahrer:innen noch aus der Verantwortung für ihre schweren, schnellen und tödlichen Fahrzeuge entlassen und von "tragischen", also unvermeidlichen Unfällen sprechen und schreiben wollen. 

Regelverstöße in Autos sind folgenschwerer als die, die Fußgänger:innen oder Radfahrende begehen. Deshalb brauchen wir jetzt hier auch nicht darüber diskutieren, dass Radfahrende "sich an keine Regeln halten". Während die modernen Autos ihre Fahrer:innen extrem gut vor  den Folgen von Crashs und Alleinunfällen (von der Straße abkommen, Überschlagen, in Schächte fallen) schützen, sind Radfahrende und Fußgänger:innen dem Autoverkehr schutzlos ausgeliefert. Ob sie unversehrt bleiben, hängt weit mehr davon ab, ob sich die Autofahrenden an die Regeln halten (was eine bewusste Entscheidung ist) und keine Fehler machen, als von der eigenen Vorsicht oder eigenen Schutzmaßnahmen wie Warnweste und Reflektoren. Mit dem Fahrrad kann man keine Mutter mit ihren beiden Kindern auf dem Gehweg totfahren oder vier Menschen gleichzeitig töten, mit dem Auto aber sehr wohl. Und auch, wenn meistens keine Absicht dahinter steckt, beispielsweise einen Radfahrer beim Abbiegen umzufahren, so ging dem für andere tödlichen Zusammenstoß stets eine falsche Entscheidung des Menschen voraus, der mit dem Auto gefahren ist. Er hat sich entschieden, nicht zu gucken, ob ein Radfahrer kommt, zu schnell zu fahren, aufs Gaspedal zu drücken, obgleich die Ampel gerade rot geworden ist, oder aufs Handy zu schauen und nicht auf die Verkehrszeichen, Ampeln und Zebrastreifen zu achten. 



13 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diese detaillierte und treffende Beschreibung der herrschenden Verhältnisse, wird mir Argumentationshilfe sein, wenn ich wieder hören muß: aber die Radfahrer…

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  2. Der Artikel der taz verbreitet wieder die Falschaussage, Radfahrer begingen mehr Verkehrsverstöße als Autofahrer.

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  3. passend dazu werden verantwortliche der klimabewegung regelmäßig als schwerverbrecher zu freiheitsstrafen verknackt.
    hätten sie mal traktoren mitgenommen.

    btw was macht eigentlich der kriminelle dieselmikromanager von vw? arbeitet der noch am verjährt oder ist er schon verhandlungsunfähig?

    karl g. fahr

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  4. Zwei kleine Irrtümer: Der Aribag wird nicht mehr hergestellt, die Firma hat aufgegeben, weil eine Kampagne gegen sie lief, die behauptete, die Airbags seien unsicher. Und: Kopfverletzungen sind nicht die häufigsten Verletzungen bei Radfahrenden, Knochenbüche sind wesentlich häufiger (und sehr schmerzhaft und langwierig: möchtest du nicht haben) und davor schützt weder Helm noch Airbag, davor, von einem abbiegenden Lkw-Fahrer überrollt und so getötet zu werden auch nicht. Mag sein, dass in Zukunft Autos effiziente Warnsysteme haben, aber jetzt haben sie sie nicht. Und jetzt ist jetzt.

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  5. Diese vorgeblich effizienten Warnsysteme werden nur dazu führen, dass Autofahrer noch weniger Acht geben: "Ich werde ja gewarnt, da kann ich ja jetzt schneller fahren."
    Man kann ein Problem nicht mit der Denkweise lösen, die es erst hervorgebracht hat.
    Und sollte es irgendwann eine Neuauflage des Hövding geben, auch das ist nur Abwälzen der Verantwortung.

    Ich bin es Leid, von Autofahrern bestenfalls immer nur solches Zeug zu hören (wie's schlimmstenfalls sich anhört kennen wir ja zum Erbrechen). Wo sind die Posts, die ein In-sich-Gehen, eine Übernahme von Verantwortung, eine echte Änderung der persönlichen Einstellung und des eigenen Verhaltens erkennen lassen ? Es gibt sie nicht!

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    1. Zur Erklärung, da das hier nun recht seltsam in der Luft hängt: der Kommentar auf den ich geantwortet habe ist moderiert worden (und ich dachte mir noch, dass er sehr nach dem Troll MTR klang).

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  6. Was ist die Konsequenz, wenn man das juristische Prinzip des Augenblickversagens abschaffen möchte? Ein Strafrecht wie in den USA, dass stark auf Rache aus ist und wenig auf Resozialisierung?

    Ich glaube, darüber sollte man noch mal nachdenken!

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    1. Ich denke, niemand hat hier gesagt, dass Menschen, die andere mit dem Auto töten, einer rächenden Justiz anheimfallen sollen. Wir sind aber immer wieder erschüttert, wenn ein schwerer Fehler des Fahrers beim Abbiegen den Tod einer eines Menschen zur Folge hat, dann aber nur eine Geldstrafe folgt. Gefängnisstrafen können ja bei bis zu zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt werden, wenn sie ausgesprochen werden. Das bedeutet für den Fahrer immerhin, dass er in diesen zwei Jahren nicht wieder durch ein Verkehrsdelikt auffallen darf, bei dem andere Menschen zu Schaden kommen. Ja, es stimmt, auch für die Fahrer:innen, die jemanden töten, kann das eine schwere lebenslängliche Belastung sein (meistens ist es das). Wir sollten uns auch überlegen, wie wir Autofahrende davor schützen, aus Leichtsinn andere zu töten, etwa durch konsequentere Ahndung von Verkehrsverstößen wie zu schnell fahren oder eben durch Tempo 30 in den Städten (was schon sehr viel helfen würde). Dazu gehört aber auch, dass man solche "Verkehrssünden" (wie man die gerne verniedlichend nennt) nicht mehr als "Kavaliersdelikt" abtut, sondern eben als Vergehen, über das wir nicht hinwegsehen wollen.

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    2. Wer will das "Prinzip des Augenblickversagens" wegen irgendeiner "Rache" abschaffen? Bitte hier keinen Strohmann aufbauen!
      Es kann allerdings nicht weiter so sein, dass dieses "Augenblicksversagen" insgesamt einfach so hingenommen wird. Diese "fahrlässigen" Körperverletzer und Totschläger sollen natürlich resozialisiert werden, wie alle anderen Straftäter auch. Dies kann aber nicht daraus bestehen, dass sie ein paar Tage später fröhlich weiterfahren dürfen und ein paar Tagessätze abdrücken müssen. Da muss insgesamt in unserem Verkehr(srecht) etwas geändert werden, dass diese "Augenblicksversagen" und ihre Folgen gemindert werden. Natürlich nicht, indem die Opfer noch mehr an der Teilnahme am Verkehr behindert werden, indem man sie in Sonder-Infrastrukturen einsperrt.

      Eine kleine Anmerkungen zum "Augenblicksversagen": Ich würde die teilweise sehr drangsalierenden und anderer Leute Gesundheit riskierenden Verhaltensweisen von (nicht allen, aber viel zu vielen) Autofahrern als durchaus risikobewusst, ihnen aber scheißegal qualifizieren. Dass dann trotzdem Vorsatz erst einmal nachgewiesen werden muss, ist natürlich rechtsstaatlich vollkommen richtig. Das viele Autofahrer deswegen nicht verurteilt werden können, sollte nicht zum Glauben führen, dass viele dieser Straftaten nicht mit billigender Inkaufnahme oder gar tatsächlichem Vorsatz stattgefunden haben, die nicht nachgewiesen werden konnte. Die Lage ist krimineller, als die Urteile das aussehen lassen.

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    3. ... Ich denke es geht nicht um eine Abschaffung irgendwelcher Prinzipien, sondern darum zu Prüfen ob es in anderen Situationen mit anderen "Waffen" das gleiche Prinzip zur Anwendung käme.
      Wenn ein Dachdecker ohne zu schauen Ziegel vom Dach wirft und dabei ein Fußgänger zu schaden kommt, denkt kaum einer an "kann ja mal passieren"
      Wenn ein Autofahrer vom Discounterparkplatz über den Fußweg und den Radweg bis zur Fahrbahnkante fährt und dabei ein Radfahrer zu Schaden kommt, wird darüber diskutiert ob der zu schnell war oder dass man ja mal was übersehen kann.
      Eigentlich: nein kann man nicht, und wir müssen aufhören so zu tun als wäre es eine Bagatelle bestimmte Vorschriften zu ignorieren, und gelegentlich damit Menschen zu verletzen oder zu töten.
      Beim Dachdecker, der nicht mit Fangnetzen sichergestellt hat, dass kein Ziegel auf den Gehweg fallen kann fängt die strafbare Handlung an bevor ein Schaden entstanden ist,
      Beim Autofahren gibt es nur Geschwindigkeitüberwachung und gelegentliche Abstandsmessung auf Autobahnen. Alles andere wird nur verfolgt wenn es zum Unfall gekommen ist. DAs ist der eigentliche Skandal

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    4. Ja.
      Solche Bagetellisierungen von tödlichen und/oder körperverletzenden Straftaten und den billigenden Inkaufnahmen von schwersten Schäden an anderen Menschen sind immer noch weit oben in den alltäglichen 'mindsets' der Mehrheitsgesellschaft.
      Bei solchen Delikten wie Vergewaltigung in der Ehe oder sexuellen Übergriffen war das ja auch lange der Fall. Im Hintergrund steht dabei stets ein asymmetrisches Machtverhältnis, und der Durchsetzungswille die eigenen ethisch vollkommen untragbaren Vorteile in Anspruch zu nehmen, egal wie sehr das anderen Menschen real oder potentiell schadet.
      Falls die Weltgesellschaft noch den Dreh hin zu einer Positiventwicklung bekommen sollte, wird das automobile Töten auf den Straßen nachfolgenden Generationen als ebenso bizarr erscheinen wie aus heutiger Perspektive die Hexenverbrennungen und öffentlichen Vierteilungen.
      Der automobile Verkehrsablauf ist im Kern auf der Stufe tödlicher menschenverachtender Barbarei, auch wenn es durchaus (zum Glück) einzelne Exemplare gibt, die ihr potentiell todbringendes Auto ethisch vernünftig betreiben. Das sind dann die, die zB auf Landstraßen aggressiv als 'Schleicher' angehupt und bedrängt werden, wenn sie bei tiefstehender Sonne die angemessenen <60 oder <50fahren oder bei uneinsichtigen kurvigen Abschnitten auch mal stark runterbremsen.
      Selbst wer auf T70 Strecken 'dreist' 70kmh fährt wird ja noch bedrängt und /oder gefährlich überholt, und zwar nicht von einigen wenigen, sondern von der sehr breiten Mehrheit.
      Ich hab auch im Bekanntenkreis schon erlebt, wie sich ansonsten recht vernünftige und friedfertige Menschen, kaum dass sie in ihrer Blechkiste sitzen, in Barbaren verwandeln, die eine gegebenenfalls resultierende Tötung dann nach außen hin, aber auch innerlich als 'Unfall' betrachten würden, und die womöglich noch von ihrer sozialen Umwelt erwarten entsprechend bedauert zu werden, da sie ja ein Trauma erlitten hätten, etc.
      Ein nicht geringer Teil dieser Jekyll and Hyde Problematik ist dabei der Autoindustrie zuzuschreiben, man denke etwa an die seit Jahrzehnten grassierende 'Mode' der Frontpartie von Autos ein möglichst aggressiv militaristisches 'Gesicht' zu verpassen, an immer mehr PS, immer mehr Masse und Ausdehnung der mit durchschnittlich ca.1,2 Personen besetzten Metallkolosse.
      Die Medienindustrie (das Auto im Film ...) tut ihr Übriges dazu.
      Was tun?
      Machtfragen werden nicht durch unterwürfiges kuschen positiv gewendet bzw. entschieden (zB Appelle zur 'gegenseitigen' Rücksichtnahme), sondern, durch deutliche Aufklärung und vor allem, so unangenehm das auch im Konkreten sein mag bzw. ist, durch entschiedenen Widerspruch, Skandalisierung und möglichst wirksamen Widerstand auf allen jeweils zugänglichen Ebenen.
      Alfons Krückmann

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    5. Ich und andere haben schon oft gesagt, dass im Straßenverkehr die hauptsächlichen Maßnahmen zur Risikominderung nicht angewendet, bzw sogar auf den Kopf gestellt werden. Und dass auch daher Folgen akzeptiert werden, die man in keinem anderen Lebensbereich tolerieren würde. Das Beispiel mit dem Dachdecker oben illustriert das perfekt. Derselbe Dachdecker, der peinlich drauf achtet, achten muss, dass keine Ziegel vom Dach fallen, fährt abends von der Baustelle mit dem Transporter heim und drangsaliert dabei völlig selbstverständlich ein paar Radfahrer, missachtet Geschwindigkeitsbegrenzungen etc. (Lieferwägen stehen in meiner persönlichen Rangliste der potentiellen Gefährder weit oben).

      Und daher kommt auch die ständige Täter-Opfer-Umkehr, das Insistieren auf nutzloser Schutzausrüstung ggü. Radfahrern etc. Ich könnte kotzen wenn ich die Zeitungsartikel zum Tod von Paul Varry und die nachfolgenden Demos lese, und habe auch schon an einige Medien geschrieben. Aber es fühlt sich an wie der Kampf gegen Windmühlen.

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  7. Danke für die interessanten Überlegungen.

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