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26. Dezember 2023

Die Parkplatzverschwörung

Sie besteht in Hannover im Bezirk Südstadt-Bult aus SPD, CDU und FDP und hat kurz vor Weihnachten beschlossen, die älteste Fahrradstraße abzuschaffen, damit Autobesitzer:innen ihre Parkplätze behalten. 

Das berichtet die HAZ hinter der Bezahlschranke. Die Stadt Hannover hatte nach einem Gerichtsurteil alle  Fahrradstaßen überprüft, um sie zu verbessern. Die Ergebnisse mit den vorgeschlagenen Maßnahmen wurden nur im Stadtbezirk Südstadt-Bult abgelehnt. Dort stellte man den Erhalt von Autoabstellplätzen über die Sicherheit der Radfahrenden mit der Konsequenz, dass mehrere Fahrradstraßen aufgegeben werden müssen. Ihr derzeitiger Zustand und Standard ist so schlecht, dass dies für Radfahrende keinen Unterschied macht. Im Grunde geht es darum, sie zu echten Fahrradstraßen zu machen. Übrigens hat auch in Stuttgart eine Koalition aus SPD, CDU und FDP (und AfD) eine neue Fahrradstraße in Stuttgart Ost abgelehnt, nur um Parkplätze für Autobesitzende zu erhalten. Die Geschichte aus Hannover geht so:

In Hannover gibt es 23 Fahrradstraßen. Die Brehmstraße im Stadtteil Bult gehört zu den ältesten, sie wurde vor 25 Jahren eingerichtet. Vor vier Jahren hat ein ehemaliger Verwaltungsrichter und Anwohner der  Kleefelder Straße gegen die Fahrradstraße vor seiner Tür geklagt. Das Gericht hob die verkehrsrechtliche Anordnung tatsächlich auf, aber nicht, weil es gegen Fahrradstraßen war, sondern weil noch Autoverkehr in der Straße zugelassen war. Das Gericht fand die Straße zu eng für den Begegnungsverkehr von Radfahrenden, die auch nebeneinander radeln dürfen, und Autos. Deshalb reduzierte die Stadt die Parkplätze von 30 auf 18. Der ehemalige Richter klagte erneut. Das Gericht kassierte letztlich die Entscheidung der Stadt, die Parkplätze zu reduzieren und befand 2021: "Wo Fahrradstraße drauf steht, muss auch Fahrradstraße drin sein." Darüber habe ich berichtet. Das Gericht befand, die Stadt müsse es Radfahrenden möglich machen, in beide Richtungen nebeneinander zu fahren, wo wie das gesetzlich erlaubt ist. Seit 2022 gilt in der Kleefelder Straße, die eine parkähnliche Wohnstraße ist, ein Parkverbot für Autos (bei reichlich Parkplätzen auf Privatgrund). Ein Modalfilter (Poller) verhindert das Durchfahren mit dem Auto (siehe Foto von Apple-Karten). 

Die Stadt überprüfte nach den Urteilen alle Fahrradstraßen in Hannover. Dafür stellte sie Kriterien auf: Der Radverkehr muss die vorherrschende Verkehrsart sein. Der Durchgangsverkehr mit Autos muss aus den Straßen herausgehalten werden und Radfahrende müssen nebeneinander fahren können. Deshalb muss die Fahrbahn eine Breite von mindestens vier Metern haben. Hat sie das nicht, müssen Parkplätze weg. Die Grünen fanden das gut, die FDP sprach von Diktatur. Man stellte fest, dass sich manche der Fahrradstraßen nicht regelgerecht ertüchtigen lassen. Die werden aufhören zu existieren. Die Vorschläge für Nachbesserungen gingen in allen Bezirksräten der Stadtteile durch, nur nicht in Südstadt-Bult. 

Dort sind mehrere Fahrradstraßen von Umbaumaßnahmen betroffen. Nur zwei behalten ihren Status als Fahrradstraße. Im Bezirksrat stimmte eine Mehrheit aus SPD, CDU und FDP dafür, vier Fahrradstraßen abzuschaffen, damit beim Umbau keine Autostellplätze verloren gehen. Das betrifft auch die älteste, die Brehmstraße. Dort sollten rund um den Robert-Koch-Platz (siehe Foto) 51 Parkplätze wegfallen, was der Grünanlage mit Spielplatz sicher auch sehr gut getan hätte. Hier kurven die Radfahrenden zur Menschingstraße, in der wiederum 40 Parkplätze wegfallen sollten und die nun auch zur Disposition steht. Die Grünen hatten in diesem Bezirksrat eine Koalition mit der SPD geschlossen, die mit dieser Entscheidung aufgekündigt wurde. Die Vereinbarung sah auch die Schaffung neuer Fahrradstraßen vor. 

Wie bei uns in Stuttgart der Bezirksbeirat, so ist in Hannover der Bezirksrat durchaus zuständig für Verkehrsplanung im Stadtteil, allerdings nur dann, wenn die Entscheidung nicht über den Stadtteil hinaus Bedeutung hat. Das ist bei Fahrradstraßen aber durchaus so, denn sie sind Durchgangsstraßen für den Radverkehr auch aus anderen Stadtteilen. Sie sind ähnlich wie Hauptvetkehrsstraßen für Autos für das gesamte städtische Radnetz von Bedeutung. Die Stadtverwaltung prüft nun. 

Letztlich geht es darum, ob aus den veraltet deklarierten Fahrradstraßen in Hannover anständige Fahrradstraßen werden, die Radfahrenden auch Vorteile bringen. 

Die Brehmstraße (siehe Fotocollage von Apple Karten) würde bei uns in Stuttgart auch nicht als Fahrradstraße durchgehen. Sie ist eine lange beidseitig nicht einmal übermäßig zugeparkte Nebenstraße mit Tempo 30 und mit Rechts-vor-Links-Verkehr an den Kreuzungen. Sie ist also keine Vorrangstraße. An ihren Eingängen stehen Fahrradstraßenschilder mit einer Freigabe für den Kfz-Verkehr. Auf der Fahrbahn sind die runden blauen Radweg-Schilder mit Richtungspfeilen aufgemalt. Immerhin, ein Modalfilter verhindert den Schleichverkehr (der Autofahrenden) in dem Straßenzug Brehm-/Meschingstraße. Für Radfahrende macht es - aus meiner Draufsicht aus Stuttgart - gar keinen Unterschied, wenn diese Tempo-30-Straßen keine Fahrradstraßen mehr sind. Den Unterschied würde es aber machen, wenn man sie zu echten Fahrradstraßen ausbauen würde: durchgängig breit genug, übersichtliche Kreuzungen mit Vorrang der Fahrradstraße, freigegeben nur für Kfz im Anliegerverkehr und optisch auffällig markiert.  


6 Kommentare:

  1. Alle Namen etc. notieren für die zukünftigen Prozesse gegen die Klimaverbrecher...

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  2. Bringen diese Fake-Fahrradstraßen eigentlich Vorteile für die Verwaltung?

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  3. Guter Coup der Autoindustrie bzw. ihrer diversen Lobbys.
    Mit der perfiden Erhöhung der Qualitätsanforderungen für Fahrradstraßen kann effektiv verhindert werden, dass diese prinzipiell leicht skalierbare und sehr kostengünstige Umwidmungsmöglichkeit den weiter stegenden Autoverkehr wirksam einschränken kann.
    'Sekt oder Selters' heisst dann in vielen Fällen halt 'Selters'- nicht nur im Bestand, sondern vor allem in der Planung.
    Die Skalierung nach oben wird 'regelbasiert' verhindert und macht so im Hinblick auf Umwelt/Klima das potentiell hochwirksame Instrument Fahrradstraße weitgehend untauglich.
    Alfons Krückmann

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  4. Die Fahrradstrassen, die ich kenne, sind nur entstanden, weil man gammlige sanierungsbedprftige Strassen sanierten wollte. Weil man aber Geld dazu brauchte, wurden Fahrradstrassen eingerichtet, mit Gehwegen, Bäumen und schönen Parkbuchten und - plätzen dazwischen. Für nur Sanierung gibts halt kein Geld.
    Karin

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  5. Ist es nicht umgekehrt? Die Stadt kann sich nicht mehr damit brüsten, x-hundert km Radinfrastruktur zu haben. Der Anteil "guter" Radverkehrsanlagen ist nun mal erheblich geringer.

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  6. wer hat uns verraten?

    karl g. fahr

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