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18. Februar 2025

Wien will, wir nicht

Ich bin neidisch. Die österreichische Hauptstadt baut in Rekordzeiten ihren Radverkehr aus. Über die Grünen Pfeile habe ich schon berichtet. Im vergangen Jahr kamen 23 km Radinfrastruktur dazu, nach 20 km im Jahr davor. Und wir? 

Selbst wenn man der von sich selbst begeisterten Darstellung von Fahrradwien mit einem bisschen Misstrauen begegnen wollte (ich kann nicht nachprüfen, wie gut die Radwege sind), scheinen sie schnell voranzukommen. Vor allem scheint der Zeitrum zwischen Beschluss, Planung und Ausführung kurz zu sein. Bei uns in Stuttgart ist das nicht so. Zwischen Beschlüssen und Ausführung vergehen nicht selten sechs Jahre (z.B. Haupradroute 2, die immer noch nicht fertig ist). Ein Teil der Stadtverwaltung und Stadtpolitik will, ein anderer nicht. Im Gemeinderat gibt es noch immer eine Mehrheit für klimagerechte Mobilität, also für den Fuß- und Radverkehr. In der Verwaltung gibt es höchst engagierte Planer:innen. Doch scheint die Einigkeit beim Aufbruch zur Fahrradstadt nicht vorhanden zu sein. Die Stuttgarter Zeitung hat das Thema unter dem Titel "Wenn Radwege trotz Beschluss ewig auf sich warten lassen" aufgegriffen (STZPlus) und führt neben der HRR 2 Hedelfingen die Rad- und Busspur  unter der Bahnbrücke der König-Karl-Straße in Cannstatt an.

Die hätte Ende letzten Jahres kommen sollen und soll jetzt im Frühjahr kommen. Allerdings ist auch sie eine Versuchsstrecke, weshalb vom Beschluss bis zur Ausführung gerade Mal ein Jahr vergangen ist. Schnell gingen nach dem Beschluss auch die Radstreifen entlang der Kaltentaler Abfahrt, weil auch sie einen Verkehrsversuchscharakter haben (die Evaluation steht noch aus). Aber was nicht als Verkehrsversuch deklariert werden kann, braucht Jahre bis zur Umsetzung. Zuerst kreisen die Vorlagen mindestens ein halbes Jahr lang durch die Bezirksbeiräte und Gmeinderatsausschüsse, zuweilen werden sie von Unterschriftenaktionen derer begleitet, die Radwege ablehnen, sobald dafür Parkplätze oder eine Autofahrspur wegfallen, dann wird ein Kompromiss beschlossen, und dann warten wir Jahre lang auf den Beginn des Baus. Einer provisorischen Alternativ-Radstrecke zum Schlossgarten vor der Oper hat sich der Ordungsbürgermeister strikt verweigert. Immerhin ist der Bereich inzwischen ein gemischter Geh- und Radweg geworden. Natürlich ist alles sehr komplex, aber ich bin Anhängerin der chinesischen Weisheit: Wer will findet Wege, wer nicht will, findet Gründe. 

Seit über sechs Jahren ist die autofreie Innenstadt beschlossen, es soll nur noch Zufahrten zu den Parkhäusern geben, aber bisher ist im inneren City-Ring nur die die Lautenschlagerstraße für den Autoverkehr gesperrt und die Eberhardstraße nominell eine autofreie Fahrradstraße geworden (ohne es wirklich zu sein), auf die Autofreiheit beispielsweise der Gymnasiumstraße zwischen Kronprinzenstraße und Theo,  oder der Dorotheenstraße warten wir noch immer. Seit den kurz bestehenden Pop-up-Radwegen im Coronajahr 2020 entlang der Theodor-Heuss-Straße ist auch klar, dass es dort Radwege geben muss. Fertig gestellt wurde im Zuge eines Hausneubaus nur ein kleines blaues Stück am Rotebühlplatz Richtung Bahnhof. Der Rest lässt auf sich warten. Baubeginn soll Ende dieses Jahres sein. Auch auf den Radweg entlang der Jahnstraße als Verbindung zwischen Ost und Degerloch warten wir seit 2022. Baubeginn soll offiziell Frühjahr dieses Jahres sein. Mal sehen, ob das auch so ist. 

Ich finde, wir brauchen endlich lückenlose Radverbindungen, zum Beispiel zwischen Innenstadt und Degerloch. Die Mauer mit neuem breiten Gehweg, der mit dem Rad befahren werden darf, an der Neuen Weinsteige ist immer noch nicht fertig und die Alte Weinsteige ist steil und stressig wegen des weitgehend illegalen Autoverkehrs. Oder  entlang der Mercedesstraße und der B14. Und eine Alternativstrecke zum Schlossgarten zwischen Neckartor und Cannstatt. Angedacht, teils geplant und beschlossen ist es, aber es dauert halt. Es dauert alles sehr sehr lange. 



 

4 Kommentare:

  1. Es fehlt halt einfach die Einsicht, dass man Radwege braucht, solange Autofahrer sich wie Rambos benehmen. Gäbe es die vielzitierte Rücksichtnahme, die auch in der STVO steht, bräuchte man vieles nicht. U. a. z.B. Poller.
    Karin

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  2. "Selbst wenn man der von sich selbst begeisterten Darstellung von Fahrradwien mit einem bisschen Misstrauen begegnen wollte"
    Basierend auf Openstreetmap-Daten, gibt es eine Visualisierung der Radinfrastruktur in Wien: https://vienna-cycling-quality.lw1.at
    Das ist tatsächlich besser als hierzulande.

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    1. Das es besser ist als hier, daran zweifle ich nicht, aber vermutlich ist auch nicht jede Ecke ideal gelöst. Übrigens haben mir Leute, die in Wien geradelt sind, erzählt, dass die Autofahrenden sehr wüst sind, wenn man nicht auf Radwegen radelt. Stuttgart sei ja sehr friedlich, meinte der Radler. Hier werde man nicht ständig angehupt.

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  3. Heute in der 'Stuttgarter Zeitung' kann jede/r nachlesen, wofür in Stuttgart Geld und Energie vorrangig eingesetzt werden soll: der sogenannte Leuzeknoten soll mit 495,5 Millionen Euro den Auto!!! -Verkehr die Bundesstrassen B10 und B14 verknüpfen.
    Das ist eine halbe Milliarde Euro für ein (etwas größere) Strassenkreuzung. Wieviel Kilometer Fahrradwege oder Bahnkilometer könnten für diesen Betrag gebaut werden?

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