5. Oktober 2024

Wer schützt wen?

Ein US-Startup hat eine App und ein Kamerasystem entwickelt, das Radfahrende und Motorradfahrende vor Gefahren warnen soll. Brauchen wir das? 

Das System kann bis zu 6 Sekunden und 30 Meter vorausschauen und mit Hilfe von KI vor einbiegenden oder überholenden Autos warnen. Ich glaube nicht, dass es nötig ist, dass wir uns mit diesem System eingehender beschäftigen, denn es delegiert die Verantwortung für die eigene Sicherheit wiederum allein an die Zweiradfahrenden und entlastet die Autofahrenden von ihrer Verantwortung für andere. Außerdem sind die Technikaffinen, die so etwas installieren würden, vermutlich sowieso schon die aufmerksameren und gefahrenbewussten Radfahrer:innen. Diejenigen, die einfach nur Rad fahren, um einzukaufen oder zur Arbeit zu kommen, dürften eher nicht nach dem neuesten Stand der Technik suchen. Und letztlich wären die Warnungen im Getümmel des Stadtverkehrs zu zahlreich (falls sie nicht überhaupt versagen). Viel leichter ließen sich solche Systeme in Autos verbauen. 

Moderne Autos, vor allem Elektroautos, haben bereits Kameras verbaut, die ihre Fahrer:innen nicht nur warnen können, sondern auch automatisch das Fahrtempo verlangsamen, etwa, wenn jemand von einer Seitenstraße etwas zu plötzlich auf die eigene Fahrbahn einbiegt. Mithilfe von KI könnten auch Radfahrende (die von rechts hinten kommen) erkannt und die Autofahrenden vor dem nach rechts Abbiegen gewarnt werden. Vor dem Abbiegen können Kameras auf dem Display im Auto den Radstreifen zeigen, sodass man sieht, ob ein Fahrrad von hinten kommt. Das System könnte auch vor dem Einfahren in einen Kreisverkehr vor Radfahrenden warnen und errechnen, ob der Abstand zu einem Fahrrad, das man überholen will, ausreichend ist (1,5 Meter) und das auf dem Display anzeigen. Oder vor dem Türaufmachen warnen, wenn ein Radler kommt. 

Das würde allen Radfahrenden (und Motorradfahrenden) enorm helfen, auch den Kindern, den Älteren, denen, die sich nicht Apps und Handys am Fahrradlenker ausrüsten (was ja auch richtig Geld kostet). Wenn die schnellen und gefährlichen Verkehrsteilnehmer:innen (die Autofahrenden) elektronische Hilfen einsetzen, um die langsameren, die nicht im  Autos sitzen, zu schützen, dann ist das ein Weg von vielen, den Straßenverkehr sicherer zu machen und die ungepanzerten Leidtragenden von Zusammenstößen zu verringern. Nach der Maxime: Wer Schaden anrichten kann, wer gefährlich ist für andere, muss Sicherheitssysteme benutzen, die Schaden und Gefahren reduzieren. 

Die Fahrfehler, die Autofahrende machen, sind um ein Vielfaches folgenschwerer für andere, als die Fahrfehler, die Radfahrende machen oder die Fehler die Fußgänger:innen unterlaufen. Sie sind für die Insass:innen solcher Autos dabei meist weniger folgenschwer, weil Autos mit Unmengen Eigenschutztechnik ausgestattet sind. Autofahrende können Ampelmasten ummähen, sich überschlagen und auf dem Dach schlittern, über ein Geländer in einen U-Bahnschacht fallen, ohne dass sie selbst lebensgefährlich verletzt oder gar getötet werden. Solche Eigenunfälle (Raser- oder Ablenkungsunfälle) passieren so häufig, dass mir darüber mehr Zeitungsartikel unterkommen als über schwere Alleinstürze von Radfahrenden.


9 Kommentare:

  1. Ich lehne auch im Auto solche Dinge komplett ab, denn (mal ganz abgesehen davon, dass solche Systeme eben nicht Radfahrer o. dgl. besser erkennen, im Gegenteil) läuft das letztenendes alles darauf hinaus, dass der Autofahrer von seiner Verantwortung für die Gefahr seines 2t, 14 m/s, 150 000 J Geschosses entlastet wird. Das passiert sowieso schon ständig, und darf nicht noch mit dem Verweis auf irgendeine KI ausgeweitet werden.

    (Vom ungeheuren Energiehunger der KI, für den jetzt sogar Atommeiler reaktiviert werden, mal ganz zu schweigen.)

    AntwortenLöschen
  2. Ihr mögt mich jetzt hauen, aber Kameras, die beim Unfall automatisiert die letzten 10 Sekunden speichern und dem Gericht zur Verfügung stellen, dürften uns helfen.
    Um die immer gleichen Aussagen "habe übersehen", "kam so schnell und unerwartet", "ich bin definitiv bei Grün gefahren", "ich habe ausreichend Abstand gehalten" mit der Realität abzugleichen.
    Technik ist daher nicht immer unser Gegner.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Da wäre ich volkommen dafür. Da spricht auch keine Datenschutz dagegen.
      Thomas

      Löschen
    2. Ja, das ist aber unabhängig vom System. Und so richtig helfen tun diese Kameras in den unteren Gerichtsinstanzen auch nicht. Man sieht sich schnell einer Klage der Gegenseite wegen Nötigung gegenüber. Aber das ist ein anderes Thema

      Löschen
    3. Mit Video geht man ganz anders in eine juristische Auseinandersetzung als ohne. Ganz unabhängig von der Instanz. Nervenaufreibend wird es trotzdem sein, man ist sowa ja nicht gewöhnt.
      Thomas

      Löschen
    4. Hier:
      https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/gesellschaft/id_100491642/dresden-radaktivistin-erstreitet-urteil-mittig-fahren-ist-keine-noetigung.html
      ein wichtiger Artikel über 1. Instanz, Rechtsfahrgebot und Nötigung.
      Thomas

      Löschen
  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

    AntwortenLöschen
  4. Ich find's gruselig. Der Mensch wird immer mehr zum blöden Zellhaufen, der von KI/IT/sonstigerTechnik umhergeschubst wird, weil er (angeblich?) Alltagssituationen aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen kann. Wir sollten über unseren Alltag nachdenken!

    AntwortenLöschen