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29. Februar 2020

Durchwursteln als Prinzip für Radfahrer

Autofahrer haben Straßen. Radfahrer haben Systemwechsel. Ihre Strecken setzen sich aus Unterbrechungen, Gehweg-Fahrbahn-Hopping und lauter ungeklärten Situationen zusammen. 

Seit Jahren befahre und bestaune ich die Radstrecken rund um den Marienplatz. Radfahrende finden sich irgendwie durch, Konflikte sind selten. Geht also. Dennoch sind diese Wege symptomatisch dafür, wie sehr Radfahrende bei der Suche nach einer Radelstrecke von A nach B allein gelassen werden. Ein paar Meter Radstreifen bringen ein paar Meter Klarheit, aber die endet eben auch nach ein paar Metern.

So kommt man aus der Filderstraße auf den Marienplatz.
Wer aus der Fildertraße Richtung Marienplatz will, hat einen Radstreifen rechts neben den zwei Fahrspuren für die Autos, aber keine Radlerampel und kein ein paar Sekunden früheres Grün. Er/sie soll dann über die Kreuzung radeln. Dahinter verengt sich die Fahrbahn, der Radstreifen hört auf. Und es gibt bestimmt einen Autofahrer, der unbedingt vorher noch vorbei will, und, wenn er es nicht geschafft hat, motorstark hinter dem Radler schnauft. Die nächste Ampel ist nämlich nur dann noch grün, wenn man 50 km/h fährt, also mit Radler vor sich, nicht mehr zu erreichen. Kaum eine Radlerin, kaum ein Radler fährt tatsächlich so. Die meisten schwenken nach der Fußgängerverkehrsinsel nach rechts auf die Fußgängerfurt ein (grüne Pfeile) und fahren in den Fußgängerbereich des Marienplatzes (für Radler frei). Die Fußgängerampel hat übrigens immer noch kein Radzeichen in der Streuscheibe (muss also nicht beachtet werden). Zum Glück ist sie Grün, wenn Radfahrende wie beschrieben aus der Filderstraße kommen. Es kommen einem natürlich dabei Fußgänger und Radfahrer entgegen, (blauer Pfeil).
Einige wenige fahren übrigens auch runter vom Radstreifen und stellen sich bei den Fußgängern auf dem Gehweg auf (gelbe Pfeile).

Wie kommt man aber nun ins Lehenviertel?
In umgekehrter Richtung wird es komplizierter. Recht viele Radfahrende wollen vom Marienplatz in die Lehenstraße bergauf ins Lehenviertel. Und das ist ein reines Pfadfinderabenteuer ohne jegliche Hifelstellung durch Infrastruktur.

Man kann die Kolbstraße hoch fahren.
Das ist eine eher unangenehme Variante des Fahrbahnradelns. Denn bergauf gibt es keinen Aufstellplatz für Radfahrende und auch keine Radlerampel, die wie bergab zusammen mit dem parallelen Fußgängerüberweg sieben Sekunden vor den Autofahrenden Grün bekommt. Man muss warten, bis die Autoampel grün wird. Dann aber starten die Autos, und so mancher Fahrer will unbedingt am Radler vorbei, bevor es bergauf Richtung Lehenstraße geht. Das führt zu Überholstress, gerne auch mit knappen Überholabständen. Viele schlaue Radler/innen starten deshalb bereits, wenn sie sehen, dass die parallele Fußgängerampel grün wird. Das ist illegal und ein Rotlichtverstoß. Aber es ist ein enormer Vorteil, denn dann sind sie schon weg, wenn der überholpanische Massenstart der Autofahrenden beginnt. Manche stellen sich so an der Ecke auf, dass sie die Autoampel schon gar nicht mehr sehen können. Einige benutzen die Fußgängerfurt. Manche Radler stehen auch links neben den Autos auf der Bergab-Radspur, weil sie meinen, das sei ihr Radstreifen.
In der Kolbstraße fehlt eben die Radspur und eine Radlerampel bergauf. Schon lange, und ich habe auch schon oft darüber geschrieben.

Und weil man dieser Autoampel auch noch sehr lange steht (ca. 2 Minuten), nehmen mehr Radfahrende den Weg über den Marienplatz beim Kaiserbau bergauf. Als Rad-Fußgängerampel gestaltet ist nur der neue Überweg zum Rewe, der aber hat einen schlecht erreichbaren Ampeldrücker,  ist so eng und wird von so vielen Fußgänger/innen benutzt, dass es sich empfiehlt, zur Ampel am Heslacher Tunnel hochzuradeln. Ist auch mit den kleinen grünen Fahrrad-Wegweisern so ausgeschildert. Die dreizügige Ampel rüber zum Rewe und zur Filderstaße ist fußgängerfreundlicher geschaltet und wird in kürzeren Abständen grün. Sie hat allerdings immer noch keine Radzeichen in der Streuscheibe und muss von Radfahrenden nicht beachtet weren. (Es empfiehlt sich aber dringend, sie zu beachten!) Die Furten sind breiter, sodass man sich halbwegs gut durch die Fußgänger/innen schlängeln kann. Außerdem kann man sich auf den Verkehrsinseln schön an den Drückern festhalten und steht sehr bequem.

Dahinter aber wird es richtig kompliziert. Wir landen nämlich auf einem linksseitigen Gehweg, der für Radfahrende freigegeben ist. Von hier gibt es fünf (5!) Wege zur Lehenstraße zu kommen. Und die Menge ist kein Vorteil, denn jeder ist schlecht.  


1. Wir können uns sofort rechts an der Fußgängerampel über die Filderstraße Richtung Tunnelmund aufstellen (grüne Pfeile). Die ist aber gerade Rot geworden und man wartet (also fährt man weiter). Sie ist außderdem zweizügig. Man wartet auf der Verkehrsinsel wieder, weil die Rechtsabbieger, die aus dem Tunnel kommen, gerade Grün haben. Man will aber auch gar nicht rüber auf den dort nicht mehr freigegebenen Gehweg, sondern nach links auf die Fahrbahn der Filderstraße Richtung Lehenstraße einschwenken. Auch hier gibt es keine Fahrradzeichen in der Streuscheibe, also kann man fahren, wenn die Fahrbahn frei ist. Ist aber umständlich und mit Stop-and-Go-Warterei verbunden. Macht niemand.

Wir radeln also auf dem linksseitigen Gehweg (hellblauer Pfeil) weiter. Er ist breit und für Radler freigegeben. Es sind aber auch fast immer Fußgänger/innen unterwegs, die man auf keinen Fall wegbimmeln darf.

2. Die meisten Radfahrenden radeln dann durch den Wartebereich der Bushaltestelle weiter bis vor zur Ecke, wo die Lehenstraße die Filderstaße kreuzt, halten an der Gehwegecke oder fahren auf die Sperrfläche runter und nutzen spätestens das Fußgängergrün an der Fußgängerampel über die Filderstaße, um in die Lehenstraße hoch zu fahren (dunkelblaue Pfeile). Diese Strecke ist völlig ungeregelt. Weil am Ende der Gehewegstrecke ein Fußgänger-Schild steht, das das Weiterradeln verbietet, weiß ich, dass ich durch die Bushaltestelle radeln darf. Denn das Radfrei-Schild steht eigentlich so, dass man meint, nur der Weg nach links sei freigeben.

3. Wenn man davon ausgeht (was bei Schildern für Radfahrende leider oft gar nicht der Fall ist), dass Schilder immer rechts vom Geltungsbereich stehen müssen, dann müssten wir hier nun nach links auf den Parkpweg abbiegen (violette Pfeile), runter zur Lehenstraße fahren, auf die Lehenstraße einbiegen, die wieder hoch radeln, am Stoppzeichen der Einmündung zur Filderstaße kurz halten und können dann geradeaus weiter die Lehenstraße hoch fahren (auch hier nutzt man gern das Fußgängergrün).

4. Wenn man weder durch die Bushaltestelle fahren, noch den bergab-bergauf-Umweg (violette Preile) um die Grünfläche herum nehmen will, dann gibt es noch die Möglichkeit, dort, wo der Radstreifen beginnt und der Bordstein zufällig abgesenkt ist (auf dem Foto dort, wo das schwarze Auto gerade ist): Man hält, wartet den Autoverkehr auf der Filderstraße ab und fährt dann diagonal über die Fahrbahn auf die rechte Seite der Filderstraße (hellblaue Pfeile). Meistens ist frei, nur zur Hauptverkehrszeit stauen sich hier die Autos auf der Bussspur und entlang des Radstreifens Richtung Haupstätterstraße und Marienplatz. Dann kommt man eher nicht durch. Nachteil dieser Variante (die ich jedoch bevorzuge und mit mir immer mehr Radfahrende) ist, dass man dann an der roten Ampel steht, wenn die über die Filderstaße querenden Fußgänger/innen Grün bekommen haben. Und da das bei der Bedarfsampel oft und schnell der Fall ist, steht man eigentlich jedes zweite Mal. Macht aber nichts, man kann den Fuß auf dem hohen Bordstein abstellen, und man wartet auch nicht lange. (Hier wäre ein Grünpfeil für Radfahrende extrem sinnvoll.) Hat man Grün, kann man in die Lehenstraße nach rechts einbiegen, muss aber aufpassen, dass der Winkel nicht zu flach ist, weil man sonst am 3-cm-Bordstein der Gehwegüberfahrt stürzten kann.

5. Und nicht ganz ernst zu nehmen, aber von manchen eher ängstlichen Radfahrenden oder solchen, die an dieser Stelle zum ersten Mal sind, genutzt, ist der Fiußgängerüberweg auf der anderen Seite der Lehenstraße, von dem heraus man dann in die Lehenstraße zum Lehenviertel hinauf schwenkt. Da kann man dann allerdings mit geradeaus hoch schießenden Autos kollidieren, die ebenfalls das Fußgängergrün nützen, um die Filderstaße zu überqueren. Ist nicht zu empfehlen. Passiert auch nur sehr selten.

Durchwursteln als Verkehrsführungsprinzip für Radfahrende.
Kein einziger dieser Wege ist in irgendeiner Weise geregelt. Alle sind gekennzeichnet von vielfachen Systemwechseln: Fußgängerzone, Fußgängeampel, Autoampel, linkkseiteiger Gehweg, Fahrbahn, Gehwegecken, Bordsteinüberfahrten. Die Radfreischilder sind nicht überall eindeutig, die Ampeln sind dort, wo man radelt, nicht als Fahrradampeln gekennzeichnet, man muss vom Radsteifen auf Fußgängüberwegsfurten einschwenken oder aus Fußgängerfuhrten auf Fahrbahnen abbiegen. Dem direkten Weg auf der Fahrbahn fehlt bergauf auf unangenehme Weise jegliche Radinfrastruktur.

Radfahrende werden völlig damit allein gelassen, ihren Weg vom Marienplatz ins Lehenviertel zu finden. Durchwursteln ist hier das Prinzip. Und auch wenn die schon vor zwei oder drei Jahren mit Plänen im Bezirksbeirat Süd angekündigten Schutzstreifen entlang der Filderstaße tatsächlich mal angelegt worden sind (vermutlich muss man sie neu planen, weil wir solche Schutzstreifen inzwischen ablehnen), würden sie keinerlei Klärung darüber schaffen, wie man eigentlich den rechtsseitigen Streifen Richtung Lehenstraße vom Marienplatz her erreicht. Das bleibt Pfadfindertum mit halblegalen Manövern. Und falls wieder jemand sagt: "Radfahrer halten sich ja an keine Regeln", dann liegt es daran: Die meisten Ecken sind völlig ungeklärt. Da gibt es keine Regeln.


4 Kommentare:

  1. Ralph Gutschmidt1. März 2020 um 18:40

    Danke für den Artikel. Das ist ein typisches Beispiel für die Innenstadt.

    Wenn die Menschen überlegen, ob sie das Fahrrad nutzen möchten, interessieren niemanden die vielen tollen Hauptradrouten in den Außenbezirken. Es ist das Bild, das wir tagtäglich in der Innenstadt sehen, was den Eindruck hinterlässt. Ich sehe hier nach wie vor nur Stückwerk.

    Mein Vorschlag wäre, vorrangig wirklich einzelne Strecken durch die Stadt DURCHGÄNGIG auszubauen. Zum Beispiel vom Bahnhof zum Marienplatz. Oder Liederhalle bis Wilhelmsplatz. Oder wie auch immer. Vor allem Strecken von und zur Universität.

    Fahrradstrecken müssen sichtbar sein.

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    1. Ich gebe dir Recht. Leider haben wir noch keine Stadtplanung, die ganze Radrouten auf einen Schlag plant, und dann keine Umsetzung im Tiefbauamt auf ganzer Länge. Wir hängen noch viel zu sehr am Stückwerk und an Gelegenheits-Bauten, wenn sowieso an einer Straße was gemacht werden muss. Ich weiß gar nicht, wie wir das gedreht kriegen. Denn eignetlich brauchen wir jetzt ja schnell durchgängige Radstrecken längs und quer durch die Innenstadt, die auch funktionieren und nicht über ein halbes Dutzend Fußgängerampeln verlaufen. Aber das wissen wir ja. Nur in Pötte kommen ist halt schwierig.

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  2. Kurz was anders:
    Diese Warnbarken in der Kolbstraße sind ja an sich super.
    Hätte so etwas auch gerne in der Hasenbergstraße/Rotebühlstraße.. Wie oft ich hier um Autos rumkurven muss um den Drücker zu betätigen. Der an sich schon doof platziert ist. Aber aufgrund der Apotheke hier am Eck gibt es immer wieder das Argument: nur kurz.
    Wo kann man denn sowas einkippen?

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    1. Frank, schick mir Fotos, so zwei oder drei mit verschiedenen Autos drauf, dann schreibe ich darüber. Ich komme da so selten vorbei, dass ich kaum Gelegenheit habe, aussagekräftige Fotos zu machen. (Abgesehen davon weiß ich gar nicht, wo der Drücker ist, ich habe nie einen Drücker benutzt, wenn ich da war.)

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