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29. Januar 2025

Wir treffen uns, um Natenoms Tod zu gedenken

Am 30. Januar vor einem Jahr wurde der Fahrradaktivist Natenom auf einer Landstraße bei Pforzheim im Alter von 43 Jahren von einem Autofahrer getötet. 

An diesem Sonntag, dem 2. Fabruar werden sich viele Radfahrende nach Pforzheim begeben und dort an Andreas Mandalka, alias Natenom erinnern. In Pforzheim beginnt die Gedenkfahrt um 11 Uhr. Zubringerfahrten sind unter anderem aus Frankfurt, Darmstadt, Heidelberg, Stuttgart, Karlsruhe und Offenburg geplant. Die Zubringerradfahrt aus Stuttgart startet am Sonntag am Vaihinger Bahnhof um 7:30 Uhr (Infos zum genauen Ablauf hier). Es wird auch in verschiedenen Städten, darunter in Berlin und Stuttgart, Demonstrationen und Kundgebungen geben. In Stuttgart wollen wir uns morgen, am Donnerstag, dem 30. Januar, um 18 Uhr in der Dorotheenstraße beim Verkehrsministerium zu einer Kundgebung treffen. Auch in Pforzheim gibt es bereits morgen eine Fahrrad-Demonstration zur Unfallstelle, wie die bnn berichten

Andreas Mandalka engagierte sich für mehr Verkehrssicherheit beim Radfahren und wurde deshalb als Störenfried betrachtet, aber auch gehörig angefeindet. Die von ihm immer wieder anlässlich konkreter Ereignisse eingeforderte Unterstützung durch Polizei und Justiz bekam er meistens nicht. 

Auf seinem Blog und damit in den sozialen Medien teilte er uns als Natenom seine Erlebnisse mit (wie zum Beispiel hier in diesem Beitrag über eine Gefahrenstelle). 

Sein Tod wurde nicht vor einem öffentlichen Gericht verhandelt, nachdem der Fahrer den Strafbefehl mit Fahrverbot und einer Strafe in höhe eines halben Jahresgehalts (150 Tagessätze) schließlich doch akzeptiert hatte. Er gilt damit als vorbestraft. Wie die taz berichtet hatte der 77-Jährige nach Ansicht der Staatsanwaltschaft und des Richters den Radfahrer trotz guter Sichtverhältnisse "aus Unachtsamkeit gänzlich übersehen". Er fuhr ungebremst mit 80 oder 90 km/h auf Natenom auf, der sein Licht anhatte und eine Warnweste trug. In dem taz-Artikel sind weitere Einzelheiten zu finden. Der Stern-Artikel zeigt Fotos (Triggerwarnung!). 

Mandalkas Mutter kritisiert die Behörden als wenig mitfühlend, wie die bnn hinter der Bezahlschranke berichten. Bis heute kämpft sie gegen Anfeindungen. Auf Reddit ist der Zeitungsartikel als Bildschirmfoto veröffentlicht. Er offenbart, wie sehr ein Todesfall im Straßenverkehr die Hinterbliebenen belastet und und mit welcher Herzlosigkeit sie sich von Behörden und Staatsanwaltschaft behandelt fühlen, wenn der Tote ein Radfahrer ist. Natenoms Mutter belastet vor allem, dass sie nie Abschied neben konnte, auch nicht von den sterblichen Überresten, weil man ihr nicht mitgeteilt hatte, wann die Leiche freigegeben worden war. Das Videomaterial vom Unfall - denn Natenom fuhr immer mit Kamera - hat die Staatsanwaltschaft nie herausgegeben. Nach dem Tod ihres Sohnes wurde sie außerdem mit soviel Hass konfrontiert, dass sie ihren Sohn im kleinen Kreis heimlich und anonym beerdigen musste. Wenn sie die Gedenkstätte an der Straße besucht, dann wird sie von manchen Autofahrenden angehupt und gestisch beschimpft. Diese Gedenkstätte war auch gleich nach der ersten Gedenkfahrt vor einem Jahr verwüstet worden. Es ist unfassbar, dass immer noch viele - und das auf ungeheuer hämische Weise - die Schuld am Tod dem Radfahrer selber geben. Natenom fuhr auf der Fahrbahn. Der parallele Weg war voller Schlaglöcher und so schlecht, dass die Gemeinde Neuhausen die Radwegschilder entfernt hatte. Die Behauptung, er habe seinen Tod durch einen Autofahrer provoziert, ist falsch, aber sie ist eben auch ein Kennzeichen dafür, dass Radfahren im Alltag in Deutschland von etlichen Autofahrenden immer noch als Provokation empfunden wird. 

Deshalb ist Natenoms Tod für uns - für die Radcommunity - in wichtiger Gedenktag. Sein Name und seine Person stehen für selbstbewusstes und verkehrskritisches Radfahren, für die behördliche Geringschätzung der Gefahren, die vom Autoverkehr ausgehen und für den unfassbaren Hass, den wir Radfahrende auslösen können. Und dafür, dass man in Deutschland den Verkehrs-Opfern vorwirft, selbst Schuld zu sein. 

8 Kommentare:

  1. Danke für diesen sachlichen Artikel und die Klarstellung der Fakten

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  2. Danke für diese Info! Ist mir völlig unverständlich, aus welchen Gründen die Staatsanwaltschaft die Videos nicht herausgeben will. Was soll da vertuscht werden?

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  3. Vielen Dank für diese Zusammenfassung! Das Video müsste die Staatsanwaltschaft doch an seine Mutter (= Erbin) herausgeben müssen, oder?
    Thomas

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    1. Nach meinen Informationen von einer Person, die die näher dran ist, hat sie das eben nicht getan.

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    2. Danke, kann ich grundsätzlich verstehen.

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  4. Der ganz unten verlinkte Artikel ist ebenfalls exzellent, hatte ich vergessen (danke der Erinnerung) !

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  5. Ich fand das Bild, das die Behörden nach außen abgegeben haben nicht prickelnd. Transparente Aufklärung, nachvollziehbare Schlüsse und dann der Strafbefehl, ohne öffentliche Verhandlung, bei einem Fall, der so stark in der öffentlichen Wahrnehmung stand, da bleibt einfach ein Geschmäkle, selbst wenn alles korrekt gelaufen ist/wäre.
    Die Behandlung der Mutter von Natenom halte ich für nicht mehr nachvollziehbar. Sitzen dort in den Ämtern nur unempathische Roboter? Können die sich nicht vorstellen, was in einer Mutter vorgeht?
    Für mich ist es beim Unfall immer noch nicht einsehbar, wie man einen Radfahrer mit korrekter Beleuchtung auf der Landstrasse "übersehen" kann. Ein normales Rücklicht sieht man ewig weit schon. Ist er jetzt weiter eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer? Hat man denn mal den Grund für das "Übersehen" ermittelt? Wenn ich sehe, wie blind manche da draußen rumfahren, frage ich mich schon, womit die Leute beim Autofahren beschäftigt sind, jedenfalls nicht mit nach vorne sehen. Und das kostet Menschenleben.
    Ich bedauere den Verlust von Natenom sehr. Er hat immer in ertaunlich ruhiger Art und Weise von den unglaublichsten Verkehrssituationen berichtet. Ich hätte das so ruhig nicht gekonnt.
    Karin

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  6. Kurz vor dem Unfall hatte Natenom noch gepostet dass die Behörden selbst bei bewiesener Berührung bei einem "Überholvorgang" nicht tätig wurden. Meiner Ansicht nach (bin kein Volljurist) ein klarer Fall von Strafvereitelung im Amt.

    Juristen können sich über die Grenzen zu einer Strafbarkeit nach §315c Abs. 1 Nr. 2b) streiten (die Gefährlichkeit ist gerichtlich schon seit 1975 eigentlich bei weniger als 1,5m Überholabstand innenorts und 2m aussenorts und bei Kindern bestimmt, leider jetzt als OWi in der StVO definiert obwohl eigentlich schon Straftat, vielen Dank Andy).

    Wenn es zu einer Berührung kommt muss jedoch eigentlich nur noch bestimmt werden ob es sich um Vorsatz (Freiheitsstrafe bis 5 Jahre) oder Fahrlässigkeit (bis 2 Jahre) handelt.

    Ich würde ja gerne im Sommer in BaWü mit dem Rad Urlaub machen, aber das geht erst wenn sich da etwas ändert. Trotz Grüner Landesregierung (!) fällt BaWü als das Bundesland mit der unverfrorensten und menschenverachtensten Autojustiz und Autozei im Westen auf.

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