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24. Dezember 2023

Das Ende des Rad-Airbags aus Schweden

Hövding, der Hersteller des Airbag-Helms für Radfahrende, ist insolvent. Der Grund ist das Verkaufsverbot einer schwedischen Behörde. Das Gerichtsurteil, das es aufhob, kam zu spät. 

Das berichtet der Spiegel. Der Insolvenzantrag wurde am Donnerstag, dem 21. Dezember eingereicht. Die schwedische Verbraucherschutzbehörde hatte Anfang November den Verkauf der Hövding-Airbags gestoppt und die Firma zum Rückruf verpflichtet. Nach Angaben der Firma schützt der Airbag achtmal besser vor Gehirnerschütterungen als normale Helme. Er löst in Sekundenbruchtteilen aus, wenn man mit dem Rad kippt, und schützt dann auch den Hals. Allerdings schützt der Airbag, den man als Halskrause trägt, nicht, wenn man beim Radeln mit dem Kopf gegen einen Ast oder ein Schild stößt. Davor warnte auch Höfding. Er schützt auch nicht, wenn man beispielsweise direkt von einem Bus angefahren wird, und das bemängelte die Verbraucherschutzbehörde. Ein weiterer Grund war, dass es beim neuesten Modell 3 offenbar Softwareprobleme gab, die aber seit Herbst 2022 laut Unternehmen behoben sein sollen. Das schwedische Fernsehen hatte jedoch im Frühjahr 2023 berichtet, Hövding habe weiterhin wissentlich Produkte mit Sicherheitsproblemen verkauft. Daraufhin hatte sich die schwedische Verbraucherschutzbehörde eingeschaltet.

Sie hatte den Verkauf verboten. Dagegen legte Hövding Beschwerde ein und gewann den Prozess, aber zu spät für die Insolvenz. Die Firma hält den Image-Schaden, den die Verbraucherschutzbehörde angerichtet hat,  für so groß, dass es keine Zukunft mehr sieht.  

Der Hövding war trotz seines Preises von rund 300 Euro eine Alternative für alle, die den Kopf schützen, aber keinen Helm tragen wollten, etwa, weil sie eine Frisur haben oder weil sie Kappen oder Mützen auf dem Kopf tragen wollen. Ich kenne Radfahrerinnnen, bei denen er zuverlässig auslöste, manchmal allerdings auch ohne Not infolge einer heftigen Bewegung. Er wurde dann von Hövding ersetzt. Wie es damit weitergeht, ist mir unbekannt. 

Es ist aber nun auch nicht so, dass ein Fahrradhelm immer schützt, wenn es zu einem Sturz oder Zusammenstoß mit einem Auto kommt. Beispielsweise bleibt der Hals ungeschützt, wenn er auf dem Bordstein aufschlägt, auch das Gesicht und die Zähne werden vom Helm nicht geschützt, oftmals auch nicht die Schläfen. Dem will dieser Helm Virgo von The Beam begegnen. Der sieht aus wie ein Motorradhelm light. Es dürfte noch eine Weile dauern, bis wir so was im Alltagsradverkehr sehen. 

"Fahrradhelme sind nicht dafür ausgelegt, Zusammenstöße mit Autos abzumildern, sie werden so auch gar nicht getestet", sagt Eric Richter, Entwicklungsmanager von Giro, in einem Artikel von Forbes (nur Englisch). Radfahrende  sollten sich deshalb nicht auf Fahrradhelme verlassen. Helme würden nicht entworfen, um die Schwere von Unfällen zu mildern und die Chancen der Radfahrenden zu verbessern. Es gebe so viele Möglichkeiten und Variablen bei einem Unfallsgeschehen, etwa Geschwindigkeit des Autos, Aufprallwinkel und die Gestalt des Fahrzeugs, dass man nicht alle Eventualitäten berechnen könne. Die typischen spektakulären Wassermelonen-Demonstrationen (Wassermelone in Helm geht nicht kaputt, wenn der Helm auf den Scheitel fällt) zeigen, dass die Vorstellung herrscht, dass man mit dem Helmscheitel irgendwo aufprallt. Das ist aber eher nicht der Fall. Immerhin werden inzwischen Fahrradhelme entwickelt, die an den Schläfen und Seiten und im Nacken schützen. 

Ich habe bisher noch keinen wissenschaftlichen Beleg dafür gefunden, dass das Tragen eines Helms das statistische Risiko einer schweren Hirnverletzung beim Radfahren im Alltag nennenswert verringert (hier aus dem Jahr  2017 im Detail ausgeführt). Die Deutsche Verkehrswacht widerspricht dem allerdings (ohne mir die genauen statistischen Zahlen und ihre Herkunft zur Kenntnis zu bringen) und Statista stellt einen Zusammenhang zwischen weniger getöteten Radfahrenden und einer Zunahme der Helmquote fest. Auch der Autoclub ADAC behauptet das, geht aber in der Argumentation nicht über den vagen Begriff "viele" hinaus. Dekra hat mit Dummys Crashtestversuche gemacht (ihre Erkenntnisse basieren also nicht auf dem tatsächlichen Verkehrsgeschehen) und meint, dass "richtig getragene" Fahrradhelme beim Aufprall auf dem Boden einen nennenswerten Unterschied machen. Allerdings wurde an Dummys getestet und natürlich nur an Dummys mit männlichen Proportionen. Im Wesentlichen ist die Helm-Diskussion eine Glaubenssache, weil der Öffentlichkeit keine Daten vorgelegt werden. 

Eine Studie, die Baden-Württemberg 2018 veröffentlichte, zeigt, dass das mit dem Helmtragen eine zweischneidige Sache ist. Es verringert zwar das ohnehin kleine Risiko einer Kopfverletzung weiter. Eine Helmpflicht verringert aber zugleich die Radnutzung (so können Kopfvrletzungen beim Rad auch zurückgehen, es fahren weniger). Das hat jedoch zur Folge, dass Radler:innen wieder mehr Auto fahren und die Umweltsituation sich verschlechtert. Außerdem steigt die Zahl von Herzkreislauferkrankungen wieder an. Das Unfallrisiko geht außerdem auf andere Verkehrsmittel über. Im Auto hat man ein relativ höheres Risiko, eine Kopfverletzung zu erleiden (beim Trepprensteigen ein noch höheres). 

Die häufigsten traumatischen Verletzungen bei Radfahrenden stellen ohnehin Prellungen, Schürfwunden an Armen und Schultergelenk, Schulter- und Schlüsselbeinbrüche, Handgelenksbrüche und Rippenbrüche dar. Wird man von einem abbiegenden Lkw-Fahrer überrollt, führen Verletzungen des Rumpfes und der Beine zum Tod oder zu anschließender Behinderung, nicht Kopfverletzungen. Eine exakte Statistik der Verletzungs-Verteilung finde ich nicht. 2018 hat ein MTB-Radler, der Rettungsassistent war auf Twitter seine Erfahrungen aufgelistet: Bei seinen Einsätzen mit verunglückten Radfahrenden ging es um 56 Prellungen, 34 Schürfwunden, 31 Überdehnungen, 13 Armfrakturen, 10 Bänderrisse, 6 Beinfrakturen, 6 Schocks, 5 stark blutende Wunden und 2 Kopfverletzungen, teils waren es auch Mehrfachverletzungen. 

Wie ich immer sage, wenn ich übers Helmtragen schreibe: Ich trage einen Helm und das empfehle ich auch allen älteren Radfahrenden. Man reagiert langsamer und stürzt leichter und folgenschwerer als junge Radfahrende. 

Im individuellen Einzelfall - und das höre ich immer wieder - kann man sein Überleben bei einem Crash oder Sturz dem Helm zuschreiben, aber ob er das Unfallgeschehen nicht doch selbst beeinflusst hat, bleibt immer ungeklärt. Ich habe auch von sehr tragischen Kopfverletzungen junger Radfahrender gehört, die keinen Helm trugen. Ein Ruderkamerad von mir stürzte im Juli 2020 auf einem Radweg am Pragsattel auf den Kopf nach einem Zusammenstoß mit einem anderen Fahrradfahrer an einem Tag, an dem er ausnahmsweise - kein Mensch weiß warum - keinen Helm trug und es eilig hatte, und starb. Für ihn stellten wir damals ein Ghostbike auf. Ich vertrete die Ansicht, dass es eine individuelle Entscheidung sein muss, ob man beim Radfahren Helm trägt oder nicht. Eine Helmpflicht halte ich für nicht richtig. Für mich sind derzeit die Daten nicht so eindeutig wie damals die Daten bei der Einführung der Gurtpflicht oder der Helmpflicht für Motorradfahrende. 





6 Kommentare:

  1. " ... Helmquote fest. Auch der Autoclub ADFC behauptet das, geht aber in der Argumentation nicht ..." Es muss wohl ADAC und nicht ADFC heißen

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    1. Danke, habe ich korrigiert. Ich schreibe halt selten ADAC. 😊

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  2. Es gibt tatsächlich auch Radfahrer, die tragen keinen Helm- nicht wegen der Frisur, sondern weil die einfach nicht paranoid sind und sich mit irgendeinem Helm und pseudo Sicherheit selber belügen müssen. Der Airbag war an Schwachsinnigkeit kaum zu toppen. Doch: Airbag und Neongelb mit Blinklicht. Liebe Grüße.

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    1. Ja. Es gibt so einiges was wir als Menschen kollektiv nicht können. Risiken (kurz-, mittel- und lagfristige) richtig einzuschätzen, gehört dazu.

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    2. Ich versuche das ja immer differenziert darzustellen. Schließlich soll niemand für seine oder ihre individuelle Entscheidung für oder gegen einen Kopfschutz bei Radfahren abgewertet werden. Entscheidend ist nur, dass es niemals eine Helmpflicht gibt.

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  3. Das Hövding insolvent ist, ist bitter. Meine Schwiegertochter hat das Ding schon erfolgreich getestet ;-). Es bleibt zu hoffen, dass sich ein Nachfolgeunternehmen findet, nachdem die dümmliche Argumentation der schwedischen Verbraucherschutzbehörde gerichtlich keinen Bestand hatte.
    Auch wenn ich, wie Christine, aus o.g. Gründen gegen eine Helmpflicht bin, bleibt es dabei: ein Helm schützt!!!
    Mindestens drei Unfälle aus meinem Familien- und Freundeskreis könnte ich hier anführen. Einmal war ein Hund die Ursache - sonst Alleinunfälle. Das hat absolut nichts mit "paranoid" oder mit Risiko(fehl)einschätzung zu tun und erst recht nicht mit Verkehrsinfrastruktur. Und wer jetzt mit dem Argument kommt "...dann müssten auch Fußgänger*innen einen Helm tragen..." hat in der Schule in Physik gepennt.

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