Offenbar fährt der Verkehrsminister von Großbritannien gerne Fahrrad. "Millionen von uns haben im vergangenen Jahr herausgefunden, was Radfahren und Laufen für großartige Wege sind, um fit zu bleiben und die Straßen zu entlasten", erklärt er und will die Straßenverkehrsordnung ändern.
Radfahrende und Fußgänger:innen sollen Vorrang vor dem Autoverkehr bekommen. Wie der Spiegel unter Berufung auf einen BBC-Bericht meldet, sollen Radfahrende beispielsweise an Kreuzungen Vorfahrt bekommen, wenn sie geradeaus fahren. Wer es auf Englisch lesen will, hat diesen Artikel im Guardian. Das englische Verkehrssystem ist anders, das Links vor Rechts (wir haben Rechts vor Links) gibt es dort nicht. Die Straßen sind meist als Vorrang- und Nebenstraßen ausgewiesen. Auf unsere Verhältnisse übertragen, könnte das heißen, in allen Tempo-30-Zonen mit Rechts-vor-links-Kreuzungen könnten Radfahrende geradeaus durchrollen, während der Autoverkehr links und rechts wartet. Dass das auch beim Überqueren von Vorfahrtstraßen gelten soll (wenn keine Ampel den Verkehr regelt), kann ich mir nicht vorstellen. Aber allein die freie Fahrt für Radfahrende an kleinen Kreuzungen wäre revolutionär. Auf so eine Idee kann nur jemand kommen, der/die selber viel Fahrrad fährt und weiß, wie hart die ständigen Brems- und Startmanöver sind.
Und noch eine Änderung soll es wohl geben: den echten Vorrang von Fußgänger:innen auf Zebrastreifen. In Großbritannien müssen Autofahrende an Fußgängerüberwegen (Zebrastreifen) dann anhalten, auch wenn der Fußgänger herankommt und noch nicht die Fahrbahn betreten hat. Offenbar ist das dort so, dass man den Fuß auf die Fahrbahn setzen muss, damit einer anhält. Bei uns ist das nicht so. Hier müssen Autofahrende anhalten, wenn ein Mensch erkennbar den Fußgängerüberweg benutzen will. (StVO §26).*
Mit den neuen Regeln, die ich nicht im Detail kenne, soll eine neue Hierarchie im Straßenverkehr eingeführt werden. Ganz unten stehen diejenigen, die mit ihren Fahrzeugen den größeren Schaden anrichten können, ganz oben stehen die Fußgänger:innen, gefolgt von den Radfahrenden, dann kommen die Reiter:innen, dann die Motorradfahrenden und dann erst die Autofahrenden, gefolgt von Lieferwagen und Lkw. Sehr vernünftig. Selbst wenn die Frage ist, wie sich das konkret ausgestaltet, so ist die Idee, dass die Verletzlichsten im Straßenverkehr besondere Regeln zu ihrem Schutz brauchen, revolutionär, laufen sie doch diesmal nicht darauf hinaus, dass man Fußgänger:innen und Radfahrende möglichst fern hält von den Autowegen (so wie wir das bei uns machen), sondern, dass Autofahrende aktiv zurückstecken, öfter bremsen und vermutlich auch langsamer fahren müssen. Und in logischer Konsequenz müssten sie auch die Hauptschuld bei Unfällen mit Radfahrenden und Fußgänger:innen tragen.
Ob das dann auch wirklich so das britische Parlament passiert, sei mal dahingestellt (Ich kann es mir nicht vorstellen). Die Idee ist gut. Und wir in Deutschland haben gerade in dieser Frage, für wen wir eigentlich unsere Straßen bauen und wie wir Menschen vor den Gefahren des Autoverkehrs schützen, noch gar nichts getan. In den Niederlanden gilt bereits, dass bei Unfällen mit Fahrrädern oder Fußgänger:innen der Mensch haftet, der das stärkere Fahrzeug fährt, also der/die Autofahrende. Und dort wird der Verkehr schon seit Jahrzehnten so geplant, dass erst die Fußgänger:innen gut untergebracht sein müssen, dann kommen die Radwege und was übrig bleibt, kann der Autoverkehr haben. Auch davon sind wir weit entfernt.
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* An Fußgängerüberwegen haben Fahrzeuge, mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen, den zu Fuß Gehenden sowie Fahrenden von Krankenfahrstühlen oder Rollstühlen, welche den Überweg erkennbar benutzen wollen, das Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Fahrzeuge dürfen nur mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren und wenn es nötig ist, müssen sie warten.
Die Verhältnisse lassen sich nicht auf uns ummünzen, wie du es am Anfang deines Berichts getan hast. In UK gibt es nämlich keine Rechts-vor-Links-Regel wie bei uns. Die Idee aber, Radfahrern Vorfahrt vor Autos zu geben, ist schon ziemlich gut, es ist ja gerade das Anfahren, das immer so anstrengend ist.
AntwortenLöschenFunfact: In der Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung der Nazizeit (1934) war es gerade andersrum geregelt: Wer langsamer war, hatte Rücksicht auf die Schnelleren zu nehmen, Autos hatten Vorfahrt gegenüber allen anderen Verkehrsteilnehmern ("Motorkraft vor Muskelkraft").
Carsten
Carsten, ich denke, in den Urzeiten, aus denen wir alle kommen, hatte das Schnellere immer Vorrang vor dem Langsameren. Das Langsamer ist dem Schnellen sicherlich auch mit Respekt aus dem Weg gegangen. Diese Überhol-Mentalität (Wer überholt, muss den Umweg fahren) ist sicher erst mit dem Auto entstanden. Pferdefuhrwerke haben mit Sicherheit Wanderer nicht überholt, sondern die Wanderer sind aus dem Weg gegangen. Es ist immerhin ein zivilisatorischer Gewinne, dass das Schnellere heute Rücksicht auf das Langsame nimmt und nehmen soll. 😊
LöschenUnsere StVO krankt doch noch immer genau an dieser Denkweise.
LöschenDie Schwächeren, also Fußgänger und Radfahrer, werden an den Rand gedrängt und mit miserabler Infrastruktur abgespeist, damit die (Finanz)Starken und Schnellen in ihren Autos freie Fahrt haben.