5. Dezember 2019

Straßenrandparkplätze weg - Umsatz steigt

Erst sind alle dagegen, dann sind alle dafür. Aufofreie Stadtviertel oder Straßen bringen dem Handel Gewinn

In Stuttgart haben wir jetzt mit der Eberhardstraße die erste autofreie Innenstadtstraße. Mal sehen, wie es läuft. Die Dorotheenstraße, an der die Markthalle liegt, wird die nächste sein. Auch hier sind die Händler/innen bislang dagegen.

So läuft das immer: Schlägt man vor, in einer Einkaufsstraße die Parkplätze wegzunehmen und statt dessen Fußgänger- und Radverkehr zu platzieren, sind die Händler dagegen. Sie glauben, dass nur Autofahrer/innen bei ihnen einkaufen. Und die kämen nicht mehr, wenn sie nicht in der Straße parken könnten, und ihr Laden würde dann eingehen. Stimmt aber nicht. Denn statt der paar Autofahrer, kommen ganz viele andere. Und der Umsatz steigt. Das beobachten wir überall und es ist auch das Ergebnis einer Studie in Toronto.

Das hat man auch in Wien erkannt. Der Umbau der Mariahilfer Straße zur sogenannten Begegnungszone (wir würden eher Fußgängerzone mit Radfreigabe sagen) hatte große Kritik bei der Wirtschaftskammer ausgelöst. Riesige Kritik, zumal der Umbau auch noch gute 35 Millionen Euro gekostet hat. Dann hat der Standortanwalt der Wirtschaftskammer in Wien mal gerechnet und festgestellt, dass zwei Drittel der städtischen Investitionen in Höhe von 26 Millionen Euro bereits in der Bauphase zurückgeflossen sind, denn die Bruttowertschöpfung beträgt knapp 30 Millionen Euro. Es wurden knapp 280 neue Jobs geschaffen und 14 Millionen Euro mehr an Gehältern ausgezahlt. Wo die Autos weg sind, kommen Menschen, verdienen Ladenhinhaber, werden Leute eingestellt, wird insgesamt mehr Geld verdient. Die Wiener Wirtschaftskammer empfiehlt der Stadt nun in jedem der 23 Bezirke eine autofreie Zone zu schaffen und dafür 1 Million Euro zu investieren. "Eine Begegnunszone rechnet sich spätestens zwei Jahre nach Fertigstelleung und verhilft der Stadt zu höheren Einnahmen", sagt der Standortanwalt. "Wir müssen die Straßen zurückerobern", fügt er an und spricht von mediterranenen Wohlfühloasen mit belebten Erdgeschosszonen, wo man verweilt und durchflaniert.

Das wird auch von der Studie in Toronto bestätigt: Demnach erhöhte sich in der untersuchten Straße die Anzahl der Einrichtungen, deren Betreiber/innen berichteten, mehr als 100 Kund/innen pro Tag zu haben, signifikant, und zwar für Einzelhandelsgeschäfte, Restaurant und Bars sowohl samstags als auch unter Woche. Service-Unternehmen wie Reinigungen profitierten davon nicht so sehr. Nach dem Umbau blieb der Anteil von Einkäufer/innen, die mit dem Auto kamen, bei etwa neun Prozent, der Anteil der Radfahrenden stieg aber von acht auf zweiundzwanzig Prozent.

Radfahrende sind grundsätzlich gute Kund/innen. Sie sind gut drauf, sie müssen nie Parkplatz suchen und sie kommen weit herum. Gibt es zwischen Fahrbahn und Gehsteig keine Barriere geparkter Autos, dann können Radfahrende direkt in die Schaufenster schauen und anhalten, wenn sie da was anlacht. In so einer Straße hört auch der Parkplatzsuchverkehr auf. Es sind insgesamt weniger Autos unterwegs. Das gefällt auch den Fußgänger/innen. Sie eilen nicht mehr zwischen Häuserwänden und Autolärm und Abgasen entlang, sie fangen an zu schlendern und bekommen Lust, sich zu einem Kaffee hinzusetzen.

Nimmt man in einer Straße mit Shops und Cafés die Parkplätze weg, kommt fast immer das Argument, der Kofferraum sei die größte Einkaufstasche. Im Durchschnitt tragen Autofahrende jeoch auch nur anderthalb Tüten aus einem Laden, genauso wie Radfahrende und Fußgänger/innen. Radfahrende kommen aber auch noch öfter. Den Fernseher, die Sound-Anlage oder ein Beistelltischchen kauft man doch eher selten. Zugleich ist es extrem unwahrscheinlich, dass man für so einen Einkauf einen Parkplatz vor der Tür des betreffenden Händlers bekommt. Und die berühmten Sprudelkisten? Meistens befindet sich der Getränkehändler eh nicht in einer Shopping-Straße, sondern woanders. Und schon in meiner Kindheit konnte man sich Getränke liefern lassen. Falls man sie aber selber holen will, ja, dann holt man sie halt mit dem Auto. Die meisten Einkaufstouren sind aber keine Sprudel-Kisten-Hol-Touren. Dass man das Auto manchmal für irgendwas braucht, heißt ja nicht, dass es in jeder Straße der Stadt Straßenrandparkplätze geben muss.


Aschaffenburg
Autofreie Straßen, in denen sich auch Radfahrende wohlfühlen, sind das beste Konjunkturprogramm für eine Innenstadt. Holt man Radfahrende in Fußgängerzonen, geht es dem Einzelhandel dort auch besser. Auch unsere Königstraße würde gewinnen, würden wir aufhören, Radfahrende nur als rasende Rüpel zu sehen, sondern als Kund/innen.

In Regensburg und Aschaffenburg hat man mit der Freigabe der Fußgängerzonen für Radfahrende gute Erfahrungen gemacht. Nach anfänglicher Ablehnung und einer Testphase von einem Jahr, haben die Regensburger 2016 die Freigabe beschlossen.  Dieser Leitfaden beschreibt auführlich, was man dabei abwägen und beachten muss. Das Beispiel Aschaffenburg zeigt (dem Leitfaden zufolge), dass man so etwas unbedingt mit einer massiven Informationskampagne begleiten muss, die dazu beiträgt, dass sich Radfahrende und Fußgänger/innen besser verstehen und aufeinander einstellen.

Gute Erfahrungen hat man jetzt auch in Hamburg gemacht, wo eine Straße im Radhausverkehr für Autos gesperrt wurde. 


13 Kommentare:

  1. Liebe Christine,

    Danke für deinen unermüdlichen Einsatz in Stuttgart für das Rad.
    An dieser Stelle möchte ich jedoch etwas (konstruktive) Kritik üben.

    In Zeiten von Fridays for Future und den hinlänglich bekannten Grenzen des Wachstums so wirtschaftlich/kapitalistisch zu argumentieren empfinde ich als sehr kurz gedacht. Eine fahrradfreundlicher Shopping-Himmel sollte nicht das Ziel von Stadtplanung sein!

    Wir brauchen Städte in denen nicht nur viel weniger Autos sind - somit also auch mehr Platz für Radler und Fußgänger- sondern vor allem weniger Konsumterror!

    Viele Grüße,
    Frank

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    1. Lieber Frank, da hast du auch wieder Recht. Andererseits versuche ich den ständig klagenden Händler/innen und uns, die wir mit ihnen reden müssen, zu sagen, dass die lokale Laden- und Restaurationswirtschaft (oder die Markthalle) nicht eingeht, wenn man den Autos Parkplätze am Straßenrand wegnimmt. Ich finde, ja, dass man in der Tübinger Straße sieht, dass aich mit weniger Autos und mehr Radlern schon was ändert in Richtung mehr Flannieren, Cafés, Aufenthalt, einer floriernden Second-Hand-Kleider-Wirtschaft etc. Ich glaube, Leute gehen gerne abends was Trinken oder Essen, haben gerne einen Bäcker in der Nähe und vielleicht ein kleines Modegeschäft (Frauen) oder ein Buchladen, und sowas entsteht eher dort, wo Händler/innen auch erwarten können, dass Menschen auf der Straße unterwegs sind und es genießen, dafür nicht ins Auto steigen zu müssen. Ich denke dabei nicht an Milaneo oder Königsstraße, wo nur Ketten residieren.

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  2. Klingt jetzt mäklig, aber warum ist auf einmal die Schrift so klein?

    Carsten

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    1. Bei anderen ist sie auf einmal zu groß. Ich gebe mir Mühe, das Ganze wieder hinzukriegen.

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  3. Irgendwie arbeitest Du Dich gerade ziemlich an der Eberhardstraße ab. Es gibt noch andere Flecken in Stuttgart, die angesprochenen gehören. Z.B. die HRR 1 von Cannstatt nach Fellbach. 200 Meter entfernt von der U-Bahn-Station Wilhelmsplatz, wurde jetzt eine weitere Station auf Höhe der Aral-Tankstelle gebaut. Warum eigentlich? Sinn? Das führt jetzt dazu, das die Straße an dieser Stelle verengt wurde und die geschützte Radspur einem Slalomkurs gleichkommt. Zudem ist die HRR 1 bald eine Holperpiste durch das permanente aufreißen. Keine gute Performance vom OB Kuhn's Tiefbauamt...Sandra Müller

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    1. Das ist keine Haltestelle sondern ein Überweg. Es sind zu viele Fußgänger über die Gleise gelaufen.

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    2. Na ja, es kommt immer mal wieder vor, dass eine Straße öfter vorkommt als andere, weil sich dort gerade eine Veränderung abzeichnet, aber hier geht es ja nicht um die Eberhardstraße, sondern um das Thema autofreie Innenstadt und das ewige Geunke, dann werde Stuttgart unatraktiv und die Läden gehen ein. Ich fand es interessant, dass es Wirtschaftsfachleute gibt, die konkret ausgerechnet haben, dass diese Panik vor wegbleibenden Autofahrer/innen völlig aus der Luft gegriffen ist.

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  4. Ich hab mal gehört, Radfahrer konsumieren bewusster und gesünder. Also sind Radfahrer schlecht für den schnellen Wegwerfkonsum und somit kann man verstehen, warum der Einzelhandelsverband so verbissen gegen den Parkplatzabbau kämpft.

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    1. Meine ganz persönliche Erfahrung als Radfahrerin ist, dass ich nicht in der Königstraße und nicht im Milaneo einkaufe, sondern in den Läden, die ich beim Radeln in Nebenstraßen sehe, und seitdem ich die sehe, gucke ich zuerst, ob es in Stuttgart einen Laden gibt, der eine Kleinigkeit führen könnte, die ich sonst im Internet bestellt hätte, weil ich keine Ahnung mehr habe, was für Spezialgeschäfte es in Stuttgart noch gibt. Es ist für mich ein Klacks, mti dem Rad schnell irgendwo vorbei zu fahren, und im Laden zu fragen, ob sie das, was ich suche, haben. Wenn icht, dann macht es nicht, wenn ja, wurde eine Paketfahrt gespart. Als Fußgängerin würde ich solche Umwege nicht machen, als Autofahrerin auch nicht, weil es da keine Parkplätze gibt, aber als Radlerin mache ich das, weil ich schnell unterwegs bin. Solche kleinen Läden meine ich auch, und die sind es auch oft, die dort entstehen, wo ihre Inhaber/innen die Chance sehen, dass auch Laufkundschft kommt.

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  5. Mal ne kurze Zwischenfrage: Haben sich die Händler damals auch so beschwert, als die Königstr. autofrei werden sollte? ;)

    Gruß
    SP

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  6. Für die Menschen vor Ort ist es sicher eine Erleichterung und die können auch mit Rad etc. hinfahren. Ich habe in den letzten 25 Jahren erlebt, wie immer mehr Parkplätze in Stuttgart abgebaut wurden, das ist ja jetzt kein neues Phänomen. Besonders belebt hat es keinen der ehemaligen Parkplätze und ich empfinde Stuttgart zunehmend als ungemütlich. Da ich von außerhalb komme und es im direkten Umland immer noch keine kostenlosen Park&Ride Parkplätze gibt, fahre ich mit dem Auto in die Stadt, aber nur, wenn ich unbedingt muss. Das beschränkt sich mittlerweile auf weniger als 5 mal im Jahr. Interessante kleine Läden, Cafés, etc. finde ich auch in meiner direkten Umgebung ohne den Stress, der eine Fahrt nach Stuttgart inzwischen bedeutet.

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    1. Die Parkhäuser stehen teils leer, das heißt, es gibt in zahllosen Parkhäusern reichlich Platz, das Auto auch sehr innenstadtnah oder in den Sgtadtteilen abzustellen. In Stuttgart kann man immer noch gut Auto fahren und sein Auto auch gut parken (halt in der Innenstadt nur nicht am Straßenrand). Autofahrende sind ja, wenn sie ihr Auto geparkt haben, auch als Fußgänger/innen unterewegs, und werden es sicher schätzen, wenn sie eine schöne Innenstadt vorfinden, die zum Flanieren und Verweilen einlädt.

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  7. Und hier ein Kommentar vom vcd Flensburg: Hallo, vielen Dank für die Zusammenstellung! Wir haben in Flensburg auf
    Grundlage vorhandener Daten eine Präsentation erarbeitet - "Mut zur
    lebenswerten Stadt". Sie zeigt: Die Förderung des Umweltverbunds – also
    von Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr – schafft mehr
    Aufenthaltsqualität und fördert so Tourismus und Einzelhandel. Die
    Wirtschaft vor Ort sollte sich – auch angesichts der Online-Konkurrenz –
    für klimafreundliche Stadtplanung einsetzen.

    Mehr: http://flensburg-mobil.net/?p=500

    Herzlichen Gruß aus dem Norden!

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