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8. August 2023

Langsam geht schneller

Tempo 30 als Regelsgeschwindigkeit wird von Auto-Ideologen heftigst bekämpft, ist aber eine höchst rationale - also vernunftbegründete - Maßnahme, die nicht nur Menschen zu Fuß und auf dem Fahrrad vor schweren Unfällen bewahrt, sondern auch Autofahrenden nützt. 

In Brüssel funktioniert das seit 2021 überraschend gut. Und deutlich mehr Leute trauen sich jetzt, mit Fahrrädern zu fahren. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass sich Fahrzeiten von Autos in Städten nur um einige Sekunden verlängern, wenn regulär 30 km/h gefahren wird, wobei einige Durchgangs- und Verbindungsstaßen als Ausnahmen höhere Geschwindigkeiten erlauben. Ich habe darüber auch schon geschrieben, zuletzt und sehr detailliert Mitte 2021. 

Dabei geht es auch um Busfahrten. Denn in den hoch emotionalisierten Diskussionen, die diejenigen aufrecht erhalten, die Tempo 30 in Städten für reine Ideologie halten, wird auch immer ins Feld geführt, Busse bräuchten dann länger und mehr Fahrzeuge und mehr Personal. Das lässt sich aber nicht halten. Mehr Zeit verlieren Busse wegen in zweiter Reihe geparkter Fahrzeuge und an roten Ampeln. Bei Tempo 30 statt 50 verlieren auch sie nur wenige Sekunden auf einem Kilometer. Und weil mehr Autos auf eine Straße passen, wenn sie 30 statt 50 fahren (die Sicherheitsabstände sind geringer), fließt der Verkehr genauso schnell ab. Er gerät auch weniger ins Stocken. Das ist zur Hauptverkehrszeit in Gewinn. 

Tempo 30 hat für Autofahrende Vorteile: Sie gleiten durch eine Stadt, statt von Ampel zu Ampel zu hüpfen. Und sie sehen besser, was am Straßenrand passiert. Die Gefahr, dass sie ungewollt ein Kind überfahren, das auf die Fahrbahn tritt, verringert sich um bis zu 70 Prozent. Wer langsamer fährt, nimmt seine Umgebung besser wahr und bringt Radfahrende und Fußgänger:innen weniger oft in Gefahr, weil er oder sie sie einfach nicht gesehen hat. Die latente Überforderung im Straßenverkehr, auch alles rechtzeitig zu erkennen und richtig einzuordnen, sinkt deutlich. Die Fälle, wo Autofahrende Menschen anfahren, halbieren sich und die Verletzungen sind weniger gravierend. Vor allem sind weniger Kinder unter den Verletzten und Toten. Allein das müsste uns als Argument genügen, schnelleres Fahren nur noch auf ganz wenigen Straßen in der Stadt zu erlauben. 

Die Behauptung unseres Bundesverkehrsministers, man müsse auch an die denken, die mit dem Auto durch eine Stadt nur durchfahren müssten, zieht auch nicht, genauso wenig wie, dass die Leichtigkeit und Flüssigkeit "des Verkehrs" (er meint mit Verkehr nur den Autoverkehr) eingeschränkt werde. Denn erstens kann man auf den wenigen Durchfahrtstraßen ja bei Tempo 40 oder 50 blieben, und zweitens lehren uns Orte wie Hagnau am Bodensee auf der B31 (die teils vierspurig ausgebaut ist) und die Ortschaften an der L313 beim Schloss Lichtenstein (Albaufahrt), dass man den Durchgangsautoverkehr (und Motorradverkehr) sehr wohl auf 30 km/h setzen kann. Sie haben es nämlich getan. 

Letztlich wollen viele Menschen, dass bei ihnen vor der Haustür der Autoverkehr langsam und leise fährt (am besten gar kein Auto), auch wenn sie selber gerne mit ihrem Auto überall hin und überall durch fahren wollen. Das ist die Schizophrenie unseres vom Auto abhängigen Daseins. Langsamer würde helfen und ginge letztlich schneller und leiser. In Stuttgart haben wir bereits auf ungefähr 70 Prozent der Verkehrsflächen, nämlich in Wohngebieten, Tempo 30 und auf vielen Hauptstraßen, einschließlich der B14 Tempo 40 km/h. 

Immer noch muss es eine Stadt gut begründen, wenn sie auf Hauptstraßen Tempo 30 einrichten will, etwa aus Lärmschutzgründen vor Altenheimen. Oder aus Sicherheitsgründen vor Schulen oder Kindergärten. Und der Eingang muss an der Straße liegen, was in Öschelbronn im Enzkreis bei Pforzheim dazu geführt hat, dass man den Eingang zum Kindergarten von einer Seitenstraße an die Hauptstraße verlegen musste, die die Kinder queren müssen und wo man Tempo 30 haben wollte. Flächendeckend wäre jedoch besser, man spart Verkehrsschilder und die Autofahrenden müssen nicht mit schnell wechselnden Geschwindigkeitsbegrenzungen klar kommen. Das führt nämlich dazu, dass manche ger nicht mehr wissen, wie schnell man jetzt hier zu welcher Uhrzeit fahren darf. Und insgesamt fahren sie dann eher zu schnell, also deutlich schneller als 30 km/h. Das ändert sich erfahrungsgemäß erst, wenn klar ist, dass praktisch überall Tempo 30 gilt. 

Das Bundesverkehrsministerium weigert sich immer noch, den Städten selber die Entscheidung zu überlassen, wie und wo sie Tempo 30 einführen. Ein Gesetzentwurf vom Mai soll es Städten nur etwas erleichtern, an Schulwegen oder Spielplätzen oder Fußgängerüberwegen Tempo 30 einzuführen. Kommunen bekommen dann auch die Möglichkeit, Sonderfahrspuren für klimafreundlichen Verkehr anzuordnen, etwa elektrische Busse, Fahrräder oder Fahrzeuge mit mehreren Insassen. Auch Anwohnerparkzonen lassen sich dann leichter einrichten. Bisher musste ein erheblicher Parkdruck nachgewiesen werden, künftig soll es reichen, wenn man die Stadtplanung einen Parkdruck prognostiziert.  (Was so viel heißt, plant man Parkplätze weg, kann man Anwohnerparken einrichten, plant man nix, dann nicht, es sei denn man rechnet damit, dass eine Parkraummanagementzone Parkdruck im Nachbarviertel erzeugt.) 


7 Kommentare:

  1. Wundert es denn irgendjemanden, dass der neoliberale Verkehrsminister keine Befriedung des Straßenverkehrs will?
    Das ist doch eine Grundvorraussetzung des von der FDP vetretenen Kapitalismus: das Recht des Stärkeren, Reicheren, der ständige Kampf um und die illegitime Aneignung von Platz, Ressourcen, Status. Wenn die Leute merkten, dass es auch anders geht, dass es so etwas wie das Gemeinwohl gibt, und dass man gemeinsam besser vorankommt, als gegeneinander, nicht auszudenken...

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  2. In den meisten Nebenstraßen gilt doch heute schon 30, trotzdem werden dort Radfahrer bedrängt. Und ob es mit 30 auf der Hauptverkehrsstraße schneller geht, ist eigentlich zu bezweifeln. Das größte Hemmnis ist die zugehörige Ampelschaltung. Wenn die Ampelschaltung zur Geschwidnigkeit passt, dann ist das ok, aber meistens passt sie nicht. Das ist das eigentliche Problem. Beispiel: Mannheim Hauptverkehrsstraße. Bei 50, an jeder zweiten Ampel stehen, bei 60, überall durchkommen. Was passiert? Logisch, 60 wer's geblickt hat. Anregungen an die Stadt, doch die Zeiten anzupassen, damit regelkonform gefahren wird, versanden. Beispiel Heidelberg, Hauptverkehrsstraße. 30/50. Ampelschaltung gefühlt willkürlich, man steht an jeder Ampel, überall Stau, es geht extrem langsam voran. Was passiert? ich zumindest fahre nicht nach Heidelberg in die Innenstadt, nur im Notfall, auch nicht mit dem Fahrrad (keine durchgängigen Routen).
    Wir brauchen nicht unbedingt Tempo 30, wir brauchen eine gescheit gesteuerte Verkehrsführung. Angestimmte Ampelschaltungen, Parkleitsysteme, durchgängige Radrouten. Dann kommt auch jeder ans Ziel.
    Karin

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    1. Die Frage ist nur die, ob Verkehrsinfrastruktur rein am Autoverkehr ausgerichtet werden muss, wie bisher. Die Zunahme, mit mittlerweile 48 Millionen PKW in D ist enorm. Die Begrenzung auf 30 km schützt Fußgänger und Radfahrer, kann aber nur ein erster Schritt sein. Die Städte sollten sich ein Beispiel an den Superblocks in Barcelona nehmen um den PKW Verkehr zu reduzieren. Eine abgetrennte Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer muss für deren Sicherheit sorgen. Vorfahrt auch an Ampeln grundsätzlich für Radfahrer und Fußgänger. Begrünte Städte mit Spielplätzen und Cafés in den Quartieren verbessern die Aufenthaltsqualität. Tempo 30 kann nur ein Anfang sein für die Umgestaltung zu einer lebenswerten Kommune.

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  3. kommunen können stellplatzzahlen und strafen für die letzte generation willkürlich festlegen.
    das tempo auf den straßen hingegen wird nach oben delegiert.

    ein schelm, wer böses dabei denkt.

    karl g. fahr

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    1. Welche Kommune hat eine Strafe für die letzte Generation willkürlich festgelegt?

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    2. "Mit der neuen Regelung erhofft sich die Stadt Stuttgart einen Zeitgewinn, da die Polizei bei Blockaden schneller eingreifen und auflösen darf, heißt es in der Mitteilung. Derzeit ist allerdings noch unklar, ob das Verbot solcher Aktionen rechtlich überhaupt möglich ist, schreibt tagesschau.de. Denn das Demonstrationsrecht gehört in Deutschland zu den allgemeinen Grundrechten."

      Quelle: Merkur.de

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  4. Bin mal gespannt, wie das ausgeht.

    Kritiker der Allgemeinverfügung verweisen ja unter anderem darauf, dass die Rechtsprechung Straßenblockaden grundsätzlich nicht als Straftaten werte. Das werde nicht ausreichend berücksichtigt.

    Allerdings, Zitat juraforum.de
    „…Daraufhin entwickelte der BGH seine sogenannte „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“, nach der die Teilnehmer einer Sitzblockade „Gewalt“ im Sinne des § 240 Absatz 1 StGB anwenden, sobald hinter dem ersten Fahrzeug (auf dessen Fahrer in ständiger Rechtsprechung ja nur psychischer Zwang ausgeübt wird) mindestens ein weiteres Auto an der Weiterfahrt gehindert würde. Nach dieser Sichtweise bilden die Fahrzeuge in der ersten Reihe eine physische Barriere für die Fahrzeuge ab der zweiten Reihe, die aufgrund ihres physischen Zwangs den Gewaltbegriff des § 240 StGB erfülle (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 – Az.: 1 StR 126/95). Das Bundesverfassungsgericht hat die „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ ausdrücklich als verfassungsmäßig anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2011 – Az.: 1 BvR 388/05). Darüber hinaus liegt nach dem Bundesverfassungsgericht auch grundsätzlich eine Nötigung unter Anwendung von „Gewalt“ vor, wenn die Teilnehmer einer Sitzblockade Maßnahmen ergreifen, die über ihre reine Anwesenheit hinausgehen, zum Beispiel durch Anketten, Einhaken oder aktiven Widerstand gegen ein Wegtragen…“

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