So ähnlich titelt der schweizerische Tagesanzeiger. Der Artikel ist eine Reaktion auf die heftige Diskussion in der Schweiz, nachdem das Stimmvolk kürzlich den Autobahnausbau abgelehnt hatte.
Die Ablehnung von mehreren Tunnel- und Autobahnausbauprojekten rund um Großstädte war einigermaßen überraschend. Die Schweizer:innen hatten solchen Projekten bislang zugestimmt. Die Abstimmungsgewinner:innen hatten E-Bikes (Pedelecs, E-Velos) ins Spiel gebracht, die - so die Argumentation - boomen und auf kurzen Strecken Entlastung bringen könnten (Artikel hinter der Bezahlschranke). Die Lesekommentare darauf waren wohl so heftig, dass die Zeitung sich in einem Artikel die Mühe macht, die Vorurteile und Fehlinformationen übers Radpendeln richtig zu stellen.
Aus den Antworten können wir die Vorwürfe erschließen, die uns übrigens ebenfalls gut bekannt sind.
1. Radfahrer:innen sollen gefälligst Steuern für die Radwege zahlen. Pedelecs werden nicht besteuert, auch in der Schweiz nicht. S-Pedelec-Fahrende brauchen ein Kennzeichen, das auch Geld kostet, so wie bei uns auch. Aber alle Radfahrenden (so wie übrigens auch Leute, die weder Rad noch Auto besitzen) bezahlen über ihre Steuern den Ausbau der Verkehrswege meist fürs Autos, darunter aber auch den der Radinfrastruktur. Die ist zudem viel billiger als die Autoinfrastruktur. Genauso wie das Radfahren billiger ist. Für eine Stadt ist es zudem viel wirtschaftlicher, den Radverkehr zu fördern als den Autoverkehr auszubauen. Radfahrende bringen einer Stadt sogar Geld ein.
2. Autobahnausbau und E-Bikes haben nichts miteinander zu tun. Eben doch, schreibt der Autor. Denn zwei Drittel aller Autofahrten seien kürzer als 10 Kilometer. In der Schweiz führen 15 Prozent davon über Autobahnen. Um Autobahnen zu entlasten sei es gar nicht nötig, dass Handwerker oder Mobilitätseingeschränkte Fahrrad fahren. Es reiche, wenn ein Bruchteil gesunder Pendler:innen vom Auto aufs Fahrrad umsteigt. Grundsätzlich müssen ja nicht alle Fahrrad fahren, sondern bloß die, die dazu Lust haben, und das sind mehr als man denkt. Denen fehlt es nur an einer geeigneten und als sicher und bequem empfundenen Radinfrastruktur. Die in der Schweiz ist teilweise halt auch elend schlecht (Foto oben).
3. Bei Regen kann man nicht Rad fahren, schon gar nicht im Anzug zu Kund:innen. Das entspricht ungefähr der Aussage, eine Geschäftsfrau könne nicht Rad fahren, sie müsse schließlich anständig aussehen. So als ob es keine Regenkleidung fürs Radfahren gäbe. Außerdem kann man auch in der Schweiz das Fahrrad bei allzu überraschend schlechtem Wetter in öffentlichen Vekrehrsmitteln mitnehmen. Und, während man bei der Fahrt zum Kunden einen Parkplatz suchen und dann durch den Regen zum Haus laufen muss, kann man das Rad unmittelbar vor der Tür abstellen. Und letztlich gilt: Wenn man wegen des Wetters mal nicht Rad fahren kann, dann fährt man eben nicht Rad, sondern Auto (und steht dann halt im Stau).
5. Velofahrerinnen und E-Biker sind grüne Fanatiker:innen, die Mobilität grundsätzlich ablehnen. Der Autor antwortet, sie seien eher nicht grün, sondern ähnlich egoistisch unterwegs wie Autofahrende, nur dass ihr Egoismus gesünder sei. Sie wissen, dass sie mit dem Rad nie im Stau stehen und nie Parkplatz suchen (und bezahlen) müssen, sie kennen die Bequemlichkeiten des Radfahrens. Sie lieben es, eine halbe Stunde in die Pedale zu treten und den Kopf frei zu bekommen, sie sparen sich das Fitnessstudio (die Ergometer). Oder sie sehen es ganz pragmatisch: Mit dem Rad spart man Zeit und Nerven. Auf 10 km ist das Pedelec meistens schneller als das Auto, als öffentliche Verkehrsmittel sowieso. Das Fahrrad erlaubt im Umkreis von 20 bis 30 km auch denen Mobilität, die wenig Geld und keinen Führerschein oder kein Auto haben. Es ist das Freiheitsvehikel schlechthin.
6. Es gibt mehr Fahrradunfälle. Stimmt, je mehr radeln, desto mehr verunglücken auch. Das ist beim Autoverkehr nicht anders. Ob das Radfahren wirklich signifikant gefährlicher für einen selber ist als das Autofahren, ist für mich nach derzeitigem Stand der Statistiken nicht klärbar. Vor allem aber ist es weniger gefährlich für andere Verkehrsteilnehmer:innen. Zusammenstöße zwischen Fahrrad und Fußgänger:innen gehen unendlich viel seltener tödlich aus als die von Autos mit Fußgänger:innen. Für Autofahrende sind Radfahrende überhaupt keine Gefahr. Verletzt werden sie selbst, während der Mensch in der Blechkabine unverletzt bleibt. Belegt scheint auch, dass das regelmäßige Radeln statistisch gesehen das eigene Leben deutlich verlängert, auch dann, wenn man die tödlichen Zusammenstöße oder Stürze mit einrechnet. Da bei Zusammenstößen von Auto und Fahrrad in der Mehrzahl die Autofahrenden schuld sind, würde eine Reduktion des Autoverkehrs die Unfallzahlen deutlich senken. Es hilft auch sehr Tempo 30 in Städten.
Ganz so verwunderlich ist das Votum der Schweizer:innen gegen den nochmaligen Autobahnausbau eigentlich nicht, schließlich haben Volksabstimmungen für(!) Autoverbote in der Schweiz Tradition.
AntwortenLöschenLeider wurde dann zB in Graubünden solange abgestimmt bis mal eine Abstimmung (die clevererweise von den Automobilisten in die Zeit des Almauftriebs gelegt wurde, so dass viele Gegner keine Möglichkeit hatte mit abzustimmen) gegen das lange bestehende und durch Volksabstimmungen bestätigte Autoverbot ausfiel. Zuvor war bereits eine Ausnahme für die Postbusse geschaffen worden.
Wäre natürlich wünschenswert, dass die Schweizer:innen sich nicht nur erfolgreich für den weiteren Bahnausbau einsetzen würden, sondern über das Votum gegen den Autobahnausbau hinaus auch verstärkt Maßnahmepakete gegen den auch in der Schweiz überbordenden Automobilismus ergriffen.
Eine kleine Kritik:
"Und letztlich gilt: Wenn man wegen des Wetters mal nicht Rad fahren kann, dann fährt man eben nicht Rad, sondern Auto (und steht dann halt im Stau)."
Genau das ist ein Weg die zwingend notwendige ökologische Verkehrswende zu sabotieren.
Erst wenn ein weitgehend flächendeckender, in Reisezeit, Komfort und Taktung praktikabler, Umweltverbundverkehr als Ausfallsicherheit fürs Radfahren zur Verfügung steht, kann der Automobilismus auf ein verträgliches Maß zurückgeführt werden.
Die Vorhaltenotwendigkeit des Automobils nicht anzutasten ist ein sicherer Weg noch für Jahre und Jahrzehnte im 'automobilen Teufelskreis' gefangen zu bleiben.
Es braucht ein Recht auf Mobilität ohne Autozwang, was allein schon aus Gründen der Behindertenrechtskonvention ein gesetzliches 'Muss' darstellt bzw. 'eigentlich darstellen müsste'.
Alfons Krückmann
Das Problem sind hauptsächlich die bürgerlich-kapitalistischen Berufe, in denen man nur mit Anzug bzw Kostüm etc. gut aussieht. Dass man damit höchstens ein oder zwei Kilometer radeln will und bei schlechtem Wetter gar nicht ist klar, zumal es ja nicht zum Selbstverständnis (der Abgehobenheit von der physischen Realität mit Regen, körperlicher Betätigung, ja vielleicht sogar Schweiß) solcher Berufe mit hohem Status passt.
LöschenIch frage mich da ja immer, ob der Arbeitgeber mein Aussehen oder meine Arbeit bezahlt.
LöschenSelbst die Anzugträger können radeln, nur die Anzugträger die Haus / Kundenbesuche machen weniger.
LöschenUnd ehrlichgesagt fallen mir da bei Hausbesuchen nur Finanzberater ein, und meistens hätten deren Kunden einen Vorteil wenn der nicht kommt.
Bei Firmenbesuchen dürfe ansonsten etwas ähnliches gelten wie für Handwerker und Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen.
Entweder man kann das Meeting gleich als Videokonferenz machen oder es lohnt sich vor Ort zu sein und dann verträgt die bestehende Infrastruktur die Belastung locker.
Fahrradgegener meinen immer wenn sie eine Gruppe von Personen nennen, die nicht alle Fahrten mit dem Rad erledigen können, wäre das ein Argument gegen Radinfrastruktur und für Autobahnbau.
Und daher ist die Feststellung wichtig, das man sich den Ausbau der KFZ zentrierten Infrastruktur sparen kann, wenn nur ein relativ geringer Anteil der fürs Rad geeigneten Fahrten auch wirklich mit dem Rad durchgeführt werden. Es müssen nicht alle Fahrten sein, bei denen das Rad Vorteile bietet und erst recht nicht alle Fahrten.
Auch wichtig ist die Feststellung, dass die Entscheidung fürs Rad nichts mit "Gutmensch will die Welt reetten" zu tun hat, sondern einfach weil es schneller, billiger, flexiebler, weniger störungsanfällig, ..... ist.