8. Juli 2017

Zweierlei Maß

Das Foto vom Fahrrad, dass neben dem Radstreifen auf der Fahrbahn parkte, wurde vielfach geteilt und belacht. "

Ein Kölner Kommunalpolitiker wollte darauf aufmerksam machen, wie oft Autos auf Radstreifen stehen, weil ihre Fahrer nur kurz was besorgen wollen. So wie hier vor dem Kiosk auf dem Radweg in Kaltental (Foto unten). Autofahrende, die ihr Auto so abstellen, müssen  nur ein Bußgeld in Höhe von 20 Euro befürchten (so viel wie wenn die Parkuhr abgelaufen wäre). Dieses Verhalten gilt nicht als gefährlicher Eingriff in den Strarßenverkehr, obgleich es Radfahrenden sehr gefährlich werden kann.


Radweg Kaltental bergauf. Zugeparkt.
Das zeigt ein Fall, der im Netz ebenfalls höchste Aufmerksamkeit erregt und es sogar bis in die Fernsehnachrichten geschafft hat. Ein Diplomat stellte in Berlin sein Auto auf dem Radstreifen ab und riss dann die Tür auf. Damit brachte er einen Radfahrer zum Sturz, der an den Folgen des Sturzes starb. (Dass der Diplomat wegen diplomatischer Immunität vermutlich nicht belangt werden kann, ist ein zusätzliches Detail, das erbitterte.)

Der Stern ist auf seiner online-Seite der Frage nachgegangen, was Radfahrenden passiert, die ihr Fahrrad auf einer Haupstraße so abstellen, dass sie damit den Autoverkehr ausbremsen und zum Ausweichen auf die andere Spur zwingen. Im Artikel wird die Einschätzung vertreten, dass ein Radfahrer dann nicht wegen eines Parkvergehens nur 20 Euro zahlt, sondern wegen gefährlichen Eingriffs in den Staßenverkehr mit einer empfindlichen Strafe zu rechnen hätte. Denn "Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, dass er ….Hindernisse bereitet und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet …. wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Wobei es durchaus sein könnte, dass sich ein Gericht doch einmal die Frage stellt, wie gefährlich eigentlich ein Fahrrad dem Autofahrer auf einer städtischen Straße wird, der es nicht rechtzeitig sieht, darauf fährt und es demoliert. Autofahrer sitzen ja in einem Panzer. Ganz im Gegensatz zu Radfahrenden, die Haut und Knochen riskieren.

Der Paragraf "Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr" wird, den Stern-Recherchen zufolge in Deutschland aber nicht angewandt, wenn man ein Auto auf den Radweg stellt oder Mülltüten oder Absperrgitter oder Baustellenmaterial darauf lagert. Deshalb schleppt die Polizei die Autos ja nicht ab. Oder nur höchst selten. 

Wobei sich noch ein Frage stellt: Auf dem Foto rechts sieht man zwei Laster parken. Der eine steht auf dem Radstreifen. Der dahinter lässt den Radstreifen frei (vorbildlich!) und steht auf der Fahrbahn. Würde der hintere Fahrer auch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr belangt? Vermutlich nicht. 

Was man als Radfahrender hingegen darf, ist, das Rad am Straßenrand auf einem Parkplatz abstellen, vorausgesetzt man blockiert nicht den ganzen Parkplatz, weil man grundsätzlich platzsparend parken muss. Der Straßenrand ist nämlich nicht für Autos reserviert, sondern auch für andere Fahrzeuge gedacht.  

Mit anderen Worten und leider typisch für Deutschland: Radfahrende werden bei Verstößen kriminalisiert, während viele Vergehen von Autofahrern als Kavaliersdelikte behandelt werden. Das wird sich erst ändern, wenn im Bund die Verkehrspolitik, mal von einem Minister oder einer Ministerin gemacht wird, der oder die was für Radfahrende übrig hat. 

21 Kommentare:

  1. Gute Analyse, sehr interessant. Gibt es schon so etwas wie die Soziologie des Straßenverkehrs?

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    1. Müsste man mal recherchieren. Was ich weiß ist, dass es in den Sechziger oder Siebziger Jahren einen langen Film über Fußgänger gab (den ich jetzt auf YouTube auch nicht finde, aber er muss da sein), der zeigt, wo Fußgänger stehen bleiben und reden (immer mitten auf dem Weg), wie sie herumstehen, wann sie gehen etc. Der ist höchst witzig.

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  2. Ich zitiere: "Autofahrende, die ihr Auto so abstellen, müssen nur ein Bußgeld in Höhe von 20 Euro befürchten (so viel wie wenn die Parkuhr abgelaufen wäre)."
    Christine, das stimmt doch so überhaupt nicht. Autofahrende müssen rein gar nichts befürchten. Von wem denn? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass in diesen paar Minuten ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes vorbeikommt? Ich habe in den letzten Jahrzehnten schon tausende Male versperrte Rad- und Gehwege vorgefunden. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass auch nur ein einziges Mal ein Knöllchen an der Windschutzscheibe hing. Und wir wissen auch, dass selbst die Polizei nicht eingreift, weil diese nicht für den ruhenden/parkenden Verkehr zuständig ist. Autofahrer lassen sich leider nur durch bauliche Maßnahmen in die Schranken weisen.

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    1. Wenn man so eine Formulierung verwendet "Autofahrer müssen mit ... rechnen", dann heißt das ja, dass es geschehen kann, dass sie ein Knöllchen kriegen, nicht aber, dass es geschieht. Ich vermute mal, dass in Kaltental entlang dieser Straße deshalb keine Beamten des Städtischen Vollzugsdiensts (Politessen, auch männlich) unterwegs sind, weil die Chance, die Kiosk-Parker zu erwischen, nicht besonders groß ist und auf dieser langen Strecke nicht viel Knöllchenbeute zu machen ist. Es ist ebenso Zufall (wenn auch mit einiger Wahrscheinlichkeit), dass eine Politesse zu dem Zeitpunkt da lang spaziert, wo sich auch ein Auto hinstellt. Ich treffe da ja, wenn ich hochradele auch nicht jedes Mal abgestellte Fahrzeuge. Ist halt problematisch. Klar ist aber auch, dass das Abstellverhalten der Autofahrer zunehmend nervt, und zwar den Bezirksbeirat Süd und immer mehr Stadträte. Den Vaihinger Radlern könnte ich eine kleine Aktion mit Infokampagnen-Charakter empfehlen. Stellt euch da hin und gebt Autofahrern mit lächelnden Gesichtern (also ohne Geschrei) Zettel mit Infos über Radwege. Am besten Samstagvormittag. Unterhaltet euch mit den Leuten, fragt sie, wo sie ihr Auto sonst noch abstellen könnten, wenn sie eine Zeitung und Zigaretten holen wollen. Macht euch als Radfahrer sozial sichtbar und als nette Menschen erkennbar. Sozialkontrolle ist nämlich besser, als Polizeikontrolle.

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    2. Man könnte die Polizei schon dazu bewegen, dass sie handelt, indem man eben den Schwerpunkt nicht auf den "ruhenden Verkehr" setzt, sondern eine Behinderung und Gefährdung des "nicht ruhenden Verkehrs" anzeigt - das ist nämlich die Zuständigkeit der Polizei :)

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    3. Autofahrer werden aber ungern belehrt, auch wenn Sie selbst gern Radfahrer belehren ("fahr doch woanders") und dabei meistens unrecht haben.
      Meine Erfahrung zeigt, dass Autofahrer selten zuhören und sich schon gar nicht auf eine Diskussion einlassen. Man selbst steht als Denunziant da.
      Daher denke ich, Polizei-Kontrolle ist in solchen Fällen besser, als Sozialkontrolle.

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  3. Nur weil es bei dir keine Politessen gibt, hat Christine unrecht? Merkwürdige Denkweise

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    1. Danke Miki. Ich kann den Anonymus, der seinen Namen nicht nennt, meinen aber, durchaus verstehen. Aus Zorn wird leicht eine kleine Übertreibung und eine generalisierte Behauptung. Das ist die Krux unserer Kommunikation. Wir sagen "immer" und "nie", wenn wir "manchmal" oder "selten" meinen, wir sagen, "das stimmt nicht" zu einer Überlegung, wenn wir meinen "da sollte was geschehen, geschieht aber nicht" und so weiter. Übertreibungen, Dramatisierungen, Verallgemeinerungen sind so Elemente einer Diskussion, die zwar Spaß machen, aber nicht helfen, eine Lösung zu finden.

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  4. Ich habe nicht gesagt "Christine hat unrecht", sondern dass falsch stehende Autofahrer mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen haben. Rein theoretisch sind Christines Aussagen vollkommen richtig und nachvollziehbar. Aber es ist genauso richtig, dass Rad- und Gehwege zugeparkt werden. Und Autofahrer nichts zu befürchten haben. Und mir fällt es schwer zu behaupten, dass dies nur manchmal oder selten passiert. In meiner Wahrnehmung beobachte ich solche Dinge (mehrmals) täglich. Am Donnerstag musste eine kinderwagenschiebende Mutter auf die Silberburgstraße ausweichen, weil eine Kundin mit ihrem Auto auf dem Gehweg vor der Reinigung stand ("nur mal eben"). Und heute kam mir eine circa 80-jährige mit Rollator auf dem Radweg entgegen, weil auf dem Gehweg zwei BMW standen. Und ja: Das macht (zumindest mich) zornig. Und zwar als Radfahrer, Autofahrer und Fußgänger.

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    1. Hat denn jemand schon mal versucht, jemanden von den Ordnungsbehörden dazu zu bewegen, gegen eine Radwegparker vor zu gehen? Ich habe das mal versucht, keine Reaktion. Bei mir im Ort gibt es ein absolutes Halteverbot und an gleicher Stelle einen Radfahrstreifen. Leider befindet sich dort auch die Postfiliale. Ich konnte noch nie das Ordnungsamt oder die Polizei dort sehen, um die Autofahrer zu bewegen, wenigstens hundert Meter weiter auf einen Parkplatz zu fahren, geschweige denn, werden dort Verwarnungen aus geteilt, an die Parker.

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  5. Dass ein LKW nicht ganz rechts ranfährt und damit nur den Autoverkehr voll blockiert und den Radstreifen freilässt, habe ich noch nie erlebt. Da die meisten Radstreifen keine echten Radfahrbahnen sind mit ausreichender Breite, sondern nur ein Notbehelf, frage ich mich, ob ich da zwischen parkenden Autos und der LKW-Wand durchfahren möchte. Bergauf hat man meist keine gerade Fahrlinie. Was ist, wenn ich in einer solchen Situation einen Kratzer in ein Auto mache? Wer ist schuld? Ich, weil ich das Risiko eingegangen bin, dort durchzuradeln? Der LKW-Fahrer der zusätzlich zum Radstreifen hätte Platz lassen sollen? Die Stadt, weil sie zu schmale Radstreifen auf den Boden pinselt?

    Chris

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  6. Vielleicht liegt der Stern auch einfach falsch. Das Abstellen eines Fahrrades am Fahrbahnrand ist kein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.

    Die StVO regelt, dass man zum Parken den rechten Fahrbahnrand nutzen soll. Und weiter oben:"Wer sein Fahrzeug verlässt, der parkt. "

    Fahrräder sind Fahrzeuge. Das Parken auf Gehwegen ist meist verboten. Also bleibt der rechte Fahrbahnrand.  Ist hier ein Radweg oder Radstreifen angelegt, besteht absolutes Halteverbot. Ist ein Schutzstreifen angelegt, besteht eingeschränktes Halteverbot. Und dann bleibt in diesen Fällen der rechte Rand der rechten Spur.

    Ich bin kein Jurist und vielleicht liege ich mit meiner Argumentation falsch. Aber vielleicht hat der Stern einfach nur schlecht recherchiert. Wäre ja bekanntermaßen nicht das erste mal.

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    1. Das Anstellen von Fahrrädern auf Gehwegen ist in Deutschland nicht verboten. Es ist erlaubt, man darf nur niemanden behindern und muss Platz für Kinderwägen und so lassen. Fahrräder dürfen auch auf einem Autoparkplatz abgestellt werden. Nur auf der Fahrbahn nicht, wo Parken verboten ist.

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    2. Ich sehe in einem auf der Fahrbahn abgestellten Fahrzeug auch keine Hindernis, das einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr darstellt. Auf Fahrbahnen ist nunmal mit Fahrzeugen zu rechnen. Stehend und fahrend. Problematisch ist allerdings, dass unsere Rechtsprechung in den Jahrzehnten seit dem Krieg recht Kfz-freundlich agiert (Systemrelevanz, Massenmotorisierung usw...was da so alles dranhängt). Weite Teile unseres Straßenverkehrs funktionieren ja nur noch, weil gewisse Regelübertretungen großräumig geduldet werden. Das Sichtfahrgebot hat sich z.B. unseren Autobahnen angepasst. Da reicht es dann plötzlich, dass man die Lichter des vorausfahrenden sehen kann - und nicht, dass man den Fahrweg überblicken kann.

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  7. Die "Logik" hinter den unterschiedlichen Bußgeldern ist ganz einfach:
    Fehlverhalten von Autofahrern, welches im Endeffekt dem Autoverkehr nutzt, soll nicht bestraft werden.

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  8. " Das wird sich erst ändern, wenn im Bund die Verkehrspolitik, mal von einem Minister oder einer Ministerin gemacht wird, der oder die was für Radfahrende übrig hat. "

    Ach, Christine! Du bist doch selbst in der Politik tätig und solltest wissen, dass die Anwendung der StVO Ländersache ist. Es bräuchte halt mal die SPD oder vielleicht sogar die Grünen in der Landesregierung, dann würde bestimmt alles viel radfahrerfreundlicher!
    Oder habe ich da irgendwas verpasst?

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    1. Danke, lieber Anonymus für den Tadel und dass du mich dabei mit Namen ansprichst, ohne selbst deinen Namen zu nennen. Die doch eher geringen Bußgelder kann das Land nicht anheben. Und ob vor Gericht für ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr entschieden wird oder nicht, auch nicht. Aber in der Tat, der Landesinnenminister (CDU) könnte die Polizei vielleicht mal überzeugen, doch etwas mehr zum Schutz von Radfahrenden und gegen Regelverstöße von Autofahrern zu machen. Aber vor allem muss sich der Blick der Stadtgesellschaft, aber auch der deutschen Gesellschaft, auf Autos und Radfahrer verändern. Bei uns herrscht nämlich - gesellschaftlich allgemein akzeptier - große Nachsicht mit Autofahrern und ihren "Nöten" und ein strenger Blick auf Radfahrer ("Die halten sich an keine Regeln.")

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    2. " Artikel 49 der Landesverfassung BaWü:
      (1) Der Ministerpräsident bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung"
      Jens ;-)

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  9. Man sollte das Fahrrad natürlich auf der Fahrbahn so abstellen, dass die Reflektoren zum Verkehr weisen, damit es nicht "unsichtbar" ist. Eine Gefährdung ergibt sich dann nicht. Sichtfahrgebot und so, nä!?!

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  10. Diese Tage in der TAZ:
    "Eine grüne Partei, die zwar in der Regierung sitzt, aber selbst nach diesem Desaster der Demokratie nicht Willens oder in der Lage ist, Konsequenzen durchzusetzen, ist schlichtweg überflüssig"

    Es ging um andere Symptome, aber besser hätte ich es auch nicht sagen können.

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  11. Rechtschreibfehler:
    Anstatt „Das Foto vom Fahrrad, dass ... parkte,...“ müsste es „... Fahrrad, das ... parkte“ heißen.

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