14. Juli 2021

Schwerer Dooring-Unfall in de Köllestraße im Westen

Eine Frau mit Beifahrerin fährt am Samstagmittag im Stuttgarter Westen die Köllestraße Richtung Osten lang. Auf Höhe der Hausnummer 80 hält sie an, ihre Beifahrerin stößt die Tür auf und holt eine Radfahrerin vom Rad. 

Die Radlerin stürzt und fällt auch noch einige Stufen der Staffel hinunter, die genau dort beginnt. Sie wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. 

Laut Polizeibericht wollte die Radlerin rechts an dem stehenden Auto vorbeifahren, als die Tür aufging und sie vom Rad fegte. Ob die Autofahrerin beim Anhalten den Blinker rechts setzte, ist nicht bekannt (muss man aber machen). Eine Anwohnerin, die das Auto noch stehen sah, erzählte mir: "Das ist dort total blöd. Die Straße ist schmal, wirkt eher wie ein Weg. Der Abstand zwischen Auto und Gebüsch und Staffel war nicht besonders groß." Auf dem Foto, das ich gemacht habe, sehen wir die Situation in Fahrtrichtung. Die Markierungen zeigen, das Autos stand mittig, mehr links als rechts. Die Polizeimarkierungen habe ich optisch verstärkt. Rechts, wo es grün ist, geht es die Staffel runter. Dort öffnete sich die Tür. Auf dem zweiten Bild sehen wir, dass die Radlerin keine Chance hatte, sich für links vorbeifahren zu entscheiden. 

Zeichnet man nämlich die Umrisse eines Autos ins Bild, sieht man, dass es der Radlerin so scheinen musste, als komme sie links überhaupt nicht vorbei, rechts aber sehr gut. Und Radfahrende dürfen ja rechts an stehenden Autos vorbeifahren. Auch Autofahrende fahren an stehenden Autos vorbei. 

Auf der Köllestraße herrscht so viel Radverkehr, dass mit Radfahrenden immer zu rechnen ist. In keinem Fall hätte die Beifahrerin die Autotür nicht ohne nach hinten zu gucken aufstoßen dürfen und die Fahrerin hätte sich darum kümmern müssen, dass der nachfolgende Verkehr beachtet wird. Dooring-Unfälle gehören zu den Unfällen, die für Radfahrende am schlimmsten ausgehen. Egal wie schnell ein Radfahrer ist, selbst wenn er nur mit 10 km/h rechts an einem Auto vorbeifährt, eine Autotür ist so plötzlich da, dass keine Zeit zum Reagieren bleibt. An einem stehenden Auto dürfen Radfahrnde rechts vorbei fahren, mit der gebotenen Vorsicht. Es empfiehlt sich allerdings, das nicht immer zu tun. 


Plötzlich auf der Fahrbahn anhaltende Autos stellen uns immer vor größere Herausforderungen, vor allem dann, wenn kein Blinker anzeigt, ob sie nach rechts oder links beispielsweise in eine Einfahrt einbiegen wollen. An einem Auto, das anhält und rechts blinkt, fahre ich nie rechts vorbei. Blinkt es links, fahre ich nicht links vorbei. Blinkt es gar nicht, dann stellt sich im Heranrollen die Frage, warum ein Auto hält. Telefoniert die Fahrerin, überlegt sie, wo sie lang muss, wartet sie ab, bis ein Auto am Straßenrand ausgeparkt hat, damit sie dort einparken kann? Missverständnisse zwischen Autofahrenden und Radfahrenden sind häufig. Auch die Warnblinkanlage ist in so einem Fall nicht günstig, denn Autos mit Warnblinkanlage sehe ich immer wieder herumstehen, und da weiß, die stehen länger, also muss ich vorbeiradeln. 

Wir sehen dem Heck eines Autos leider nicht an, was die Insassen vorhaben. Würden wir immer zum Stillstand anhalten und abwarten, was der Fahrer vorhat, würden wir oft herumstehen, weil Autos schmale Straßen blockieren. Der Gebrauch des Blinkders als minimale Absichtsanzeige wird gerne unterlassen. Es ist jeweils eine Einschätzungsfrage des Radfahrers oder der Radfahrerin, ob sie und wo sie vorbeiradelt. Solche Entscheidungen werden in Bruchteilen von Sekunden getroffen. 

Die Radlerin durfte hier in diesem Fall davon ausgehen, dass das Auto nicht nach rechts in eine Einfahrt einbeigen wollte, denn da ist keine, da ist nur Gebüsch und die Staffel. Die Häuser sehen auf der anderen Seite. Links vorbeizufahren wäre im Zweifel riskanter gewesen. Dort sind Garagen. Und der Weg erschien ihr auch optisch verschlossen oder wesentlich schmaler. Die Radlerin konnte auch eber vermuten, dass die Fahrerin gleich aussteigen werde, in den meisten Autos sitzt ja nur ein Fahrer.   

Im Straßenverkehr - vor allem im Konflkit mit Autofahrenden - führen kleine Fehler und Fehleinschätzungen oft zu großen Folgen. Die sind für alle Beteiligten schlimm. Die Fahrerin und ihre Mutter werden ihres Lebens auch nicht mehr froh, weil das passiert ist. Die gestürzte Radlerin hat mit den Folgen einer Verletzung zu kämpfen. 

Aufos sind auf unseren Straßen gefährliche Geräte. Deshalb müssen Autofahrende höchst wachsam sein, bevor sie ihre Fahrtrichtung ändern oder Türen aufmachen, also festes Blech den Menschen in den Weg stellen oder bugsieren, die zu Fuß oder mit Fahrrädern unterwegs sind und keine Blech um sich herum haben. Und das vor dem Aussteigen sich wirklich Vergewissern, dass kein Fahrrad von hinten kommt, ist enorm wichtig. Beifahrer:innen denken daran leider noch weniger als Fahrer:innen. Deshalb sind auch alle Radwege rechts entlang geparkter Autos irre gefährlich. 

Die geringe Neigung zur Rücksichtnahme von doch nicht wenigen Insass:innen von Autos führen leider immer wieder zu schweren Fahrradunfällen. Viele scheinen zu erwarten, dass wir ihre mehr oder weniger kleinen Fehler (kein Blinker, nicht gucken vor dem Aussteigen) ausgleichen, denn die körperlichen Folgen sind für uns Radfahrende schlimmer als für Autofahrende. Und so reagieren die meisten Menschen auf solche Unfälle kopfschüttelnd, nicht über die Autofahrenden, die sich nicht umschauen, bevor sie mit ihrem Blech agieren, sondern über die Radfahrenden, die es nicht vorausschauend besser gewusst haben. Der Fehler liegt aber hier nicht bei der Radfahrerin, sondern bei den Insassinnen des Autos. Sie müssen gucken, bevor sie die Türen öffnen.

Auch die Schlagzeile der Meldung der Stuttgarter Nachrichten ist wieder so formliert, als wäre die Radfahrerin diejenige, die aktiv den Unfall herbeigeführt hat: Eine Radfahrerin knallt gegen eine sich plötzlich öffnende Autotür. Ja komisch? Wieso hat sich die Autotür denn plötzlich geöffnet? Weil eine Beifahrerin sie aufgestoßen hat, genau vor die Nase der Radfahrerin. Man könnte die Schlagzeile doch auch mal so formulieren: Beifahrerin stößt Autotür auf und verletzt Radfahrerin schwer." Das würde nicht mal mehr Platz brauchen und benennt die Täterin, statt das Opfer zu Täterin zu machen.  Die Waiblinger Kreiszeitung hat da ein gute Lösung gefunden und auch einen guten Artikel geschrieben (Foto).

Die Radfahrerin und ihre Angehörigen haben mein Mitgefühl, ich wünschte ihr gute Besserung und vollständige Genesung. Und ihr anderen, passt auf euch auf! 



21 Kommentare:

  1. In der Waiblinger Kreiszeitung war ein für mein Empfinden guter Bericht darüber drin. Es wurde explizit erwähnt, dass die Radfahrerin rechts vorbeifuhr und das auch laut StVO erlaubt ist und dass die Beifahrerin die Tür ohne zu schauen aufgerissen hat. Ich habe die ZEitung leider nicht mehr, aber vielleicht kannst du oder einer deiner Leser sie noch auftreiben.
    Ute

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    1. Liebe Ute, ja, das stimmt, im Text berichten die Zeitungen deutlich sensibler über solche Unfälle. Ich habe hier ja auch nur die Schlagzeile kritisiert, die uns zunächst auf ein falsches Pferd hebt. Die Bemühungen der Radcommunity, die Presse dafür zu sensibilisieren, dass sie sortiert, wer hier was durfte und was nicht, zeigen eine große und gute Wirkung.

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    2. Ich weiß leider die Überschrift in der WKZ nicht mehr. Der Artikel selber war jedenfalls deutlich ausführlicher und wie gesagt, ich fand es gut, dass explizit erwähnt wurde, dass die Radfahrerin rechts vorbei fahren durfte.

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    3. Selbst wenn sie rechts nicht vorbei durfte, gibt es keine Rechtfertigung dafür, eine Kfz-Tür plötzlich aufzureißen.

      Fehlverhalten anderer entschuldet nicht meine Fehler. Es wird bestenfalls beim Strafmaß berücksichtigt.

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  2. autos zu sind so gefährlich, dass paris das flächendeckende tempo 30 unter anderem
    mit der wesentlich geringeren gefahr begründet wenn ein auto nur 30 km/h schnell ist,
    schliesslich sind 0 verkehrstote das ziel.

    tho

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  3. Ich habe im Artikel die Bilder inzwischen durch neue Fotos und eine Montage ersetzt, die besser zeigen, wie sich die Situation der Radfahrerin darstellte. Sie konnte nur die Entscheidung treffen, rechts vorbei zu rollen. Wir wissen nicht, wie langsam oder schnell sie war, und Spekulationen darüber verbieten sich.

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  4. Die meisten Radfahrer, die ich sehe, fahren sehr nah an parkenden Autos vorbei. Es bedarf hier dringend einer Aufklärungskampagne wie sie bereits für den Überholabstand durchgeführt wurde. Dieses Thema ist mindestens genauso wichtig. Nur betrifft es dieses mal eben die Radfahrer selbst.

    Auch gut wären an den Hauptradrouten dauerhaft aufgestellte Plakate, die für einen Mindestabstand von Lenker zu Auto von mindestens einem Meter werben!
    Ich behaupte, dass den meisten Leuten die Gefahr überhaupt nicht bewusst ist.

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    1. das ist wohl leider so, dass die meisten radler diese gefahren nicht kennen . die idee mit den Dauerplakaten gefällt mir.

      tho

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    2. Welche Aufklärungskampagne zum Thema Überholabstand? Über 90% der Autofahrer unterschreiten die Mindestabstände zum Teil deutlich, wenn sie mich überholen.

      Vielleicht solltest du einige Monate nur Radfahren. Dann erfährst du auch am eigenen Leib, was passiert, wenn du Abstand nach rechts hältst. Viel Spaß

      Spoiler: Hupkonzerte, geballte Fäuste und andere Drohungen, Beleidigungen, Nötigung, Abdrängen nach rechts,...

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    3. Radfahrer fahren so dicht am rechten Rand, weil man ihnen das Jahrzehntelang eingetrichtert hat und die Stadt mit ihren Todesstreifen dies auch deutlich untermalt. Genau wie bei Gehwegradeln- hier muss ich, dort ist es verboten- die Regeln sind alle auf Autofahrer ausgelegt und die anderen zahlen den Preis dafür.

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    4. @Matthias:
      Das kenne ich gut. Ich lasse immer viel Abstand nach rechts, im Zweifelsfall, also wenn ich den Eindruck habe, dass mich ein KfZ nicht im nötigen Abstand überholen kann (da Straße zu eng), fahre ich sogar in der Straßenmitte, damit überhaupt niemand mehr vorbeikommt.
      Nennt sich Selbstschutz/Eigenschutz. Oder auch "Autofahrer vor sich selbst schützen".
      Und ja, die Autofahrer sind da oft nicht amüsiert darüber.

      Die wenigen Optionen sind, sich selbst eben so zu schützen und die Reaktionen der Autofahrer in Kauf zu nehmen, das Ganze also zu ertragen ODER eben zu kuschen und schön in der Dooring-Zone zu fahren um König Auto in seinem Vorankommen möglichst wenig zu behindern, sich damit aber selbst zu gefährden.

      Oder gar nicht Rad fahren. Leider lassen die Mentalität des überwiegenden Teils der Gesellschaft sowie die Infrastruktur/Verkehrsregeln nicht viele andere Möglichkeiten.

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    5. @Alexander Müller
      Gut gebrüllt, Löwe. Mache ich auch und habe damit gute Erfahrungen gemacht. Aber diese Strategie ist für viele (Kinder, Ältere) nicht umsetzbar. Und viele wollen das auch nicht.

      Und gefährlich kann das auch werden. Ich bin vor einigen Wochen knapp überholt worden, der Autoidiot fährt rechts ran, steigt aus, hält mich an und droht mir fürs nächste Mal, wenn ich wieder auf der Straße fahre, Schläge an.

      Vielen Dank fürs Gespräch

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    6. Irgendwie verstehe ich die Diskussion hier nicht: wenn ich das Bild anschaue und mir zu den Umrissen des Autos eine nach rechts geöffnete Tür vorstelle, dann bleibt zum grün hat kein Platz mehr.
      Umgekehrt bleibt nach Abzug eines Meters Sicherheitsabstand keine Straße mehr um darauf zu fahren...
      Was sollen also die Ermahnungen mit dem Sicherheitsabstand und noch unpassender: was soll die Tempo 30 Diskussion bei stehendem Verkehr?

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    7. An stehenden Autos dürfen Radfahrende ja vorbei fahren (das würde auch jeder Autofahrer mit dem Auto machen, wenn er genug Platz sieht). Radfahrende dürfen an stehen Autos an einer Ampel beispielsweise bis zur Haltelinie vorfahren. Radfahrende selber müssen diesen Sicherheitsabstand von 1,50 nicht einhalten, der gilt für Autos, die mit 30, 30 doder 50 km/ hat Radler:innen vorbeifahren. Natürlich ist es jeweils eine Abwägung, wo ich als Radlerin noch vorbeifahre und wo nicht, und ich muss es langsam und mit Aufmerksamkeit tun, aber Platz genug war da. Er war eben nur nicht mehr da, als die Tür aufging. Deshalb müssen Autofarhende auch nach hinten gucken, bevor sie Türen öffnen. Dort hätte auch ein Kind vorbeigehen können, das im Seitenfenster nicht sofort erkennbar gewesen wäre. In schmalen Straßen ist der Auto- und Radverkehr halt manchmal schwierig, und es werden falsche Entscheidungen getroffen, das ändert jedoch nichts daran, dass die Insassinnen des Autos gucken müssen, bevor sie Türen aufmachen. Sie können nicht davon ausgehen, dass sich seitlich von ihrem Auto nichts befindet.

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    8. @Unknown ich verstehe auch so manches nicht. Zum Beispiel, warum an einer Stelle wie dieser überhaupt gehalten wird. Das Halten an engen und unübersichtlichen Stellen ist nämlich laut StVO im Paragraf 12 verboten. Und dieser Passus ist so wichtig, dass er gleich der erste Satz dieses Paragrafen ist.

      Vielleicht sollte man über eine Pflicht zum Erwerb einer Fahrerlaubnis für KFZ-Fahrer nachdenken und eine solche verbindlich einführen.

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  5. Es sind nicht die meisten Radler:innen, die ich sehe, die keinen Abstand zu geparkten Autos halten, aber es sind viele, das stimmt. Aufklärung täte allen gut. Das sehe ich auch so. Eine Stadt wie Stuttgart muss in so einem Fall allerdings aufpassen, dass sie sich bei Kampagnen, die sich an Radler:innen richten, sich nicht dem Vorwurf aussetzt, die Radler:innen zu ermahnen, für ihre eigene Sicherheitzu sorgen, statt die Autofahrenden zu ermahnen, auf die Sicherheit von Radfahrenden zu achten. Wir machen in solchen Fällen eben die Opfer des Fehlverhaltens von Autofahrenden zu denen, denen wir die Verantwortung zuschieben. Es würde vermutlich Proteste aus der Radlerszene hageln, wenn man so etwas macht.

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  6. Das so selten geblinkt wird, hasse ich auch als Autofahrer. Es ist so einfach und trotzdem wird es häufig nicht getan. Offensichtlich macht Autofahren einige von uns blöd.

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  7. Der Unfall ist sehr tragisch, man kann der Verletzten nur alles Gute wünschen! Den Artikel in der StZ dazu fand ich überraschend gut und dachte, wie blöd muss die Beifahrerin sein. Wenn ich jetzt die Fotos sehe, wie eng der weg ist, beurteile ich die Situation anders. Auf Grund jahrelang gemachter Erfahrungen sind Autofahrende sehr rücksichtslos, oft gar nicht absichtlich, sondern aus Dummheit und Ignoranz gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. Wenn aber an so einer Stelle ein Auto so anhält, werde ich als Radfahrer immer abwarten, was passiert. Evt. Klingeln. Auf jeden Fall halten. Und: Immer großen Abstand zu parkenden Autos. Egal wo und wie.

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    1. Es mag sein, dass wir erfahrene Radler:innen uns anders verhalten hätten oder dass eine ängstliche Radlerin auch angehalten hätte. Aber stellt dir mal vor, ein Kind zu Fuß geht da vorbei, so klein, dass es auch nur schwer gesehen wird, und die Beifahrerin macht die Tür auf, dann hagelt es auch die Staffel runter. Oder stellt dir vor, ein Auto würde eng vorbeifahren (wenn der Platz es gerade so zuließe) und der Fahrer macht die Tür auf und gongt gegen das andere Auto, dann würden wir keine Minute überlegen, wer den Schaden zahlen muss, nämlich der Fahrer des stehenden Autos.) Nur wenn ein Mensch zu Schaden kommt, fangen wir an zu denken, der Mensch hätte doch den Fehler des Autofahrenden oder der Beifahrer:in vorhersehen müssen, wenn er/sie schlau ist oder vernünftig etc. Das passt doch nicht.

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    2. "dann würden wir keine Minute überlegen, wer den Schaden zahlen muss, nämlich der Fahrer des stehenden Autos": Das entspricht zwar dem gesunden Menschenverstand. Polizisten und Gerichte urteilen aber auch da manchmal anders.

      Es wurde mal eine Frau verurteilt, die die linke hintere Autotür mehrere 10 Sekunden offen stehen hatte, während sie ihr Kind im Kindersitz angeschnallt hat. Sie bekam Teilschuld dafür, dass jemand ihre Tür abgefahren hat, die bereits einige Zeit offen gestanden hat.

      Darüber hinaus ist man als Radfahrer nicht sicher, ob mit "unklarer Verkehrslage" argumentiert wird, um weiter zu zementieren, dass Radfahrer gefälligst zurückzustecken haben und alle möglichen Fehler anderer Verkehrsteilnehmer vorhersehen müssen.

      Folgendes ist mir mal passiert: Ein Autofahrer fährt seinen Lieferwagen rechts ran (ohne zu blinken, direkt nach dem Ortsschild, außerorts) und hält. Er fuhr langsame 30 km/h, was dort auch die Geschwindigkeitsbegrenzung ist, und ich folgte ihm im gleichen Tempo. Während ich (mit Abstand) an ihm vorbeifahre, wendet er plötzlich, um in eine gegenüber liegende Parkbucht zu fahren, und drängt mich ab. Die Seitenwand drückt, ich stürze aber nicht. Die Polizei lehnte meine Anzeige ab. Ich hätte mindestens Teilschuld, denn bei unklarer Verkehrslage hätte ich vorbeifahren dürfen. Dass die Verkehrslage unklar gewesen wäre, begründete der Polizist damit, dass ein Anhalten oder Parken außerhalb des Ortes ja ungewöhnlich wäre.

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    3. Es gibt auch alte Urteile, in denen Radfahrenden eine Mitschuld bei Dooring-Unfällen gegeben wird, weil sei zu dicht an stehenden Autos vorbeigefahren seien. Die Neigung ist sehr groß, Radfahrenden eine Mitschuld zu geben, weil viele, die nicht oder selten im Alltagsverkehr Rad fahren, dazu neigen, Radfahren grundsätzlich für riskant zu halten. Deshalb müssten Radfahrende eine besondere Vorsicht walten lassen, die man Autofahrenden gar nicht zumutet, weil die ja Blech um sich herum haben, und solche Unfälle ohne Personenschaden abgehen. Das ist eine - wie ich erst jetzt gelernt habe - eigenartige Verschiebung der Verantwortung auf Menchen, die verletzlich sind. So nach dem Prinzip: Wenn es dir schaden kann, dann meide die Situation. Etwas, was man auch Frauen sagt, wenn sie nachts allein durch einen Park gehen und dabei angegriffen werden. Männern, die nachts allein durch den Park gehen, und denen der Geldbeutel geklaut wird, sagt man so was nicht.

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