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8. August 2025

Radfahren ist ein Game Changer: für mich und für andere

Radfahren hat das Leben von Lena Rauschenecker verändert. Sie ist maximal flexibel und bewegt sich viel mehr als früher, schreibt sie. 

In einem Artikel für Utopia nennt sie neun Gründe fürs Radfahren. Egal, ob fünf, sieben oder zwölf,  gute Gründe gibt es viele und sie werden regelmäßig in den Medien (und auch bei mir im Blog) aufgeführt. Damit überzeugt man Leute nicht, die bislang das Auto für das einzige Vehikel von Ungebundenheit halten. Aber uns Radfahrenden tut es gut, sie zu hören oder zu lesen. Und sie können uns helfen, anderen zu erklären, warum glücklich ist, wer Rad fahren darf und nicht Auto fahren muss. Denn die Radmoblität ist nicht nur gut für uns, sondern auch für andere, für Autofahrende, für Einwohner:innen einer Stadt, sogar für die städtischen Finanzen. 

Wie man zum Fahrrad findet. Das Fahrrad war für die Autorin es Artikels als Jugendliche das einzige, aber nicht sonderlich geliebte Verkehrsmittel, abgesehen von Straßenbahnen. Als sie den Führerschein machen konnte, fuhr sie Roller. Dann zog sie nach München um. Und wie so oft, wenn man umzieht, ändert man auch was im Leben. Sie begann, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Ich könnte über mich Ähnliches erzählen. Erst Fahrrad, dann Öffis, dann Auto, dann das Pedelec entdeckt und  für den Weg zur Arbeit benutzt. Erst nur im Sommer, dann im Winter, dann ständig. Und dann hat sich mein Leben grundlegend geändert.  

Radfahren hält in Bewegung und fördert damit die Gesundheit (Herz-Kreislauf-System, Immunsystem, Nervensystem). Das entdecken vor allem Menschen ab Mittte 40 für sich, wenn sie merken, dass ihre körperliche Verfassung nicht besser wird, wenn sie gar nichts tun. Zu sportlichen Höchstleistungen muss man sich gar nicht zwingen, es reicht, wenn man so gut wie alle Alltagswege mit dem Pedelec (oder Normalrad) zurücklegt. Bei mir kommen da 3500 km im Jahr zusammen, so viele wie ich davor mit dem Auto gefahren war. Wer einen weiten Arbeitsweg hat und auch noch im Urlaub radelt, kommt natürlich auf wesentlich mehr. In der Folge nimmt die eigene Fitness zu. Sie nimmt zumindest nicht so schnell ab, wie das sonst ab Mitte 40 passiert. Man hat auch mehr Freude an anderen Sportarten. Die wiederum erhöhen die Freude am Radfahren. 

Das Fahrrad ist ein zuverlässiges Verkehrsmittel. Man ist flexibel und pünktlich. Man wartet nicht vergeblich auf einen Bus (der im Stau steht) oder auf eine Bahn (die in einem Bahnchaos steckt). Man steigt auf und fährt dorthin, wo man hin will. Parkplatz suchen muss man nicht. Menschen die mit Rädern zu Terminen fahren, sind immer pünktlich dort und lächeln, wenn die anderen atemlos ankommen und sich mit Staus, Bahnausfällen oder Parkplatzsuche entschuldigen. Sogar auf dem Land, so die Erfahrung von Lena Rauschenecker, ist das Fahrrad das beste Verkehrsmittel. Sie nahm sich vor, nicht wieder vom Auto abhängig zu werden und fuhr Fahrrad und ÖPNV. Sie kann auf dem Land fast immer das Auto stehen lassen. Und wenn man sich eine längere Zeit bewusst fürs Fahrrad und gegen das Auto entscheidet, dann wird das Radeln zur Selbstverständlichkeit und zu Momenten von Lebensfreude und Krafterfahrung. 

Mit dem Fahrrad kehrt man ins Leben zurück. Und bei Regen?, fragt auch sie sich und konstatiert, dass sie bei Regen nicht die zehn Kilometer zu ihrer Schwester radle. Ich selber radle inzwischen auch bei Regen gern. Das ist nur eine Frage der guten Regenkleidung. Bei Regen ist die Luft sauerstoffhaltiger und die routinierten Radler:innen sind unter sich auf den Radwegen. "Arme Sau", denken vielleicht manche Autofahrenden. Aber sie ahnen nicht dass ich denke: "Ihr Armen, steht im Stau, ihr wisst gar nicht mehr, was Wetter ist." Auch Hitze ist eine Frage der Kleidung. Fährt man Pedelec, ist durchgeschwitzte Kleidung eher kein Problem, man  kann langsamer radeln. Wer nicht verschwitzt im Büro aufschlagen will, nimmt sich halt ein Oberteil zum Wechseln mit (manche Arbeitgeber bieten auch Duschen an). Bei den typischen 5-km-Arbeitswegen wird das aber nicht zum Problem. An heißen Sommertagen schwitzen wir übrigens alle. 

Außerdem hilft Radfahren, den Kopf frei zu kriegen. Manche können beim Radeln in Ruhe nachdenken (ich nicht, denn im Stadtverkehr muss ich eher aufpassen), aber ich denke auf jeden Fall an was anderes als bei der Arbeit, bei einem Termin und Zuhause. Radeln steigert die Hirnaktivität und Kreativiität, weil Bewegung grundsätzlich dem Gehirn guttut. 

Das Fahrrad schenkt einem Zeit. Manche hadern damit, dass die Radfahrt länger dauert als die Fahrt mit dem Auto. Als ob es auf fünf bis zehn Minuten mehr oder weniger ankäme (und bei Autostau dauert die Autofahrt dann doch länger). Auf sechs bis zehn Kilomtern ist man in der Stadt mit dem Pedelec sowieso meist schneller am Ziel (und zwar an  der Haustür) als mit dem Auto. Bei längeren Strecken über Land dauert die Radfahrt länger als die Autofahrt. Allerdings schenkt sie einem dadurch Zeit: Zeit, die man für sich hat, die man die Natur genießt, die man sich bewegt (und Zeit im Fitnessstudio spart), die man seinen Gedanken nachhängen kann, in der man mit sich allein ist, ungestresst durch Kommunikation und Ansprüche anderer. Untersuchungen haben gezeigt, dass wir fürs Unterwegssein pro Tag ungefähr 90 Minuten haben wollen (egal wie weit die Strecke ist). Unsere Reisezeiten sind eine kulturelle Konstante, nur die Strecken, die wir in dieser Zeit zurücklegen, haben sich verlängert. Da kann das Fahrrad manchen sogar als zu schnell erscheinen. Nicht ohne Grund stauen sich Menschen in Autos Tag für Tag durch den Berufsverkehr. Sie wollen gar nicht schnell zu Hause sein. Die brauchen die Pause für sich. Da kann eine lange Radpendelstrecke ein Segen sein. Glücklich ist, wer täglich mit dem Rad Hin und zurück tatsächlich 90 Minuten unterwegs ist. Mir erzählen Leute, die lange Strecken mit dem Rad pendeln, äußerst zufrieden dass sie es tun. Sie beschweren sich nur über die teils schlechte Radinfrastruktur. 

Das Fahrrad gibt uns einen neuen Blickwinkel auf unsere Städte. Im Auto braust man Stadtautobahnen lang, mit dem Fahrrad fährt man durch Nebenstraßen, Grünanlagen oder Wälder. Radfahrende entdecken die kleinen Läden und können auch sofort dort anhalten, sie entdecken Parks, die sie gar nicht kannten oder Stadtviertel mit schönen alten Häusern, die sie vorher noch nie gesehen haben. Mit dem Rad lebt man in einer Stadt, man fährt nicht nur durch. 

Viele Radfahrend entdecken ihre Leidenschaft für Urlaub mit dem Fahrrad, was leichter ist, als man vorher dachte. Bahnen transportieren Fahrräder und in der Regel sind in Urlaubsregionen die Freizeitradwege gut ausgebaut und gut ausgeschildert. 

Das richtige Fahrrad ist entscheidend. Egal, ob man sich für ein Mountainbike oder ein Trekking-Pedelec entscheidet, es muss zu einem passen, man muss es mögen und man muss es schmerzfrei längere Strecken fahren können und wollen. Das richtige Fahrrad zu finden, ist nicht ganz einfach. Aber es könnte sich als die beste Anschaffung der letzten zehn und künftigen zehn Jahre erweisen. Am Fahrrad, das man täglich fahren will, sollte man auch nicht sparen. Autos sind in jedem Fall viel, viel teurer. 

Das Fahrrad ist vergleichsweise billig. Man spart mit dem Rad nicht nur Benzin, sondern auch Kosten für den ÖPNV. Auch in der Anschaffung ist es billiger als ein Auto, selbst dann, wenn es 5000 Euro kostet. Für gute Regenkleidung, Helm, Satteltaschen und andere Kleinigkeiten können noch mal zwischen 100 und 300 Euro weg gehen. Die hat man dann aber jahrelang. Für Wartung (Bremsen) gibt man im Jahr so 50 und 150 Euro aus. Manche Familien haben sich mit oder ohne städtischen Zuschuss Lastenräder zugelegt, mit denen sie ihre Kinder in die Kita fahren und Einkaufen gehen. Sie sparen sich den Zweitwagen, manchmal verzichten sie auch ganz auf das Auto. 

Radfahrende ersparen ihrer Umgebung Lärm und Abgase und sind für Fußgänger:innen sehr viel weniger gefährlich als Autofahrende mit ihren Autos. Ohne die tausende Radler:innen und ohne die Lastenräder sähe heutzutage der morgendliche Verkehr Richtung Kita und Grundschule und Arbeitsplatz ganz anders aus. Er bestünde aus viel mehr Autos. Zwar hassen etliche Fußgänger:innen Radfahrende zutiefst - was auch daran liegt, dass die Radinfrastruktur uns immer wieder mitten unter Fußgänger:innen schickt -, aber eigentlich profitieren auch sie davon, wenn mehr Menschen Rad fahren als Auto. Von Fahrrädern geht eine geringeres Risiko aus als von Autos, wenn es zu Zusammenstößen kommt. Sie sind insgesamt langsamer und sehr viel leichter. Auch der Autoverkehr profitiert vom Radverkehr, denn wer auf dem Rad sitzt, steht schon mal nicht vor einem im Autostau. Wenn eine Stadt Radwege und Radstreifen konsequent ausbaut und damit die Geschwindigkeiten trennt, haben vor allem Autofahrende was davon. Sei hängen nicht hinter Radfahrenden. Entscheidend ist, dass die Stadt die Radfahrenden und Fußgänger:innen dabei ebenfalls trennt. 

Radfahren beansprucht weniger Platz. Eine einzige Fahrspur für Autos muss 3 Meter breit sein, eine Straße mindestens 6, parken dort noch rechts und links Autos, ist sie 8 Meter breit. Autos brauchen, wenn sie am Straßenrand abgestellt sind, 12 Quadratmeter (soviel wie ein Kinderzimmer), darüber hinaus schränken sie noch die Wege von Fußgägner:innen ein, wenn sie auf Gehwegen stehen. Auf ein Autoabstellplatz passen 10 Fahrräder. Radstreifen sind zwei Meter breit. Zudem lässt man Radfahrende leider viel zu oft auch noch Gehwege mit benutzen. Nur etwa 6 Prozent der Verkehrsflächen einer Stadt sind dem Radverkehr gewidmet. Eine Stadt, die auf viel Radverkehr anstelle von Autoverkehr setzt, kann innerhalb von ein paar Jahren Fahrspuren zurückbauen und Grünflächen gewinnen. Paris hat es vorgemacht. 

Radfahren mindert in vielen Bereichen die Kosten. Radwege sind vergleichsweise extrem billig, und selbst die spart sich eine Stadt auch noch gern. Je mehr gute Radwege eine Stadt anbietet, desto mehr Menschen fahren mit dem Fahrrad statt mit dem Auto (aus rein pragmatischen Gründen). Mit einer sicheren Radinfrastruktur, die sich auch sicher anfühlt, kann man vor allem unter den Frauen ein großes Potenzial heben. Radfahrende sind im Durchschnitt gesünder, was die Arbeitgeber und Krankenkassen entlastet, sie verursachen keinen Lärm und keine Umweltverschmutzung, was der Stadt Lärmschutzmaßnahmen und Klimachutzmaßnahmen erspart und die Bewohner:innen gesünder hält. Es gibt Berechnungen, wonach eine Stadt sogar pro Radfahrer Geld einnimmt (während sie pro Autofahrer Geld verliert). Unter anderem gewinnt der lokale Handel, denn Radfahrende kaufen öfter lokal ein als Autofahrende und geben auch pro Woche in den Städten mehr Geld aus, und sie reisen mit dem Fahrrad. 

Das Fahrrad ist ein Wirtschaftsfaktor. Beschäftigung und Umsatz in der Fahrradbranche steigen stetig. Der Umsatz vervierfachte sich von 2019 bis 2022 und betrug 3,5 Milliarden Euro. Nicht nur Hersteller und Händler machen ihre Geschäfte, sondern auch Leasingfirmen, Dienstleistungen und Tourismus. 2023 hingen fast 500.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Fahrradwirtschaft ab, darunter 280.000 im Fahrradtourismus. Das Dienstradleasing boomt. Das Pedelec (auch gerne E-Bike genannt) war für die Fahrradbranche übrigens der Game Changer. Die Fahrradwirtschaft ist zwar nicht in allen Segmenten unbedingt nachhaltig (Stahl, Aluminium, Batterien belasten), trägt aber deutlich mehr zur Nachhaltigkeit bei als die Autobranche (und zwar aus oben genannten Gründen). 


5 Kommentare:

  1. Schade, wenn man aus der Kindheit nur schlechte Erinnerungen ans Radfahren hat.
    Bei mir und den Kameraden und Kameradinnen war das anders. Radfahren lernen war mit 3-4 Jahren DAS Ziel, denn die Größeren konnten es, das wollte man auch. Die Freiheit, die das versprach! Die erste Fahrt ohne Stützräder mit 4 Jahren gehört zu meinen deutlichsten frühkindlichen Erinnerungen.

    Und dann wurde gefahren, überallhin. Autos gab's nicht so viele, und wir fuhren bisweilen zig Kilometer weit, je älter wir wurden, je mehr. Zum Spielen, zur Schule, zur Musik, zum Schwimmbad, ab 13-14 dann abends und nachts zum Fortgehen. Und das Rad war Ausdruck der Persönlichkeit. Der eine fuhr ein altes schwarzes Omarad, der andere ein Rad mit hochgedrehtem Rennlenker. Beneidet wurden die mit Kettenschaltung statt Rücktritt. Dann kamen die Mountainbikes, etc.

    Später machten alle den Führerschein, klar, aber das Radfahren wurde nicht aufgegeben, die wenigsten hatten selbst ein Auto. An der Uni bin ich hauptsächlich geradelt, nur zwei-drei Jahre lang im Ausland hatte ich in der ganzen Zeit kein Fahrrad.

    Man kann ja nicht von sich auf andere schließen, aber was ist mit den Hunderten, Tausenden Schul- und Unikameradinnen und -kameraden, den Hunderttausenden anderen allein meiner Generation, die landauf landab selbstverständlich überall hin mit dem Rad fuhren, passiert? Dieses Gefühl der Feiheit, wie kann man das so vergessen, so sehr irgendeinem Druck der Konsumgesellschaft erliegen, oder dem Drang nach einem Statussymbol, oder sonstwas?

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  2. Wenn ich von mir ausgehe, fällt mir da schon eine Antwort ein: In meiner Jungend haben wir in Stuttgart oben gewohnt auf der Filder-Seite, und da habe ich alles mit dem Fahrrad gemacht, liebevoll gelb angestrichen. Aber als Studentin musste ich Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger in den Kessel runter, und mit dem Dreigangrad wieder rauf radeln, ging nicht. Also war die Unabhängigkeit von den Öffis das große Ziel, sprich, das eigene Auto. Und der Kessel ist ja geblieben. Klar gab es sportliche junge Leute (hauptsächlich Männer), die mit ihren damaligen Rennrädern auch in den Kessel und wieder rauf radelten. Aber wenige. Für mich hat das Radeln erst wieder begonnen, als es die ersten Pedelecs gab, denn damit kam ich (noch mit ziemlicher Anstrengung) auch wieder rauf. Man sieht auf Stuttgarts Straßen, dass sich inzwischen viele wieder aufs Fahrrad besinnen, weil es Pedelecs gibt. So ab vierzig, fünfzig steigen sie wieder aufs Fahrrad. Und dann lesen wir in der Presse, dass Pedelcfahrende verunglücken und sterben, was nicht gerade eine gute Stimmung schafft. Manche behaupten, die, die jetzt wieder anfangen zu radeln, würden ihre Geräte nicht beherrschen und so weiter. Dabei sind sie nur älter, und damit nimmt die Unfallgefahr überall zu (beim Bergsteigen, beim zu Fuß gehen, beim Treppensteigen). Manche lassen sich abschrecken ,weil sie denken, sie würden sich in besondere Gefahren begeben. Aber ich sehe halt, dass viele sich nicht abschrecken lassen. Sie kommen wieder.

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  3. 50 % mehr tote Radfahrer in BW in diesem Jahr - das würde ich als Gamechanger betrachten. Besonders auffällig ist die starke Steigerung der Alleinunfälle mit Todesfolge. Wie schützen wir die Leute vor sich selbst?
    https://www.heise.de/news/Verdopplung-toedlicher-Pedelec-Unfaelle-im-ersten-Halbjahr-10514008.html

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    1. Wie kann ich unter einen Artikel über die positiven Folgen des Radfahrens irgendwas Negatives quetschen? Ein Weg, ist irgendeinen auf einem Onlineportal erschienenen Artikel über auf zweifelhaften Statistiken (das sind Statistiken über Unfallzahlen bei Radfahrern immer) beruhenden Unfallzahlen aus ein paar Monaten zu nehmen, und das dann mit einem auf den Titel des Blogposts bezugnehmenden Begriff als "Game changer" zu bezeichnen.

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    2. Diese Realitätsverweigerung - einfach wunderbar. Das ganze verbunden mit einer Globalkritik. Da kann man nur kapitulieren.

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