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14. April 2024

Gefährlich: missverständliche Ampeln

Der Wilhelmsplatz in Stuttgart ist für Radfahrende nicht einfach, obgleich es eine  geschnipselte Radführung gibt. 

Sie ist unbeliebt, denn man wartet ewig an den Ampeln. Kürzlich habe ich eine junge Frau auf einem Regiorad so stehen sehen. Wie dort hingekommen ist, blieb unklar. Theoretisch könnte sie aus dem Seitenstreifen der B14 nach links eingebogen sein. Oder sie ist bei fast Rot geradeaus vom Radweg aus rüber geradelt und hat denn die rote Fahrradampel auf der anderen Seite der Fahrbahn gesehen und angehalten. Sie stand jedenfalls so und wartete. Sie fuhr auch nicht los, als parallel zu ihr die Fußgänger:innen Grün hatten, was ein sicheres Zeichen gewesen wäre, dass auch sie gefahrlos radeln kann. Sie fuhr erst los, als ich startete, weil ich Grün bekam und drüben (also ganz hinten) die Radlerampel auch grün wurde. 

Das heißt, für sie war die drei-flächige Radlerampel, die in klein die Autoampeln kopiert, die einzig gültige. Die steht aber nicht bei ihr auf ihrer Straßenseite, sondern jenseits der Fahrbahn, die sie queren wollte, sie gilt also nicht für diese, sondern erst für die nachfolgende Fahrbahn. Sie hat die Ampel behandelt wie eine Fußgängerampel. 

Auf dem Foto sehen wir die junge Frau warten. Rechts von ihr gehen Fußgänger:innen, sie haben Grün. An der nächsten Verkehrsinsel steht ein Pfosten mit einer kleinen Radampel, die Rot zeigt. Sie gilt für die nachfolgende Fahrbahn. Die Radlerin selbst hat keine Ampel vor sich. Sie ist an der dieser Stelle verloren. 

Theoretisch hätte es passieren können, dass die Radlerampel drüben auf der anderen Straßenseite grün wird und sie losfährt. Und das, obgleich in dem Moment gerade die Autos, die von rechts kommen auch Grün hätten bekommen können. Denen wäre sie genau vor die Kühler geradelt. Und sie hätte nicht verstanden, warum dass passiert, hat sie doch eine grüne Radlerampel gesehen. Zum Glück sind die Ampeln hier nicht so geschaltet. 

Die junge Radlerin ist tatsächlich erst losgefahren, als ich Grün bekam und die Ampel auf ihrer anderen Fahrbahnseite ebenfalls auf Grün sprang. Ich holte sie ein und sprach sie an. Ich versuchte ihr zu erklären, dass sie auf die falsche Ampel geschaut hatte. Radampeln mit drei Flächen stehen auf der eigenen Straßenseite, Fußgängerampeln mit nur zwei Flächen stehen auf der anderen Straßenseite. Sie guckte mich verständnislos an. "Ich habe doch auf das Radzeichen in der Ampel geschaut." Ich versuchte ihr zu erklären, dass diese Radampel, auf die sie geschaut hat, für die nächste Fahrbahn gilt, nicht für ihre, und dass es gefährlich werden kann, wenn man Radampeln, die auf der eigenen Straßenseite stehen, mit Fußgängerampeln verwechselt, die auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie die Problematik begriff oder als gravierend wahrnahm. 

Nur wir Radfahrende sind mit drei verschiedenen Ampelsystemen konfrontiert: der Autoampel (die alle verstehen), der speziellen Radampel, die meist kleiner ist und eine rot-gelb-grün-Phase hat und an unserer Haltelnie oder kurz dahinter stehen und der gemeinsamen Fußgänger-Radampel, die als Fußgängerampel (die auch alle verstehen) auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht. Und manchmal hängt die Radlerampel weit weg und auch gar nicht in Blickrichtung meines Ziels winzig an einem Mast, so wie hier (Foto) an der Holzgartenstraße für meine Geradausfahrt Richtung Hospitalhof. Dass diese Radampeln oft seitlich und nicht in meiner Fahrrichtung stehen, finde ich problematisch.  

An jeder Kreuzung müssen wir herausfinden, welche Ampel für uns gilt.

Da sind Irrtümer leicht möglich. Da wir leider sehr oft zusammen mit den Fußgänger:innen über Kreuzungen geschickt werden, sind wir sehr oft mental im Fußgängermodus unterwegs und schauen auf die weit entfernten, uns gegenüberliegenden Ampeln, wo wir auch Radzeichen sehen. Das ist bei der schon erwähnten Ampel an der Seelbergstraße in Cannstatt das Problem. Will ich nach links über die Waiblingerstraße abbiegen, steht die kleine Radlerampel (die gerade Rot zeigt) so, als wolle ich geradaus radeln wollen. Gucke ich dorthin, wo ich hinwill, sehe ich jenseits der Fahrbahn der Waiblinger Straße aber eine weitere Radlerampel (dreiphasig), die gerade Grün zeigt. Man reagiert intuitiv im Fußgängermodus und ist in Gefahr, loszuradeln. Bei allerersten Mal hätte mich fast ein Lkw erwischt. 

Anderseits gibt es ausgewiesene (mit Wegweisern versehene) Radrouten über Fußgängerfurten, wo es noch immer keine zusätzlichen Radzeichen auf der Streuscheibe gibt. Fußgängerampeln allerdings gelten eigentlich für den Radverkehr seht 2016 nicht mehr. Außerdem sind sie problematisch, weil die Gelbphase fehlt. Springt eine Fußgänger-/Radampel auf Rot, während man die Fahrbahn quert, gilt: weitergehen und weiterradeln. Aber springt sie auf Rot, während man gerade mit dem  Fahrrad heranrollt und einen Meter vom Bordstein entfernt ist, dann müsste man eine fürchterliche Notbremsung hinlegen. Natürlich reichen die Räumzeiten locker, um mit dem Fahrrad völlig gefahrlos über die Fahrbahn zu kommen, aber tatsächlich ist man bei Rot geradelt. 

Man sollte als Radfahrer:in in Stuttgart stets hochalert und blitzschnell (manchmal auf ein und derselben Kreuzung) zwischen den Ampelsystemen umswitchen können. Dabei sollte man sich nicht vertun. Voraussetzung ist, dass man aber auch weiß, nach welchen Regeln Ampeln mit wie vielen Streuflächen wo aufgestellt sein müssen, damit sie für mich als Radlerin gerade gelten. Die sehr junge Radfahrerin auf ihrem Regiorad schien ganz und gar nicht vertraut zu sein mit den Tücken und Herausforderungen des Radfahrens in einer Stadt wie unserer, wo es ständig komplette Infrastruktur-Systemwechsel für uns gibt. 

Die Stadt Wangen im Allgäu benutzt das Missverständnis, weil die gültige Ampel vom Rad aus nicht sichtbar ist. Im Bus sitzend habe ich das so gesehen. Ein Geh-Radweg führt auf diese Ampel zu, wo der Radler gerade wartet. Hoch über ihm hängt nicht nur die Ampel für die Autofahrenden, sondern daneben auch die für ihn, groß und mit drei Streuscheiben mit Radzeichen. Nur dass er sie am Drücker nicht sehen kann. Und den muss er betätigen, sonst wird es da nie Grün für ihn. 
Er schaut also auf eine zweite Ampel, die aussieht wie eine Autoampel (also eine für den Fahrverkehr), aber Radzeichen auf den Streuscheiben hat und jenseits beider Fahrbahnen auf der anderen Straßenseite steht. Weil dahinter keine Fahrbahn mehr ist, muss sie sie für die Radfahrenden gelten. 

Hier das Ganze noch mal vom Geh-/Radweg aus gesehen. Die Radlerampel von der Größe einer Ampel für den Fahrverkehr ist platziert wie eine Fußgängerampel. 

Ich habe keine Ahnung, ob in Deutschland solche Ampeln, die keine Fußgängerampeln sind, jenseits der Fahrbahn, die man queren will, platziert sein dürfen oder eben nicht platziert sein dürfen. Intuitiv versteht man sie hier als Radler:in richtig. Aber das verführt dazu, Radfahrampeln, die auf einer Mittelinsel stehen und erst für die nachfolgende Fahrbahn gelten, falsch zu interpretieren, so wie bei Radlerin am Wilhelmsplatz in Stuttgart. Zumindest aber muss man gründlich überlegen, für welchen Abschnitt der Straße die Ampel, die man sieht, wirklich gilt. 

Solche zusammengeschusterte Infrastruktur mit unterschiedlichen Ampelsystemen finden nur Radfahrende vor, für die man in unserem Verkehrssystem nie so richtig Platz opfern will. Die meisten Verkehrsplanenden scheinen davon auszugehen, dass Radfahrende so langsam unterwegs sind wie Fußgänger:innen und genügend Zeit haben, nach Ampeln zu suchen und ihre Gültigkeit in der jeweiligen Situation zu erfassen. Aber Radfahrende rollen wie Autos, sie interpretieren ihre Verkehrssituation rollend.  Deshalb brauchen sie wie der Autoverkehr Unmissverständlichkeit und Eindeutigkeit. In Wangen hätte man eine kleine Radlerampel am Bordstein so aufstellen können, dass Radfahrende sie sehen, am Wilhelmsplatz müsste eine Ampel an jeder Verkehrsinsel, also vor jeder Unterbrechung des roten Radstreifens stehen. 

Zu einem Missverständnis anderer Art ist es an dieser Ampel in Leipzig beim Messegelände gekommen. Man sieht eine grüne Radlerampel am anders gepflasterten Radweg auf dem Gehweg, die gerade grün ist. Die Autos stehen. Sie hatten bereits Grün, während die Fußgänger:innen Rot hatten. Ein gutes Arrangement: Geradeausgrün für Radfahrende auf dem Radweg, während Rechtsabbieger auf der Fahrbahn Rot haben: sicher. 
Die drei Radlerinnen allerdings sind zur Fußgängerampel rüber gefahren, um den Drücker zu betätigen. Jetzt stehen sie da und warten, während sie auf dem Radweg eigentlich längst Grün gehabt hätten. Sie glaubten offenbar, dass die Radlerampel mit der Fußgängerampel parallel geschaltet ist (wie so oft) und sie schneller Grün bekommen, wenn sie die Drücker benutzen. Oder sie haben die kleine Radlerampel gar nicht gesehen, sondern sich gleich am Fußgängerüberweg orientiert, weil man ja meistens an solchen Übergängen zu den Fußgänger:innen gesteckt wird. 

Ist natürlich ihr Fehler, zeigt aber auch, dass Radfahrende den Radverkehr so unzulänglich organisiert vorfinden, dass sie glauben, sich behelfen zu müssen, und dabei Fehler begehen, die für sie auch mal schwerwiegend ausgehen können. 

 


15 Kommentare:

  1. jetzt wäre es wohl an der zeit, zur lösung aller probleme fahrverbote für radler zu fordern.

    ach so, die gibt's ja schon zuhauf.

    #keinerechtekeinepflichten

    karl g. fahr

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  2. Fahrbahn- oder Radfahrerampeln müssen nicht zwangsläufig vor der Kreuzung stehen. Es ist zwar normalerweis so, man kann die entsprechende Ampel auch hinter die Kreuzung stellen. Wir hatten in Mannheim an mehreren Stellen solche Konstellationen. Man hatte sich dabei Linksabbiegerampeln gespart. Hatte aber dazu geführt, dass dort regelmäßig, vor allem Auswärtige dann, bei Rot über eine dreispurige Schnellstrasse gefahren sind. Eine solche Ampel stand u.A. direkt vor dem Polizeipräsidium. Heute ist die Kreuzung nach einem Umbau anders beampelt.
    Ich stimme Dir übrigens zu, dass dieses ständige Ameplhopping für Radfahrer ein Ende haben muss und dass die Beampelung auch eindeutig und einfach sein sollte. Radfahrer machen im Gegensatz zu Autofahrern keinen Führerschein, daher sollten ihre Regeln einfach und einfach zu verstehen sein.
    Karin

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    1. Liebe Karin, danke für den Hinweis. Aber wie soll unsere Radlerin jetzt die Ampel verstehen, die sie vor sich sieht? Als die für ihre Fahrspur oder die für die nächste? Gut, wenn sie auf jeden Fall stehen bleibt, kann ja nichts passieren. Aber nebendran gehen die Fußgänger:innen, weil sei grün haben. Und wenn ich mich nach der gegenüberliegenden Radampel am Wilhelmsplatz in Cannstatt richte, bin ich tot.

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  3. Das sind halt die beschwerlichen und gefährlichen Auswirkungen, wenn versucht wird drei Verkehrsmittel (Auto, Fuß, Rad) separiert aber plangleich durch unsere kaputtgeplanten Autostädte zu schleusen.
    Von der gern mal postulierten Inklusivität der zusammengeschusterten Separationslösungen (Rad braucht Radweg) bleibt dann in der Realität oft genug nichts mehr übrig, sondern die Situation verkehrt sich ins genaue Gegenteil des Postulierten.
    Die vollzogene Miniaturisierung der Infrastruktur für den separierten Radverkehr (viel zu geringe Breiten, Mini-Verkehrsschilderchen, Miniwegweiserchen oberhalb des Scheinwerferkegels, verwirrende Mini-Ampelchen, etc.) stellt dabei eine perfekte Widerspiegelung der Machtverhältnisse auf unseren Straßen bzw. in unserer Mobilitätgesellschaft dar.
    Für das Rad?
    Den Katzentisch!
    Den LSA Planenden ist dabei aber m.E. nicht wirklich ein Vorwurf zu machen. Dreifache Separation an komplizierten hochbelasteten und plangleichen Kreuzungen mit drei getrennten LSA Sytemen ist kaum innerhalb der Vorgaben von leistungsfähig, sicher und begreifbar zu realisieren. Daher ja auch das zunehmend vertreitete Gestümpere mit einer dritten Ampelform zusätzlich zum Fußverkehr ('normal' sichtbar konsistent und begreifbar für's Auto, mit weissem Licht und anderen Symbolen für ÖPNV, verrätselte Miniaturausführung der normalen Ampel für's Rad)
    Viele Millionen Menschen, die nicht mehr über volle Sehkraft verfügen oder kognitive 'Defizite' haben, oder zu jung/zu alt sind, etc. werden durch diese auf die Autostruktur aufgesetzte Zusatzseparation faktisch von dem Recht auf eine sichere Mobilität ausgeschlossen.
    Obwohl ich selbst nicht zu einer dieser Risikogruppen gehöre, hat mich eine ähnliche 'subjektiv sichere' aber objektiv hinterhältige LSA-Konstruktion in eine der extrem seltenen potentiell tödlichen Situationen gebracht, wobei mich nur die Reaktionsschnelle einer Autofahrerin vor der Kollision bewahrt hat. Rechtlich wäre meine Leiche dabei wohl als 'Alleinverursacher' eingestuft worden.
    Das alles unter dem Banner der 'subjektiv sicheren' Totalseparation des Radverkehrs weg vom ursprünglich allgemeinen Straßennetz mit seiner allgemeinverständlichen relativen Übersichtlichkeit und meist guten intuitiven Begreifbarkeit.
    Wie das zu lösen wäre?
    - Planfrei gestalten, also mit Brücken und Unterführungen für den Radverkehr (Hovenring, etc.), was in stark verdichteten Räumen oft Abriss von Wohnungen zur Bedingung hätte.
    - Deutliche Reduktion des Autoverkehrs durch Rückbau von Straßen oder Straßenabschnitten oder durch Umwandlung in Einbahnstraßen oder durch weitere Reduktionsmaßnahmen, so dass mit deutlich geringerer 'Leistungsfähigkeit' und Komplexität geplant, geschaltet und gestaltet werden kann.
    - Weitermurksen im Separationsparadigma mit viel zu viel Autoverkehr wie bisher, aber mit Aufklärungskampagnen, die 'leider' wohl zugleich die Absurdität solcher Ampel-Schnitzeljagden offenlegen würden.
    Insgeamt ein Thema, das viel zu selten in den Fokus gerät, zumal zu erwarten ist, dass sich dieser gefährliche Separationsmurks stetig vermehren wird.
    Alfons Krückmann

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    1. Sie verballhornen wieder einmal, wie eine echte Separation (der Begriff ist in seiner Eindeutigkeit eigentlich auch gar nicht zutreffend) à la NL aussieht. Da wird eben nicht der Radverkehr systematisch neben den Autostraßen entlang geführt, sondern es wird entflochten, separiert oder gemischt, je nach Ausgangslage und Bedarf. Und entgegen Ihrer, hier erneut wiederholten, Karikaturisierung, ist der Radverkehr dort eben nicht ein miniaturisiertes Anhängsel, sondern oft prioritär.

      Ihre Leser kann ich nur auffordern, sich selbst durch einen Besuch der Niederlande oder Lektüre (etwa hier https://www.aviewfromthecyclepath.com/?m=1) ein Bild zu machen.

      Und sie Herr Krückmann, erklären Sie bitte konkret, wie Sie auf Basis Ihrer Analysen so den Autoverkehr zurück drängen, dass dabei ein vernünftiges Verkehrsnetz für alle entsteht.

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    2. 1/2
      Lieber Marmotte,
      Thema?
      Wieso denn jetzt wieder NL?
      Ich habe davon in meinem Kommentar überhaupt nicht geschrieben.
      Ich empfehle im Übrigen ebenfalls einen Besuch in NL, allerdings, sofern eine verkehrliche Einschätzung der Reisegrund ist, nicht nur mit dem Fahrrad, sondern zwingend auch mit dem Auto, nur dann ist überhaupt eine realistische Einschätzung des Gesamtverkehrs mittels eigener Anschauung erkenntnisfördernd. Begleitend ist es sinnvoll sich die Empirie in Bezug auf weiter steigenden Autoverkehr und steigende Radverkehrstodesgefahr zu Gemüte zu führen.
      Dass die Separationslösungen in den NL bei einer einseitigen lediglich auf den Radverkehr beschränkten Sichtweise (längst nicht mehr zeitgemäß!) komfortabler ausfallen und i.d.R. auch intuitiver begreifbar sind, habe ich niemals abgestritten. Ganz im Gegenteil weise ich gern darauf hin, dass zB. mit 'fietsbalans II' höherwertige Evaluationen stattfinden, auch Reisezeitverbesserungen für den Radverkehr (leider mit 'pull&pull') einbezogen werden, der Kinderschulverkehr besser funktioniert, etc. etc.
      Das löst aber im 21.Jhd keines der dramatischen und wirklich existentiellen Schlüsselprobleme und es wird auch den in NL selbst gestellten Anforderungen an Klimapolitik, Umweltpolitik und sicherem Radverkehr (signifikant höheres Rad-Todesrisiko pro km als in DK oder D) objektiv keinesfalls gerecht.
      Sie ignorieren (vorsätzlich?) grundlegend die Zielsetzungen der NL Verkehrspolitik, welche explizit der Ausweitung des MIV gerade bei den ökol. und klimapol. relevanten mittleren/längeren Distanzen verpflichtet ist. Diesbezügliche Belege habe ich hier verschiedentlich einfließen lassen.
      Sie ignorieren (vorsätzlich?) die Implikationen des theoretisch und empirisch extrem gut abgesicherten 'induzierten Verkehrs', womit sich auch widerspruchsfrei die stetigen MIV Steigerungen in (nicht nur) den NL erklären.
      Separierter Radverkehr wird (nicht nur) in den NL als preiswerte Anti-Stau Maßnahme eingesetzt. Zudem wird das Konzept von autoarmen Kernstädten statt autoreduzierter Regionen verfolgt, was leider die ohnehin sozial problematischen Gentrifizierungsprozesse verschärft, Immobilienrenditen erhöht, bei gleichzeitig optimierten MIV Erreichbarkeitsradien durch Entlastung der Schnittstellenstaus.
      Lässt sich übrigens auch für die Metropolregion CPH nachweisen.
      Das alles heisst ja nicht, dass Separationen des Radverkehrs dogmatisch aus Gründen von Ökologie und Klimaschutz abzulehnen sei. Sowas habe ich nie vertreten. Keine Ahnung, warum Sie hier derart konfrontativ ein 'Feindbild' aufzubauen trachten.
      Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass in NL gegenüber dem Radverkehr eine strikte Verbotspolitik von Fahrbahnbenutzungsrechten überall da, wo Strecken oder Teilstrecken für die längeren Autofahrten relevant sind, vollzogen wird. Versuchen Sie mal testweise bei Ihrem nächsten NL Besuch die Fahrbahn bei gleichzeitig vorhandenem Radweg zu benutzen ... viel Spaß!
      Zielführender als die dogmatische NLSeparation wären duale Lösungen als Regelfall, d.h. Radwege zur optionalen(!) Nutzung überall da wo sie aufgrund des aus dem Ruder gelaufenen Autoverkehrs (noch) sinnvoll sind bei gleichzeitigem grundsätzlichen Verzicht auf Fahrbahnverbote.
      Ja, das würde Kapazitäten und Reisezeiten das MIV 'verschlechtern', würde die LSA-Schaltungen für den MIV weniger 'leistungsfähig' machen, das würde den Druck in Richtung deutlicher Absenkung der bizarr hohen MIV-Geschwindigkeiten erhöhen. Na und?
      Zudem würde das der zunehmenden Heterogenität des Radverkehrs besser gerecht werden, bei gleichzeitiger Eindämmung der überbordenden zusätzlichen Bodenversiegelungen. Was daran wäre denn abzulehnen?
      Vielen scheint immer noch nicht klar zu sein, was ein klimaneutrales Verkehrssystem eigentlich bedeutet, bzw. das das für Konsequenzen mit sich bringt.
      Alfons Krückmann

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    3. 2/2
      Fortsetzung:
      Reduktion der Autodichte bis 2030/2035 um ca. 50% und nachfolgend weitere deutliche Reduktionen, Reduktion der Autofahrleistung um 30-50% bis 2035 mit Entwicklungspfad für deutliche weitere Reduktionen.
      Deutliche und stabile Reduktionen des Straßengüterverkehrs beinahe in ähnlichen Größenordnungen mit Ausbau regionaler Güterproduktion (in den Sektoren wo dies möglich ist) und starkem Ausbau von klimagerechten Transportketten jenseits des LKW Verkehrs. Zusammenrücken von Wohnen und Arbeiten, was erhebliche Auswirklungen im Hinblick auf 'weichere' Qualfikationsprofile hat und dem fatalen 'Bologna Prozess' des gegenwärtigen Bildungssystems zuwider läuft. Mobilität erfordert immer die Analyse im Querschnitt und Veränderungen strahlen immer in Richtung der Gesamtgesellschaft incl. der Arbeitsmärkte aus.
      Über genaue Quantifizierung lässt sich streiten, aber die ungefähre Größenordnung ist nunmal zu erreichen, es sei denn die Klimaziele werden über Bord geworfen, mit all den damit verbundenen verheerenden Konsequenzen für viele 100 Millionen Menschen ggf. auch mehrere Mrd. Menschen auf unserem Globus.
      Aus dieser Perspektive ist nunmal nicht nur die deutsche Verkehrspolitik ein Desaster, sondern nicht minder die niederländische, wobei in NL der zusätzliche Nachteil darin besteht, dass der allergrößte Teil der Bevölkerung dem Irrglauben erliegt, dass NL als 'Fietsland Nr.1' keine drastische Fehlentwicklung im Verkehrsbereich habe, während in D immerhin Konsens besteht, dass der Autoverkehr 'eigentlich' drastisch reduziert werden muss.
      Kurzum:
      Sie bauen sich da mir gegenüber ein seltsames 'Feindbild' auf mit Positionen gegen Argumente, die nicht von mir stammen, sondern aus Ihrer Abwehrhaltung gegenüber Kritik an der von Ihnen als 'Vorbild' empfundenen Verkehrspolitik in NL.
      Natürlich kann ich nicht aussschliessen, dass die dogmatisch marktliberalen Geert Wilders Niederlande doch noch den Kurs auf klimagerechten Verkehr einschlagen, allein mir fehlt der Glaube und mir fehlen jegliche theoretischen und/oder empiischen Anhaltspunkte dafür.
      Was meine, zugegebenermaßen recht häufige, Kritik an NL-Verkehrspolitik angeht, so ist dies nicht in Niederlandehass oder Radwegehass oder Ähnlichem begriündet, sondern fußt darauf, dass gegenwärtig in Deutschland mit Vehemenz von CSU/FDP/Grüne bis ADAC/ADFC der faktisch falsche Mythos gepflegt und vorangetrieben wird, dass die Methode 'lets go dutch' ein zentraler und wirksamer Baustein einer klimagerechten Verkehrspolitik darstellen würde.
      Das ist nicht der Fall, und diese Fehlausrichtung wird, wenn da nicht gegengesteuert wird, fatale Konsequenzen im Hinblick auf die auch in D absehbare Nichterreichung der allseits behaupteten Klimaziele haben.
      Angesichts der leider galoppierend weiter verschärften Klimaproblematik müssen Irrwege auch als solche benannt werden um zu faktisch(!) funktionierenden Lösungen zu kommen, statt weiter gefälliges 'komfortables' und 'anschlussfähiges' Greenwashing von leicht variierenden Ausprägungen autogerechter Verkehrspolitiken zu betreiben.
      Alfons Krückmann

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  4. Trotzdem bin ich für reparierten Radverkehr. Das bringt mehr Menschen aufs Fahrrad.

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  5. Letztlich ist es natürlich auch eine Frage der persönlichen Schwerpunkte, bzw. Zielsetzungen und deren Priorisierung.
    Mit geht es da weniger um eine Erhöhung der Zahl der Radfahrenden, sondern um positive Entwicklungen des Verkehrssektors im Hinblick auf Klima und Umwelt, wobei dann natürlich die Reduktion des Autoverkehrs ein 'must have' darstellt und prominent oben auf der Prioritätenliste steht.
    Für eine Parallelentwicklung von steigendem Radverkehr mit steigendem Autoverkehr ist das NL Modell natürlich sehr passend und erprobt, mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen.
    Alfons Krückmann

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  6. Ergänzung:
    warum sollten die von mir vorgeschlagenen dualen Lösungen (wahlfreie Radwege wo nötig und Abschaffung aller Fahrbahnverbote) eigentlich weniger attraktiv sein für eine Steigerung des Radverkehrs?
    Das ist doch im Kern gar keine - oft emotional aufgeladene - Debatte von 'Wie hält's Du's mit dem Radweg', sondern eine Frage inwieweit Radverkehrsförderung zugunsten oder zuungunsten des MIV stattfinden soll.
    Und das dann halt runtergebrochen auf die Planungsgrundlagen (auch Nutzen-Kosten Rechnung, wo bei Radwegplanungen alle MIV induzierenden Wirkungen ausgeklammert bleiben) und konkreten Infrastrukturausbau, sowie die div. Regelwerke.
    Also 'pull%pull', oder 'push&pull' oder, wie in der in Deinem letzten Blogbeitrag verlinkten recht guten Marburger Untersuchung (Endbericht von Planersozietät H für Marburg) mit 'push&pull' plus Klima (also auch Berücksichtigung von induzierten Verkehren, etc.) womit dann auch für die Problemlagen des 21.jhd. passende Lösungen entwickelt werden können, die eben nicht in der niederländische Falle mit weiter steigendem Autoverkehr feststecken bleiben.
    Ethisch gesehen halte ich die Förderung einer Radverkehrspolitik, die wissentlich weitere Steigerungen durch induzierten MIV in Kauf nimmt für hoch problematisch.
    Alfons Krückmann

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    1. Ich bin schon lange dafür, die Benutzungspflicht für Radwege abzuschaffen. Anderseits ist es auch ein Argument bei den ewigen Streitereien darüber, ob Autofahrenden eine Fahr- oder Parkspur wegenommen werden kann, dass Radfahrende dann ihre Wege haben und Autofahrende auch. Kein Autofahrer fährt gern langsam hinter einem Radler oder einer Radlerin her.

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    2. Naja, wenn wir den Verkehrssektor so planen, dass es die Autofahrer 'gern haben', dann brauchen wir erst gar nicht anzufangen uns zu engagieren?
      Aber o.k., gegen eine immer noch blechkistenfixierte Mehrheit lässt sich nicht leicht umweltorientierte Politik betreiben.
      Formalisierungen könnten da hilfreich sein?
      Wenn etwa, wie ja auch in ersten kleinen Ansätzen bei der Nutzen-Kosten Rechnung im BVWP, die induzierten Autoverkehre als 'Kosten' einzurechnen sind, und ebenso die Bodenversiegelung eingerechnet werden muss, dann könnte, auf Basis von klimagerechten Paris-kompatiblen Obergrenzen mit verpflichtenden Kompensationsmaßnahmen gearbeitet werden.
      Nicht als Option mit Zustimmung der 50mio. Autobesitzenden, sondern als gesetzliche Verankerung auf Basis des verbindlichen Völkerrechts (Parisvereinb.) in Übereinstimmung mit dem deutschen Grundgesetz.
      D.h. alle zusätzlichen Autoverkehre (Fahrleistung, nicht Wegezahl!), die durch die Anti-Stau Wirkungen eines jeweiligen Radwegebaus induziert werden, müssen mindestens kompensiert (Status Quo), besser aber verbindlich überkompensiert (Klimaschutzverpflichtung) werden.
      Auch Natureingriffe zB durch RSW müssten klimagerecht kompensiert werden. Natürlich nicht durch Radwege-Abbau oder Entsiegelung von Busspuren an anderer Stelle, sondern durch Rückbau von MIV Infrastruktur für den fahrenden oder ruhenden Verkehr (Renaturierungen, Spurreduktionen für Begrünungen, etc.).

      Wie gesagt, Vielen ist immer noch nicht klar, dass eine 'echte' also real und nicht bloß rhetorische klimagerechte Verkehrswende tatsächliche sehr reale Konsequenzen jenseits der üblichen Sonntagsrhetoriken zwingend(!) mit sich bringt.
      Der Pelz muss nass werden beim baden!

      Derzeit ist davon nicht das Allergeringste zu sehen, weshalb ja auch jedes Jahr mehr Autos durch die Gegend fahren und die Fahrleistungen beim MIV und Straßengüterverkehr nicht nur auf viel zu hohem Niveau verbleibt, sondern sogar noch weiter ansteigt. Aktuell werden ja immer noch mit extremer Unverdrossenheit weitere Pfadabhängigkeiten im Hinblick auf einen verschärften 'Zwang zum Auto' in Beton gegossen.
      Siehe auch den heutigen aktuellen Bericht des Expertenrates
      https://www.youtube.com/watch?v=pBtzNn59t_0
      Mit verstärktem Radwegebau und 'more people bike more often' ist da wirklich kein Blumentopf zu gewinnen. Eher wird der fatale Trend im Verkehrssektor noch durch Rebounds oder Backfireeffekte weiter verstärkt.
      Siehe auch analog die (absehbar faktisch falsche) 'Alles wird gut' Rhetorik zu den angeblich zu erwartenden Entlastungen durch home-offices, bei denen die erwartbaren Rebounds konsequent unterschlagen worden waren.
      Und um auf die Ampeln zurückzukommen:
      auch da wären verbindliche Ziele formulierbar. Etwa die Verpflichtung zu einem Reisezeitshift weg vom MIV, hin zum Umweltverbund (konsequente Vorrangschaltungen für Bus/Tram, Fuß und Rad).
      Natürlich führt das in den Spitzenstunden für den MIV zu Staus und Rückstaus, aber ohne Mut zum Stau wird der MIV bekanntlich stetig weiter wachsen.
      Auch möglich:
      Obergrenzen (Bürgerräte?) für die Zahl der durchschnittlichen MIV Einfahrten in die Metropolen und Oberzentren mittels Pförtnerampeln, was eine etwas elegantere Lösung für die Rückführung der MIV Kapazitäten und Erreichbarkeitsradien auf verträgliches Maß ist, als die Methode 'Staueskalation'.

      Wenn dabei die realen Kosten des MIV ehrlich berechnet und kommuniziert würden, wäre auch vermittelbar, dass derartige von Vielen zunächst wohl als 'zu strikt' empfundenen Maßnahmenpakete eindeutig und in vielen Aspekten positiv im Hinblick auf das Gemeinwohl sind, abgesehen davon, dass sowas für die Notwendigkeiten von Umwelt- und Klimaschutz eh ethisch, juristisch und 'physikalisch' unumgänglich ist.
      Es fehlt an 'Einsicht in die Notwendigkeit'.
      Mit den alten Konzepten aus den 80ern (autoarme Kerne in Verbindung mit ausgeweitetem Interkommunal-MIV a la NL) kommen wir da nun wirklich nicht mehr auf verträglichen Kurs.
      Alfons Krückmann

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    3. Etwas Geduld hat noch niemand geschadet. Meistens kann man Radler doch alsbald überholen. Die oft theatralisch überhöhte Ungeduld der armen Hinterherfahrenmüsser korrespondiert mit dem fast genauso oft zur Schau getragenen Langsamtunmüssen, wenn man selbst vorne ist. Vor dem PKW in der 30er Zone sind dann 38km/h noch zu langsam, selbst wenn der eigene Carport schon in Sichtweite ist. Während 28km/h schon arg schnell sind, sobald ein Radler im Rückspiegel auftaucht. Wir sind alle Menschen. Hajö.

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  7. Durch Ihre Erwähnung des Hovenrings und die durchgehende Verwendung des Begriffs Separierung für die Radverkehrspolitik in NL war der entsprechende Bezug leicht herzustellen.

    Ich gehe mit Ihrer globalen Analyse der Verkehrspolitik konform, und anerkenne, worum es Ihnen letzlich geht, eine an Klimazielen ausgerichtete gesamtheitliche Verkehrspolitik, aber ich sehe nicht, wie in der aktuellen Situation in Deutschland der direkte Weg dorthin, so wünschenswert und dringlich er auch sein mag, geschafft werden soll. Die Etablierung des Fahrrades als vollwertiges Verkehrsmittel "auf der Fahrbahn" ist aktuell der großen Mehrheit nicht vermittelbar.

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