14. Januar 2023

Eine Geschäftsfrau kann nicht Rad fahren

Diese Auffassung vertrat ein ehemaliger Kantonsrat in der Schweiz, der sich für nachhaltigen Stadtverkehr einsetzt bei dem Thema "Die Hälfte der Stadt für den Radverkehr". Alte Leute, Geschäftsfrauen und Pendler aus dem Umland könnten nicht Rad fahren. Punkt. 

Ich komme immer ins Grübeln, wenn alte Leute - er meint vermutlich Mobilitätseingeschränkte - und Frauen in einem Atemzug genannt werden. Was ist mit den Frauen - in diesem Fall den Geschäftsfrauen - passiert, dass sie so bewegungseingeschränkt sind, dass sie nicht mehr Rad fahren können? An welcher Behinderung leiden sie? 

Die Antwort kennen wir alle: Das Manager-Magazin stellt fest, die Frau solle weiblich und seriös zugleich auftreten. Eine Stilberaterin rät: "Die Frau soll attraktiv auftreten, ruhig auch mal im Kostüm, das die Figur zur Geltung bringt, aber nicht zu bunt." Auf keinen Fall dürfe sich die Frau nur um ihre Karriere kümmern und darüber ihr Äußeres vernachlässigen. Wenn Geschäftsfrauen älter werden, gilt es zudem, die Haut unter Blazern zu verbergen, auch im Hochsommer. Klingt alles ein bisschen nach Geschäftsburka.

Wir sind zwar schon im Zeitalter angelangt, da eine Frau auch in Hosen elegant und cheffinnenhaft euftreten kann, aber offenbar trägt die ambitionierte Geschäftsfrau Röcke, und zwar enge, Pumps mit leichtem Absatz und Blazer und Mäntel von teurem Tuch. Enge Röcke sind wie Hobbel, mit denen man Pferde oder Esel so fesselt, dass sie keine großen Schritte mehr machen und nicht weglaufen können. Absatzschuhe schränken die Trittsicherheit ein, Rennen ist riskant. In der Silberrückenwelt des großen Business muss die Frau offenbar bewegungsunfähig machen, damit sie als dem Mann ebenbürtig akzeptiert wird. Oder ist damit gemeint, damit der Mann sich nicht durch ihre Agilität und Handlungsfähigkeit bedroht sieht? Jedenfalls: Wer sich bewegen kann, weil sie Strickjacken, Hosen und flache Schuhe trägt, ist Sekretärin. Die kann dann auch Rad fahren. 

Eine sehr seltsame Stigmatisierung der Geschäftsfrau. Sie wirkt auf mich so, als ob die Frau in der Männerwelt der Macht, den Männern wenigstens körperlich nicht gewachsen sein soll. Das Privileg der körperlichen Bewegungsfreiheit behält sich der Mann vor. Er kann Rad fahren, sie aber nicht. 

Natürlich kann eine Geschäftsfrau im Prinzip auch Rad fahren. In Kopenhagen geht das. Dass frau auch eleganter radeln kann als in Outdoorklamotten, hat die Welt festgestellt, die Autorin setzt sich mit High-Heels und Miniröcken auseinander. Ist der Rock dehnbar und stört es die Frau nicht, reichlich Knie und Oberschenkel zu zeigen, geht alles, ist er es nicht, kann frau nicht mal an der Ampel anhalten und einen Fuß auf den Boden stellen. Weite Röcke (die eine Businessfrau ohnehin nicht anzieht), flattern hoch, aber auch da gibt es Tricks und eine entsprechende Ratgeberinseite. Wie hochhackig die Schuhe sind, ist dagegen relativ egal, Hauptsache, die Sohlen rutschen nicht auf dem Pedal. Allerdings dürften die Modelabels, die eine Geschäftsfrau so trägt, noch nicht auf ein radtaugliches Angebot eingestellt sein. 

Und machen wir uns nichts vor: Der größte Feind der radelnden Geschäftsfrau ist das schlechte Wetter. Vor dem haben sowieso alle Angst, die nur selten Rad fahren und Argumente fürs Autofahren suchen. Regen schadet natürlich auch dem feinen Zwirn eines Geschäftsmanns, aber der kann über seine Hosen Regenhosen ziehen, und er kann einen regendichten Mantel anziehen. Aufpassen muss er nur noch auf seine Schuhe. Feines Leder verträgt keinen Regen. Auch für Röcke gibt es Regenschutz in Form von Schürzen. Eine Regenjacke ist tabu, auch wenn es inzwischen City-Regenmäntel für Frauen (allerdings ohne Beinschutz) gibt, aber dass die der Eleganz einer Schweizer Bankerin genügen dürfen, bezweifle ich. Beinschutz haben die alle nur ungenügend, und die teuren Schuhe sind auch kaputt, für Stöckelschuhe gibt es keine Regengalosschen. Die Frisur ist übrigens auch im Eimer. Die wird vom Autodach oder Schirm berührungslos geschützt und bleibt intakt. Hochgesteckte Haare (lange sind für Geschäftsfrauen tabu) passen unter nichts Schützendes, weder Kappe noch Helm. Gut, den Helm muss man nicht tragen, es geht auch ohne oder mit einem Hövding. Aber nasse Haar gehen eben auch nicht. 

Andererseits: Suchen wir eigentlich immer noch die Probleme oder schon die Lösungen? 

Angesehen davon, dass frau bei Regen vielleicht mal nicht ins Büro radelt und ansonsten durchaus im eleganten Outfit radeln kann - die Bezirksvorsteherin von Süd, Veronika Kienzle, macht es uns täglich vor (Foto ganz oben) -, stellt sich mir schon die Frage, ob wir nicht, statt das Auto als Notwendigkeit zu definieren, vielleicht mal unser Frauenbild reformieren. Für die allermeisten Frauen ist es natürlich gar kein Problem, mit dem Rad zu fahren und sich entweder sportlich oder alltagsmäßig zu kleiden, Hosen oder Röcke zu tragen und sich vielleicht sogar auf der Arbeit erst einmal  umzuziehen. Frauen im normalen Arbeitsleben sind frei. Geschäftsfrauen offenbar nicht. 

Wenn Kleidung und Frisuren, in die unsere vom männlichen Blick geprägte Geschäftswelt die Frauen zwingt und zwängt, dazu führt, dass sie nicht mehr fähig sind, Fahrrad zu fahren, also sich frei zu bewegen, dann stimmt etwas Grundlegendes nicht. Nichts dagegen, dass sich eine Frau im Berufsleben gut kleiden will, aber sind enge Röcke wirklich das, in dem sie sich richtig wohl fühlt? Klar, Kleiderordnungen oder auch Dresscodes gelten beinahe überall und wir halten uns mehr oder minder bewusst daran, aber eine, die für Frauen zur Behinderung wird, scheint mir ideologisch geprägt und eine der letzten Kleiderordnungen bei uns im Westen zu sein, die Frauen - im Gegensatz zu Männern - unfrei macht und machen soll. Und schwubs, schon werden Frauen wieder einmal in einem Atemzug mit Alten und Behinderten genannt, die nicht Rad fahren können. Und das kann doch eigentlich jedes Kind. 




8 Kommentare:

  1. Ralph Gutschmidt14. Januar 2023 um 10:05

    Witzig: ich hatte zuerst gedacht, er wolle einfach nur gendern. Viele machen das ja, indem sie bei Aufzählungen abwechselnd männliche und weibliche Beispiele verwenden. Natürlich weiß ich nicht, ob das hier in Betracht kommt.

    Auf jeden Fall habe ich schon oft gehört, im Anzug könne Mann nicht radfahren.

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    1. Eine witzige Beobachtung! Das sieht man mal, dass Frauen oft nur dann explizit genannt werden, wenn sie als Ausnahme dargestellt werden. Wobei ich schon aus den achtziger Jahren dieses Junktim kenne: Alte, Behinderte, Frauen. Oder natürlich auch früher: Ministerium für Frauen und Familie (oder "und Gedöns", wie Schröder das nannte). Zur richtigen Welt gehören Frauen - sprachtechnisch gesehen - nicht dazu. Aber das ist ein anderes Thema. Dieser Herr hat mit Sicherheit nicht gendern wollen und nicht die Gechäftsmänner mitgemeint.

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  2. Alexander Müller14. Januar 2023 um 12:48

    Mögliche Lösung: Fahrraddach

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    1. Ja, das gibt es ja. Und ich denke mir in der Zukunft Zürichs - wenn die Stadt tatsächlich die hälfte aller Straßen fürs Radfahren bereitstellt (und fürs Autofahren sperrt), ist das Fahrrad mit Dach - vielleicht auch als Dreirad - eine Lösung, die sich verbreiten wird. Es gab ja auch mal ein Motorrad mit Dach.

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    2. Alexander Müller14. Januar 2023 um 21:59

      Am Bild von Fr. Kienzle sieht man gut, dass enge und maximal knielange Röcke gut zum Radfahren geeignet sind. Auch wenn du diese als Teil eines Stigmas siehst, so scheinen sie doch erst Wahl zu sein.
      Längere und weite Röcke müssen erstmal zusammengebunden werden, damit sie sich nicht in den Speichen verhedern.
      Eine Freundin trägt für den Regen so etwas: https://georgiaindublin.com/de/product/regenrock-radfahren-wasserdichter-rock-wrap/

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  3. frau kienzle sehe ich immer gern, auch wenn sie mich stets an vermeidbare niederlagen erinnert.
    a propos:
    in kabul hatte ich in der rush-hour einmal eine frau mit burka am steuer eines kleinbusses gesehen und selbst das ging irgendwie.
    vielleicht müssen wir einfach überkommene anstandsvorstellungen anpassen.
    eine frau nopper soll sich mit sowas beschäftigen.

    karl g. fahr

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  4. Jörg
    Guckt in Frauenzeitschriften so viele halbnackige Damen und Gerede über Kleidung findet man sonst nirgends. Das Kleidungsproblem und das Problem mit dem alt aussehen müssen Frauen für sich selber lösen.
    Da gilt die Ausrede das Männer jungen attraktiven Wesen eher nach schauen nicht.
    Für mich ist das ein Problem anderer Leute.
    Gleichzeitig bestätige ich ohne Umziehen sind mehr als 8 km in Business Kleidung schwierig. Schon die ersten 8 km erfordern gute Bedingungen.

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  5. Das Zitat im verlinkten Artikel lautet: "Dass alte Leute, Geschäftsfrauen oder Autopendler [...] *vorwiegend* Velo fahren, hält er für ausgeschlossen."
    Daraus die Überschrift zu machen: "Eine Geschäftsfrau kann nicht Rad fahren" halte ich für kreativ. Subtile, aber dennoch deutliche Unterschiede in der Aussage. Der Post wird dadurch nicht weniger valide, aber etwas weniger freie Interpretation beim Zitieren halte ich für begrüßenswert.

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