27. Juli 2024

Warum diese Wut vieler Autofahrender auf Radfahrende?

Falsche Erwartungen und eine zu optimistische Planung führen zu Frust im Auto, sagt der Kognitionswissenschaflter Rul von Stülpnagel der Zeit (Bezahlschranke). Der Frust entlädt sich gegen andere. 

Vermutlich meint er: Man hat sich gedacht, man steigt ein, fährt schnell hin, steigt aus und ist da. Aber dann steht man plötzlich Stau, gerät in Stress, weil man zu spät kommen wird, und sieht einen Radfahrer sich am eigenen Auto vorbei nach vorne zur Ampel schlängelt. Die Parkplatzsuche dauert dann auch länger. Und dabei sieht man ein Fahrrad an einem Mast auf dem Gehweg gleich neben der Tür abgestellt. 

Radfahrende haben die Freiheit, die Autofahrende sich wünschen. Mit dem Fahrrad ist man nie in einem Stau gefangen, man kommt fast überall durch, ist unabhängig von der Verkehrslage und kommt immer pünktlich an. Man muss nie Parkplatz suchen. Das Auto garantierte eben nicht die Freiheit, für das es in unserer Kultur steht, zu jeder beliebigen Zeit einzusteigen, zügig zum Ziel zu rollen, es abzustellen und angekommen zu sein. Im morgendlichen und abendlichen Berufsverkehr steht man im Stau, die Parkplatzsuche kostet Zeit und Nerven, für den Parkplatz muss man bezahlen. Währenddessen rollen die Radfahrenden leicht und tänzerisch an einem vorbei, so als gälten für sie die Regeln des schwerfälligen Autoverkehrs nicht (weshalb auch viele behaupten, Radfahrende hielten sich an keine Regeln). Dem gestressten Autofahrer erscheint die Leichtigkeit des Radfahrens als Provokation. Und wenn es ihm dann auch noch Radwege und Fahrradstreifen leichter machen, an der Autoschlange vorbeizurollen, fühlen sich Autofahrende benachteiligt. 

25. Juli 2024

Warum parken die auf dem Gehweg?

Die Falkenstraße in Stuttgart-Sonnenberg wurde neu gemacht: Fahrbahn und Gehweg, alles fein und schön glatt. 

Die Wohnstraße ist Richtung Möhringen Einbahnstraße und als solche in Gegenrichtung für den Radverkehr freigeben. Viel Radverkehr ist hier nicht, viel Autoverkehr auch nicht. Faszinierend ist es für mich zu sehen, wie sich die Autofahrenden verhalten. Sie parken alle linksseitig. Niemand parkt am rechten Bordstein, obgleich das nicht verboten ist. Als die Gehwegbordsteine noch hoch waren, parkte man auf der Fahrbahn, jetzt, da sie teils keine drei Zentimeter hoch und abgerundet sind, stehen in diesem Abschnitt (zwischen Fuchs- und Haldenwaldstraße) alle mit den linken Reifen auf dem Gehweg.  

Das erleichtert zwar den Begegnungsverkehr mit Radfahrenden. Aber nötig ist es nicht. Warum die Bordsteine hier keine mehr sind, erschließt sich mir nicht. Es sei denn, sie sollen als Parkverbot fungieren. Denn eigentlich darf an abgesenkten Bordsteinen niemand parken (kostet aber nur 10 Euro).

23. Juli 2024

Wenn die Seele ihren Weg findet

Radfahren bei Nacht ist aufregend. Besonders, wenn die Straßenbeleuchtung aufhört. Dann sind wir plötzlich allein in einer schwarzen Blase und folgen dem wackligen Schein unserer Beleuchtung. 

Ich radle eher selten bei Dunkelheit (im Winter natürlich öfter als im Sommer), und wenn, dann bin auf auf dem Heimweg und fahre durch bekannte, jetzt stillere Straßen. Es sind weniger Radfahrende unterwegs, der Autoverkehr hat weitgehend aufgehört, riesige Kreuzungen liegen verwaist vor mir, an den Masten tanzen die Ampeln von Rot auf Grün und Gelb zu Rot, irgendwo am anderen Ende fährt ein Auto. Die Nebenstraßen sind still, alle Autos sind geparkt, die Leute zuhause. Manchmal quert ein Fuchs die Fahrbahn. 

21. Juli 2024

Blockiert unsere Sprache die Verkehrswende?

Positive Bilder und Begriffe sind wichtig, wenn wir unsere Städte menschlicher machen wollen. Das Auto hat unsere Sprache und Vorstellungskraft jedoch so korrumpiert, dass das beinahe unmöglich erscheint. 

Bekannt ist das Beispiel der "gesperrten Straßen". Selbstverständlich nehmen wir an, dass sie für Autos gesperrt sind. Denn die Straße ist für uns ein Raum, der einzig und allein Menschen vorbehalten ist, die Auto fahren und ihre Autos abstellen. Gesperrt ist sie derzeit tatsächlich immer für Menschen zu Fuß, für spielende Kinder, für nachbarschaftliche Treffen, für Ballspiele, für Tische und Stühle. Die Formulierung, die dem entgegenwirken will, lautet: "Die Straße wird geöffnet für Menschen". Weniger bekannt ist die Tücke des Begriffs "autofrei" ("autofreie Straßen", "autofreie Innenstadt").

19. Juli 2024

Der gute Radweg

In Deutschland könnten wir den Radverkehr verdreifachen, wenn wir unser Radinfrastruktur so ausbauen, dass niemand mehr Radfahren als gefährlich empfindet. Das ist bekannt. 

Das Geld für Radwege muss allerdings überlegt ausgegeben werden. Nur Farbe und Pfeile auf der Fahrbahn, Kreisverkehre im Mischverkehr und Fahrradweichen sind wenig hilfreich. Wenn Radwege oder Radstreifen urplötzlich aufhören und Radfahrende sich zwischen schnellen Autos wiederfinden, schreckt das ab. Wenn Radwege oft von Autofahrenden gekreuzt werden, erhöht das die Gefahr von Zusammenstößen. Und dann heißt es: Radfahren ist gefährlich. Die Seite We Love Cycling zeigt krasse Beispiele, wie unüberlegt, lieblos und zynisch Radwege angelegt werden können, im Zickzack, durch Fußgängeraufstellplätze, plötzlich endend. Solche Beispiele haben wir auch in Stuttgart, bis hin zu Radspuren, die gegen ein Gerüst führen, weshalb ich hier ein paar Bilder einfüge, die die fünf Punkte, die Discerning Cyclists für eine gute Radinfrastruktur auflistet, konterkarieren. 

17. Juli 2024

Das Opfer - die Verkehrsopfer

Das Wort "Opfer" kommt in unserem Sprechen und Schreiben über den Straßenverkehr vor. Es gibt Verkehrsopfer und Unfallopfer. 

Und es werden auch mal Parkplätze oder eine Fahrspur "geopfert", womöglich sogar für die "Verkehrssicherheit". Solche "Opfer"- das impliziert diese Formulierung - sind unnötig, denn "Opfer" sind so gut wie immer "sinnlos" und damit unnötig. 

Dass der Autoverkehr regelmäßig Menschen opfert, lesen wir so nicht. Niemand sagt, dass "wir dem Autoverkehr über zweitausend Menschen im Jahr opfern". Jedoch taucht das Substantiv für die so Geopferten als "Verkehrsopfer" oder "Unfallopfer" auf. Die Konzentration auf das Objekt der Opferung, das Opfer, hat den Vorteil, dass wir keine Akteure benennen müssen, keine handelnden Personen, keine Täter:innen, nicht die Priester:innen, die ihm Namen einer Gottheit das Opfer verlangen. Auch der Autoverkehr, der Menschen opfert, ist übrigens letztlich keine handelnde Person (wenngleich ein System, das wir aufrecht erhalten). Also bleiben nur noch die Opfer des Straßenverkehrs übrig. 

Wir benutzen das Wort so, als hätten wir kein anderes Wort dafür. Im Englischen wird unterschieden zwischen "victim" (Leidtragende:r Geschädigte:r, Verunglückte:r) und "sacrifice" (Opfer als Akt) und "to be sacrificed" (geopfert werden), also zwischen dem religiös-kulturellen Akt des Opferns und den Folgen eines Unglücks oder Gewaltakts. Dass wir diesen Unterschied im Deutschen nicht machen, hat Folgen für unsere Akzeptanz von Opfern im Straßenverkehr.