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6. Januar 2022

Autos vergiften den öffentlichen Raum

Öffentlicher Raum ist wertvoll, derzeit nutzen ihn in Städten aber vor allem Autofahrende. Sie fahren und sie stellen ihre Autos auf der Straße ab. Das könnte man mit Park- und Fahrgebühren ändern.

In fast jedem Wohngebiet geören drei bis vier Spuren auf einer Fahrbahn den Autos, für Fahrräder gibt es fast nichts und für Fußgägner:innen mal mehr oder weniger schmae Fußwege, auf denen auch noch Parkscheinautomaten, Schilder, Bänke, Mopeds, Fahrräder und oft auch Autos stehen. Kinder können nicht spielen, Alte kommen mit ihren Rollatoren nicht durch, Eltern mit Kinderwagen machen einen Hindernislauf. Draußen vor der Tür scheint wirklich alles dem Auto zu gehören. Eltern fahren mit ihren Kindern dann mit dem Auto irgendwo raus, damit sie spielen können. Dafür brauche sie dann wieder ein Auto, das draußen herumsteht. Ein Teufelskreis, der zu von Autos blockierten Innenständten führt.

Die Subvention für Autobesitzende muss verringert werden. Wir werden in diesem Jahr in Stuttgart in der Politik und in der Öffentlichkeit darüber diskutieren, wie viel Autobesitzer:innen für das Abstellen oder Fahren ihrer Autos auf den Straßen bezahlen sollten und müssen.

Für den Ort, wo wir uns selbst, unsere Körper unterbringen, für Wohnungen müssen wir Miete zahlen, und nicht zu knapp. Eine Parkplatzfläche für ein Auto braucht rund 12 Quadratmeter. Das ist zuweilen mehr als ein Kinderzimmer einnimmt. Für so ein Kinderzimmer zahlen wir in Stuttgart durchschnittlich rund 190 Euro im Monat, im Jahr also 2.300 Euro. Das Auto aber stellen wir in Stuttgart für 31 Euro im Jahr ab, wo es ein Parkraummanagement gibt, ansonsten kostenlos. 

Der Tübinger Gemeinderat hat diese Gebühren im vergangenen Jahr auf 120 Euro und für schwerere Fahrzeuge auf 160 Euro im Jahr angehoben. Das ist nicht wirklich viel im Vergleich zu dem, was ein Auto in der Haltung sowieso kostet, und auch wenig im Vergleich zu dem Schaden, den Autos in einer Stadt anrichten. In Freiburg soll der Anwohnerparkausweis ab April 360 Euro kosten, Menschen mit Fahrzeugen länger als 4,7 Meter zahlen mehr, kürzere Autos kosten weniger. Die Entscheidung war umstritten und hatte nur eine Stimme Mehrheit im Gemeinderat. (In Stockholm zahlt man 827 Euro, in Amsterdam 538, in Kopenhagen 158  Euro.) 

Bei der Erhöhung der Abstellgebühren für Autos gehen die Emotionen hoch. Gegner:innen ziehen in ihrer Argumentation gern die Sozialkarte: Gerade Familien bräuchten große Autos, die sie sich offenbar nur gerade so oder unter großen Opfern im sonstigen Leben leisten können, und bei Anwohnerparkgebühren von 365 (1 Euro pro Tag) im Jahr, könnten sie sich ihr Leben oder ihr Auto nicht mehr leisten. Wer sich ein Auto für 30 bis 40 Tausend Euro anschaffen und mit Werkstattkosten, Betriebskosten und Wertverlust rund 900 Euro im Monat, also noch mal 10.000 Euro im Jahr bezahlen kann, für den sind Anwohnerparkgebühren von 365 Euro im Jahr aber doch wohl eher nix. Oder mit anderen Worten, das soziale Argument zieht nicht. Autos sind irre teuer, sie belasten übrigens auch die Familien stark. Außerdem belasten Autos gerade die wirklich sozial Benachteiligten, die oft an Durchgangsstraßen wohnen, weil die Mieten da nicht so hoch sind. Sie atmen den ganzen Tag Abgase und hören die ganze Nacht Autos, obgleich sie selbst gar keines haben. 

Ob Anwohnerparkgebühren tatsächlich die Zahl der Autos verringert, die an Straßenrändern parken, halte ich nicht für sicher. In Amsterdam wird weiterhin viel Auto gefahren, wenn auch deutlich mehr Fahrrad als bei uns, aber das liegt an der Infrastruktur. Wer sich Autos leisten kann, kann sich die Parkgebühren auch immer leisten. Vielleicht schaffen sich Leute ihre Zweit- oder Drittwagen ab, vielleicht stehen große Camper dann auf ausgewiesenen Parkplätzen und nicht mehr am Straßenrand. In jedem Falls aber beteiligen sich Autobesitzende dann an den hohen Kosten, die die gesamte Stadtgesellschaft - auch die, die gar kein Auto haben - aufbringen muss, um Platz für Autos vorzuhalten und zu unterhalten. Städte nehmen etwas ein (statt sich bisher nur die Verwaltungsgebühren entgelten zu lassen), und das kommt Kultur, Kindergärten oder Schwimmbädern zu Gute. 

Hohe Anwohnerparkgebühren könnten auch dazu führen, dass manche Leute aufs Land ziehen, wo sie ihr Auto kostenlos vor dem Haus abstellen können, und die fahren dann wieder in die Stadt hinein, wo sie arbeiten oder einkaufen, könnten also mehr Verkehr erzeugen. Dem könnte man mit einer City-Maut oder einem Mobilitätspass entgegenwirken.

City-Maut: Für München hat das ifo-Institut errechnet, dass eine City-Maut als Anti-Stau-Gebühr von 6 Euro pro Tag den Verkehr auf dem Cityring um 23 Prozent verringern würde. Wenn die Einfahrt in eine City samt Parkgebühren mehr kostet, als die Fahrt einer vierköpfigen Familie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Einkaufen am Samstag, dann werden viele Familien wohl die Stadtbahn, Straßenbahn, S-Bahn oder Busse wählen (und vermutlich sogar ganz glücklich damit werden, weil sie sich viel Stress sparen). Die Einnahmen aus dieser Gebühr (die ja von denen,  die viel Geld haben, locker bezahlt werden kann), kämen dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu Gute. Es würde auch vielen helfen, die sich jetzt noch täglich durch Staus quälen, weil ihnen Autofahren billiger erscheint als ÖPNV-Fahren, eine für sie schnellere und angenehmerer Alternative zum Auto zu entdecken.

In London gibt es schon seit 2007 eine City-Maut (12 Euro pro Tag). Gegen den Stau hilft sie nicht, weil man inzwischen Gehwege verbreitert hat und London stark wächst, aber sie verschafft Einnahmen und sie hat die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs erhöht und vor allem das Fahrradfahren. Der Autoverkehr hat sich in der Maut-Zone um knapp ein Drittel reduziert. Die Zahl der Radfahrenden wuchs um zwei Drittel. Der CO2-Ausstoß sank um 16 Prozent. Wichtig dabei ist, dass eine Stadt und ihre Region über ein attraktives öffentliches Nahverkehrssystem verfügt und das Radfahren attraktiv macht.

Mobilitätspass: Die Idee, dass man alle Stuttgarter:innen, die ein Auto haben, 365 Euro pro Jahr zahlen lässt und ihnen dafür automatisch ein VVS-Jahresabo (das dann auch nur noch 365 Euro kosten würde) zur Verfügung stellt, könnte bewirken, dass Menschen öfter Stadtbahn fahren, weil es ja eh schon bezahlt ist. (Nicht zu unterschätzen auch, dass viele notorische Autofahrende etwas Angst vor den Umständlichkeiten an den Ticketautomaten haben und gar nicht wissen, wie das geht, und dieses Hindernis fiele mit einem Abo weg.) Auch hier kämen die Einnahmen dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu Gute und die Menschen, die kein Auto haben, genössen eine Senkung ihrer Ticket- und  Jahresabo-Kosten. Dem Radverkehr würde das allerdings nicht viel nützen. Und die Frage ist auch, wie man das verwaltungstechnisch für Autofahrende löst, die von außen in die Stadt hinein fahren und dafür ein VVS-Ticket lösen müssen. 

Die politischen Voraussetzung für eine Erhöhung der Anwohnerparkgebühren und für einen Mobilitätspass sind jedenfalls geschaffen. Jetzt müssen die Gemeinderäte der Städte sich nur noch dazu durchringen, die Subventionen für den Autoverkehr wenigstens etwas zurückzufahren. Also lasst uns das mit so wenig Geschrei und Aufregung wie möglich einfach mal machen.

Übrigens, weil ja immer sofort die Frage auftaucht, warum Radfahrende nichts zahlen müssen und ihre Räder auf Gehwegen an Masten abstellen: Auf einen Autoparkplatz passen zehn Räder, und wenn auf der Fahrbahn Platz frei wird, kommen die Räder runter vom Gehweg. Auch Radbügel kosten ein bisschen Geld, allerdings bringen Radfahrende einer Stadt Geld ein, statt sie wie der Autoverkehr oder der öffentliche Verkehr Geld zu kosten, und deshalb ist es nicht nötig, bei Radfahrenden fürs Fahren oder Abstellen von Rädern Geld zu kassieren. Eine gesunde Stadt braucht viele Radfahrende. Sie entlasten nicht nur die Straßen von Autos, sie entlasten auch überfüllte Straßenbahnen zur Hauptverkehrszeit. Und sie hält die Bevölkerung gesünder und stärkt den sozialen Zusammenhalt. 

Ein reicher Fuß- und Radveerkehr belebt die Innenstädte und bringt dem Einzelhandel sehr viel mehr Kundschaft als es Autofahrende mit ihrem Parkplatzbedarf jemals bringen können. Radverkehr ist nicht nur eine Wirtschaftsförderung für Innenstädte, er ist auch sozial. Wo Autos wegbleiben, begegnen sich Menschen, werden die Wohngebiete ruhiger, ist die Luft besser, können Kinder spielen und sind Menschen gesünder.

Momentan aber vergiften Autofahrende, die ihre Autos überall, aber auch wirklich überall abstellen - in Feuergassen, in Fußgängerzonen, auf Gehwegen, auf Gehwegecken - und überall reinfahren - in Fußgängerzonen, in Fahrradstraßen, die für den Autoverkehr gesperrt werden - das öffentliche Klima in der Stadt. Menschen mit Kinderwagen oder Familien gehen inzwischen vielerorts ihn Tempo-30-Straßen gleich auf den Fahrbahnen, weil die Gehwege zugeparkt sind und sie schlicht nicht durchkommen. Das Auto beherrscht den öffentlichen Raum auch optisch vollständig. Es wäre aber viel schöner, Menschen, die einander in die Augen gucken und miteinander reden, spielende Kinder und vergnügte Nachbarschaften, würden ihn dominieren.

8 Kommentare:

  1. Jörg
    In Stuttgart haben wir ein Problem im Umland, das nach Stuttgart rein drückt. So habe ich mir die neue U6 Flughafen Stadtadtbahn angeschaut. Sie bringt für Echterdingen faktisch keinen Nutzen. Die Radwege von Echterdingen über die A8 ins Stuttgarter Stadtgebiet sind umwegig und schlecht. Gleichzeitig gibt es breite Straßen, die demnächst noch besser ausgebaut werden.
    Wir sollten die Verbindungen für Rad und ÖPNV über die Stadtgrenze im Auge behalten und dringend verbessern. Sonst drückt der Autoverkehr weiterhin mit Macht in die Stadt.
    Umgekehrt hat es ebenso Einfluß. Wer außerhalb von Stuttgart arbeitet hält am eigenen Auto fest. In 2022 könnten wir auf die Beziehungen zu unseren Nachbern schauen und Brücken bauen.

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    1. Das ist in der Tat das Problem. Wir brauchen gute öffentliche Verbindungen ins Umland, gar keine Frage. Das haben wir seit 30 Jahren versäumt. Andererseits spricht nichts dagegen, dass vor allem diejenigen, für die es unkompliziert ist, aufs Fahrrad oder auf Öffentliche umsteigen. Es müssen ja nicht gleich alle sein und auch nicht immer gleich die, für die es richtig kompliziert wird. Potenzial haben wir auf jeden Fall, dass weniger Autos im Kessel herumfahren.

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  2. Also ich finde die Idee mit dem Mobilitätspass hat Charme.
    Ich habe kein Auto (mehr), aber wenn ich als Autofahrer hohe Parkgebühren zahlen muss und dann auch noch eine Citymaut, dann würde ich mich abgezockt fühlen.
    Wenn mir dagegen mit dem Mobilitätspass für das Geld auch eine Alternative in Form des ÖPNV geboten wird, dann überlege ich mir doch jedes mal, ob ich wirklich mein Auto nutzen muss, mit allen damit verbundenen variablen Kosten, oder ob ich nicht doch einfach den ÖPNV nutze, für den ich dann ohnehin schon bezahlt habe.
    Für alle die nur ab und zu mal von außerhalb nach Stuttgart müssen, sollte es dann halt eine Alternative geben, vielleicht ja ein Tagesticket oder wie immer man das regeln kann. Das müsste dann natürlich aber teurer als 1,- Euro pro Tag sein.

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  3. OT:
    Ich habe mein Auto ja schon vor Jahrzehnten abgeschafft, angesichts der wachsenden chronischen Unzuverlässigkeit der S-Bahn, auch 'dank' Stuttgart 21 empfinde ich den ÖPNV in und um Stuttgart inzwischen allerdings als eine ziemliche Zumutung.
    Dazu kommen jetzt noch die Corona-Sperenzchen wie Maskenpflicht sogar im Hochsommer und neuerdings auch noch 3G.
    Ich hatte ja eigentlich nie vor, mir noch mal ein Auto anzuschaffen, aber wenn dieser Maßnahmen-Sch... nicht bald wieder aufhört, ist meine Geduld mit dem ÖPNV jetzt wirklich bald am Ende.
    Wenn das so weiter geht, werde ich mir wieder ein Auto anschaffen, vielleicht schon dieses Jahr und falls es soweit kommt, sieht mich der ÖPNV in diesem Leben nie wieder.
    Ich bin ja geduldig und mache viel mit, aber wenn ich die Nase dann mal gestrichen voll habe, dann auch auf Dauer!

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    1. Das ist ein großes Risiko, das sehe ich auch: Wenn es sich der öffentliche Nahverkehr mit seinen Kund:innen verscherzt, ist es schwer sie zurückzugewinnen. Gerade so jemand wie du würde ja gerne aufs Auto verzichten, aber irgendwann wird es zu unbequem. Andererseits verzichten sehr viele, für die es gar nicht unbequem wäre, nicht aufs Auto. Es wäre schon schön, man könnte die erreichen und fürs Radfahren oder das Fahren mit Bussen und Bahnen gewinnen. Ich kenne Leute, die waren ganz erleichtert, als sie ihr Auto endlich abgegeben hatten und öffentliche fahren konnten, es fiel viel Stress für sie weg, trotz Streiks und solchen Dingen.

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    2. Ich kann das nachvollziehen. Mein Mann ist lange mit der Tram ins Büro gefahren. Dann kam in MA der Flüchtlingsstrom und die Bahn war immer (egal zu welcher Zeit) voll. Wenn man mittags nach Hause will, drei Bahnen (30min) ziehen lassen muss, weil überfüllt, ständig stehen und drängeln muss, dann hat man irgendwann die Schnauze voll. Er hat dann das Abo gekündigt, sich einen Tiefgaragenstellplatz besorgt und ist dann mit dem Auto gefahren (Fahrrad schied wegen Streckenführung und Stellplatzfrage aus). Die MVV hat auf die städnig überfüllten Bahnen nicht reagiert. Ich weiß nicht, wieviele Kunden sie durch diese ständige Überfüllung verloren hat. Einer wars auf jeden Fall.
      Karin

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  4. Über den Jahreswechsel haben wir mal wieder ein Auto gemietet. Wir haben keins, versuchen generell Autofahrten zu vermeiden, und holen uns nur bei Bedarf bei Freunden oder Dienstleistern ein KFZ. Das spart Resourcen und belegt keine Parkplätze.

    Also ich habe für die Parkerei mit dem Mietwagen mehr gezahlt, als fürs Kinderzimmer.

    Soll vermutlich wohl so sein.
    Mobilität modern denken.

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  5. Für die U6 Stuttgart - Flughafen, wurde über die Autobahn eine wunderschöne Brücke für teures Geld gebaut ... der Radverkehr von Echterdingen wird durch alte Unterführungen und über rottige Feldwege oder Fußwege geführt.
    WARUM wurde nicht neben der U6 gleich ein neuer Radweg geführt? So viel mehr hätte das bestimmt nicht gekostet - hätte jedoch für den Radverkehr von Echterdingen nach Stuttgart ein Zeichen für fortschrittliche Radinfrastruktur setzen können!
    Und dann noch an die B27 Brücke angehängt ein Radweg über die Körsch...
    Dass so etwas möglich ist, wurde am Körschtalviadukt zwischen Neuhausen und Nellingen schon bewiesen.

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