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26. Mai 2023

Der Autoverkehr als Naturgewalt

Der Autoverkehr sei wie Wasser, höre ich, wenn es um die Verengung einer Fahrbahn für Autos geht, er suche sich seinen Weg dann eben durch die Nebenstraßen. 

Der Autoverkehr als Naturgewalt. Nicht nur die Presseleute, sondern auch Planer:innen gebrauchen gern Wasser- und Medizin-Metaphern. Da wird von "Durchfluss", Flaschenhälsen", "Abfluss", "Verkehrsfluss" oder "Autoflut", aber auch von "Verkehrsadern" oder dem "Verkehrsinfarkt" geredet. Unnötig zu sagen, dass in all diesen Sprachbildern das Wort "Verkehr" nur für den Autoverkehr steht, nicht aber für den Rad- oder Fußverkehr. 

Wenn wir den Autoverkehr mit Wasser gleichsetzen, dann tun wir so, als säßen in den Autos keine Menschen, die Entscheidungen treffen. Ihre Rolle als Aktive, als Täter, wird ausgeblendet. Wasser folgt immer der Schwerkraft. Der Autoverkehr fließt aber nicht gezogen von einer äußeren Kraft, sondern wird geschoben durch Menschen mit Füßen auf dem Gaspedal und verbraucht dabei Treibstoff. Autofahrende überlegen sich, wie und wo sie fahren wollen. Sie entscheiden sich zwischen Stecke A oder B. Und diese Entscheidungen sind keineswegs die, die dem Verhalten von Wasser entsprechen (siehe Verkehrsverpuffung und Braess-Paradoxon). Wenn man nun den Autoverkehr mit einem Fluss gleichsetzt, scheint es der Politik notwendig, ein Bett zu bauen, dass ihn am Fließen hält. Diese Metaphern schaffen ein Frame (einen Assoziationsrahmen), der uns dem Autoverkehr ausliefert. Und wenn die Flut kommt, dann rette sich, wer kann. (Siehe: Grenzenlose Mobilität und fließender Verkehr)

Sprachbilder aus dem Bereich der Biologie machen die Rettung des Autoverkehrs zusätzlich dringlich. Es scheint, als ob der Straßenverkehr ein empfindlicher Organismus wäre, dessen Leben es zu retten gelte. In seinen Arterien stock es, weshalb ein Bypass nötig wird, damit es nicht zum Verkehrsinfarkt kommt. An dem dann wer genau stirbt? 

Wie stark vor allem der Autoverkehr - denn für den Radverkehr oder den Busverkehr gelten diese Metaphern nicht - als Organismus unseres Alltags gesehen wird, zeigt, dass die Oberschwabenklinik die Analogie umdreht: "Das Netz der Blutgefäße stellt eines der größten Organsysteme des menschlichen Körpers dar. Es ermöglicht den Blutkreislauf, ein Verkehrs- und Transportsystem vergleichbar dem Straßen- und Autobahnnetz." Und wie genau werden die Blutblättchen gesteuert? 

Verkehrsplanung (des Autoverkehrs und von ihm abhängig des Fuß-, Rad- und Bus- und Bahnverkehrs) wird auf diese Weise zu etwas, das wie die Natur nach Gesetzen funktioniert, die wir Menschlein nicht ändern können. Folglich wird unser Straßenverkehr auch heute noch noch so geplant, wie er seit sechzig Jahren geplant wird, ausgerichtet auf Starkregenereignisse und Überflutungen bis hin zur Sintflut. Verkehrsflüsse werden kanalisiert, Durchlässe erweitert. Man geht automatisch davon aus, dass mehr Menschen mehr Autos, mehr Lkw, mehr Straßen, mehr Autobahnen bedeuten. Der Gedanke, dass eine Gesellschaft - auch weil sie sich vor den Folgen des Klimawandels retten muss - politisch entscheiden könnte, durch die Art der Straßengestaltung den Rad- und Fußverkehr und den öffentlichen Verkehr auf Kosten des Autoverkehrs zu stärken, kommt in einem solchen Metapherngebilde nicht vor. So entsteht eine Spirale der Autoverkehrszunahme und des Infrastrukturausbaus. 

Übrigens ist auch das Wort "Mobilität" ein tückisches Wort, wie diese Sprachstudie ausführt. Der mit Freiheit assoziierte Begriff "Mobilität" erscheint in Texten und Reden als Norm einer modernen Lebensführung, als menschliches Grundbedürfnis. Und schon kommen wir nicht mehr auf die Idee, dass auch Daheimbleiben und ein ruhiges Leben mit Freiheit und Selbstverwirklichung zu tun haben könnten. (Nicht unterwegs sein müssen, ist auch ein hohes Gut.) "Mobilität" ist ein Begriff, mit dem man nicht ausdrücken kann, dass sie Grenzen haben könnte. Erst wenn wir "Mobilität" wieder mit "Verkehr" übersetzen, merken wir, dass es davon - speziell bezogen auf den Autoverkehr - ein Zuviel geben kann.  

Augustenstraße, hier ensteht ein Barcelona Superblock
Wie wir reden, bestimmt unsere Weltsicht. Wenn ich Leute über "Verkehr" reden höre, frage ich immer nach, ob sie nur den Autoverkehr meinen oder auch den Fahrrad- und Fußverkehr. Das erzeugt meist eine jähe Erkenntnis. Bisher habe ich den Begriff "Mobilität" für einen gehalten, mit dem man mehr und Positiveres meint als den "Verkehr", der meistens nur als Autoverkehr gedacht wird. Aber eigentlich müssen wir uns auch beim Reden über Mobilität vergewissern, was gemeint ist: Meinen wir die fossilhaltige oder eine selbstaktive, meinen wir Weltreisen oder Kinder auf dem Spielplatz oder den Bummel im Kiez? Und wir müssen fragen, was sie kostet, welche Ressourcen sie verbraucht, welche öffentlichen Räume sie besetzt und welcher Art von Mobilität wir Grenzen setzen und welche wiederum wir mehr Raum geben wollen. 

Kurzum: Ab und zu mal über die Wörter nachdenken, die wir ziemlich automatisch benutzen und mit denen wir eine Welt als so und nicht anders definieren, lohnt sich, damit wir nicht in Denkfallen tappen. 

Der Leipziger Oberbürgermeister Jung hat übrigens unlängst andere Wort gefunden. Er will seine Stadt jetzt vom "Diktat des Autoverkehrs" befreien und Platz schaffen für Menschen zu Fuß und auf Fahrrädern. Das sagte er in einer Rede vor dem Leipziger Gemeinderat. Hoffen wir, dass der ihm folgt und entsprechende Beschlüsse fasst. 

12 Kommentare:

  1. Es beginnt schon beim "Auto"mobil. Da ist gar nix - selbst - mobil. Ohne massiven Fremdenergieverbrauch stehen diese Dinger hoffnungslos.

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    1. Wobei man vielleicht bedenken sollte, dass vor dem Auto-Mobil, die Fahrzeuge von Pferden gezogen wurden. Daher der Begriff der damals quasi "autonom" fahrenden Kutsche. Schon das Fahrrad war ein Fahrzeug, mit dem man Pferde ersetzt hat (deren Haltung zu teuer geworden war), aber darauf muss man ja noch selber strampeln. Während das Automobil dann einen Motor hatte.

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  2. Autos sind wie Wasser:
    https://twitter.com/oocSpain/status/1661833000558927896?s=20
    https://twitter.com/JustdoitZee/status/1662222355551391745?s=20

    Gruß
    Torsten

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  3. ja.
    das framing ist ganz wichtig.
    deshalb sprechen wir etwa auch gern von engeln (energetisch nachhaltigen gesellschaftsverträglich eigenmobilen leistungsträgern), die durch stellplatzstalinismus in ihrer freiheit beschränkt werden.

    vin d'energie

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    1. Jörg
      Ich dachte wir hätten Stellplatzsozialismus.
      Gerade Anhänger des freien Marktes bestehen hier auf dem Modell, die Gemeinschaft zahlt, der Private nutzt. Mit den bekannten Nebenwirkungen, wie z.B. bunkern, also den öffentlichen Platz zuerst belegen, damit mein eigener für mich und evtl. Gäste frei ist.
      zur Mobilät: Im Krankenhaus sagt man bei bettlegerigen Personen, man möchte ihre Mobilität wieder herstellen. Es ging darum wieder durch das Zimmer die Wohnung gehen zu können. In dem Sinne ist Mobilität ein Grundbedürfnis.

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  4. Vergessen sollte man m.E. dabei auch nicht das "Kategoriendenken" - hier Auto, dort Fahrrad oder Fußgänger. Es scheint unausweichlich, dass man beim Begriff "Auto" automatisch an einen Fünfsitzer denkt, obwohl schon der "Volksgolf" für den täglichen Einsatz völlig überkandidelt ist, egal ob Stromer oder Verbrenner.

    Die technisch längst mögliche "Zwischenwelt" zwischen Pedelec und "Auto" wird politisch aktiv verhindert (Merkel hat für die EU-weite Besserstellung möglichst schwerer Autos gesorgt, Habeck hat die geplante Mini-Förderung von Klein-und Leichtfahrzeugen verworfen) und wird seltsamerweise auch von niemandem öffentlich eingefordert. Das ist völlig unverständlich, wenn man bedenkt, um wieviel sich der Energieverbrauch mit zweckmäßigen "Autos" senken ließe.

    Wir können noch lange über das Problem "Auto" fabulieren, während der riesige Markt für futuristische Ein-und Zweisitzer, die dich mit einer Mini-Ladung ans Ziel bringen, gesperrt bleibt.

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    1. Schon das S-Pedelec wird politisch verhindert, weil die nicht auf Radwegen fahren dürfen.

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    2. In Tübingen gibts ein ganzes Radwegenetz für S-Pedelecs. Palmer: „Wir sperren ja auch keine Tempo-30-Zone für Porsches, nur weil sie theoretisch 300 Stundenkilometer fahren könnten.“ Was sagt man in Stuttgart zu dem Argument?

      Stefan, FFB, Bayern

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    3. Es können sich viele auch nicht vorstellen, dass man auf manch einer Straße auch mit dem Fahrrad drauf fahren darf. Erst gestern hatte ich die Situation, als ich am Ausgang der Schönestraße Richtung König-Karls-Brücke und Wilhelmspatz Cannstatt auf der für Fahrradfahrenden freigegebenen Busspur gefahren bin (quasi die Route, die in diesem Blog-Post schon vorkam: https://dasfahrradblog.blogspot.com/2021/01/wer-starke-nerven-hat.html?m=0 ), dass sich ein Autofahrer bei mir beschwert hat, ich dürfe hier nicht fahren. Die Fahrradzeichen am Boden und auch das Schild hat er gekonnt ignoriert.

      Was ich interessant finde: wir beide waren die einzigen Fahrzeuge, die unterwegs waren auf der Straße, und der Autofahrer kam auch erst von hinten, als ich schon auf der Busspur war. Anscheinend war ich ein Problem in seinen Augen.
      Letzte Woche aber bin ich genau an dieser Stelle mit einem Stadtmobilauto gefahren, zu einem Zeitpunkt wo es einen großen Rückstau gab. Die PKW-Fahrer sind reihenweise über die Busspur gefahren und haben sie dadurch auch blockiert. Es hat den Anschein gemacht, als wäre das in Ordnung.

      (Sarkasmus) Der Asphalt gehört dem Auto, alles andere soll verschwinden! (Sarkasmus Ende)

      Vorletzte Woche bin ich die Pragstraße Richtung Pragsattel hochgefahren, wegen Baustelle auf dem Zweirichtungsradweg. Es gab jedoch auf der Autospur einen Auffahrunfall, der gerade von der Polizei aufgenommen wurden ist, weshalb Autofahrende den Radweg zum ausweichen genommen haben. Ein Autofahrer, der schon meinen Vorrang missachtet hat, brüllte nur aus seinem Auto, ich dürfe hier nicht fahren, es wäre eine Straße. Ich musste mir das lachen verkneifen als die Polizei erklärt, ich dürfe hier sehr wohl fahren und er müsse mir sogar Vorrang gewähren. Manche Autofahrer sind echt speziell und ich weiß echt nicht, wie man dieses Denken ändern kann - weil wie offensichtlich kann man es noch machen, das Radfahrer auch Teil des Verkehrs sind??

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    4. Ich frage mich auch ständig, wie manche Autofahrenden ticken, dass sie solche Aggressionen gegen Radfahrende entwickeln. Allerdings tun das auch manche Fußgänger:innen. Ich denke, es ist eine über hundert Jahre andauernde schleichender, auch von Neid getragener Hass auf diese Menschen, die mit kleinen schmalen Fahrzeugen und sichtlich Spaß die träge Verkehrswelt überwinden.

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  5. Impressum vergessen: Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern

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  6. Zum Thema Semantik: Vor einigen Jahren (ca. 2000?) wurde in den Verkehrsnachrichten die Phrase "erhöhtes Verkehrsaufkommen" mit "Streckenüberlastung" ausgetauscht. Es sind also nicht zuviele Autos unterwegs, sondern die Strecke hat nicht genug Kapazität.

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