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14. September 2021

Wieder schwerer Dooring-Unfall in Stuttgart

Wieder hat es in Stuttgart einen schweren Dooring-Unfall gegeben. Ein Radfahrer fuhr die Alte Straße hinunter. Eine Autofahrerin öffnete ihre Autotür und brachte den Radfahrer zu Fall. Er wurde schwer verletzt. 

Der Radfahrer fuhr, wie die Stuttgarter Zeitung berichtet, am Freitag gegen 18 Uhr die Alte Straße, die nach der Haarnadelkurve der Böblingerstraße in Heslach rechts abzweigt, zum Unteren Brühl hinunter.  Eine Autofahrerin hatte ihren gemieteten Smart dort abgestellt und stieß, ohne zu gucken, die Tür auf. Der Mann prallte gegen die Tür und stürzte. Er musste ins Krankenhaus. Erst vor acht Wochen hatte es in der Kölle-Straße einen schweren Dooring-Unfall gegeben, der durch die Beifahrerin verursacht wurde. 

Wo genau der Unfall geschah, lässt sich drei Tage später nicht mehr feststellen. Ich habe keine Markierungen der Polizei auf der Fahrbahn gefunden. Die Straße darf mit Kraftfahrzeugen nur von Anliegern befahren werden. Bergauf kann einem auch was entgegenkommen, da darf außer den Anliegern niemand reinfahren, übrigens auch keine Fahrräder. Aber dieses Schild halte ich für eine der typischen Pannen: Wieder mal nicht an Radfahrer gedacht! Von unten fahren Leute rein und stellen ihre Autos auf der linken Seite ab (teils auswärtige Kennzeichen), was verboten ist. 

Wer hier mit dem Rad runter fährt (übrigens ist die Straße von der Böblinger Straße aus nur aufwärts, nicht bergab anfahrbar, auch für Fahrräder nicht, weshalb hier nur sehr selten Fahrräder bergab fahren dürften) muss de facto auf der linken Fahrbahnsteite fahren, um ausreichend Sicherheitsabstand von geparkten Fahrzeugen zu halten, und sollte das auch unbedingt tun. 

Unfälle durch blindlings aufgestoßene Autotüren gehören zu den unterschätzten und häufigen Unfällen.

Nur selten gehen sie ohne schwere Verletzungen ab und enden immer wieder auch tödlich. Jeder zweite Radunfall im Zusammenhang mit dem ruhenden Verkehr (also geparkten Autos) ist ein Dooring-Unfall, stellt die Unfallforschung der Versicherer fest. Diesen Angaben zufolge haben 18 Prozent der Unfälle, fast jeder fünfte, die Fußgänger:innen und Radler:innen erleiden, mit geparkten Autos zu tun, egal ob legal oder illegal abgestellt. 

Auch wenn unermüdlich der holländische Griff von Autofahrenden gefordert wird (die linke Tür mit der rechten Hand öffnen, was zum Umgucken zwingt), macht das bei uns niemand, vermutlich weil die meisten Leute diese Empfehlung nicht erricht. Sich umgucken, bevor man die Tür öffnet, gehört zu den Pflichten der Autofahrenden, die sie beachten müssen, eben weil ihr Fahrzeug generell eine große Gefahr für andere darstellt. 

Abbiegeunfälle oder Unfälle, bei denen uns ein Autofahrer die Vorfahrt nimmt, sind in der Regel nicht vorherzusehen, weil wir im Vertrauen auf Regeltreue und Vorsicht der Autolenker:innen fahren müssen, wenn wir nicht immer anhalten wollen, sobald ein Auto von links oder an einer Vorfahrt-achten-Straße auftaucht. Auch Doorig-Unfälle sind nicht vorherzusehen. Wir sehen, wenn wir an Autos entlang radeln,  nicht, ob da einer drin sitzt, der gleich die Tür aufmachen wird. Unser Bremsweg ist gut 11 Meter lang, wenn wir mit unter 20 km/h radeln. Wenn vor uns die Tür aufgeht, haben wir keine Chance. 

Deshalb sollten wir immer und überall unbedingt mit mindestens einem Meter Abstand zu geparkten Autos radeln. Wo der Schutzstreifen zu schmal dafür ist, wie auf der Böblinger Straße, müssen wir eben ganz links auf der Linie des Schutzstreifens radeln. Kommt uns in einer schmalen Straße ein Auto entgegen und reicht der Platz nicht - eine sehr häufige Situation etwa in der Burgstallstraße auf der Hauptradoute 1, empfiehlt es sich, das Auto, an dem ich dann eben doch dicht vorbeifahren muss, sehr misstrauisch zu beäugen und langsam zu fahren. Auch wenn wir manchmal etwas tun können, um das Dooring-Risiko zu verringern, so liegt die Schuld bei den Autofahrenden, wenn es passiert. Sie müssen wegen der höheren Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs immer aufpassen, dass sie ihre Türen weder Radfahrenden noch Fußgänger:innen vor den Leib stoßen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man noch so wachsam und vorausschauend radeln kann, irgendwann geht eben doch eine Tür vor einem auf, und zwar gerade dann, wenn man nicht damit gerechnet hat, etwa, weil in einer engen Straße viel zu schnell ein Auto entgegenkommt, auf das man sich konzentrieren muss. In meinem Fall hatte ich Glück, ich fuhr bergauf und konnte noch bremsen.  

Ich wünsche dem verunglückten Radfahrer gute Besserung und eine vollständige Genesung. 




13 Kommentare:

  1. Gute Besserung an den Radfahrer.

    Danke, C. Lehmann, dass Sie es seit Jahren (zwei)tagtäglich auf sich niehmen, diese Dinge zu schreiben. Ich hätte sicher längst verzweifelt.

    Was das Dooring angeht, so lasse ich den Meter Abstand, denn ich fahre schnell. Es hat auch den Vorteil, dass man besser im Blickfeld der Autofahrer ist. Aber ich sehe an meinen Kindern und meiner Frau, wie schwer das ist, wenn nebenan der Verkehr rollt, und selbst wenn nur ab und an ein Auto kommt. Selbst habe ich wesentlich mehr Angst vor einem Dooringunfall und ich mahne immer wieder, aber es hilft nichts...

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  2. Oh Mann, Dooring-Unfälle sind nervig. Die Böblingerstr. ist diesbezüglich ganz schlimm, vor allem wegen des Schutzstreifens, der direkt neben den Autos steht. Liegetrikes helfen hier ein bisschen: der Bremsweg ist so kurz wie der eines Autos, man kann schneller ausweichen als auf einem aufrechten Rad und man kann sich auch nicht hinlegen. Eine bessere Fahrradinfrastruktur wäre aber eine Lösung für alle.

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  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  4. "Wo der Schutzstreifen zu schmal dafür ist, wie auf der Böblinger Straße, müssen wir eben ganz links auf der Linie des Schutzstreifens radeln."
    - (Achtung: Keine Rechtsberatung) Als Radfahrer kann man sich den Schutzstreifen auch ganz einfach wegdenken und damit links von der Linie fahren. Zu mindest in Niedersachsen.

    "[...] Radfahrer würden jedoch durch einen auf der Fahrbahn befindlichen Schutzstreifen nicht mit einem Ge- oder Verbot belastet.
    [...]
    Entsprechende Gebote beinhalte die Markierung eines Schutzstreifens nach ihrem Sinn und Zweck sowie der Systematik und der Entstehungsgeschichte nur für andere Verkehrsteilnehmer, nicht aber für Radfahrer."
    OVG Niedersachschen 12 LC 150/16 vom 25.07.2018 https://openjur.de/u/2206917.html

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  5. Schutzstreifen werden auch Angebotsstreifen genannt, weil sie ein Teil des Fahrstreifens sind. Sie sind nicht benutzungspflichtig für Radfahrer. Wenn die Verkehrsbehörde einen benutzungspflichtige Radverkehrsführung anordnen will (was sie ahängig vom Verkehrsaufkommen tun muss), dann kann sie einen Radfahrstreifen markieren lassen, eine protected bike lane (wie auf der König-Karls-Brücke) einrichten oder einen baulich getrennten Radweg anlegen lassen.

    Die Schuldfrage sehen Gerichte häufig/regelmäßig übrigens anders als Du, Christine, schreibst. Wer als Radfahrer weniger als eine Türbreite, also 1m bis 150cm Abstand von den parkenden Autos hält, bekommt Teilschuld am Unfall. Bitter, institutionalisiertes victim blaming.

    In die Verwaltungsvorschriften und technischen Regelwerken (ERA2010) sind die einschlägigen Gerichtsurteile leider nich nicht eingeflossen. Radinfrastruktur darf (muss?) Demnach so dicht an Parkplätzen entlang geführt werden, dass ihre Benutzung lebensgefährlich und illegal ist. Pervers und menschenverachtend, was der Staat (Ordnungsamt als Straßenverkehrsbehörde im Zusammenspiel mit der Politik, konkret mit dem Gemeinderat) den radfahrenden Bürgern da zumutet, indem sie absichtlich naive Radfahrer in lebensgefährliche Fallen locken. (Dieser Teil meines Kommentars bezieht sich u.a. auf die Hauptradroute Nr. 1, nicht aber auf die Stelle des jüngsten dooring-Unfalls in Stuttgart.)

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  6. Ähnliche Situation in S-Untertürkheim, Schutzstreifen entlang der Fellbacherstraße.
    Um die 1m Abstand zu den parkenden Autos einhalten zu können, muss ich außerhalb
    des Schutzstreifens radeln. Ich muss hier keinem erklären, wie dann die Autofahrer
    reagieren. Hier radeln übrigens auch viele Schüler.
    Da werden Streifen aufgemalt, die viel zu schmal sind und mich in die Dooring-Zone
    zwingen. Und die meisten radeln nun mal innerhalb des Streifens!
    Und wenn mich dann die Tür erwischt, krieg ich noch ne Mitschuld, weil hättest halt
    mal Abstand gehalten!
    Gruß, Sandy

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    1. Hallo Sandy,
      genau deswegen fahre ich dort nie in der Mitte dieses Gefährdungsstreifens, sondern ungefähr auf der gestrichelten Linie. Dann hält man gut einen Sicherheitsabstand ein.
      Die Autofahrer muss mann dann leider aushalten.
      Es wundert mich nicht, wenn hier jemand nicht fahren möchte.

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  7. Ich verstehe nicht, wieso Radfahrstreifen oder Schutzstreifen noch immer derart angelegt werden. Selbst mit diesem halben Meter Streifen für den "Sicherheitsabstand" ist man vor Dooring-Unfällen nicht gefeit. Das geht schon da los, dass Autofahrer eben nicht immer ganz rechts am Bordstein parken oder das Fahrzeug, wie zum Beispiel Lieferwagen, Wohnmobil oder LKW, einfach zu breit ist - somit ragt es weiter nach links zum Radstreifen hin als eigentlich vorgesehen.

    Bestes und aktuelles Beispiel: Stresemannstraße am Killesberg. Dort wollte man unbedingt die Parkplätze erhalten, macht einen halben Meter Streifen als "Sicherheitsabstand" und ist als Radfahrer halt doch nicht sicher.

    Lösung: Radfahrstreifen weg, Parkplätze näher an die Autofahrbahn rücken, rechts von den Autos überall massive U-Bügel (oder hässliche Spritzschutzwände aus Beton), so dass die Beifahrertüren nicht geöffnet werden können. Dann kann man auch direkt daneben den Radweg führen und benötigt keinen Sicherheitsabstand mehr. Sobald es auf eine Kreuzung zugeht: 50 Meter vorher keine Parkplätze mehr, Radstreifen zur Fahrbahn hin verschwenken und Radfahrer somit im Sichtfeld der Autofahrer fahren lassen.

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    1. "Selbst mit diesem halben Meter Streifen für den "Sicherheitsabstand" ist man vor Dooring-Unfällen nicht gefeit. Das geht schon da los, dass Autofahrer eben nicht immer ganz rechts am Bordstein parken oder das Fahrzeug, wie zum Beispiel Lieferwagen, Wohnmobil oder LKW, einfach zu breit ist - somit ragt es weiter nach links zum Radstreifen hin als eigentlich vorgesehen."
      "Toll" ist da auch die Variante, die hier in einer Stadt grassiert, ein leicht erhöhter Radfahrstreifen, also mit einer leichten Kante zur Fahrbahn hin, um besser vom fahrenden Autoverkehr zu trennen, aber mit dem Nachteil, dass, der Ort wo man um ganz sicher zu gehen, oder bei einem überbreiten oder schlecht geparkten Fahrzeug, radeln will, unagenehm/schlimmstenfalls gefährlich nah an diese Kante rückt.

      "Radstreifen zur Fahrbahn hin verschwenken"
      Nicht gut, Rechtsabbieger können einen ja bekanntemaßen trotzdem leicht mal umfahren. Das muss so gemacht werden wie in den Niederlanden: Radweg von der Fahrbahn *weg* verschwenken und so für ein abbiegendes Auto eine Aufstellfläche mit rechtwinkligen Sichtbeziehungen zum Radweg schaffen, und den Radweg durchgehend erhöht mit Vorfahrt über die Seutenstraße führen. Bei größeren Kreuzungen das entsprechende holländische Kreuzungsmodell anwenden.



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    2. Ich bin nicht sicher, ob die niederländische Lösung nicht in den Niederlanden deshalb so gut funktioniert, weil Autofahrende jederzeit mit Radfahrenden rechnen gelernt haben, einfach weil es so viele sind. Ein Auto kann einen Menschen auf dem Fahrrad auch frontal überfahren, wenn der Fahrer zu schnell ist und am zurückversetzten Radübergang nicht mehr anhalten kann. Ist erst kürzlich im Kreisverkehr in Baknang passiert. Gebe ich nur mal zu bedenken, eine abschließende Überzeugung habe ich dazu noch nicht.

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    3. In den Niedetlanden ist der Radweg nicht nur zurückversetzt sondern auch noch erhöht, mit einer deutlicjen Schwelle da kann das Auto gar nicht drüber brettern, auch ist natürlich der vorherige Kurvenradius so gewählt dass nur langsam abgebogen werden kann. Es ist dort immerA+B+C+D, nicht wie in Deutschland mal A, dann vielleicht mal D, irgendwo mal C usw. Alles ist Teil eine Systems.

      Dabei ist die Aufmerksamkeit der Autofahrer das Resultat, nicht eine Vorbedingung, woher sollte das denn dort kommen, sind dochcauch keine anderen Menschen?
      Hör dir den von mir vor ein paar Tagen schon verlinkten Podcast einfach mal an: https://www.heise.de/meinung/Podcast-Die-Hupe-Das-Fahrrad-in-den-Niederlanden-6187706.html

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    4. Und die Zahl der Radfahrer stieg dort auch erst durch die Infrastruktur so an, in den 70er waren die verkehrsmäßig auf genau der gleichen schiefen Bahn wie wir.
      https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&url=https://m.youtube.com/watch%3Fv%3DXuBdf9jYj7o&ved=2ahUKEwiPo9P0wILzAhWnz4UKHVaLBA0QwqsBegQIBhAE&usg=AOvVaw2iGrbRhVRHLLileYiH7cEM

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