Das Zweirad ist der Beginn des Individualverkehrs. Vorher gab es nur Pferde und Kutschen mit vier Rädern.
Wir alle wissen, dass Drais das Fahrrad erfunden hat. Genial: Fortbewegung auf nur zwei Rädern. Das bedeutete Balance finden. Eine Bewegungsart, die ihn ans Schlittschuhfahren erinnerte und dem Fliegen nahe kommt: schweben, gleiten und balancieren. Weshalb Fahrräder auch zunächst von Flugzeugpionieren gebaut wurden, Otto Lilienthal zum Beispiel. Das Fahrrad diente als Testgerät zur Fahrphysik.
Es hat dann fünfzig Jahre gedauert, bis die Menschheit diese Fertigkeit, auf zwei Rädern zu gleiten, auf breiter Basis erlernt hat. So stellt es Hans-Erhard Lessing in einem Artikel für das Spektrum der Wissenschaft (4.17, S.62) dar. Die Ausstellung im Technoseum in Mannheim zeigt gerade 200 Jahre Radgeschichte.
Die Draisine machte das Pferd überflüssig. Ein Holzzweirad musste man nicht füttern. Deshalb war es in den Hungerjahren nach dem Jahr ohne Sommer, 1816, ein bestechendes Verkehrsmittel. Drais war mit seinem Zweirad auch noch schneller als eine Postkutsche. Er kam auf etwa 13 km/h. Eine Kutsche fuhr mit 3 km/h. Dann bekamen die Räder eine Kurbel am Vorderrad: Das Hochrad war zunächst nur Spielzeug reicher Männer, die Kunst der Balance musste erst erlernt werden. Ein Fahrrad war ein Statussymbol. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich Fahrradclubs. Und schon bald strebten Frauen aufs Fahrrad. Es war auch erwünscht, es wurde dafür geworben.
Die Fahrräder, wie wir sie kennen, mit Kurbel und Kette waren solange für Frauen schwierig, mit langen Röcken zu bestiegen, wie sie noch keinen Freilauf hatten. Bis dahin stellte man den Fuß auf eine Pedal an der Hinterradachse, gab dem Rad einen Schubs (die Kurbel drehte sich dann schon), zog sich über den Sattel und fing die Kurbel ein. Für Frauen war das Fahrrad die Chance, Raum zu gewinnen, bequemere Kleidung zu tragen, sich sportlich zu betätigen. Ein Mittel der Emanzipation. Erst im Zweiten Weltkrieg verlor das Fahrrad wieder an Bedeutung.
Was aber diesen Herrn aus Neckarsulm, dem einst dieses NSU-Fahrrads(1949) gehörte, nicht hinderte, es als sein geliebtes Fahrzeug mit allem auszustatten, was überhaupt möglich war: Tacho, Temperaturanzeige, Blinker, Bremslicht (das über eine hinten umgekehrt gefädelte Kette aktiviert wurde: die Kette schlägt beim Bremsen gegen einen Kontakt). Dieses Fahrrad wird auch in Mannheim gezeigt, aber im Katalog leider nicht beschrieben.
Erst ab den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gewinnt es die Bedeutung zurück, die es einmal als schnelles Individualverkehrsmittel hatte. In Großstädten ist das Fahrrad jetzt schon bereits wieder schneller als das Auto. Jeder kann es fahren, es nimmt kaum Platz weg, es ist fast emissionsfrei und es ist leise. Und es ist inzwischen auch längst wieder zu einem Statussymbol geworden.
Kein Tier setzt die Energie so effizient zur Fortbewegung ein wie ein Mensch, der Fahrrad fährt, erklärt H. Joachim Schlichting in seinem Artikel in derselben Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft (aaO, S. 74). Der Wirkungsgrad unserer Anstrengungen beträgt allemal auf einem Rennrad in Rennhaltung 25 Prozent (das entspricht auch dem Wirkungsgrad eines Otto-Motors). Beil zu-Fuß-Gehen oder Joggen dient lange nicht so viel Energie, die wir einsetzen, dem Vorärtskommen, viel geht ins Anheben der Füße.
Übrigens können wir nur dann ausdauernd und schnell mit dem Fahrrad fahren, wenn die restlichen Dreiviertel-Energie, die wir (wie der Otto-Motor) in Hitze umwandeln, abgeführt werden kann, also bei kühlendem Fahrtwind.
Der Fahrtwind bremst aber auch. Der Artikel untersucht ausführlich, das Verhältnis zu aufgewandter Stoffwechselenergie des Menschen zum Rollwiderstand und zum Luftwiderstand und kommt zu dem Ergebnis, dass die Rennhaltung auf dem Rennrad entscheidend ist, um bei etwas höheren Geschwindigkeiten den Luftwiderstand zum umgehen, der exponentiell zur Geschwindigkeit zunimmt. Gebückt kann man immer hin 3 Stundenkilometer schneller werden als aufrecht. Ist aber halt unbequem und eigentlich nur bei Radrennen wichtig. Bei unseren Alltagsgeschwindigkeiten in der Stadt, spielt der Luftwiderstand sowieso keine Rolle.
200 Jahre Fahrrad, das feiert auch Stuttgart mit den Fahrradaktionstagen am 20/21. Mai 2017.
Beim vollverkleideten Liegerad ("HPV") dürfte der Wirkungsgrad eher bei 40% liegen. Dass sich Liegeräder trotz besserer Effizioenz nicht durchsetzen, dürfte daran liegen, dass der Diamantrahmen weit flexibler in der Fahrposition ist: Man kann auch mit dem Körpergewicht arbeiten (Wiegetritt).
AntwortenLöschen40% ist übrigens auch der Wirkungsgrad eines Ottomotors im aggressiven Atkinson-Zyklus (aktueller Toyota Prius). Damit ist der Verbrenner dann aber auch ausgereizt (irgendwo um die 45% dürfte das thermodynamische Limit liegen).
Das sich Liegeräder nicht durchsetzen konnten liegt an der UCI, die schon in den 30ern fortschrittsfeindlich war.
AntwortenLöschenIch sehe für Liegeräder viele Nachteile im Alltagsbetrieb, beispielsweise die schlechtere Übersichtlichkeit - wobei es gleichwohl einige Vorteile gibt, die bspw. durchaus Tourenradlern und Pendlern in eher flachen Gefilden sehr entgegen kommen.
LöschenIch finde Liegerräder auch zu niedrig. Man rollt gewissermaßen so unter den Lastwagen hindurch. Wenn die etwas höher wären ...
LöschenMit den meisten Liegerädern kann man einem Porsche noch aufs Dach spucken. Wenn die wirklich so gefährlich wären, würden sie in der Unfallstatistik auftauchen. Dabei findet man sehr selten Meldungen über Liegeradunfälle. Alle Schaltjahre mal einer.
LöschenHallo Anonym,
LöschenLiegeräder tauchen in der Unfallstatistik nicht auf, weil ihr Anteil an allen Fahrrädern sehr gering ist. Laut Wikipedia stehen ca. 30.000 Liegeräder etwa 50 Millionen FahrRädern gegenüber. Auf 1 Liegerad kommen also 1500 bis 2000 Fahrräder.
Hallo Frau Lehmann,
AntwortenLöschender Luftwiderstand steigt exponentiell (d.h. quadratisch) mit der Geschwindigkeit an und nicht, wie in Ihrem Artikel angegeben, proportional.
Gruß,
Bernd
Danke. Peinlich für mich. Ich weiß, das es so ist, hatte aber das falsche Wort genommen.
LöschenLieber Anoym, liebe Christine: Natürlich steigt der Luftwiderstand quadratisch mit der Geschwindigkeit. Die aufgebrachte Leistung steigt damit ganz gewaltig: Bei Tempo 40 muss man die vierfache Leistung aufbringen wie bei Tempo 20. Pro Strecke betrachtet steigt der Luftwiderstand damit aber linaer, weil man hier den Faktor Zeit herausdividiert: Fährt man eine Strecke mit 40 statt 20 km/h, muss man während des Fahrens die vierfache Leistung aufbringen, man tut das aber nur halb so lang. Damit ist die aufgewandte Energie für diesselbe Strecke bei doppelter Geschwindigkeit "nur" doppelt so hoch.
LöschenLieber Mattias,
Löschenjetzt ist aber doch einiges durcheinander gekommen:
Der Luftwiderstand steigt quadratisch mit der Geschwindigkeit. Doppelte Geschwindigkeit heißt vierfacher Luftwiderstand. Soweit alles gut.
Dieser Luftwiderstand ist physikalisch betrachtet eine Kraft. Diese Kraft muss ich in die Pedale treten.
Die Leistung P, die ich aufbringen muss, ist das Produkt aus Kraft F und Geschwindigkeit v, mit der ich trete (also kurz: P=F*v). Aus der Tritt-Geschwindigkeit resultiert über die gewählte Übersetzung eine Fahrgeschwindigkeit.
Das heißt, doppelte Geschwindigkeit bedeutet achtfache Leistung.
Die nachträgliche Division durch die "kürzere" Zeit ist nicht zulässig, weil diese Division schon stattgefunden hat. Die Geschwindigkeit v ist definiert als der Quotient aus der Strecke s und der Zeit t, s=v/t.
Oder auf einem anderen Weg: Die Leistung P ist der Quotient aus geleisteter Arbeit W und der Zeit t, P=W/t, wobei die Arbeit W das Produkt aus Kraft F und der Strecke s ist, also W=F*s. Also auch P=F*s/t.
Halbe Zeit bedeutet doppelten Geschwindigkeit ("s/t") und vierfache Kraft, also achtfache Leistung. Und das ganze auf der gleichen Strecke s.
Zugegeben ganz schön verwirrend.
Stimmt, die Kraft steigt im Quadrat. Achtfreiche Leistung oder eben vierfache Energie pro zurückgelegter Strecke.
LöschenIch bin schwer beeindruckt von den Zahlen. Danke für die Klärung. Sehr interessant.
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