14. August 2025

Das Sozial-Argument fürs Auto: ein falsches Argument

Wenn Autofahrende ihre Parkplätze oder eine Durchfahrt behalten wollen, dann argumentieren sie oft damit, dass finanziell Schwache sonst Nachteile erleiden oder Rettungsfahrzeuge nicht mehr durchkommen. 

Doch wenn Autofahrende sich nicht selbst unsozial verhalten würden, bräuchte man viele Durchfhartsverbote oder Radstreifen auf Kosten von öffentlichen Autoabstellflächen nicht.  

Stehen irgendwo neue Poller, formiert sich Aufregung. Der Rettungswagen komme nicht weiter. So geschehen in Heumaden. Die Zeitung greift das willig auf. Womöglich stimmt es, dass nicht alle Teams von Rettungsfahrzeugen auf neue Poller vorbereitet sind und keine Schlüssel dabei haben. Aber diese Poller stehen da aus einen bedauerlichen Grund: Offenbar wurde der Fußweg von Autofahrenden missbraucht. 

Sollen irgendwo öffentliche Autoabstellflächen für Anwohnende einer Straße zugunsten einer Radinfrastruktur wegfallen, entsteht sofort eine immense Aufregung. Droht sich die Wegstrecke zwischen Haustür und Parkplatz zu verlängern, dann führen garantiert einige den gehbehinderten Nachbar oder die Mutter mit Kind und den Einkäufen an den Händen an, denen 50 Meter Fußweg zum und vom Auto zur Haustür nicht zugemutet werden könne. Auch die finanziell schlechter gestellten Menschen, die nicht in Häusern mit Garagen wohnten und das Auto auf der Straße abstellen müssten, werden angeführt gegen die Grausamkeit, die ein Radweg anstelle der Parkplatzreihe für sie bedeuten würde. (So geschehen an der Waldburgsstraße, Foto unten). Wobei auch sie noch parken können, nur eben etwas weiter weg. 

Manche entdecken sehr plötzlich ihr soziales Herz, um die Wegnahme von Raum fürs Auto als unsozial darzustellen. 

Die, die für ihre Parkplätze oder eine Abkürzungsstrecke fürs Auto kämpfen, führen aber nie die weiten Wege zur Bus- oder Straßenbahnhaltestelle an, die die alte Nachbarin mit Rollator (und ohne Auto) nicht mehr bewältigen kann, weshalb sie zu Hause bleibt und vereinsamt. Sie denken auch nicht an die Mütter mit Kinderwagen, die nicht mehr durchkommen, wenn Autos auf dem Gehweg stehen. Viele Gehwege in Stuttgart sind schlicht unpassierbar für Menschen in Rollstühlen, mit Kinderwagen oder mit Rollatoren (Foto oben). Denn viele, die glauben, das Abstellen ihres Autos im öffentlichen Raum sei ihr gutes Recht, halten es auch für ihr Recht, das Auto auf Fußgängerflächen abzustellen, wenn es auf der Fahrbahn keinen Platz mehr gibt. Dass weniger reiche Menschen in Häusern an viel befahrenden Straßen wohnen, wo es natürlich keine Autoabstellflächen für deren Autos gibt, ist ihnen auch kein Mitgefühl wert, denn sonst müssten sie ja für sie eintreten und fordern, dass man endlich den lauten und dreckigen Autoverkehr dort verringert. 

Übrigens führt auch die lokale Wirtschaft gerne an, dass die Kund:innen nicht mehr kommen, wenn sie mit den Autos nicht in die Straße fahren (und dort parken) können, wo ihr Laden ist. Wie sollen die Alten und Gebrechlichen sonst zu ihnen kommen? Aber die Alten und Gebrechlichen (mit Rollatoren, Krücken, in Rosstühlen) sehe ich in diesen Läden nicht. Vielleicht auch, weil der Ladeneingang Stufen hat. Wo viele Autos fahren, sind wenig Alte, Gebrechliche, Rollstuhlfahrende und Rollatorfahrende unterwegs, in Stuttgart sehe ich sie kaum jemals. Wo keine Autos sind und die Fläche barrierefrei, da sehe ich viele (beispielsweise in der Innenstadt von Ravensburg). In der Stuttgarter Eberhardstraße, die eigentlich autofrei sein soll, hat man Behindertenparkplätze ausgewiesen, die aber auch gern von Unberechtigten genutzt werden. Solange es in dieser Straße noch Abstellflächen für Autos gibt, werden immer Leute mit ihren Autos reinfahren, die da nicht reinfahren dürfen. Und das sind nicht wenige. 

Sozial ist der immense Autoverkehr ohnehin nicht. Er ist nicht inklusiv. Denn er behindert alle, die kein Auto haben. Er schädigt auch alle, auch die, die keine Autos haben. Er kostet alle Geld, auch diejenigen, die nur zu Fuß, mit Fahrrädern und Bussen und Bahnen unterwegs sind. Den Autoverkehr subventionieren wir mit unseren Steuern, weit über das hinaus, was an Kraftfahrzeugsteuern eingenommen wird. Ein Stellplatz im öffentlichen Raum am Straßenrand nimmt 12 Quadratmeter weg und kostet (uns alle)  rund 115 Euro monatlich, die von den Autobesitzenden nicht bezahlt werden. 30 Euro im Jahr fürs Parkraummanagment decken die Kosten öffentlicher Autostellplätze nicht annähernd. 

Tatsächlich haben Autofahrende den Straßenrand für sich privatisiert und erwarten, dass die Allgemeinheit das finanziert. An rund 1000 Kilometern unseres 1400 km langen Straßennetzes in Stuttgart dürfen Autos abgestellt werden (sagt die Stadt, siehe in diesem Blogartikel). Das wären zwischen 250.000 und 500.000 Stellplätze, da manche Straßen beidseitig, manche aber nur einseitig beparkt werden. Nur 44.000 Parklätze werden nach Angaben der Stadt bewirtschaftet, kosten also was (ich vermute, Parkhäsuer sind da nicht mit drin). 300.000 Straßenrandstellplätze kosten die Stadt (also uns alle) rund 34,5 Millionen Euro monatlich. 

Ein Auto bracht im Grunde 2,5 bis 3  Parkplätze: einen am Wohnort, einen am Arbeitsplatz und einen am Einkaufsziel. Und die werden alle vorgehalten (und stehen über Stunden leer). Wenn Autobesitzende damit rechnen können, Parrkplätze am Straßenrand daheim und am Ziel zu finden, entsteht ein nicht unerheblicher Parkplatzsuchverkehr, abgesehen davon, dass Menschen eher das Auto nehmen als andere Verkehrsmittel. Mindestens 30 Prozent des Autoverkehrs in Innenstädten und abends in Wohngebieten ist die Folge der Parkplatzsuche. Mit Parkhäusern (und dem Zwang, dort zu parken) könnte man das verhindern. 

Jährlich sterben in Deutschland rund 2500 Menschen auf unseren Straßen, meist in Autos oder durch Fehlverhalten von Autofahrenden. Sie hinterlassen jeweils rund 15 Angehörige und Freund:innen, die oft schwerst traumatisiert sind. Die Toten durch die Luftverschmutzungen, die in Deutschland jährlich in die 90.000 gehen, kommen noch dazu. Die Gesundheitskossten durch Verletzungen, die im Krankenhaus behandelt werden, muss übrigens ebenfalls die Allgemeinheit mit ihren Krankenkassenbeitrag übernehmen. 

Sozial wäre es also, den Autoverkehr zu reduzieren und den öffentlichen Verkehr und die Wege für den Rad- und Fußverkehr auszubauen, damit die Leute nicht Auto fahren müssen, um zur Arbeit, zur Kita, zur Schule und zum Einkaufen zu kommen. Gerade finanziell weniger gut gestellte Menschen könnten sich so die hohen Kosten für ein Auto sparen und lebten auch noch gesünder. Außerdem würden wir ungeheure Mengen an Platz für Bäume, Wohnungsbau und Aufenthaltsflächen gewinnen. 



6 Kommentare:

  1. Man hätte vor allem schon nach unserer Idee von vor 35 Jahren Quartiersgaragen erstellen können.
    Autos in Parkhäuser ud schon ist Platz für alle/alles andere. Und über so einen langen Zeitraum hätte man sich auch daran gewöhnt, ein paar Meter bis zum Abstellplatz zu laufen.
    Das Konzept gab es vor über 50 Jahren schonmal, nannte sich Garagenhof. War nur ebenerdig, aber zentral. Was ist aus lauter Bequemlichkeit passiert? Aus der Garage wurde Lagerraum, aus Vorgarten Parkplatz und heute werden all diejenigen beneidet, die einen "schönen Vorgarten" haben.
    In neueren Vierteln gibt es jetzt wieder zentrale Tiefgaragen. Und obwohl da lle Platz hätten, stehen die Kisten weiter auf der Strasse.
    Und dann gibt es immer noch Städte, die Neubauten ohne Stellplätze genehmigen. Weil der Neubau "für Studenten" ist und die ja kein Auto haben, verlagert man das Problem, von der Stadt toleriert, wieder auf die Strasse. Wenn doch die Stellplätze nicht gebraucht werden, kann man sie ja an die Nachbarschaft vermieten, oder seinen Kruscht drauf lagern oder (!!!) die Fahrräder drauf abstellen, die brauchen auch Platz und wollen auch trocken stehen und so eine Tiefgarageneinfahrt kann man auch gut mit dem Rad befahren.
    Karin

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  2. Siehe auch: "Das Automobil als nationales Identifikationssymbol" von Gregor M. Rinn

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  3. Die Darstellung entspricht nicht den Tatsachen, wenn man sich ein wenig mit der bundesrepublikanischen Geschichte beschäftigt.

    Erst Gerichtsentscheidungen – etwa in den 1950er und 1960er Jahren – stellten klar, dass auch das bloße Abstellen eines betriebsbereiten Fahrzeugs im öffentlichen Straßenraum zum zulässigen Gemeingebrauch gehört, solange es keine besonderen Verbote (Halteverbot, Sondernutzungserlaubnis nötig etc.) gibt.
    Die Argumentation war:
    - Straßenrechtlicher Gemeingebrauch umfasst jede ortsübliche Benutzung durch den Verkehr.
    - Das Parken ist Teil des motorisierten Individualverkehrs und damit vom Widmungszweck „Verkehr“ gedeckt.
    - Einschränkungen dürfen nur durch klare Rechtsnormen oder Verkehrszeichen erfolgen.

    Vor diesen Urteilen hatten Kommunen teils versucht, dauerhaftes Parken als „Sondernutzung“ zu verbieten oder Gebühren zu verlangen. Die Rechtsprechung – unter anderem des Bundesverwaltungsgerichts – stoppte das, solange das Fahrzeug zugelassen, verkehrssicher und betriebsbereit ist.

    Grüße
    Mercedes Teast Rossa

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    1. Die Darstellung entspricht exakt den Tatsachen, das Abstellen von Autos im öffentlichen Raum ist asozial, die Verhinderung von Fuß- und Radinfra mit vorgeblich sozialen Argumenten ist Heuchelei.

      Die von Ihnen genannten Urteile haben mit dem Thema des Artikels (Hinweis: es befindet sich bereits im Titel des Artikels) schlicht nichts zu tun. Ganz abgesehen, dass Sie sich mit diesem Rückgriff auf Urzeiten des Autowahns argumentativ sowieso ins Abseits stellen.

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    2. Es geht hier um Freiheitsrechte, die hart gegen die Obrigkeit erkämpft werden mussten - die sollte man unbedingt hoch halten.

      Es gibt schon genug Rückschritte in dem aktuellen gesellschaftlichen Klima.

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    3. Dass man am Straßenrand parken darf, stellt der Artikel nicht infrage. Aber die Allgemeinheit finanziert Autobesitzenden Abstellflächen im öffentlichen Raum mit einer nicht unerheblichen Summe und gibt dafür auch noch städtische Fläche her, die man besser nutzen könnte für Wohnen und Erholung. Das ist ungerecht und nicht sozial.

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