17. November 2021

So wenig Platz kriegen Radfahrende in der Stadt

Mehr als die Hälfte der Mobilitätsflächen in einer Stadt sind dem Autoverkehr vorbehalten. Er fährt und parkt auf fast 60 Prozent der asphaltierten Fläche. 

Der Radverkehr quetscht sich auf 3 Prozent und Fußgänger:innen tummeln sich auf rund 33 Prozent. 

Andere Verkehrsarten, z.B. Bahnen, belegen etwa 6 Prozent der Fläche. Das hat der Flächengerechtigkeits-Report 2014 für Berlin festgestellt. In Berlin lag demnach der Radverkehrsanteil 2014 schon bei 15 Prozent, in Stuttgart könnte er 10 bis 12 Prozent betragen, es radeln aber sehr viel mehr auf unseren Straßen als noch vor einigen Jahren, gleichzeitig hat aber auch der Autoverkehr zugenommen. In einer Stadt wird dennoch in der Regel nur jeder dritte Weg (33 Prozent) mit dem Auto zurückgelegt, für Autos aber stellen unsere Städte dennoch den meisten Platz zur Verfügung, auch deshalb, weil sie, wenn sie nicht gefahren werden, irgendwo herumstehen müssen. Autos brauchen auf unseren Straßen auch deshalb so viel Platz, weil sie mit 40 bis 50 km/h gefahren werden und Bremsweg-Abstände einhalten müssen, die sich verkürzen, wenn sie mit 30 km/h gefahren würden. 

Fußgänge:innen und Radfahrende sind schmaler, sie brauchen nicht so viel Raum um sich herum, um sich unfallfrei bewegen zu können. Aber wir sehen in Stuttgart sehr deutlich, dass allemal auf Hauptrouten die Radwege und Radstreifen zu schmal sind für den Radverkehr, den wir inzwischen haben. Im Schlossgarten herrscht ein für Fußgänger:innen und Radler:innen nicht mehr zumutbares Gedrängel, vor allem am Wochenende und zu den Zeiten, wo die Radlpendler:innen zur Arbeit oder nach Hause fahren. Um ihn zu entlasten, braucht es breite Radstreifen auf parallelen Straßen, also auf der B14 und auf der Neckarstraße. Dafür muss man dem Autoverkehr Fahrspuren und Parkplätze wegnehmen. 

Wenn es eine echte Verkehrsgerechtigkeit gäbe und der Radverkehr tatsächlich auf 25 Prozent gesteigert werden sollte, müssten Radverkehrsflächen der Studie zufolge um 600 Prozent ausgebaut werden. Zumindest in Berlin sieht die Studie in 95 Prozent der Straßen genügend Platz dafür. Stuttgart ist enger wegen der Kessellage, deshalb dürfte es hier etwas weniger Potenzial geben. Aber es gibt sicher mehr, als wir denken. Unser Potenzial steckt überall, auch bei uns, vor allem in einer Verlangsamung des Autoverkehrs. Auf Straßen, auf denen nur 30 km/h gefahren werden darf, braucht man auch nicht unbedingt eine gesonderte Radinfrastruktur. Wobei der Mischverkehr für ungeübte Radler:innen und Zögerliche leider kein Förderprogramm darstellt, sondern vielen Angst macht und sie abschreckt, weil sie sehen oder erleben, dass Autofahrende drängeln oder gefährlich überholen. 

Das Foto zeigt unsere Fahrradstraße an der Paulinenbrücke. Im Autostau macht Radfahren keinen Spaß. In solchen Straßen muss ebenfalls Raum nur für Radfahrende reserviert werden. 

Unsere Ziele müssen deshalb sein: Den Autoverkehr in der ganzen Stadt verlangsamen und durchgängige Radrouten getrennt vom Fußverkehr entlang der Autofahrbahnen anlegen, um Parks von Radler:innen zu entlasten, die schnell vorankommen wollen. Wobei Ampelschaltungen überdacht werden müssen, denn ein wichtiges Kriterium für eine als gut empfundene Radstrecke ist die geringe Zahl der Ampelhalte. 


4 Kommentare:

  1. Zunächst einmal, ich stimme Dir zu, dass der Radverkehr mehr sicheren Raum braucht, damit wir den Anteil der Radfahrer erhöhen können und um die Anzahl der Unfälle zu reduzieren. Ich habe leider auch die Erfahrung gemacht, dass man in 30er Zonen trotzdem bedrängt und auf Teufel komm raus überholt wird.

    Die Studie hingegen, ist etwas arg reißerisch in meinem Augen: Man könnte auch sagen, dass die Radfahrer sogar 61% der Fläche haben, da sie ja sowohl auf Radwegen als auf der Straße fahren dürfen (selbst bei benutzungspflichtigen Radwegen, unter bestimmten Umständen). Natürlich ist meine alternative Zahl totaler Quatsch, aber ich vermute mal, dass die Zahl irgendwo in der Mitte liegen sollte. Die Parkflächen müssen natürlich dem Auto als Platzverbrauch zugeschlagen werden, ansonsten sollte man vielleicht wie die Niederlande bei der Berechnung vorgehen. In 30er Zohnen wird dem Fahrrad ein gewisser Anteil an der Verkehrsfläche zugewissen, dem Auto der größere Rest. Wo keine Radweginfrastruktur an Straße mit 50km/h oder mehr ist, sollte dem Auto alles zugeschlagen werden. Ich persönlich würde auch noch Radwege mit unter 80cm Breite total ignorieren, weil man diese nicht legal befahren kann (man darf mit dem Lenker nicht in den lichten Raum der Fußweges ragen, was bei üblichen Lenkerbreiten von 60-70cm bei heutigen Trekkingrädern und MTBs schwierig wird. Rennräder mal ausgenommen mit 50cm inkl. außenliegenden Händen.

    Ein Beispiel in Berlin wäre hier die Heerstraße insbesondere stadteinwärts: 5 Spuren für Autos und ein Radweg, der deutlich unter einem Meter ist, von Wurzeln durchbrochen, kaputter Pflasterung, aber selbstverständlich benutzungspflichtig ist und die einzige Einfallstraße in großen Abstand in Richtung Berlin.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mehr als 38 + 3 Prozent hätten Radfahrende nach deiner Rechnung nicht, denn der Rest wird ja von parkenden Autos belegt. Aber in einer Stadt gehen von den Straßen, die Radfahrende auf der Fahrbahn befahren können, noch die Tunnel und Stadtautobahnen ab, die als Kraftfahrzeugstraßen für den Radverkehr verboten sind, oder die für den Radverkehr verbotenenen Kreuzungen.

      Löschen
    2. Nochmal vorneweg, ich stimme mit Christines Aussagen überein. Ich finde nur, dass die Studie an Stellen reißerisch ist und nun gar nicht differenzierend ist. Deswegen habe ich die reißerische Gegendarstellung gemacht. Ich glaube die Scheiße zwar nicht, die ich schreibe, aber theoretisch ist es genauso wahr (laut StVO).

      Stimmt, an die Autobahnen/straßen habe ich nicht aufgezählt, da fallen nochmal einige Flächen dem Auto zu; ich hatte zwar daran gedacht, die aber dann wieder vergessen. Bei Parkflächen ist es etwas uneindeutig: die kann man befahren, wenn sie nicht belegt sind, das ist natürlich extrem selten der Fall, das war auch echt provozierend (zum nachdenken über die Studie) gemeint. Ich will auch hier auf gar keinen Fall bestreiten, dass die Autos sehr viel mehr Flächen wie selbstverständlich bekommen, was ich auch nicht gutheiße.

      @Marmotte: ich habe ja im zweiten Teil meiner ersten Antwort durchaus geschrieben, dass man selbst bei 30er Zonen und auch nur dort nur den kleineren Teil dem Fahrradverkehr zuschlagen sollte, selbst nachdem man die Parkfläche vollumfänglich für den Autoverkehr abgezogen hat. Das gibt also je nach Straßenbreite zwischen 5% und 25%

      Löschen
  2. Sorry @KaicK, aber eine Autospur/fahrbahn, auf der sich nur die wenigen Prozent (5 oder 6) furchtloser Radler zu fahren trauen, und ganze Gruppen von Menschen, Kinder und Ältere vor allem, gar nicht, die kann nicht zu 100% als Verkehrsraum für das Fahrrad gerechnet werden. Autoverkehr schließt Radverkehr immer faktisch aus.

    "Unser Potenzial steckt überall, auch bei uns, vor allem in einer Verlangsamung des Autoverkehrs."
    Ich würde sagen, es steckt vor allem in der Verdampfung des Autoverkehrs, die du ja auch vor Kurzem beschrieben hast. Weniger Fläche für das Auto ergibt automatisch weniger Autoverkehr. Das Festhalten am Autoverkehr ist wie x-fach nachgewiesen, rein ideologisch.

    AntwortenLöschen