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9. Februar 2022

Mehr Radler- und Fußgängerrechte in GB

London, GoogleMaps
In Großbritannien schlagen die Wellen hoch. Denn es gibt neue Verkehrsregeln, einen neuen Highway-Code. Der verschafft Radfahrenden und Fußgänger:innen mehr Rechte im Straßenverkehr. 

Wir haben im Vorfeld von einer Umkehr der Hierarchie gelesen: zuerst Fußgänger, dann Radfahrer, dann Reiter, dann Autos. Die rechte Presse schäumt vor Wut und vermutet einen Freibrief für Radfahrende und Fußgänger:innen, sich kreuz und quer auf Fahrbahnen zu bewegen, während Autofahrende nun für jeden Unfall verantwortlich gemacht werden. Radfahrer:innen werden mitten auf der Straße fahren und das auch noch nebeneinander. Radwege werde niemand mehr benutzen. 

Stimmt so nicht, ist - wie immer, wenn eine Autogesellschaft Privilegien in Frage gestellt sieht - maßlos übertrieben. Und für uns in Deutschland wären die neuen Regeln ohnehin nicht die ganz große Revolution. Bei uns gilt vieles schon. Eine Umkehr der Hierarchie ist beileibe nicht, wenn man sich die Neuerungen im Einzelnen anschaut, die der Guardian darstellt und einordnet. 

Sich Sicherheitsraum nehmen ist erlaubt.

Für Aufregung sorgte der Gedanke, dass Radfahrende jetzt mitten auf der Straße fahren. Die Straßenverkehrsordnung empfiehlt allerdings, dass Radfahrende sich dort durch mittiges Fahren die Vorrangstellung nehmen, wo sie andernfalls durch ein überholendes Auto in Gefahr geraten würden. Dies wird aber offenbar Radfahrenden schon seit Jahren offiziell empfohlen, ist also fürs Königreich gar nicht so neu. In Deutschland wäre es das schon, denn bei uns saust immer noch die juristische Keule des Rechtsfahrgebots auf den Radfahrer nieder, der mittig fährt, damit ein Autofahrer nicht in Versuchung kommt, ihn viel zu eng zu überholen. 

Nebeneinander Radeln ist erlaubt. Auch eine Einladung zum Nebeneinander Radeln sind die neuen Regeln nicht, aber zu zweit nebeneinander radeln darf man jetzt, was auch wir in Deutschland dürfen, wenn wir einen Autofahrer nicht daran hindern, regelkonform zu überholen. Die neuen Verkehrsregeln empfehlen in Großbritannien Eltern mit Kindern, nebeneinander zur radeln, vor allem dort, wo man Kinder oder unerfahrene Radfahrende vor dem Autoverkehr schützen will. 

Autofahrer müssen Sicherheitsabstand halten und beim Abbiegen auf Radler achten. Hinzu kommen neue Regeln, die für uns eine Selbstverständlichkeit sind, die in Großbritannien aber wohl nur als Akt der Höflichkeit gesehen wurden, nämlich beim Abbiegen Radfahrende rechts neben dem Auto nicht zum Bremsen oder Ausweichen zwingen (und nicht umnieten), sondern geradeaus fahren zu lassen. Ein ziemlich langer Abschnitt des neuen Kodex beschreibt nicht nur die Abbiegeregeln, sondern auch Mindestabstände für das Überholen von Radfahrenden oder Fußgänger:innen und Reiter:innen. Die genauen Abstandsregeln kenne ich aber noch nicht. 

Keine Radwegbenutzungspflicht. Auf den britischen Inseln müssen Radwege jetzt schon nicht benutzt werden. Das müssen sie auch künftig nicht. In den neuen Regeln steht nur ausdrücklich drin, dass Radfahrende die freie Wahl haben, ob sie auf dem Radweg oder auf der Fahrbahn radeln wollen. Das wünschen wir uns für Deutschland auch, damit wir nicht auf unzumutbar schlechten Radwegen (beispielsweise die Heilbronner Straße hinauf oder hinunter) radeln müssen, wenn wir das nicht wollen. 

Mehr Wegerechte für Fußgänger:innen. Die neuen Regeln für Fußgänger:innen nähern sich unseren an. In Großbritannien hatten bisher Fußgänger:innen gegenüber einbiegenden Autos nur dann das Recht, von der Gehwegecke hinüber zur anderen zu gehen, wenn sie diese Absicht dadurch anzeigten, dass sie einen Fuß auf die Fahrbahn setzten, wenn sie also schon auf der Fahrbahn waren. Jetzt müssen sie das nicht mehr tun, es genügt, wenn erkenntlich ist, dass sie geradeaus rüber wollen. Dann muss der einbiegende Autofahrer warten. Dasselbe gilt auch für Zebrastreifen. Auch in Deutschland ist nicht jedem Autofahrer bekannt, dass geradeaus gehende Fußgänger:innen vor einbiegenden Fahrzeugen Vorrang haben. Dann warten die Fußgänger:innen geduldig ab, bis das Auto durch ist. 

Querungsrecht bei stockendem Verkehr. Neu und ein guter neuer Gedanken ist, dass Autofahrende bei langsam fließendem Verkehr Fußgänger:innen und Radfahrenden das Überqueren der Fahrbahn ermöglichen sollen. Eine feine Regelung, die wir in Deutschland nicht haben, aber ruhig auch haben könnten. 

Der Schnelle und Schwere muss auf Schwächere Rücksicht nehmen. Die Briten haben es bisher wohl als Gebot der Höflichkeit gesehen, dass man als Radfahrer Fußgänger:innen auf gemeinsamen Wegen Vorrang einräumt. Bei uns ist das auf für Fahrräder freigegebenen Gehwegen schon ein Gebot. Und auf gemeinsamen Geh- und Radwegen müssen Radfahrende auf Fußgänger:innen in jedem Fall Rücksicht nehmen, sie haben keinen Vorrang. In Großbritannien sollen Radfahrer:innen nun ausdrücklich auf Pferde und auf Fußgänger:innen achten, insbesondere auf Kinder, Alte und Menschen mit Behinderung. 

In der neuen Straßenverkehrsordnung wird auch die Hierarchie der Verkehrsteilnehmer neu definiert und darauf hingewiesen, dass die schnelleren und schwereren Verkehrsteilnehmer:innen immer besonders auf die schwächeren (also langsamen und ungeschützten) Verkehrsteilnehmer:innen achten müssen, und das gelte am stärksten für diejenigen, die ein Auto lenken. Bei uns regelt das Paragraf 1 der StVO: "Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird." 

Alte Verkehrsregeln neu lernen. Und nun muss das ganze nur noch den - wenn man der aufgeregten Presse glauben will - völlig verwirrten Briten (die Auto fahren) beigebracht werden. Auch in Großbritannien sind viele kleine Regeln über das, was Radfahrende dürfen, den Autofahrenden weitgehend unbekannt. Neue Verkehrsregeln bieten die einmalige Chance, dass die Autofahrenden jetzt etwas lernen, das sie schon vorher hätten wissen müssen. 





1 Kommentar:

  1. Auch in Deutschland dürfen Radfahrende nur in begründeten Ausnahmefällen gezwungen werden, einen Radweg zu benutzen.

    Nur hält sich gerade in Stuttgart die Behörde überhaupt nicht ans Gesetz. In diesem extrem habe ich es in anderen Städten noch nie erlebt.

    Wird Zeit, dass es mal einen Grünen Verwaltungschef gibt.

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