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29. März 2024

Leipziger Zentrum ohne Autos?

Leipzigs Oberbürgermeister hat die Vision einer weitgehend autofreien Innenstadt. Das wiederum können oder wollen sich viele Leute nicht vorstellen. 

"Alle Städte, die aufs Auto gesetzt haben", wird Burkhard in einem Artikel der Leipziger Volkszeitung zitiert, "die immer mehr und immer breitere Straßen gebaut haben, sind im Desaster gelandet. Die autogerechte Stadt war ein Irrweg." Er räumt in dem Interview aber auch ein, die große Vision sei in den nächsten zehn Jahren nicht zu realisieren. Sein Ziel bleibe aber die sukzessive Anbindung an das Radverkehrsnetz der Stadt. Der Schwerpunkt dürfe nicht mehr auf dem motorisierten Individualverkehr liegen. Schon aus Gründen unseres Schutzes vor dem Klimawandel. Auch in Leipzig sei das Auto immer noch das wichtigste Verkehrsmittel, aber seine Dominanz müsse durchbrochen werden. 

Die Leipziger Volkszeitung startete prompt kurz vor Weihnachten eine Umfrage (die der Anwerbung von Abonnent:innen diente), in der am 22. Dezember knapp 68 Prozent sich das "nur schwer vorstellen" konnten, und knapp 32 Prozent den Ring ohne Autos und mit mehr Platz für Rad- und Fußverkehr super fanden. Die innerstädtische Diskussion scheint sich vor allem um die Frage zu drehen, die auch bei uns sofort aufkommt, wenn es um die Vision von weitgehend autofrei geht: Und was machen die Handwerker:innen dann? Wie kommen die zu den Häusern? Und die Pflegedienste? Und die Menschen, die schlecht zu Fuß sind? Das sind jedoch immer vorgeschobene Argumente. Denn es wird geflissentlich überhört, dass es bei "weitgehend autofrei" nur darum geht, den meist unnötigen privaten Autoverkehr einzuschränken (Behindertenparkplätze gibt es auch immer noch), nicht aber den Wirtschaftsverkehr, abgesehen davon, dass man über andere Antriebsarten beim Transport von Paketen nachdenken kann und manche Handwerker ohnehin schon besser mit dem Lastenfahrrad unterwegs sind. 

Wenn es um die entschlossene Umorganisation der Städte geht, wird bei uns immer Bürgermeisterin Anne Hidalgo aus Paris genannt. Sie hat das Seineufer teilweise autofrei gemacht und in ihrer Amtszeit in Paris Tempo 30 eingeführt, Radwege bauen lassen und Parkplätze abgeschafft. Auch sie will das Zentrum jetzt von Autos befreien, Bäume pflanzen und bei SUV-Fahrenden eine Parkgebühr von 18 Euro pro Stunde einführen. Im Zentrum von Paris hat sie eine politische Mehrheit für ihre Pläne, im Umland aber nicht. Sie arbeitet im Pariser Rathaus mit einer festen Koalition aus Grünen und Kommunisten zusammen. Wie die taz schildert, kümmern sich die Kommunisten um den sozialen Wohnungsbau und die Grünen um die Klimapolitik und stören sich gegenseitig nicht groß.  

Wäre das in Deutschland auch möglich? In Deutschland ist der oder die OB Verwaltungschef:in, er oder sie regiert nicht. Die Entscheidungen treffen die Mitglieder des Gemeinderats. In manchen Städten bilden sie Koalitionen, in anderen nicht. In Deutschland kann eine:e visionäre:r Oberbügermeister:in solche rasanten Veränderungen nur dann hinkriegen, wenn er oder sie eine verlässliche grün-soziale Mehrheit hat, die auch dann nicht kippt, wenn Parkplätze verschwinden oder Parkgebühren für große Fahrzeuge erhöht werden sollen. Da geht in Deutschland die SPD dann schnell von der Fahne. Sie sagt dann oft, dass Menschen mit niedrigem Einkommen Parkplätze für ihre Autos brauchen. Obgleich Menschen mit niedrigem Einkommen (ohne Garagen) meistens gar keine Autos haben. Sie fahren öffentlich und gehen zu Fuß. Dennoch finanzieren die Menschen, die kein Auto haben, die Autos der anderen mit 5000 Euro jährlich und haben nur Nachteile davon, keinerlei Vorteile. Es wird also Zeit, dass man dafür sorgt, dass auch sie - zu Fuß oder mit Fahrrädern - sicher und bequem mobil sein können. 



4 Kommentare:

  1. Gerade gelesen:
    https://web.de/magazine/panorama/frankreich-drittel-unfaelle-lyon-tempo-30-39490086
    Es ist unfassbar für mich, dass es diese Möglichkeit vorläufig bei uns nicht geben wird.

    Wolfgang

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    1. Für mich ist das auch stets unfassbar, dass wir die Möglichkeit haben, auf einfache und kostengünstige Weise die Zahl im Straßenverkehr getöteten oder schwer verletzten Menschen deutlich zu reduzieren, es aber nicht tun. Dafür braucht es allerdings auch die Unterstützung der Leute, des Wahlvolks, damit die Politiker:innen wissen, dass das viele wollen und sich trauen.

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  2. https://taz.de/Anne-Hidalgo-und-die-Fahrradstadt-Paris/!5826592/

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