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25. August 2021

Wenn Ehepaare zusammen Rad fahren

Es ist natürlich nicht immer so, aber es ist oft so, dass der Mann vorneweg radelt und die Frau hinterher. 

Manchmal habe ich den Eindruck, die klassische Rollenverteilung funktioniert beim Radfahren wie selbstverständlich: Er fährt voraus, sondiert und bestimmt den Weg, macht die Bahn frei, sie vertraut sich ihm an und folgt ihm. Das birgt aber durchaus Gefahren, und zwar für die Frau. Dieses Arrangement enthält zudem jede Menge Frustpotential für alle beide, für ihn und für sie. 

Nachdem ich viel zu zweit geradelt bin und auch viele Situationen beobachtet habe, meine ich, es lohnt sich mal, ganz unaufgeregt darüber nachzudenken, welche psychologischen und zwischenmenschlichen Prozesse uns dabei in die Quere kommen. Es geht nicht darum, jemandem Vorwürfe zu machen, und meine Verallgemeinerungen passen natürlich nicht auf alle radelnden Paare. Das sei hier noch mal klargestellt. 

Die kritischste Situation ist die, wenn beide an eine gut befahrene Querstraße kommen, über die sie hinüber wollen.

Er fährt vorne und schätzt den Verkehr ab, sieht schon im Heranrollen die Lücke im Autoverkehr, tritt in die Pedale und fährt rüber. Sie kommt an, würde ihm gerne folgen, tritt schon an, erkennt aber: Das reicht für mich nicht mehr!, greift in die Bremsen, stoppt, springt womöglich noch mit beiden Füßen auf den Boden, um die Vollbremsung abzufangen, und wäre beinahe gestürzt, während das Auto an ihrem Vorderrad vorbeirast. Hui, das war knapp, Schreck lass nach! Da steht sie nun, muss sich sortieren, wieder aufsteigen und auf ihre Lücke im Verkehr warten. Die muss etwas größer sein, weil sie ja aus dem Stand antreten muss. Währenddessen steht er auf der anderen Seite und guckt spazieren und ist etwas genervt, weil er wieder mal auf seine Frau warten muss. Ob ihm wohl klar ist, dass er beinahe seine Frau verloren hätte (oder nun im Krankenhaus besuchen müsste?). Das wäre einmal fast passiert, als der Mann bei Radlerampel-Rot am Rosensteinbunker aus Ungeduld über die Straße fuhr und sie ihm folgte. Dabei wäre sie beinahe von einer Straßenbahn überfahren worden, auch weil es ihr enorm schwer fiel, zu bremsen, so dringend wollte sie ihrem Mann hinterher. 

Hier wirken zwei gefährliche psychologische Mechanismen, die auch mit dem Selbstbild zu tun haben (und die - ich sage es noch mal - natürlich nicht für alle zutreffen). Der radelnde Mann, der anführt und den Weg erkämpft, will sich nicht Zögerlichkeit im Straßenverkehr oder gar ängstliches Abwarten nachsagen lassen und nutzt darum die erstbeste Lücke im Querverkehr, im Rollen tritt an, und radelt rüber. Schließlich ist Anhalten und wieder antreten kräftezehrend. Er denkt jetzt gerade nur an sein eigenes schnelles Vorankommen. An seine Frau, die hinter ihm fährt, denkt er nicht. Er hält sie auch zu Recht für selbstverantwortlich. Sie dagegen ist froh, dass er sich um alles kümmert und entscheidet, wo es lang geht, und treppelt ihm entspannten Sinnes hinterher. Eigentlich möchte sie, dass er an der Querstraße auch die richtige Entscheidung für sie trifft, wird aber jäh aus dem Tran gerissen, weil sie erkennt, sie wäre tot, wenn sie jetzt nicht selber entscheidet und anhält. Dabei hat sie ihm bis eben vertraut. Sie ist wütend und erschrocken. Er ist aber auch verärgert, wieso soll er für sie denken, sie ist doch eine erwachsene Person. Und schon herrscht schlechte Stimmung. 

Wer routinemäßig Radlergruppen anführt, hat sich durch den Kopf gehen lassen oder gelernt, wie man dafür sorgt, dass alle beisammen bleiben und hinter einem niemand in Gefahr gerät. Radelnde Paare machen sich das in der Regel nicht bewusst. Ein Familienvater, der hinter sich die Kinder und am Schluss die Mutter weiß, fährt sicher langsam, guckt sich nach den Kindern um und fährt so, dass sie nicht alleine an einer Straße übrig bleiben, während er schon drüber ist.  Er hält an und wartet, bis alle da sind und sagt dann auch an: "Nach dem fahren wir alle rüber", sodass man gemeinsam antritt. Dabei kann man dann auch nebeneinander rüber fahren. 

Im Grunde muss bei Paar-Fahrten der Voranfahrende über Querstraßen mit Autoverkehr so fahren, als sei sein/ihr Fahrrad sechs Meter lang, damit das zweite Fahrrad auch noch ungefährdet rüber kommt. Vorher langsam machen und sich nach der Begleitung umschauen wäre gut. Bei Gruppenfahrten empfiehlt sich anhalten und alle auf die Gefahr aufmerksam machen. 

Mut-Vorausfahrten und Notbremsungen der Nachfolgenden habe ich auch beim Einbiegen aus einer Nebenstraße in eine Landstraße erlebt. Der Mann radelt schon und wird von Autos röhrend überholt, sie steht noch erschrocken an der Einbiegung und lässt erst einmal die Autos vorbei. Und da sind wir schon bei einer weiteren Situation, die für beide frustrierend ist.

Wenn das Paar Normalräder fährt, dann ist meistens der Mann der stärkere Radler und am Berg schneller als sie. Auch weil er unter Umständen mehr Ehrgeiz entwickelt, den Berg hochzufahren. Manchmal hat sie auch weniger Fahrpraxis oder keine Lust auf sportliche Herausforderungen. Er fährt mit dem Gedanken hoch, ein bisschen könne sie sich doch auch anstrengen. Sie keucht ihm hinterher mit dem Gedanken, er nimmt überhaupt keine Rücksicht auf mich. Der Abstand wird größer, der Frust beider auch. Sie sieht ihn oben warten, er wirkt entspannt oder (noch schlimmer) signalisiert Ungeduld. Egal, wenn sie nämlich ankommt, hatte er genug Pause gehabt und will weiter, während sie jetzt gerne Pause machen würde, um zu Atem zu kommen. Das ist jetzt nicht irgendwie gefährlich, aber es macht schlechte Stimmung. Ich habe übrigens auch schon die schiere Verzweiflung beim radelnden Mann beobachtet, als sie schon wieder stehen blieb, um nach einer Jacke zu krusteln, und ihn sagen gehört: "Können wir nicht einfach mal eine halbe Stunde am Stück radeln?" Und bei anderer Gelegenheit den verzweifelten Ruf von ihr: "Jetzt warte doch mal!" Unterschiedliche Geschwindigkeiten und Radfahrkonzepte sind eine reiche Quelle von Frustrationen. 

Paarkonflikte brechen gern in Sondersituationen aus, bei Anstrengungen und Ausflügen, wenn die Vorstellungen von dem, was man unternimmt, unterschiedlich sind. Er (manchmal auch sie) will sich sportlich herausfordern, sie (manchmal auch er) will nicht ins Schwitzen kommen, sondern die Fahrt genießen und was sehen, auch mal anhalten. Frust! Er fühlt sich von ihr behindert und ausgebremst, sie von ihm missachtet und im Stich gelassen. Streit! Und dann macht man entweder nie wieder einen gemeinsamen Radausflug oder man findet eine Möglichkeit, das in Ruhe zu besprechen und Kompromisse zu machen. Der Mann könnte weniger zeigen, dass er wunderbar und schnell Rad fahren kann und jeden Berg hochkommt, sie könnte weniger das Frauchen spielen, das permanente Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit erwartet. In vielen Fällen klappt das ja, aber ich sehe auch viele, wo es nicht so richtig klappt. 

Im Grunde und hart für den Mann (oder die stärkere Radlerin) gilt immer die Regel, dass der Langsamste das Tempo bestimmt. Hetzt man beim Bergsteigen oder Radeln die Schwächeren zu höherem Tempo, dann steigt das Unfallrisiko mit der körperlichen Erschöpfung und dem Stresspegel, mitzukommen. Ein Paarausflug mit Fahrrädern ist auch kein Wettrennen mit Sieger und Verliererin. Aber man kann sich durchaus auch mal für eine Strecke entkoppeln. Die Frau kann ihrem Partner am Berg sagen: "Fahr los und warte oben, ich komm dann schon!" Und oben steigt er dann nicht gleich auf, wenn sie ankommt, sondern lächelt und lässt ihr auch die kleine Erholungspause, die er hatte. Und schon sind beide zufrieden. Richtig angenehm ist es für die Frau, wenn sie sich bergauf an sein Hinterrad hängen kann und er mit ihr spricht, um sie von der Anstrengung abzulenken. Dann hat sie das Gefühl, dass er auf sie achtet. Es ist nämlich tendenziell so, dass Frauen gemeinsame Unternehmungen als Gemeinschaftserlebnis mit kommunikativem Charakter sehen, während Männer vielleicht eher die sportliche Herausforderung suchen. Sie kann ihn auch mal fahren lassen und nicht ständig Aufmerksamkeit wollen, er kann sich ab und zu nach ihr umschauen und ihrem Tempo anpassen. Wenn beide jeweils für sich darüber nachdenken, was sie von der Radtour erwarten und das dann auch freundlich sagen können, hilft es, einen Kompromiss auszuhandeln. Wenn ein Teil sich aber auspowern und der andere Teil gemütliches Sightseeing machen will, dann passt das nicht, dann muss man es lassen.  

Auch die Fahrräder müssen zusammenpassen. Ich sehe ganz viele Paare auf ihren ähnlichen Pedelecs mit hohem Lenker aufrecht sitzend (in ähnlicher Bekleidung) gemütlich durch die Gegend radeln. Meist sind es ältere Paare. Die haben ihren Modus gefunden und sich auch optisch aneinander angeglichen. 

Ich sehe aber auch oft, dass im Familien- oder Paartross die Frau das schlechtere Fahrrad fährt. Er hat ein Rennrad, sie ist aufs ältere Damenrad mit Gepäckträgerkorb gestiegen (mit dem sie sonst einkaufen radelt), in den sie auch noch Jacken und Getränke und Handtasche gepackt hat, weil sein Fahrrad gar keinen Gepäckträger hat. Ihr Fahrrad ist schwerer, die Kette knirscht, seine Kettenschaltung schnurrt gut geölt. Kein Wunder, dass sie nicht so viel Spaß hat wie er. Dann kauft der Mann seiner Frau ein Pedelec, damit sie besser mitkommt bei den Radtouren. Allerdings radelt sie ihm jetzt am Berg davon und nun hat er auf einmal weniger Spaß. 

Auf dem Foto rechts sieht man zwei Pedelec-Radler:innen im schwäbischem Allgäu, der Mann vorneweg, die Frau hinterher, sehr einmütig, er mit Rückspiegel. Ich saß auf dem Beifahrersitz eines Autos. Der Mann winkte und machte Zeichen, dass wir im Auto  überholen können, doch als der Fahrer zum Überholen ansetzte, sahen wir, dass ein Wohnwagengespann hinter der Kurve auftauchte, zum Überholen hätte das nie gereicht. Eine sehr rätselhafte Aktion des Radfahrers. 

Auch mit ähnlich guten Rädern ist der Fahrstil oft unterschiedlich. Da habe ich schon viel gesehen: Er nimmt die Fahrbahn, sie bleibt auf dem Gehweg. Er biegt von der Landstraße links ab in einen Feldweg, sie hält am Straßenrand an und will erst mal gucken, ob frei ist. Er fährt bei Rot, sie wartet lieber. Er lässt bergab die Bremsen los und schwimmt bei Tempo 40 oder 50 im Verkehr mit, sie bremst sich ängstlich runter und wird hupend überholt. Er bremst plötzlich stark ab, sie fährt ihm ins Hinterrad und ist erschrocken. Sie biegt ohne Handzeichen ab, und er ist überrascht und kriegt die Kurve nicht, und so weiter. Auch über Verkehrsregeln kann man sich wunderbar streiten (vor allem wenn man mit besserwisserischen Frauen wie mir radelt, die fast alle Regeln kennen und auch einhalten wollen, selber aber gerne das Abenteuer des Pfadfindertums mit Regelverletzung sucht). Hält man sich dran oder sucht man für sich den schnellsten Weg und schlängelt sich über all durch? Und der oder die jeweils andere, hechelt fluchend hinterher, hätte aber lieber den legalen Weg genommen. Und während die eine sich mit einem Autofahrer herumstreitet, der irgendwas falsch gemacht hat, ist dem anderen das peinlich und er möchte lieber weiter. Auch hier gilt: Wer die riskante Fahrweise liebt, muss sich dem oder derjenigen anpassen, der/die lieber vorsichtig und regelkonform radelt. 

Anderseits aber gleichen sich Paare auch gerne auf frappierende Weise einander an und fahren dann mit wuchtigen Pedelecs einträchtig durch eine Fußgängerzone oder schlängeln sich einmütig über Gehwegecken oder Fußgängerfurten durch Z-Übergänge, weil sie nicht auf Grün an der Fahrrad- oder Autoampel warten wollen, bimmeln auf freigebenen Gehwegen die Fußgänger:innen beiseite und halten unvermutet mitten auf dem Radweg an. 

Natürlich radeln auch ganz viele Paare konfliktfrei ihre Radtouren vorausschauend, berechenbar und ohne unnötige Risiken einzugehen und haben beide Spaß. Ich wollte hier nur mal wieder über etwas nachdenken, worüber man meistens nicht nachdenkt. 

2 Kommentare:

  1. Jörg
    im Auto sitzen wir nebeneinander. Eine(r) hat das Steuer in der Hand und der/die andere sagt was er/sie sieht (Fußgänger, da kommt einer, ...). Entscheiden tut die Person am Steuer.
    Auf dem Fahrrad klappt das mit dem Nebeneinander nur bedingt. Der Radsport hat mich gelehrt dicht an dicht zu fahren. Leichte Berührungen auch bei 30+ sind OK. Das mögen nicht alle. Es gibt noch im Radsport andere Sätze wie, jeder steuert sein eigenes Rad. Wie in Holland gilt in der Gruppe nur seichte Manöver (Bremsen, Lenken, Beschleunigen), es werden Zeichen gegeben.
    Wenn man wegen der doofen Rechtslage nun hintereinander fährt ist die Formation schon aufgelöst. Jeder guckt für sich an Kreuzungen. Zeichen geben und rufen "frei" ist erlaubt, jedes Fahrradlenky ist für sich selbst verantwortlich. Gewartet wird an ungefährlichen Stellen kurz nach der Kreuzung. Den hintern wird an den Wartestellen die Chance gegeben etwas zu sagen. Der Klassiker losfahren wenn der letzte ankommt aber noch einen kleinen Abstand hat ist gar nicht nett. Jede Kommunikation wird so unterbunden.
    Ob man Anstiege "frei gibt" jeder fährt so schnell er mag bis zum Treffpunkt oben, sollte einfach absprechen. Kinder und Männer sollen sich ja mal austoben können. Alternativ kann die Person mit Pedelec schieben oder ziehen.

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  2. Wenn ich mit anderen fahre (also nicht nur mit meiner Frau), dann fahre ich am liebsten Nebeneinander. Das vereinfacht die Kommunikation.

    Nun lebe ich in einer Kleinstadt und fahre vor allem auf dem Land. Da kann man durchaus auch längere Strecken auf der Landstraße nebeneinander bleiben. Und dann fahre ich links, weil mein Rad auch über einen Rückspiegel verfügt und ich so sehe, wann ich mich besser zurückfallen lassen muss.

    Ich kenne sie aber auch, gerade die älteren Ehepaare, bei denen der Mann mit Pedelec und hochrotem Kopf im Turbomodus vorandüst, während die Frau aller Anstrengung zum Trotz kaum hinterherkommt.

    Ich finde das einfach nur peinlich und würde mich schämen, offenbart es doch dieses eklige patriarchalische Selbstverständnis, das vielleicht noch ins Dritte Reich, nicht mehr aber in die Neuzeit passt.

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