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6. Mai 2024

Wie steht's in Stuttgart mit dem Radverkehr?

360 km Radverkehrsanlagen soll es in Stuttgart in dem 1500 km langen Straßennetz geben. Reine Radwege gibt es allerdings nur wenige. Hauptsächlich radeln wir im Mischverkehr mit Autos oder Fußgänger:innen.

Und das mit den 360 km stimmt auch nicht so ganz. Die Radverkehrsanlgen (Radwege, Radfahrstreifen), an denen die blauen Radweg-Schilder stehen, sind knapp 211 km lang. Davon sind nur knapp 5 km eigenständige, baulich von Fahrbahn und Gehweg getrennte Radwege. Getrennte Geh- und Radwege - also die mit dem weißen Strich zwischen Fußgänger:innen und Radfahrenden - gibt es auf knapp 15 km. Wir haben also insgesamt 20 km bauliche Radwege. 39 km lang sind die Radfahrstreifen auf den Fahrbahnen (die allerdings enden oftmals vor den Knotenpunkten und wir radeln im Mischverkehr mit Autos). Es gibt also nur 60 km Verkehrsflächen, die nur dem Fahrrad vorbehalten sind, wo kein Auto fahren und kein Fußgänger gehen darf. Die gemeinsamen Geh- und Radwege (Mischverkehr) sind bereits 121 km lang, und hier sind wir im Mischverkehr mit Fußgänger:innen unterwegs. Schutzstreifen (gestrichelte Linie links) gibt es auf einer Länge von 24 km. Piktogrammspuren belaufen sich auf 1,8 km. Außerdem gibt es noch 2,2 km Fahrradstraßen und 2,3 km Busspuren, die fürs Radfahren freigegeben sind. Hier sind wir so gut wie überall im Mischverkehr mit Autos unterwegs. 

Die restlichen 150 km sind Gehwege, die für den Radverkehr freigegeben sind. Teils übrigen auf der Hauptradroute 1 ohne Alternative. Auf denen darf nur Schrittgeschwindigkeit geradelt werden, was niemand schafft, weshalb alle Radfahrenden dort immer illegal unterwegs sind. Und für Fußgänger:innen bedeuten sie Stress. Auch freigegebene Busspuren oder Piktogrammspuren sind keine Radverkehrsanlagen, sondern Notbehelfe, weil man dem Radverkehr keinen Platz einräumen will. Bei Fahrradstraßen, in denen Auto gefahren werden darf, kann man sich streiten, ob sie eine echte Radinfrastruktur sind. 

Diese Zahlen stehen im Bericht der Verwaltung zum Fuß- und Radverkehr in Stuttgart 2023 (GRDrs 1021/2023 Ablage 1, recherchierbar über Ratsdokumente). Die Verwaltung zählt darin die freigegebenen Gehwege zu den Radverkehrsanlagen hinzu und kommt deshalb auf die oben genannten 360 km fürs Fahrrad. Keine Radverkehrsanalgen sind auch die 70 Prozent Tempo-30-Zonen in Stuttgart und die 265 Einbahnstraßen (in Tempo-30-Zonen), die wir in Gegenrichtung befahren dürfen, wenn auch eine Erleichterung für routinierte Radfahrende. 

2018 hat ein Blogleser mit Hilfe von OpenStreetMap schon einmal Stuttgarts Straßen untersucht und dabei nach Radinfrastruktur gesucht. Damals kam er auf 123 km freigegebene Gehwege, 8 km reine Radwege und 133 km gemischte Geh- und Radwege. Ich habe die Visualisierung mal untereinander gestellt, oben die aus der Gemeinderatsdrucksache unten die, die ich damals aufgrund der Zahlen von Blogleser Habicht gemacht habe. 

Im Lauf der fünf Jahre scheinen sich die freigegebenen Gehwege verlängert und die baulich von allem getrennten Radwege verkürzt zu haben. Dafür sind zwei Kilometer Radstreifen und noch ein guter Kilometer Fahrradstraße dazugekommen. Und ein Kilometer Busspur. Aber einige Unterschiede könnten auch an einer gewissen Unschärfe der Untersuchung von 2018 liegen. 180 Meter Meter Radweg sind übrigens auch deshalb verschwunden, weil der gefährliche Radweg auf der Holzstraße in einen nicht verpflichtenden Radweg umgewandelt wurde. 

Es hat sich allerdings auch was getan. Zum Beispiel: 

  • Zwischen Heslach Waldeck und Kaltental Engelboldstraße sind auf jeder Seite der Böblinger Straße jeweils 1 km Radfahrstreifen dazu gekommen, die weitgehend die Schutzstreifen ersetzt haben. Für die vielen Radler:innen auf der Hauptradroute 1 ein deutlicher Gewinn. 
  • Auf der Fritz-Elsass-Straße Richtung Liederhalle gibt es einen Radstreifen, der für den Bus freigegeben ist, Rad und Bus fahren auf einem gemeinsamen Streifen (340 m). 
  • In der Holzgartenstraße haben wir teils fahrbahnbreite Radfahrstreifen (zweimal 340 m) dazu bekommen. 
  • Die Eberhardstraße ist als Fahrradstraße für Autos gesperrt worden und wäre damit eine echte Radinfrastruktur, würden nicht illegal (teils auch legal) so viele Autofahrer dennoch reinfahren. 
  • Die Möhringer Straße (HRR1) ist zur Fahrradstraße umgestaltet worden. 
  • Die Wiesbadener Straße in Cannstatt ist Fahrradstraße geworden. 
  • In den Stegwiesen in Obertürkheim gibt es einen neuen Radfahrstreifen Richtung Neckar. 
  • In der neuen Benzstraße gibt es beidseitig einen Zweirichtungsradweg auf 150 Metern. 
  • Auch die Schutzstreifen und Überquerungsspuren für den Wilhelmsplatz in Stuttgart sind vor vier Jahren entstanden, wenngleich sie keine Begeisterung auslösen
  • Und - beinahe vergessen - die langsamste Ampel Stuttgarts an der Torstraße wurde entfernt, jetzt radelt man ohne Ampelhalt zwischen Eberhard- und Tübinger Straße hin und her. Wenngleich die Vorfahrtsregelung und Spurführung nur etwas für routinierte Radfahrende ist. 
  • Und der neue direkte Radweg vom Leuze auf die König-Karls-Brücke und zurück ist nach Jahren der Baustelle fertig und befahrbar. 

Es wird sich in den nächsten Jahren noch einiges tun. Anschauen kann man sich die Projekte hier. Ein paar Beispiele: 

  • An der Hauptradroute 2 Wangen-Hedelfingen wird noch gebaut, die Radfahrstreifen sind noch nicht vollständig markiert. 
  • Der Hedelfinger Platz und die Zufahrten werden für den Radverkehr umgebaut. Es wird ein Kreisverkehr nach niederländischem Vorbild entstehen, der es Fußgänger:innen und Radfahrenden leichter macht. 
  • Entlang der Jahnstraße wird ein langer Zweirichtungsradweg (als gemischter Geh- und Radweg mit Option zur Erweiterung) zwischen Degerloch und Stuttgart Ost gebaut werden (Baubeginn Anfang 2025).  
  • Auf der Hohenstaufenstraße vom Marienplatz hoch werden Radfahrstreifen gerade angelegt. 
  • Auf der Theodor-Heuss-Straße wird es auf beiden Seiten Radwege geben. Auch der Bereich am Hauptbahnhof wird mit Radwegen und Radstreifen neu organisiert (Baubeginn Ende 2025).
  • Die Burgstallstraße (HRR1) wird wie die Möhringer Straße zur Fahrradstraße umgebaut. 
  • Entlang der Neuen Weinsteige wird vielleicht der neue breite Gehweg auch bald fertig. Dann kann man vom Bopser an hochradeln, wenn auch nur auf einem freigegebenen Gehweg. Doch eine Fahrradspur auf der Fahrbahn ist bereits angedacht, wenn die Strecke freudig genutzt wird.
  • Die Forst- und Breidtscheidstraße sollen zu einer Fahrradstraße werden. 
  • Fahrradstraßen stecken derzeit ungefähr ein Dutzend in verschiedenen Stadtteilen in der Vorplanung. 
  • Auf der Osterbronnstraße in Vaihingen soll es immerhin Schutzstreifen geben, nachdem sich auch der ADFC gegen Radfahrstreifen ausgesprochen hat, weil die zu viele Parkplätze kosten und der dortige Handel protestiert hat. 
  • In der Industriestraße in Vaihingen soll es Bus- und Radfahrstreifen geben. Die Planung ist fertig. 
  • Auch ein Geh- und Radweg außerorts entlang der Epplestraße zur Ohnholdstraße ist geplant. 
  • Und auf der Ludwigsburger Straße in Feuerbach zwischen Friedrichswahl und Frankenstraße soll es Radfahrstreifen auf beiden Seiten geben.
  • Geplant, aber noch nicht politisch beschlossen ist ein Bus- und Radfahrstreifen unter der Eisenbahnbrücke von Cannstatt hindurch zum Wilhelmsplatz als Pop-up-Verkehrsversuch, der Ende 2024 beginnen soll. 

9 Kommentare:

  1. Sehr enttäuschende und richtig schlechte Bilanz in 5 Jahren! Mein Eindruck ist mittlerweile: Ohne die GRÜNEN im GR und dem (grünen) Ableger ADFC, wären wir in Sachen Radverkehr in Stuttgart schon weiter. Sie hatten jetzt viele, viele Jahre ihre Chance und Mehrheiten- es wird Zeit für andere Experimente. Matthias Bauer

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    1. Wie sehr der CDU das Wohl der Radfahrer am Herzen liegt, illustrieren deren Wahlplakate, auf denen gegen Grüne gehetzt wird und die Stuttgarter dazu aufgefordert werden, sich das Autofahren nicht verbieten zu lassen - Demagogie in Reinform.

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    2. Der Grund, warum in Stuttgart die eigentlich progressive Mehrheit nicht zum Tragen kommt, liegt in der Zersplitterung und der gegenseitigen Bekämpfung innerhalb des links-ökologischen Lagers. Paradebeispiel war die letzte OB-Wahl.
      Konservative haben ein einfacheres Programm: Wir wollen die Macht. Was wir damit machen, sehen wir dann.
      Diese Strategie gewinnt in Stuttgart leider immer.

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    3. Hallo Mattias, kommt da jetzt noch was konstruktives oder bewegen wir uns jetzt hier auf dem Niveau von CDU-Wahlplakaten? Interessiert, Frank

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    4. ich frage hier den Matthias Bauer natürlich...

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    5. Liebe Anonyma oder lieber Anonymus: Sicher wären wir das nicht. Es ist ein mich immer wieder erstaunendes Phänomen, dass manche für den mangelnden Fortschritt in einer Sache immer genau die verantwortlich machen, die am meisten dafür kämpfen, aber eben Mehrheiten suchen und Kompromisse schließen müssen, weil sonst gar nichts passieren würde. Diese Denke ist mir persönlich ein Rätsel.

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    6. @Matthias Bauer: von welcher Partei ist der OB? Von welcher Partei sind die Bürgermeister, die für das Amt für Öffentliche Ordnung als Verkehrsbehörde und für das Tiefbauamt verantwortlich zeichnen? Da sitzen die Experimente, die versäumen, dem Gemeinderat und den anderen beteiligten Gremien die Flausen auszutreiben, wenn diese mal wieder Wünsche haben, die gegen Verwaltungsvorschriften, gegen den Stand der Technik und gegen die einschlägigen Musterlösungen verstoßen.

      Deshalb hinkt Stuttgart dem allgemeinen Trend zum kostengünstigen, umweltfreundlichen und gesunden Radverkehr dermaßen hinterher. Das Klein-Klein, das Christine beschreibt, reicht nie und nimmer aus, so viel Radverkehr zu induzieren, um das offizielle Ziel zu erreichen, bis 2030 gleich viel Radverkehr wie motorisierten Individualverkehr zu induzieren. Noch nicht mal die Mindeststandards werden eingehalten. Von "attraktiv" brauchen wir noch gar nicht zu träumen.

      In dieser Situation schlägst Du vor, politische Experimente zu wagen mit Personen und Parteien, die offen oder verdeckt zusätzlichen Autoverkehr 7nduzieren wollen? Davon versprichst Du Dir Verbesserungen? Ernsthaft?

      Holger

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    7. @Matthias Bauer, was dein Beitrag für eine bessere Radinfrastruktur angeht, kann ich nicht beurteilen. Wie viel Freizeit wendest Du persönlich auf um ehrenamtlich u.a. in politischen Gremien etwas zu bewegen, schreibst Anträge, Stellungsnahmen. Exponierst du dich mit deinen Positionen genauso wie unsere Lokalpolitiker in der Öffentlichkeit, die dadurch zunehmend Gefahren durch tätliche Angriffe ausgesetzt sind?
      Ich kann jedem einfach nur empfehlen mal selber tätig zu werden, damit man erlebt wie mühsam das alles ist, wie viel Freizeit und Herzblut manche investieren und am Ende für ihre Mühe solchen "Dank" ernten.
      Wenn du dich für diese „neuen Experimente“ persönlich einbringst super, wenn nicht, wäre es Zeit mal drüber nachzudenken, das zu tun. Andere dafür zu kritisieren was sie nicht erreicht haben ist einfach.
      Helmut

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  2. Ein "weiter so" beim Radverkehr ist nicht sinnvoll, wie ein aktuelles Beispiel aus Frankfurt zeigt:
    https://www.bild.de/politik/inland/deutschlands-verrueckteste-fahrradstrasse-566-schilder-regeln-1100-meter-6631e85a7be6771e8a9314d7

    Vor längerem (> 10 Jahre) wurden in Holland Konzepte diskutiert, radikal auf alle Verkehrszeichen zu verzichten - das ist meiner Meinung nach die Zukunft.

    Dann noch ein oder zwei Anzeigenhauptmeister für Stuttgart - und die Sache ist geritzt!

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