21. Februar 2019

Aus einer Autostadt wird eine Fahrradstadt - Der Zielbeschluss

Am 21. Februar 2019 hat der Gemeinderat mit 29 zu 25 Stimmen beschlossen, der Aufforderung des Radentscheids zu folgen und sehr viel mehr für den Radverkehr zu tun.

35.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren zugunsten des Radverkehrs, sind ein starker Auftraggeber für die Stadtpolitik. Die Verwaltung hat reagiert und in ihrer Vorlage angekündigt, dass der Radverkehr schneller als bisher und nicht zum Nachteil von Fuß- und öffentlichem Nahverkehr, sondern zulasten des Autoverkehrs ausgebaut wird. Damit die Ämterabsprache schneller geht, wird es einen Kooordinator geben. Mit den von den Grünen beantragten Fahrradgaragen in Wohngebieten, für die es bereits viele Interessenten gibt, soll es jetzt losgehen. Mehr Fahrradstraßen gibt es auch.

Die Grünen haben zusammen mit der SPD und SÖS-Linke-PluS und dem Stadtisten noch eins drauf gesetzt und in einem Ergänzungsantrag die Summen genannt, die künftig für den Radverkehr ausgegeben werden sollen, zunächst 20 Euro pro Einwohner/in und Jahr, später das Doppelte. Die Rede für die Grünen habe ich gehalten.
Für den Antrag haben alle Stadträt/innen der Grünen, der SPD und von SÖS-Linke-PluS und der Stadtist gestimmt, die anwesend waren. Dagegen haben alle von CDU, Freie Wähler und den Rechtsextremen und Teile der FDP gestimmt. Sibel Yüksel (FDP) hat sich der Stimme enthalten. 

Beschlossen ist: In zehn Jahren soll das Hauptradroutennetz fertig sein, von dem bisher in den zehn Jahren nach Beschluss dieses Netzes nur zwei Routen komplett (und mit deutlichen Schwächen) ausgebaut wurden. Dabei sollen Sicherheitsstandards angewandt werden, die geeignet sind, bei uns diese grauenvollen Abbiegeunfälle zu verhindernt, bei denen Radfahrende und Fußgänger/innen so oft sterben. 

Der Antrag (siehe unten) wurde mit Vertretetr/innen des Radentscheids ausgearbeitetet und zwischen den Parteien verhandelt, er ist wie immer, wenn viele mitreden und unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen, ein Kompromiss. Ich finde, es ist ein guter Kompromiss. Was in der Vorlage der Verwaltung und in diesem Antrag drin steht, ist der Beginn einer echten Verkehrswende in Stuttgart. Es bedeutet, dass wir in ein paar Jahren immer mehr durchgehende Radwege und Radfahrstreifen vor uns sehen, denen wir über viele Kilometer folgen können, dass wir Fahrradstraßen vorfinden, die vom Autoverkehr nicht als Schleichweg benutzt werden können, dass Radwege und Radstreifen immer befahrbahr gehalten werden müssen, das ganze Jahr über, dass es also einen Winterdienst für alle Radrouten geben muss.

Und wir haben erreicht, dass unsere Radfahrenden im politischen Gremium eines Ausschusses mitreden dürfen. Zwei Mal im Jahr soll der Mobilitätsausschuss sich mit Radthemen befassen. Und schon bei der Vorbereitung durch die Verwaltung sind Vertreterinnen der Verbände und Orgainisationen und Gruppierungen als sachkundige Bügerinnen und Bürger mit dabei. Im Ausschuss haben sie dann ebenso Rederecht wie die Stadträt/innen. Dort werden sicher Qualitätsstandards Thema werden, auf die wir Radfahrenden großen Wert legen. Wir wollen beispielsweise keine Schutzstreifen mehr, die ihren Namen nicht verdienen, wir wollen eine moderne Infrstrutktur, die dem Radverkehr und dem Fußverkehr die Flüssigkeit garantiert, die derzeit dem Autoverkehr zugestanden wird. 

Allen Beteiligten, auch dem Radentscheid, ist klar, dass nun aber nicht die Radwege nur so an den Straßenrändern aufploppen. Planungen und Umsetzungen dauern, das erforderliche neue Personal für die Ämter muss erst im Haushalt im Herbst beschlossen und dann gefunden und eingearbeitet werden. Die Straßenbaufirmen sind gut ausgelastet und es mag hier und dort in den Bezirksbeiräten erneut Widerstand gegen geplante Radwege und Radfahrstreifen geben. Wir gehen haber davon aus, dass das Tempo des Ausbaus einer einladenden und sicheren Radinfrastruktur Jahr um Jahr zunimmt. 

Eine gute Radinfrastruktur verführt zum Radfahren. Niemand wird gezwungen, aber die, die wollen, sich aber jetzt noch nicht trauen, können und werden dann das Fahrrad nehmen. Man weiß aus allen Städten, die das schon vor zwanzig bis dreißig Jahren gemacht haben, dass der Radverkehr zunimmt, wenn es eine einladende Infrstruktur gibt, auf der sich alle sicher fühlen. Das bedeutet dann gleichzeitig eine Entlastung der Straßen vom Autoverkehr, der den Platz, den er heute beansprucht, dann nicht mehr braucht.

Mir werden hier im Blog die Themen trotzdem nicht ausgehen, denn wir haben heute einen Prozess begonnen, der sich über Jahre hinzieht und unser aller Anstrengungen braucht, auch was die Überzeugungsarbeit betrifft den Menschen gegenüber, die fürs Radfahren gar keinen Sinn haben oder sich von Radfahrern gestresst fühlen. Wir werden viel erklären müssen. Eine gute Radpolitik ist nämlich auch eine gute Politik für Fußgänger/innen und sogar für die jenigen, die aufs Auto angewiesen sind (oder unbedingt Auto fahren wollen), für Rettungswagen und Handwerker, die letztlich mit weniger Autostau konfrontiert sind. Sogar die Mieten können sinken, wenn nicht mehr so viele Stellplätze mitgebaut werden müssen. Aber das verstehen derzeit noch nicht alle.

Links zu den Ratsdokumenten: https://www.domino1.stuttgart.de/web/ksd/KSDRedSystem.nsf/


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Hier der Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen, SPD, SÖS-Linke-PluS, Stadtisten ( GRDrs 1120/2018 )


Eine Fahrradstadt ist fahrradfreundlich, weist dem Radverkehr eine große Bedeutung zu und legt eine einladende Radinfrastruktur an. Auf den Erfahrungen von Städten wie Kopenhagen oder Den Haag aufbauend wollen wir eine Radinfrastruktur schaffen, die für alle von 8 bis 80 Jahren – für Eltern mit Kindern im Anhänger, aber auch für Kinder unter 8 Jahren, die auf dem Gehweg radeln, oder für Senior*innen auf E-Dreirädern – bequem und nicht nur sicher ist, sondern auch das Gefühl von Sicherheit vermittelt.
Radverkehr bringt einer Stadt große Vorteile. Er entlastet den Autoverkehr von Staus, den öffentlichen Nahverkehr von übervollen Bahnen, die Bürgerinnen und Bürger von Lärm und Abgasen, fördert die Gesundheit, macht Innenstädte lebendig und attraktiv und unterstützt den lokalen Handel. Radinfrastruktur ist zudem vergleichsweise kostengünstig und flächeneffizient.
Wir unterstützen den Beschlussantrag der Verwaltung (GRDrs1120/2018), wollen aber einige Punkte konkretisieren.

Wir beantragen:
1.    Punkt 1 des Beschlussantrags wird ergänzt um folgenden Satz: „Bis 2030 soll der Anteil des Radverkehrs am Modal Split, bezogen auf den Quell-, Ziel- und Binnenverkehr, auf 25 Prozent der Wege ansteigen“.
2.    Punkt 3 des Beschlussantrags wird ergänzt und lautet dann: „Die für 2019/20 in der Umsetzung befindlichen Projekte und die dargestellten weiteren Projekte im Sinne der Ziele des Radentscheids werden unterstützt und dabei den Qualitätsstandards im Sinne der Ziele des Radentscheids angepasst. Grundsätzlich kommen bei künftigen Planungen diese Qualitätsstandards zur Anwendung.“
3.    Die Verwaltung wird beauftragt, in den kommenden Haushaltsentwürfen 2020/21 und 2022/23 im Radetat eine Summe für Infrastruktur und für eine Aufstockung des Personals einzustellen, die bei 20 Euro pro Einwohner*in und Jahr liegt. Im Doppelhaushalt 2020/21 werden dabei die nicht abgeflossenen Mittel aus dem Radetat von 2018/19 angerechnet. Langfristig wollen die Unterzeichner den Etat auf 40 Euro pro Einwohner*in und Jahr verdoppeln.
4.    Die Verwaltung wird beauftragt, aus dem Jahresüberschuss 2018 eine Davon-Position in Höhe von 20 Mio. Euro als zweckgebundene Rücklage für Radinfrastruktur zu bilden und hierzu eine Beschlussvorlage vorzulegen.
5.    Die Stellenanteile in allen am Radverkehr beteiligten Ämtern sollen so schnell wie möglich und ohne Befristung geschaffen werden, damit die unten genannten Ziele erreicht werden können.
6.    Es wird eine Ausbauplanung vorgelegt, die auf der genannten deutlichen Erhöhung des Radetats und der bis zu den Haushaltsberatungen zu ermittelnden und dann entsprechend aufgestockten personellen Ausstattung in allen an der Planung und Umsetzung beteiligten Ämtern basiert.
7.    Der Ausbau des Hauptradroutennetzes wird bis 2030 abgeschlossen und darüber hinaus in den Stadtbezirken das Radroutennetz insgesamt weiter verdichtet.
8.    In allen Stadtvierteln wird auf Nebenstraßen mindestens eine Fahrradstraße ausgewiesen und auf ihr der Kfz-Durchgangsverkehr Wirkungsvoll unterbunden, etwa durch Einbahnregelungen oder bauliche Maßnahmen.
9.    In Tempo-30-Zonen (Nebenstraßennetzen) werden möglichst alle Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrende freigegeben.
10.    Auf allen großen Kreuzungen wird zügig eine sichere und einladende Radinfrastruktur angelegt, die geeignet ist, Radfahrende und zu Fuß Gehende vor Abbiegeunfällen zu schützen.
11.    Es werden zügig Radparkhäuser, vor Wetter und Vandalismus geschützte Radabstellanlagen oder Radbügel in Wohngebieten, an Verkehrsknotenpunkten und kulturellen, sportlichen oder gastronomischen Zielen aufgestellt.
12.    Die Radverkehrsanlagen werden stets ganzjährig befahrbar gehalten.
13.    Bei Unfällen mit Rad- oder Fußgängerbeteiligung wird geprüft werden, ob die Infrastruktur den Unfall begünstigt hat. Wenn dies der Fall war, wird die Gefahrenquelle unverzüglich beseitigt.
14.    Die Ordnungskräfte werden dafür sensibilisiert und personell so ausgestattet, dass Radverkehrsanlagen, Gehwege und Straßenecken wirkungsvoll und nachhaltig von Falschparkern freigehalten werden.
15.    Nach dem Vorbild des „Radars“ von Stadtradeln wird eine Internetplattform eingerichtet, mithilfe derer störende oder gefährliche Stellen gemeldet werden können.
16.    Für ein fahrradfreundliches Stuttgart werden öffentliche Kampagnen mit großer Reichweite durchgeführt, die alle Verkehrsteilnehmer*innen für einander sensibilisieren. Noch 2019 wird eine Kampagne gestartet, die den Überholabstand von Kfz zu Radfahrenden thematisiert.
17.    Jedes Jahr wird ein Monitoring durchgeführt, das den Stand der Umsetzung und die Akzeptanz in der Bevölkerung dokumentiert. Im Abstand von fünf Jahren ist künftig der Modal Split des Quell-, Ziel- und Binnenverkehrs zu erheben.
18.    Im Unterausschuss Mobilität wird das Thema Radverkehr zwei Mal im Jahr als Schwerpunktthema aufgerufen. Die Sitzung wird von der Verwaltung zusammen mit sachkundigen Bürgerinnen und Bürgern vorbereitet und ist öffentlich. Die sachkundigen Bürgerinnen und Bürger haben Rederecht.

Hier noch mal der Link


28 Kommentare:

  1. Du hast nicht umsonst mit den größten Applaus bekommen vorhin im Sitzungssaal! Danke für Deinen Einsatz!
    Ich bin gespannt, wie sich das alles in der Realität erFAHRbar machen wird, was heute beschlossen wurde.
    Vlt. bleibt Stuttgart einfach Autostadt und wird zusätzlich Fahrradstadt und Fußgängerstadt mit einer Win-Win-Win-Situation für alle Bürger, Pendler und Gäste der Stadt. Alles mit etwas mehr Vernunft, Rücksicht und Gerechtigkeit.
    Grüße
    David

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  2. Ich verstehe die Automobil Industrie nicht Die sollten Stuttgart verlassen. Es gibt genügend Bundesländer die der Automobil Industrie positiv gegenüber stehen. Allein die Androhung würde schon wirken.

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    1. "Du" verstehst nicht nur "die Automobilindustrie" nicht:
      Hier geht es um Stadtverkehr, nicht um Automobilbau.
      Die MA der einschlägigen Firmen werden auch profitieren, wenn sie schneller und stressfreier zur Arbeit kommen.

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    2. Ich habe das schon verstanden. Wenn die Autoindustrie weggeht fehlen der Stadt Steuergelder und hat viele Arbeitslose Das übersteht eure Landesregierung nicht. Ebenso werden viel weniger Touristen kommen. Geschäfte müssen schließen So kann man eine Stadt auch fertig machen.

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    3. Wirre kontextlose Phantomhypothesen, die zumal mit dem heutigen Beschluss nichts zu tun haben.

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    4. Doch. Stuttgart schaft sich ab.

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    5. don't feed the troll.

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    6. Lieber David,

      Hermines Ansichten als "kontextlose Phantomhypothesen" zu bezeichnen, halte ich für nicht hilfreich. Immerhin macht sie sich Gedanken über das Thema.

      Allerdings bezweifle ich, dass es die vielen Autos und Staus sind, die Stuttgart für Touristen attraktiv machen.
      Viele Grüße

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  3. Das Allermeiste scheint ja unverbindlich zu sein. Eigentlich steht nur das Finanzielle fest, und es fehlt das langfristige Ziel, z. B. KFZ-Anteil von 10% bis 2035. Sonst wandern nur Fußgänger und ÖPNV-Nutzer ab.

    Über die 25% Rad musste ich schmunzeln, die Niederländische Fahrradstadt hat gerade mal ~35% am innerstädtischen Verkehr: "Houten is today exactly one year the Bike City of the Netherlands. But two-thirds of the Houtenaren still leave the two-wheeler at home." https://www.rtvutrecht.nl/nieuws/1874158

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    1. Entscheidend ist die Finanzierung und die Forderung nach Personal. In den 18 Punkten verstecken sich Standards, eine Winterräumung, die Pflege der Infrastruktur, eine Abkehr von so genannten Schutzstreifen, ein Monitoring (das heißt mehr Wissen über unseren Verkehr), eine Kampagne fürs Radfahren. Natürlich dauert das jetzt, bis es in Schwung kommt, aber die Verwaltung ist ja aufgefordert, in dem Haushaltsentwurf, den sie vorlegt, die Mittel vorzusehen, die man für die Umsetzung der Ziele braucht. Das ist enorm viel. (Man hat mir berichtet, dass sich viele in der Verwaltung freuen, dass sie jetzt endlich anders planen können), denn beschlossen haben wir ja auch, dass der RAdverkehr dem Auto Platz wegnehmen darf, Stellplätze und Fahrspuren. Das ist echt was.

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    2. Herzlichen Glückwunsch, Christine. Ich teile leider die Bedenken von Alex, denn in jedem konkreten Fall werden erneut Beschlüsse des Gemeinderates erforderlich, und genau dort war bisher der Knackpunkt. Wir werden sehen, ob Planungen die Verkehrsraum umverteilen tatsächlich dann auch von der Mehrheit des neu zu wählenden Gemeinderats zur Umsetzung beschlossen werden.

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  4. Stuttgart schafft sich bestimmt nicht ab, im Gegenteil verspricht die Stadt so endlich Anschluss an moderne urbane Großstädte zu halten. Auch unser "Abstaubradler" von "Aktivgegenfeinstaub" und ich freuen sich sehr!!

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  5. Na ja - der große Wurf ist das nicht. Aber besser als weiter wursteln wie bisher.

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  6. Herzlichen Dank und Glückwunsch an alle Aktivisten und Unterstützer. Wenn jetzt noch die Kommunalwahl im Mai gelingen sollte, wäre ein epochaler Fortschritt und Meilenstein erreicht. Viele Grüße.

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  7. Wenn viele Menschen Rad fahren, können diejenigen, die mit dem Auto fahren wollen oder müssen besser in einer Stadt fahren. Es nützt ja der Autoindustrie nichts, wenn die teuren schnellen Wagen in der Stadt in Stau stehen, weil es zu viele sind. Autos werden immer gebraucht werden, beispielsweise für längere Strecken. In Innenständten behindern sie sich gegenseitig, stehen im Stau und stören extrem den innerstädtischen Handel. Wo Autos sind, bleiben Fußgänger und Radler weg, und ein Auto kauft nicht ein, Fußgänger und Ralder kaufen dagegen viel mehr (auch als ein Autofahrer). Es geht hier ja nicht um ein Gegeneinander, sondern um ein Miteinander. Komisch, dass das so schwer zu verstehen ist. Radfahrende sind die Freunde einer Stadt.

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  8. Alexander Müller22. Februar 2019 um 16:01

    Liebe Hermine und alle anderen Zweifler, die eine irrationale Angst vor mehr Radverkehr haben (yes, I'm feeding the troll). Ich habe beim Unterschriftensammeln für den Radentscheid einige Gespräche mit Leuten wie euch gehabt und am Ende immer eine Frage gestellt:

    "Glauben Sie wirklich, dass die Automobilindustrie in Stuttgart zu Grunde geht, wenn mehr Fahrradinfrastruktur vorhanden ist und mehr Leute Fahrrad fahren? Meinen Sie ernsthaft, dass es Firmen wie Daimler, Bosch oder Porsche interessiert, ob in Stuttgart zehntausend Autos mehr oder weniger verkauft werden? Der Umsatz wird in der Fläche gemacht, in Europa, in Übersee - nicht hier! Ich kann Sie beruhigen: Sie brauchen keine Angst zu haben!"

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  9. Fataler Irrtum!
    " ist der Beginn einer echten Verkehrswende in Stuttgart (...) Das bedeutet dann gleichzeitig eine Entlastung der Straßen vom Autoverkehr, der den Platz, den er heute beansprucht, dann nicht mehr braucht. "

    Es gibt weder induktiv noch deduktiv Anhaltspunkte für die Stimmigkeit dieser These bzw. Hoffnung bzw. Illusion.

    Eine gewisse Reduktion des MIV in den innerstädtischen Bereichen mag im Rahmen von Rad-Separation und liveable-City-Strategien eintreten, aber es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Gesamtbilanz der Fahrleistungen des MIV durch solche Konzepte zurückgehen kann.
    Wo wäre denn das passiert? Was in den klassischen Radwegestädten im Kern eingespart wurde kam doch meist doppelt durch steigenden Umlandverkehr wieder drauf.
    Mietkostenrückgang in den Radwegestädten ist auch nicht eingetreten, im Gegenteil.
    Münster ist ein gutes Studienobjekt, weil es hier schon ungefähr das gibt, was ihr in Stuttgart binnen 10 oder 20 Jahren erreichen wollt.
    40% Radverkehrsanteil und überall separierte Radwege.
    Resultat:
    explodierender Autoverkehr!
    TÄGLICH wird in der kleinen Großstadt (310.000 Einw.) die Strecke von 6 x Erde zu Mond und wieder zurück durch den Umland Autoverkehr zurückgelegt, was definitiv nur möglich wurde, weil sich ein großer Teil des Binnenverkehrs mit seinen ganzen Bäckerfahrten auf die separierten Radwege verlagert hat.

    Was bitte soll denn eine weitere Steigerung des Autoverkehrs in der Region mit der Perspektive von einer "echten Verkehrswende" zu tun haben?

    Mir ist vollig schleierhaft wieso die zu erwartenden Reboundeffekte so vollständig ausgeblendet werden. Das ist ja wie von 20 Jahren bei, Hype um den 'grünen' 'erneuerbaren' Biosprit.
    Auch damals war der Reboundeffekt vorhersehbar, wurde aber in der politischen Landschaft stumpf ignoriert, um nicht WIRKLICH was gegen die Umweltprobleme des Autoverkehrs angehen zu müssen.

    Möglicherweise liegt die Blindheit gegenüber dem Rebound an der Euphorie über den politischen Erfolg gegenüber den tradierten autoorientierten Radförderungs-Skeptikern?
    So ein 'Erfolg' darf aber doch nicht dazu führen, dass auf eine saubere Analyse der Folgen von Massnahmepakete verzichtet wird - nach dem unterkomplexen populistischen Motto: "Radweg gut alles gut".

    Wenn ihr in S so weitermacht (ohne "echte" push-Massnahmen gegen den Atuoverkehr) werdet ihr wohl noch ein blaues bzw. automobiles Wunder erleben, auch wenn im hochpreisigen Stadtkern etwas mehr 'liveable City' entstehen mag.
    Es sind kaum noch Unterschiede zu Konzepten von z.B. der Inzell-Initiative (BMW) auszumachen.
    Alfons Krückmann

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    1. Naja,
      bei nochmaligem Lesen: 9, 12, 14 und 16 sind immerhin wenigstens ansatzweise geeignet ein klein wenig das Wachstum des MIV zu verlangsamen.
      Ändert aber nichts am Problem des Verleugnens von Reboundeffekten.
      Die Zeit wirds zeigen.

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    2. Und noch ein kleine Ergänzung:
      Bitte die Kritik nicht persönlich nehmen.
      Mir ist schonklar, dass realpolitisch nicht mehr geht.
      Und selbst das Wenige erfordert über lange Zeit zig ehrenamtliche Stunden mit konzentrierter Arbeit, mit der man/frau sich nicht unbedingt Freunde macht, sondern oft genug auch noch angegiftet wird.
      Insofern:Hut ab!
      Das Anerkennen won Engagement für Ädie gute Sache' darf aber m.E. nicht dazu führen auf differenzierte Kritik zu verzichten.
      Über die Frage der Schwierigkeit von politischer Durchsetzung hinaus ist des doch am Ende des Tages entscheidend:
      Was kommt hinten raus bzw. Welche folgen stellen sich ein im ERFOLGSFALL ?!
      Alfons Krückmann

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    3. Ich musste MIV erst googeln, und bin durchaus erheitert, dass 'mief', wie ich es gelesen habe, für Motorisierter Individualverkehr steht.

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    4. Lieber Alfons, mir scheint, du hast hier dein ganz persönliches Thema. Perfekt ist nichts, und an der Verkerswende werden wir über viele Jahre arbeiten müssen. Jetzt hat Stuttgart begonnen. Es wird viel davon abhängen, wie die Gemeinderatswahl ausgeht, und ob sich eine Mehrheit der Modernen und Kompromissfähigen (beides muss sein) findet oder nicht. Und ob die Bürgerinnen und Bürger von Stuttgart mitmachen oder nicht. Demokratie kann nichts befehlen, sie kann nur arbeiten und überzeugen und langsame Änderungen verfolgen.

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    5. Lieber Alfons, die Verkehrswende besteht aus mehreren Teilen. Der Umlandverkehr muss auch angegangen werden. Das sollte in einem eigenen Antrag geschehen. Stichworte wären: Radschnellwege und Ausbau des ÖPNV, besonders des schienengebundenen. Dieser Antrag beschäftigt sich mit dem Radverkehr in Stuttgart. Das ist komplex genug und gut.

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    6. Liebe Christine,
      ja das ist für mich - ebenso wie Atomkraftausstieg, etc. - ein Thema, das mir persönlich durchaus was bedeutet.
      Am Automobilismus hängt ja ein ganzer Rattenschwanz an negativen Folgewirkungen für Gesellschaft und Umwelt.

      "persönliches Thema" im Sinne persönlicher Motivation heisst aber nunmal nicht, dass es nicht von allgemeiner Relevanz ist.
      Gerade in Veränderungsphasen ist es entscheidend die Richtung der Veränderungn abschätzen zu können und nicht einfach mal aus dem Bauch raus draufloszuwurschteln.
      Erschwerend kommt seit ca. 2 Jahren dazu, dass das Radentscheid-framing und Radentscheid Marketing mit seinen griffig emotionalen Botschaften inhaltliche Vertiefungen und fundierte Folgenabschätzungen erheblich erschwert hat.
      Auf die Gefahr hin da etwas arrogant zu klingen empfehle ich die Lektüre zumindest von Summaries zum Thema 'ökologische Verkehrswende'.
      Ich zitiere mal Pfleiderer, der sich hier auf den ÖV bezieht, was sich aber gut auf den Radverkehr übertragen lässt:
      "Weit verbreitet ist die Forderung, den ÖV zu fördern um den MIV zu verringern. Ein Blick auf Bild1 zeigt, wie wenig aussichtsreich dieses Unterfangen ist. Die Auswirkungen des ÖV auf den MIV werden in der politischen Diskussion überschätzt. Es liegen keine Untersuchungen vor, die belegen, dass Maßnahmen zur Förderung des ÖV je zu einer Verringerung des MIV geführt hätten.
      Der Schuss kann sogar nach hinten raus gehen. Wenn sich durch Verlagerung vom MIV zum ÖV die Staus verkürzen, sparen die auf der Straße verbliebenen Autofahrer unter Umständen so viel Zeit, dass der dadurch induzierte Verkehr mehr ist, als das, was vom MIV zum ÖV verlagert wurde."
      aus: http://www.verkehrswissenschaftler.de/pdfs/Pfleiderer%20-%20Das%20Phaenomen%20Verkehr.PDF

      Ähnliche Befunde auch aus anderen Kontinenten. Beim Radverkehr dürfte der Reboundeffekt noch um einiges größer sein, als beim ÖV.

      Ich zitier das mal um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen die Problematik des 'induzierten Verkehrs' sei ein 'persönliches Ding' oder eine zu vernachlässigende 'Schrulle', oder so.
      Das ist schlicht Stand der empirischen Forschung und theoretisch gut fundiert in Ableitung aus dem konstanten Reisezeitbudget.

      Dass sowas nicht in den ganzen Radentscheid workshops auftaucht?
      Stimmt!

      Alfons Krückmann

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  10. Explodierender Autoverkehr wegen Radwegen? Nehmen wir mal kurz an, in Münster gäbe es keine Radwege und die ganzen "Bäckerfahrten" fänden als MIV statt. Bliebe dann der MIV aus dem Umland draußen vor der Stadt? Sehr wahrscheinlich nicht, der käme oben drauf, Münster hätte jetzt Stuttgarter Verhältnisse und auch die gleichen Diskussionen wie in Stuttgart.

    Die Zunahme des MIV von außerhalb in die Stadt hat nichts mit dem Bau von Radwegen zu tun und der Verlagerung des "Binnenverkehrs" aufs Rad. Vielmehr wurden in der Vergangenheit Anreize geschaffen, die zusätzlichen MIV von außen schaffen, z.B. Wohnen im Grünen, Arbeiten in der Stadt.

    Zwischen diesen beiden Effekten besteht nur eine zeitliche Korrelation, aber keine Kausalität.

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    1. "Bliebe dann der MIV aus dem Umland draußen vor der Stadt? "
      Ja, im wesentichen wäre genau das dann der Fall, weil die kapazitätsgrenze der Fahrbahnen erreicht bzw. überschritten wäre.
      Auf das Strassennetz passt nunmal nur das drauf was draufpasst.

      "Vielmehr wurden in der Vergangenheit Anreize geschaffen, die zusätzlichen MIV von außen schaffen, z.B. Wohnen im Grünen, Arbeiten in der Stadt. "
      Nein, diese These ist falsch, weil sie verkennt, dass es ursächlich die Beschleunigung der Verkehrsmittel ist, die überhaupt Strukturen mit grösseren Entfernungen schafft.
      Nicht umgekehrt.
      Ist im übrigen auch weitgehend Konsens in der Verkehrswissenschaft.
      s.a.:
      https://www.zukunft-mobilitaet.net/5299/analyse/konstantes-reisezeitbudget-marchetti-konstante-verkehrsgenese-yacov-zahavi/

      Alfons Krückmann

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  11. ... bravo Christine ...
    Da hat sich die Mühe für den Radendscheid zu kämpfen ja gelohnt ... und toll das ihr noch einen drauf gesetzt habt 😁
    ... jetzt heißt es trotz allem dran bleiben und für die sukzessive Umsetzung kämpfen!!!

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