Es ist wohl bezeichnend für unsere autohörige Gesellschaft, dass wir etwas wissenschaftlich nachweisen müssen, was wir eigentlich alle wissen, weil es zu unseren Grunderfahrungen gehört.
Fährt etwas Großes schnell und dicht an uns vorbei, dann gibt es einen Rums. Das liegt am Luftdruck, der erst vom Gefährt vor sich hergeschoben wird und uns trifft und plötzlich in den Sog umschlägt, den das Fahrzeug hinter sich erzeugt. Wir kennen das, wenn wir am Bahnsteig stehen und und ein Zug durch den Bahnhof rauscht. Oder wenn ein Auto auf der Autobahn mit 250 an uns vorbeirast. Das knallt richtig. Genauso ergeht es Radfahrenden, an denen ein Auto vorbei ballert, je schneller und je dichter am Radfahrer, um so mehr Luftdruck und Sog schütteln uns durch, der Schock kommt noch dazu. Dass es stresst, ist klar, aber gefährlich ist es auch, denn ob man dabei immer den Lenker in der Spur hält, ist fraglich. Diesen Luftdruck-Effekt hat 2021 das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wissenschaftlich untersucht.
Wie der ADFC berichtet, wurden seitliche Druckbelastungen von Überholvorgängen mit einem Van auf Radfahrende gemessen, und zwar bei Geschwindigkeiten von 40 bis 100 km/h in Zwanzigerschritten, und bei Überholabständen von 0,5 bis 2,0 Metern in Fünferschritten. Das Ergebnis - das ich leider nicht darstellen kann, weil ich keinen Zugang zu der Studie habe - ist das, was eigentlich zu unserem seit Kindheit angesammelten Lebenswissen gehört. Je schneller und enger, desto schockartiger für den Radfahrenden und desto gefährlicher.Dass die Überholabstände von Autofahrenden zu Radfahrenden oft viel zu eng sind, wurde bereits nachgewiesen und wird immer noch beständig gemessen. In Stuttgart und weiteren Städten und Landkreisen ist der OpenBikeSensor im Einsatz, der von einem Team im "Zweirat" entwickelt wurde und an Interessierte vergeben wird. Immer mehr Radfahrende messen, was wir im Grunde auch längst wissen: In Stuttgart und anderswo überholen viele Autofahrende zu eng. Nur ungefähr ein Viertel der Autofahrenden überholt korrekt mit mindestens 1,5 Metern Abstand, 2 Prozent fahren irrsinnig eng vorbei, ein Viertel hält 50 bis 100 cm für ausreichend, das restliche Viertel peilt 1 Meter bis 1,50 an. Diese Studie der Uni Freiburg nennt 30 Prozent bei den regelgerechten Überholvorgängen und stellt fest, dass in Tempo-30-Zonen enger überholt wird, weil die Straßen meistens schmal sind, wobei Radfahrende selber dort, wo langsam gefahren wird, die engeren Überholvorgänge nicht unbedingt als kritisch empfanden.
Und selbstverständlich müssen wir Radfahrenden all denen danken, die mit unermüdlichen Untersuchungen Daten erzeugen, mit Hilfe derer man der Politik sagen kann: Es ist wirklich so, wie wir es erleben. Man sollte wirklich dafür sorgen, dass Autofahrende nicht eng und schnell an Radfahrenden vorbei fahren können. Verbote allein helfen wenig, eine Radinfrastruktur dagegen viel: So hat sich - wie nicht anders zu erwarten war - gezeigt, dass auf der Böblinger Straße bergauf der Radfahrstreifen anstelle des sogenannten Schutzstreifens zwischen geparkten und fahrenden Autos die Situation für Radfahrende enorm entspannt hat. Jetzt werden sie nicht mehr eng überholt.
Dazu braucht es Studie? Was im Artikel fehlt: 1.) Radfahrer überholen zunehmend auch immer bekloppter. Das stört mich mittlerweile richtig. Kommen herangeschlichen- aus dem Nichts. Erschrecke mich total. Natürlich ohne Klingeln. Gerade die Rennradfahrer sind übel drauf. 2.) Was den Sog angeht: Wenn eine 100 Kg Person mit einem Pedelec an mir vorbei fährt, spüre ich auch einen deutlichen Sog. Und erst bei den neuen bulligen SUV-Pedelecs. Und was ist dann die Folge daraus? Klaus
AntwortenLöschenLieber Klaus, so ganz ist mir nicht klar, warum du die Wucht von überholenden Autos mit dem Luftzügle von überholenden Radfahrenden vergleichst. Klar, auf Radfahrende schimpfen geht immer (und die größten Kritiker der Elche sind selber welche), und auch manche Radfahrende radeln, ohne sich klar zu machen, wie ihre Bewegungen auf andere wirken. Aber das ist doch hier gar nicht das Thema. Und wie du ja vermutlich weißt, fahre ich selbst seit 2006 ein Pedelec. Ich halte es nicht für sinnvoll, wenn wir unter uns Radfahrenden damit anfangen, Pedelecfahrende gegen Standardradfahrende auszuspielen. Zumal wir in Stuttgart die drastische Zunahme des Radverkehrs der Tatsache verdanken, dass es die Pedelecs auch den Leuten erlauben, wieder Rad zu fahren, denen die Stadt für ein Normalrad zu bergig ist.
Löschenalso ich glaube der studie nicht. wir müssen zunächst weitere lang angelegte nachweise und analysen durchführen und deren ergebnisse dann in reallabors und mobilitätspilotstädten verifizieren.
AntwortenLöschenbis dahin lassen wir alles so wie's ist und weil wir uns dabei so unsicher fühlen, benutzen wir unser auto.
karl g. fahr
Das erinnert mich an etwas, das ich mal im Radio gehört habe. Die Wissenschaft hat etwas für sich entdeckt, nämlich die Binse. Was alle Welt als Binsenweisheit schon kennt, muss heute wissenschaftlich untersucht werden. Das mit dem Luftdruck und dem Sog wird schon seit langem erklärt. Es gab sogar Untersuchungen (nach einem tödlichen Unfall mit einem Bus), die haben ermittelt, dass der Radfahrer gerade beim Bus regelrecht angezogen wird und so dem Bus beim Überholvorgang "automatisch" immer näher kommt.
AntwortenLöschenFragt mich aber bitte nicht, wo ich das gelesen habe (ist auch schon eine Weile her, war noch analog).
Aber auch die wissenschaftliche Untersuchung wird nichts daran ändern, dass dem nicht geglaubt wird. Es ist dasselbe Problem wie beim Klimawandel, seit Jahren messbar, belegbar, keiner wills glauben.
Im Fall von Radverkehr gibts ein einfaches Mittel: Gescheite Radinfrastruktur.
Karin
Liebe Karin, ich finde es auch faszinieren, dass man uns Dinge wissenschaftlich erklären muss, die zur allgemeinen Lebenserfahrung gehören. Aber das habe ich ja kommentiert. Jetzt, wo du es sagst, diesen Artikel über den Bus habe ich auch gelesen, zumindest kommt mir der Inhalt bekannt vor. Meine Erfahrung ist, dass über selbstverständliche Sachverhalte sehr viel und sehr oft geredet und geschrieben werden muss, damit sie in den Köpfen ankommen und auch bleiben und Entscheidungen beeinflussen. Das dauert so ungefähr 30 Jahre. Wir Menschen scheinen so zu ticken. Wir wissen ja auch seit 30 Jahren, wie eine Stadt den Radverkehr wirksam unterstützen kann (nämlich von Kopenhagen), doch bei unseren Planer:innen und vor allem bei den Politiker:innen in den Gemeinderäten ist das immer noch nicht angekommen.
Löschen30 Jahre?
LöschenStand jetzt haben wir noch 6 Jahre 4 Monate 29 Tage 16 Stunden 14 Minuten und 36 Sekunden.
"weil ich keinen Zugang zu der Studie habe"
LöschenJa, sehr ärgerlich!
Es wäre vernünftig solche semikriminellen Renditenhaie wie Elsevier nicht mehr zu unterstützen und nicht mehr zu zitieren.
Da ist wirklich ein Boykott sinnvoll bzw. notwendig.
Dass Privatfirmen quasi ohne Eigenleistungen Milliardenrenditen mit dem 'Absahnen' steuerfinanzierter Forschungsveröffentlichungen einsacken ist pervers und abzulehnen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Elsevier#Kritik_an_Elsevier
Davon abgesehen wage ich zu bezweifeln, dass steigende Geschwindigkeiten linear in die Problematik des Fahrlinienverlustes eingehen. Es hat ja eine Latenz zwischen Luftdruckeinwirkung und resultierender Einleitung einer 'Kurve' (Nachlauf, etc.).
Je schneller der Wechsel zwischen Über- und Unterdruck, desto eher werden sich die Wirkungen im Hinblick auf die Fahrlinie aufheben, so dass nur eine zu vernachlässigende kleine Schlangenlinie resultiert, es sei denn es wird extrem weit rechts gefahren, so dass in Phase1 hektisch nach links gegengelenkt wird.
Ich fahre seit Jahrzehnten recht viel Rad, bin viel auf Landstraßen ohne Radweg unterwegs und hatte da in etlichen Jahrzehnten noch nie Probleme.
Eher tückisch, aber vermutlich nicht untersucht:
Seitenwind von links beim Überholvorgang von Sprintern, Wohnmobilen, hohen SUV, LKW.
Da ist aber der Abstand nicht wegen des Ablenkungseffektes relevant, sondern aufgrund der dann tatsächlich stark nach links verzogenen Fahrlinie des Zweirades.