Die Schule beginnt kommende Woche wieder in Baden-Württemberg. Und vielen Eltern stellt sich vermutlich die Frage: Wie kommen die Kinder so sicher wie möglich dorthin? Zu Fuß, auf dem eigenen Rad, im Lastenrad oder im Auto?
Deshalb gucke ich jetzt mal nach dem Risiko einzelner Verkehrsarten für Kinder in unserer Autowelt. Und eines vorneweg: Den meisten Eltern dürfte nicht klar sein, dass es für ihre Kinder am gefährlichsten ist, wenn sie mit dem Auto zur Schule gefahren werden. Sie vermuten eher, das es andere Autos (und deren Fahrer:innen) sind, die für ihre Kinder gefährlich werden, wenn sie sich draußen allein zu Fuß oder auf Fahrrädern bewegen. Das ist aber nicht so. Die Wahrscheinlichkeit im Auto zu verunglücken ist für Kinder am höchsten.
Nach einer Statistik des Statistischen Bundesamts werden in ganz Deutschland im Jahr gut 28.000 Kinder im Autoverkehr verletzt. Das ist bei gut 10 Millionen Kindern unter 14 Jahren eine Wahrscheinlichkeit von 0,25 Prozent. Die Polizeistatistik nennt für das Jahr 2024 in Stuttgart 84 im Straßenverkehr verletzte Kinder. Das sind bei 94.000 Schulkindern 0,09 Prozent. 53 Kinder wurden 2024 in ganz Deutschland durch Autofahrende getötet, 9 mehr als im Vorjahr. Die meisten Verkehrsunfälle mit Kindern geschehen auf dem Schulweg. Von den Verletzten (und Getöteten) saßen 35 Prozent im Auto, bei den unter 6-Jährigen waren es 53 Prozent. 33 Prozent saßen auf dem Fahrrad und 21 Prozent gingen zu Fuß, als sie von Autofahrenden angefahren wurden.
Wieviele Kinder sitzen aber nun in Autos oder fahren Fahrrad? Man könnte ja meinen, die meisten Kinder würden von Elterntaxis zur Schule gebracht, weshalb auch mehr in Autos verletzt werden.
Tatsächlich werden nicht die meisten Kinder von ihren Eltern im Auto zur Schule gefahren. Laut einer Meldung der Tagesschau vom vergangenen Jahr werden 25 Prozent der Kinder von ihren Eltern mindestens drei Mal in der Woche im Auto zur Schule gebracht. Der TÜV-Verband hat 2024 erfragt, wie die Kinder in Deutschland zu Schule kommen.
Demnach nutzen Kinder zu 45 Prozent öffentliche Verkehrsmittel und Schulbusse (vor allem im ländlichen Raum), was bedeutet, dass sie teilweise auch zu Fuß unterwegs sind, 38 Prozent gehen den ganzen Weg zu Fuß und 30 Prozent fahren mit dem Fahrrad, in größeren Städten sind es sogar 42 Prozent. In der Umfrage kam heraus, dass nur 13 Prozent der Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. (Da Autos so viel Platz brauchen, können aber schon 70 Elterntaxis vor einer Grundschule zu verstopften Straßen und Chaos führen und stellen dabei eine Gefahr für alle Kinder dar, die zu Fuß oder mit Fahrrädern kommen.) Diese Zahlen relativieren die Unfallzahlen bezogen auf die Verkehrsart deutlich. Im Auto werden unverhältnismäßig mehr Kinder verletzt als auf Fahrrädern oder zu Fuß. Wobei angemerkt sei, dass Kinder auch aus anderen Gründen in Autos sitzen, etwa bei Fahrten in den Urlaub. Andererseits werden auch Kinder zu Fuß oder auf Fahrrädern auf der Straße angefahren (und getötet), die sich gerade nicht auf dem Schulweg befinden.
Zu Fuß zur Schule zu gehen, scheint am sichersten zu sein, allerdings finde ich den Unterschied zum Radfahren nicht signifikant. Es handelt sich um Ungterschiede im Promille-Bereich. Selbstverständlich ist jeder Zusammenstoß, bei dem Kinder verletzt (oder gar getötet) werden, einer zu viel. Eindeutig ist: Würde weniger Auto gefahren (und viel langsamer) würden weniger Kinder Opfer des Autoverkehrs.
Nicht gesondert in den Statistiken erfasst ist der Transport der Kinder im Lastenfahrrad oder auf dem Longtail. Auch wenn man in einer Stadt wie Stuttgart viele Lastenrad-Elterntaxis sieht, ist das immer noch eine eher seltene und wohl auf Großstädte beschränkte Eigenart der Schulwegbewältigung, überdies nur für kleinere Kinder. Auch wenn die Medien das Lastenfahrrad gerne als besonders gefährlich stilisieren, finde ich kaum Meldungen von Crashs von Autos mit Lasenrädern. Und man kann davon ausgehen, dass jeder Crash mit einem Lastenrad, das Kinder transportiert, medial beachtet wird (wie zum Beispiel in dieser Spiegelmeldung.)
Den Schulweg muss man allerdings üben. Kinder sind nicht sogleich der Komplexität unseres Straßenverkehrs gewachsen. Sie sind Kinder. Dennoch müssen sie sich in einer Verkehrswelt bewegen lernen, die nicht sonderlich viel Rücksicht auf sie nimmt. Kinder sehen nicht so viel wie Erwachsene, sie sehen vor allem das, was vor ihnen ist. Erst so ab acht Jahren können Kinder beim Radfahren auch mal in eine andre Richtung gucken (ohne gleich dorthin zu lenken). Sie können also erst dann eine Gefahr von der Seite erkennen. Deshalb müssen Kinder, die bis 8 auf dem Gehweg radeln, auch an jeder Querstraße anhalten, bevor sie sie überqueren. Das gibt ihnen Zeit zum Gucken. Mit neun Jahren entwickeln Kinder die Fähigkeit, Entfernungen und Geschwindigkeiten einigermaßen realistisch einzuschätzen, vor allem die Entfernung und Geschwindigkeit von Autos. Erst dann wissen wie, ob ihnen Zeit bliebt, eine Fahrbahn zu überqueren (weshalb Ampeln und Zebrastreifen auf Schulwegen wichtig sind).
![]() |
Schulweg Vogelsangstraße, zugeparkt |
Der ADFC gibt Tipps für Eltern, die ihre Kinder Rad fahren lassen wollen. Und die Stadt Stuttgart bietet Schulwegpläne für Kinder zu Fuß und für Radschulewegläne auch für Cannstatt, Vaihingen und Weilimdorf an. Initiativen wie die Kidical Mass machen Schulwegchecks und überprüfen diese Routen regelmäßig auf Gefahrenstellen (hauptsächlich durch falsch geparkte Autos, siehe Foto 2) und sprechen die Stadt unermüdlich auf Verbesserungen an.
Es ist für Kinder also nicht ungefährlicher, vor allem aber überhaupt nicht hilfreich, sondern eher schädlich, wenn Eltern sie mit dem Auto zur Schule fahren. Sie werden müde ins Auto gesetzt, im Tran zur Schule gefahren und müde in die Klassenzimmer entlassen, wo sie auch nicht so richtig aufwachen. Sie sehen praktisch nichts von der Welt, in der sie leben. Das zeigen Zeichnungen in der Sammlung von Marco Hüttenmoser von Kindern, die zu Fuß gehen (links) und solchen, die im Auto chauffiert werden (rechts). Sie übernehmen nie Verantwortung für sich selbst, treffen keine eigenen Entscheidungen und gewinnen nicht an Sicherheit im Straßenverkehr. Auf dem Schulweg erleben Kinder, die zu Fuß gehen oder Rad fahren, zudem eine paar Minuten der Freiheit und Unabhängigkeit von der permanenten Direktive der Eltern. Sie lernen, die Verantwortung für ihre Entscheidungen selber zu übernehmen. Und wenn sie ihn - was meist so ist - mit anderen Kindern zurücklegen, entwickeln sie ihre sozialen und kommunikativen Fähigkeiten. Sie können eigene Erfahrungen machen, auch mal schlechte, was ihre Selbsteinschätzung stärkt.
Mit 4/5Jahren bin ich allein 700 m zum Kindergarten gegangen oder geradelt.
AntwortenLöschenMit 6 2,5 km zur Grundschule, sommers geradelt, winters gegangen. Dann 6 km ins Gymnasium (da haben wir winters den Bus genommen).
Gut, das ist bald 40-50 Jahre her. Aber alle meine Kameradinnen und Kameraden machten es genauso. Man hätte sich geschämt, mit dem Auto geholt zu werden!
Aber das kann der Kapitalismus, Angst einjagen, abhängig machen!
Weg damit!
"Das übt man mit ihnen auf autofreien Verkehrsflächen. "
AntwortenLöschenJa stimmt, das Problem ist mittlerweile nur, dass - vor allem in Quartieren von finanziell Benachteiligten - kaum noch Flächen vorhanden sind wo denn mal ohne Autoverkehr das Radfahren (oder Rollschuh/Inliner fahren, Fußballspielen, oder oder oder ...) geübt werden kann.
Der längst aus dem Ruder gelaufenen Autoverkehr metastasiert multimillionenfach hinein in die letzten städtischen Freiluftflächen der finanziell benachteiligten Kinder und Heranwachsenden, macht das 'draußen' zu einem feindlichen Ort, vor dem die Kinder notdürftig mit Dreifachverglasung, eingezäunten anregungsarm stereotypen 'Spielplätzen', mit Pollern , Warnwesten und 'Verkehrserziehungsmaßnahmen' 'geschützt' werden müssen.
'Autogerechte Zurichtung' wäre der passende Begriff.
Hinzu kommt noch, dass vermehrt 'gemeinsame Geh/Radwege' mit immer mehr schnellem motorisiertem Radverkehr selbst auf Parkwegen ausgewiesen werden, wo dann selbst dort nicht mehr gefahrlos geübt und gespielt werden kann.
Es wird Zeit Kinderrechte nicht nur zu postulieren, sondern praktisch ernst zu nehmen. Das Recht auf gefährdungsfreien Freiluftaufenthalt und gefährdungsfreien Bewegungsraum im direkten Nahbereich von Wohnen, Schulen und Nachbarschaften gehört definitiv dazu, auch und gerade in den finanziell benachteiligten Quartieren.
Alfons Krückmann
Das sehe ich auch so. Anderseits dürfen Kinder mit ihren Fahrrädern ja wirklich auch in jedem Park fahren, selbst in denen das Radfahren verboten ist. Klar ist es schwierig, Plätze zu finden und das hält auch viele davon ab, überhaupt ans Radfahrend bei ihren Kindern zu denken. Möglich ist es jedoch schon, wenn man will. Ich gebe dir aber Recht, es wird gerade in den finanziell schwächeren Stadtteilen, wo man für die Anwohner:innen auch kam was tut, schwierig.
Löschenrechts oben steht 17.7. - nicht 17.9.
AntwortenLöschen