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24. Januar 2022

Man kann durchaus das Fahrrad neu erfinden

Der Ingenieur Paul Jaray hatte Pech. Er erfand 1921 das Fahrrad neu, aber es gab tödliche Unfälle, und die Produktion wurde zwei Jahre später wieder eingestellt.

Deshalb hat das interessante Fahrrad nie eine Chance bekommen, sich im Alltag über die Jahre samt Weiterentwicklungen zu bewähren, obgleich man es damals für das Fahrrad der Zukunft hielt. Vorgestellt wurde es in der Feuerbacher Heide, der Jubel war groß. 

Man soll damit nämlich viel besser die Stuttgarter Berge hochgekommen sein als mit den Rädern, die wir heute so fahren (Pedelecs ausgenommen). Jaray war ein eher schmächtiger Mann, aber er fuhr den andern Radlern bergauf davon. Es sollen in den Hesperus-Werken in Cannstatt bis 1923 rund 4000 Exemplare gebaut worden sein, und darum gibt es noch einige (weniger als 100). Eines war bei der Ausstellung 200 Jahre Fahrrad 2017 in Mannheim zu sehen, wo auch ich es fotografiert habe. 

Das besondere an dem J-Rad, auch Sesselrad genannt:

Es hat keine Kurbel, sondern einen Fußhebelantrieb. Die Hebel sind unterm Lenker aufgehängt, man tritt sie mit den Füßen abwechselnd nach vorn. Die Tretpedale treiben über Stahlseile das Hinterrad an. Man kann über die Position der Füße auf den Trethebeln sogar die Übersetzung beeinflussen, wie man auf diesem Foto sehr gut erkennen kann. (Und hier gibt es mehr Einblick in die Konstruktion.) Bei dieser Art des Tretens gibt es keinen Totpunkt, den Kurbelfahrräder haben, wo man in dem Moment keine Kraft aufs Pedal ausübt, wenn es sich im Umkehrpunkt oben befindet. 

Das Fahrrad hat kleine Räder und man sitzt ziemlich tief, so wie man heute auf Cruiser-Bikes sitzt. Da kann man, wenn man anhalten muss, locker die Füße auf den Boden stellen und wartet wesentlich gelassener im Sitzen an roten Ampeln. 

Man tritt nicht nach unten, sondern nach vorn. Der Sitz ist eine Art Sessel mit Rückenlehne. Die Lehne dient als Widerlager, das es ermöglicht, viel mehr Druck auf die Pedale auszuüben, als man das auf einem Normalrad machen kann. Beim Normalrad kriegen wir auf ein Pedal nie mehr als unser Körpergewicht. Wir können unseren Rücken ja nirgendwo dagegen stemmen (wie in der Beinpresse), bestenfalls nur noch ein bisschen am Lenker gegenziehen. Hier kann man sich das Teil in Bewegung auf Youtube anschauen. 

Wirklich belegt scheint es nicht zu sein, dass es wegen Materialfehlern zu tödlichen Unfällen kam. Vermutlich kam da mehreres zusammen. Verkauft wurden die Räder jedenfalls noch einige Jahre. 

Treträder gibt es ja inzwischen in vielen Varianten, auch Streetstepper genannt. Allen gemeinsam ist, dass man nicht mehr Kraft auf die Pedale bringen kann, als man selber wiegt. Die meisten Menschen sind aber durchaus fähig, mehr Kraft aus ihren Oberschenkeln und Gesäßmuskeln zu holen, als sie brauchen, um ihr Eigengewicht zu tragen. Der Radrennsport hätte sich sicherlich anders entwickelt, hätte man diese Räder zugelassen und weiterentwickelt. 

Und ehrlich gesagt: Ich hätte gern so ein J-Rad. Sehr gerne. Könnte nicht jemand die Produktion (modernisiert) wieder aufnehmen? Oder hat das vielleicht schon jemand getan? 




13 Kommentare:

  1. So ähnliche Fahrräder gibt es auch in Neu. allerdings mit Tretkurbel, aber ansonsten dem Original sehr ähnlich. Ein Freund von uns hatte so eins. Das war damals sehr ungewöhnlich. Er hat aufgehört damit zu fahren, weil er ständig und überall auf das Rad angesprochen wurde. Als Marke habe ich Giant revive gefunden als Fahrradklasse nennen die sich (neudeutsch) Scooterbikes.
    Ich kann mich noch erinnern, dass Jan Ulrich mal für solche Räder geworben hat. Ist aber schon eine wirklich ganze Weile her.
    Karin

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    1. Danke für die Hinweise.
      Der Witz bei der Erfindung von Jaray ist die Abwesenheit einer Kurbel. Er hat nämlich beobachtet, dass seine Kinder mit dem Kurbeltreten Schwierigkeiten haben, weil es diesen Totpunkt gibt, abwechselnd zwei Pedale nach unten treten war offenbar für die kindliche Koordinierung einfacher.

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  2. Das mit dem Treten aus dem Rücken klingt logisch, aber aus eigener Erfahrung muss ich sagen, dass Liegeräder gerade am Berg nicht so optimal sind. Vermutlich liegt viel daran, dass hier nicht so viel Energie (und Geld) in Optimierungen gesteckt wurde wie in die rennsportzugelassenen Räder. Interessant fand ich neulich auch Stepperbikes (z.B. Elliptigo), die sollen auch bergfähig sein und die Übersetzung wird einfach durch eine andere Standposition variiert.

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    1. Stepperbikes gibt es ja schon länger, ich kannte auch eine, die damit fuhr. Ist aber schon sehr anstrengend, weil man ja immer voll abwechselnd das eine, dann das andere Bein belasten muss, man also permanent Treppen steigt oder einen Berg hochgeht, auch auf ebener Strecke. Und das Abspringen, wenn man anhalten muss, ist nicht so ohne.

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  3. Ich glaube nicht, dass man durch das Abstützen an einer Lehne mehr Kraft auf die Pedale bringen kann als bei einem aufrechten Rad durch Muskelkraft und Körpergewicht. Außerdem fallen bei einer liegenden oder sitzenden Position auf dem Rad die starken Gluteus-Muskel für den Antrieb aus. Ich denke nicht, dass sich diese inhärenten Nachteile durch ein anderes Antriebskonzept ausgleichen oder gar überzreffen lassen. Es dürfte wohl Gründe geben, warum dieser Ansatz nicht weiterverfolgt wurde.

    Was den Rennsport angeht, der findet neben der besseren Bergtauglichkeit auch deshalb auf klassischen Rennrädern statt, weil dort Windschattenfahren eine überragende Rolle spielt und das geht auf Liegerädern kaum.

    Neben solchen biomechanischen und physikalischen Gründen gibt es auch ganz praktische Gründe, warum sich Liegeräder, vor allem auch als Alltagsgefährt, nie wirklich durchgesetzt haben, sei es wegen des hohen Gewichts, der Unhandlichkeit, den Schwierigkeiten bei Hindernissen...

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    1. Aber es gibt eben auch Berichte, dass Herr Jaray den Rennradlern am Stuttgarter Berg davonfuhr. Und von Gewichthebern wissen wir ja, dass sie mehr als ihr Körpergewicht heben können. Bei einer Rückenstütze kann man wie in der Beinpresse ganz schön Kraft auf solche Pedale bringen, auch mehr als man selber wiegt. Ich sehe das schon als Vorteil. Allerdings sind die heutigen Rennräder ja besser. Der Grund, warum das nicht weiterverfolgt wurde, war eigentlich, dass die Firma Probleme hatte und dass es wegen technischer Defekte Probleme gab.

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    2. Vielleicht war er ja am Berg schneller, weil er schon so etwas wie eine Gangschaltung erfunden hatte? Das war damals ja bei Rädern noch nicht üblich.
      Die drei Tritte auf den Pedalen sehen mir danach aus, als ob man den Hub je nach Geschwindigkeit ändern kann.
      Inzwischen tritt man aber Dank (Ketten-)Schaltung fast immer in einer günstigen Frequenz. Das Körpergewicht einsetzen (also aus dem Sattel gehen) muss ich eigentlich nur wenn ich bei niedrigerer Trittfrequenz viel Kraft aufbringen will.
      Grüsse, Michael

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    3. Dass Herr Jaray anderen am Berg davon fuhr, wird unter anderem durch seine schmächtige Figur erklärt. Mir (BMI 24-25) fahren auch viele Leichtgewichte am Berg davon

      Liegeräder eignen sich nicht für Bergpassagen. Der Antrieb wird hochgelagert, was zur Folge hat, dass Blut gegen die Schwerkraft nach oben gepumpt werden muss. Wenn das Blut zurück zum Herzen fließt, muss der Körper aktiv gegen das Fallen arbeiten. In der klassischen Position fließt das Blut "von alleine" in den Antrieb, der Rücktransport zum Herzen wird durch die gut trainierte Muskelpumpe unterstützt.

      Mir ist keine Bestzeit für Passfahrten zum Beispiel in den Alpen bekannt, die auf "alternativen" Rädern erreicht wurden. Kann mir da jemand weiterhelfen?

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  4. Ich darf meine Erklärung dazu beisteuern. Es gibt keinen Muskel am menschlichen Körper der DRÜCKT, d.h. jeder Druck muss über einen ziehenden Muskel und ein Gelenk als Hebel umgewandelt werden. Wenn nun das eigene Körpergewicht als Kraft wegfällt umso mehr Muskelkraft muss angewandt werden und je größer der Druck sein soll, umso größer wird die notwendige Zugkraft was sich einerseits in einer einseitigen Muskelentwicklung (darum gibt es die Klicks, da auch die Zugphase herangezogen werden kann) und entsteht eine übermäßige Belastung auf Gelenke oder Knorpeln oder Bandscheiben. Diese Art des Antriebes ist nur bei Einsatz von E-Antrieben praktisch als Unterstützung sinnvoll.

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    1. Ich sehe das Rad so wie eine Beinpresse im Fitnesstudio. Über den Zug im Überschenkel und etliche andere Muskeln kann man die Presse wegdrücken wie ein Pedal, und Trainierte schaffen da auch mehr als ihr eigenes Körpergewicht. Mich würde aber auch interessieren, ob diese Räder wirklich am Berg besser sind als Standardräder. Die Berichte lassen es so ausehen.

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    2. Im Fitnessstudio ist die Bein presse aber nicht rechts links abwechselnd. Das nimmt doch einiges an Kraft wieder raus. Und der Gedanke, mich die Stuttgarter Berge mittels Beinpresse hochzuarbeiten würde mich eher abschrecken. Oder ne mehrstündige Radtour? Ne, ich glaube eher nicht.
      In Fitnessstudios gibt es oft auch im Cardiobereich solche Räder mit kleiner Rückenlehne und Pedalen zum nach vorne treppeln.

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  5. Wir müssen hier unterscheiden zwischen Position (Sitzend/Liegend) und Antriebsprinzip. Bei letzterem habe ich keinen Vergleich, aber der klassische Kurbelantrieb ist zuverlässig, stabil und hat eine hohe Effizienz. Der "Totpunkt" ist in der Praxis eigentlich kein Problem. Insofern sehe ich den Pedal/Seilzugantrieb eher als Kuriosität.
    Mit der liegenden Position hingegen kenne ich mich aus. Liegeräder "eignen" sich durchaus für Anstiege, wenn die geeignete Übersetzung vorhanden ist, aber sie bieten dort keinen Vorteil. Insofern sehe ich die Aussage zu Herrn Jarays Bergleistungen auch mit Skepsis.
    Der Vorteil im Liegen liegt in der besseren Aerodynamik bei gleichzeitig lebenswerter Haltung und(!) Blick nach vorne. Dadurch ergibt sich eine unschlagbare Laufleistung bei relativ hoher Geschwindigkeit. Ein gut trainierter Athlet kann das natürlich auch auf einem "normalen" Rad, aber ein gut trainierter Athlet kann wahrscheinlich auch auf den Händen schneller laufen als ich auf den Füßen.
    Leider sind Einspurliegeräder mittlerweile auch eine im Aussterben begriffene Kuriosität, weil sie teuer, nicht besonders alltagstauglich und erst ab 80 km Strecke so richtig sinnvoll sind (Pendler vielleicht ausgenommen).
    Sehr bedauerlich. Nichts macht so viel Spaß wie ein Tag auf dem Liegerad!

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  6. Hallo, hier noch ein Link zur kleinen Zeitschrift "Fahrradzukunft" mit einem interessanten Eigenbau:
    https://fahrradzukunft.de/16/antriebe-und-erfinder

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