Seiten

21. November 2021

Politik sieht Parkdruck, aber keinen Raddruck

Lenzhalde: vier Spuren für Autos
Das neue Zauberwort in der Mobilitätswende heißt Parkdruck. Es wird immer dann verwendet, wenn wegen eines Radwegs Parkplätze wegfallen sollen. Sonst nicht. 

In der Hohenheimer Straße gab es nämlich keinen Parkdruck, denn da musste die Fahrbahn hochzu zweispurig befahrbar gemacht werden. Dort wohnen in mehrstöckigen Häusern einer fast nahtlosen Wohnbebauung sehr viele Leute, denen man unterstellen könnte, das sie Autos haben, die sie irgendwo parken müssen. Allerdings nicht vor ihrer Haustür. Die müssen andere Straßen nehmen. In der Lenzhalde oder in der Talstraße oder wo auch immer man Radstreifen oder Radwege einrichten will, wohnen auch Leute. Die haben mehr Glück, denn es geht ja nur um Radwege oder Radstreifen. Und da gilt: Parkdruck ist immer ein gutes Argument. 

Parkdruck ist also die Weigerung, Straßenraum für den Radverkehr von geparkten Autos freizuräumen. Einen Radfahrdruck gibt es dagegen nicht. Er würde die Notwendigkeit bezeichnen, den Straßenraum zugunsten von Radstreifen von geparkten Autos freizuräumen.

In Straßen, in denen man von Parkdruck spricht, haben Autos meist vier Spuren für sich, zwei Parkplatzspuren und zwei Fahrspuren. Fußgänger:innen haben Gehwege, die zuweilen ebenfalls zugeparkt werden, nur Radfahrende haben nichts. Sie radeln auf der Fahrbahn und bremsen damit die Autofahrenden aus, wenn sie nicht überholen können, weil Gegenverkehr kommt und der Platz für einen Überholabstand von 1,5 Meter nicht reicht. Schutzstreifen, die meistens von der Verwaltung angeboten werden, weil Parkdruck herrscht, verbessern die Situation nicht, sie stressen vielmehr beide Verkehrssarten, den Radverkehr und den Autoverkehr. Autofahrende können nicht überholen und überlegen die ganze Zeit gestresst, ob sie es trotzdem tun sollen, schauen auf Lücken im Gegenverkehr, ärgern sich. Radfahrende sind gestresst, weil sie sich in die Dooringzone der geparkten Autos abgedrängt fühlen oder zu knapp überholt werden. Nur ein Radfahrstreifen schafft Frieden und Stressfrreiheit für alle, die Autofahrenden und die Radfahrenden. Aber er kostet eben Parkplätze. 

Überholdruck oder Parkplatzdruck, ihr müsst euch entscheiden. Die Menschen, die am Autoverkehr hängen, müssen sich entscheiden: Wollen sie akzeptieren, dass sie wegen Radfahrenden vor ihnen immer öfter langsam fahren müssen und unter Überholdruck leiden, oder wollen sie auf Parkplätze verzichten. Beides gleichzeitig geht nicht. 

Gleichzeitig ist der Parkdruck auch ein hergeholtes Argument, das der realistischen Grundlage entbehrt. In Darmstadt hat man nachgewiesen, dass etwa zwei Drittel der Autos, die am Straßenrand stehen, dort nicht stehen müssten, weil ihre Besitzer:innen Garagen oder Stellplätze auf dem eignen Grundstück haben. An der Hohenheimer Straße oder an der Hauptstätterstraße sehen wir, dass auch dort, wo viele Leute wohnen, nicht am Straßenrand geparkt werden muss. Hier haben die Anwohner:innen gar keine Wahl, weil Autofahrdruck herrscht, weil also alle Fahrspuren für den Autofahrverkehr bereitgestellt worden sind. Es geht also auch ohne Straßenrandparkplätze. Autobesitzende finden ihre Parkplätze woanders. 

20 Kommentare:

  1. Es wird doch immer klarer:

    - Argumente helfen nicht, es geht ja nicht um sachliche Grundlagen für Entscheidungen, und schon gar nicht darum, das Leben der Menschen zu verbessern.

    - Abstimmungen helfen nicht, auch einen Radentscheid kann man sehr gut zwischen den Mühlsteinen der Politik und Verwaltung zermahlen.

    - Freundlicher Druck hilft nicht, Demonstrationen, Velorutionen etc. werden eingedämmt und ignoriert, bis den Menschen die Motivation ausgeht.

    Was bleibt ist nur unfreundlicher Druck, aka ziviler Ungehorsam. Massives Straßenradeln selbst bzw. gerade dann, wenn eine ungenügende Radinfrastruktur da ist (das ist noch nicht mal illegal - braucht nur etwas Mut, aber den braucht man ja sowieso). Unangemeldete (Fahrrad)demos. Straßenblockaden zur Hauptverkehrszeit. Störung von Veranstaltungen bei denen die Politik der Autolobby in den Arsch kriecht (IAA neulich). Etc.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das ist gut analysiert und grade für Stuttgart zutreffend!

      Was ich mich noch frage: Inwiefern erzeugt das Straßenradeln in dem Sinne Druck für Änderungen?

      Löschen
    2. Sehe ich ganz genau so. Nach dem Koalitionsvertrag der Ampel diese Woche und der Nominierung des neuen Bundesverkehrsministers habe ich alle Hoffnung aufgegeben.
      Hoffentlich kaufen die Chinesen bald keine Autos mehr von uns und das Dienstwagenprivileg wird dem Statt zu teuer. Dann hört endlich diese Korruption auf und eine echte Verkehrspolitik bekommt eine Chance...

      Löschen
  2. Lustig, habe das schwäbische Wort "hochzus" noch nie geschrieben gesehen und sogar ohne das übliche 's'an Ende.

    Beim ÖPNV gibt's auch Parkdruck, z. B. in Pattonville, Ludwigsburg/Remseck. Wichtigstes Thema beim Bau der Straßenbahn ist offenbar, wie viele Parkplätze wegfallen. Dass die Parkplätze durch die Bahn ja überflüssig werden, kapieren die nicht - notfalls noch ein paar Carsharing-Plätze, dann ist parken wirklich kein Problem mehr.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Na, ein bisschen Schwäbisch muss auch mal sein. Ist doch sehr plastisch.

      Löschen
  3. "Parkdruck" ist wie "den Radfahrer auf die sichere Nebenanlage holen, die ist extra für ihn gebaut worden" (Extra 3 - "Der wohl kürzeste Radweg Deutschlands in Cloppenburg" - https://www.youtube.com/watch?v=4LarIQpKKBU): Eine Phrase, nach der man nicht mehr inhaltlich diskutieren muss.

    AntwortenLöschen
  4. Nur weil Parkdruck da ist, bedeutet das noch lange nicht, dass dort Radfahren nicht möglich ist. Es geht sogar ausgesprochen gut, wenn man sich nimmt, was so vorhanden ist. Mir genügt dazu 1 Fahrbahn vollkommen. Ich benötige keine zweite.
    Was ich ganz ungern habe sind solche Rad-Schutzstreifen, die einem vorgaukeln, es bestünde keine Gefahr, wenn rechts davon auch noch Autos parken. Mitnichten! Dooring ist stets und dauerhaft gegeben. Dann also 1,5 m Abstand zu den Autos einnehmen, bedeutet meist links vom Schutzstreifen zu fahren...
    Das ist genauso, als ob man sich einfach 1 Fahrbahn gönnt (tut das Auto eh) - und diese eine Fahrbahn genügt vollauf und ist auch nicht verboten. Mehr dazu als Anregung hier: https://www.urbanist-magazin.de/radfahren-in-der-fahrbahnmitte-na-klar/

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. ich mag Radschutzstreifen auch nicht, ich ziehe die Fahrbahn vor, aber darauf läuft gerade überall alles hinaus. Allerdings haben die Schutzstreifen in der Olgastraße dort mehr Radverkehr produziert. Und auf Fahrabahnen ohne alles und mit teils aggressiven Autofahrer:innen radeln hat Familien mit Kindern oder Ungeübte nicht gern. Damit kriegen wir nicht schnell so viel mehr Radverkehr, dass uns das Radeln auf Fahrbahnen ohne Radinfrastruktur Spaß machen würde. Auch ich will nicht immer mit Stress radeln, ich möchte auch gerne mal ohne Stress eine Bergstrecke hochfahren.

      Löschen
    2. In Urbanist-Magazin lese ich auch, jede Stadt habe die Radwege, die sie verdient. Heißt das, Stuttgart ist eine Scheiß-Stadt? Sieht jedenfals so aus...
      https://www.urbanist-magazin.de/jede-stadt-hat-die-radwege/

      Löschen
    3. Stefan Schwager, Fürstenfeldbruck

      "Parkdruck" liegt nicht im ermessensfreien Spielraum der Verwaltung, um auf die gesetzlich vorgeschriebene, verwaltungsrechtlich korrekte Rad-Infrastruktur zu verzichten. Ich verstehe bis heute nicht, weshalb in Stadt- und Gemeinderäten immer so getan wird, als sei die Verabredung zu nicht-legitimen Maßnahmen etwas "demokratisches".

      Vor kurzem habe ich wieder in leere Gesichter gestarrt beim Vorschlag, der Durchsetzung des gesetzgeberischen Willens mit Androhung von rechtlichen Konsequenzen im Gemeinderat zum Vollzug zu verhelfen.

      Ganz richtig: "Entweder oder, ihr müsst euch entscheiden." Aber m.E. nicht die autofahrenden Bürger, sondern die Stadträte. Die Kosten verlorener Verwaltungsgerichtsprozesse müssen nicht unbedingt vom Steuerzahler bezahlt werden, wenn der Bürgermeister vor der Abstimmung auf die verwaltungsrechtlichen Risiken hingewiesen wurde und er ihn trotzdem durchwinkt.

      Das ist zwar hart auszusprechen und "heile Welt im Stadtrat" ist damit wohl beendet, aber ich persönlich sehe keine andere Chance mehr.



      Löschen
    4. Jörg
      Vorsicht, die ERA2010 kennt viele schlechte Lösungen die komplett Rechtskonform sind. Außerdem kann man diese Empfehlung und andere Richtlinien verletzen ohne dass irgendeine Radlobby klagen kann.
      Wenn dem so wäre hätte die DUH dass hoffentlich schon geklagt.

      Löschen
    5. Die ERA2010 ist in vielen Punkten verbesserungsbedürftig. In Stuttgart wäre aber schon extrem viel geholfen und verbessert, wenn die ERA wenigstens konsequent angewendet werden würde (und zwar auch mit den Details und den differenziert betrachteten Fällen). Für manche Klagen muss man persönlich betroffen sein. Da kann die DUH höchstens unterstützen. Ich denke aber auch, dass die Radfahrerlobby genauso klagewillig werden muss wie die Autofahrerlobby. Dem Ansehen des ADAC schaden seine Klagen ja offensichtlich auch nicht.

      Löschen
  5. Wie hört sich denn das für euch an:
    Die Radwege sind breit und von der zweispurigen Straße und den Parkplätzen durch einen Grünstreifen sicher getrennt. "Das ist an allen Straßen so, wenn die Autos 50 Stundenkilometer fahren dürfen.

    Zudem sind unsere Ampeln mit Nässesensoren ausgestattet, damit sie bei Regen schneller auf Grün springen – wohlgemerkt nur für Radler, damit die flott weiterkommen. Die Autofahrer sitzen ja im Trockenen und können warten.
    Das sollte doch das erklärte Ziel sein!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. So hört sich das in Kopenhagen an, aber leider noch lange nicht in Deutschland. Aber es ist mein persönliches Ziel. Leider bin ich noch ziemlich alleine damit in Stuttgartl

      Löschen
  6. Jörg
    Fragen wir immer die Anwohner einer neuen Autobahn, ob es für sie OK ist wenn man vor ihrem Haus eine Autobahn baut? Und wenn sie sagen, "das ist mir nicht so recht - mit der Autobahn vor meinen Haus." Dann sagt man natürlich, gut wir verzichten auf die Autobahn.
    Ein komisches System wer bei uns über die Nutzung für den öffentlichen Raum entscheidet. Man kann sich dem Eindruck, dass mit zweierlei Maß gemessen wird nicht erwehren.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das ist auch mein Argument: Fragen wir eigentlich immer nur die Leute, die dagegen sind, dass sich etwas verändert? Im Moment sieht es so aus. Im Stuttgarter Gemeinderat gibt es keine Mehrheit mehr für die im Zielbeschluss vereinbarten Radinfrastruktur-Lösungen (Radwege oder Radstreifen überall, wo schneller als 30 km/h Auto gefahren wird), die SPD macht nicht mehr mit.

      Löschen
    2. Da frage ich mich schon, welchen Sinn ein Radentscheid hatte, wenn sich der Gemeinderat (ob derselbe oder ein neu gewählter) nicht mehr für frühere Beschlüsse interessiert?

      Löschen
  7. Ein weiteres Beispiel ist die Deckerstraße in Bad Cannstatt. Hier gibt es vier Spuren für die Autos (zwei Fahr- und 2 Parkspuren). Daneben läuft auf Seite der Bahngleise ein ca. 2 Meter breiter Streifen, der Gehweg, der für Radfahrende freigegeben ist und der die Stuttgarter Hauptradroute nach Fellbach darstellt.

    Es ist erbärmlich dort: Obwohl letztes Jahr neu gepflastert schanzt man als Radler über die Wurzeln der Platanen, weicht den dort - von den Raderln genervten - Fußgängern aus, die nicht selten ihren Hund an der Leine ausführen - ebenfalls ein Risikospiel, ob die Hunde nicht aufschrecken und ins Rad rennen.

    Zudem stolpern dort auf den Gehweg die Fahrer*innen der gerade geparkten Autos, um zum Parkscheinautomaten zu gelangen - die genau so aufgestellt wurden, dass sie den Rad- und Fußweg stören, nicht aber einen Parkplatz kosten.

    Des Weiteren steht an dieser Strecke ein Altkleidercontainer; wer ihn befüllen oder ihn durchsuchen will, steht häufig auch auf dem Rad-Fußweg. Auch hier wurde kein Autoparkplatz geopfert. Könnte man ja mal, oder?! Nein - sollen sich die Radler damit rumärgern.

    Zu guter Letzt ragen meist alle paar Meter Zweige von der Hecke entlang des Bahngeländes über das Geländer und Dornen-besetzte Fallen drohen, das Gesicht der Vorbeiradelnden zu zerkratzen. Würde man zulassen, dass (analog zur Gefährdung) gefährliche, das Heilgs Blechle zerkratzende Gegenstände auf die Autostreifen ragen?!

    Das sarkastische Fazit: Schön, dass die Stadt neulich den Asphalt auf der Decker-Straße erneuert hat. Jetzt rollt es sich gut für die Autos dort entlang der Hauptradroute.

    Kai

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Du vergisst den Altglascontainer mit den Scherben. Ich weiß schon, warum ich die Möglichkeit des Gehweg mit Rad frei dort nicht nutze.

      Löschen
    2. Dass Zweige und Dornen in die Fahrbahn ragen? Nein, das wird für den Kfz-Verkehr und Bahnverkehr regelmäßig fein säuberlich zurückgeschnitten. Bei Gehwegen und Radwegen handeln die Gemeinden sehr unterschiedlich. Ich habe in Winnenden ein Bußgeld angedroht bekommen, weil ein einziger Zweig in 2m Höhe nur noch zwischen 10 und 20cm entfernt vom asphaltierten Geh- und Radweg entfernt war. Vorbildlich! So streng sollte das Überwachen der Lichtraumprofile überall erfolgen.

      In Stuttgart stattdessen (Stand 2017, vielleicht wurde das mittlerweile geändert): die AWS (für das Reinigen der Wege zuständig) reinigt die Gehwege nicht bis zum Rand, denn dann würden ihre Fahrzeuge zerkratzen wegen der reinragenden Äste. Den Mitarbeitern der AWS wurde aber verboten, das Friedhofs- und Grünflächenamt aufzufordern, die Büsche und Bäume zurückzuschneiden, damit das Lichtraumprofil frei ist. Dann müsste die AWS nämlich die Kosten dafür übernehmen.

      Die Rathausspitze hat also die Ämter und Tochtergesellschaften so organisiert, dass sie nicht kooperieren dürfen.

      Löschen