16. Mai 2025

Wir Glücklichen, die wir Rad fahren können

Radfahren ist gesund, stärkt die Seele, macht schlau, kreativer und achtsamer, respektiert die Umwelt, steckt andere an und ist cool, hip oder knorke, je nach Lebensalter. 

Die Seite beatyesterday hat auch mal zusammengetragen, was alle, die meinen Blog regelmäßig lesen, schon wissen. Ich finde aber, man kann es nicht oft genug sagen, auch weil es so schön und stärkend ist, dass wir mit dem Radfahren etwas tun, was gut ist - für uns und für andere - und auch noch Spaß macht: kein Verzicht, sondern ein Gewinn. Wer genervt von der eigenen sitzenden Lebensweise (in Autos und Büros) für den Arbeitsweg aufs Fahrrad umsteigt, merkt spätestens, nachdem er oder sie den ersten Winter durchgeradelt ist, wie sich das eigene Leben ändert. Der Blick auf die Welt wird anders, man sieht, hört und riecht mehr, das Körpergefühl ändert sich, man hat das Wetter wieder spüren gelernt und kann mit Kälte oder Hitze umgehen. Wir befinden uns auf einmal wieder mitten in der Welt. Sie fliegt nicht mehr jenseits von Glasscheiben an uns vorbei. Und wer das Glück hat, durch Felder zu radeln, wie zwischen Stammheim und Ludwigsburg (Foto oben), kann sich jeden Tag an irgendwas erfreuen, an Vögeln, an Gülleduft, am Wachsen von Kohl oder Getreide. 

Radfahren ist gesund.
Wer keine Zeit und keine Lust auf Fitnessstudios mit deren Laufbändern hat, fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, nach hause, zum Sport und zum Einkaufen (wenigstens meistens). Alltagsradeln ist ein Ausdauersport, bei dem man sich nicht auspowern muss, um einen echten Gesundheitsgewinn zu haben. Ein Pedelec tut's genauso gut wie ein Standardrad. In die Pedale treten, kräftigt sie Muskeln, regt den Kreislauf an und stärkt dass Immunsystem. Der Stoffwechsel kommt in Schwung. Gesund für Städte und ihre Einwohner:innen ist Radfahren darüber hinaus auch noch. Einer niederländischen Studie zufolge steigert Alltagsradeln trotz des leicht erhöhten Unfallrisikos die Lebenszeit im Schnitt um sechs Monate und verhindert pro Jahr 6000 vorzeitige Todesfälle. Die Stadt Utrecht (350.000 Einwohner:innen) spart dank des Radverkehrs im Jahr rund 250 Millionen Euro ein, die sie sonst für Gesundheitsfürsorge, Luftqualitätsmaßnahmen und Staukosten aufbringen müsste. 

Radfahren stärkt die Psyche.
 Radfahren im Alltag hellt das Gemüt auf, baut Stress ab und macht glücklicher. Man kommt besser gestimmt am Arbeitsplatz an und radelt auf der Heimfahrt den Ärger weg, den man vielleicht hatte. Eine halbe Stunde radeln ist eine halbe Stunde Kurzurlaub, auch weil sich Aufmerksamkeit weg von Grübeleien auf die Strecke und den Verkehr richtet. Und weil man fitter wird, steigt auch dass Selbstbewusstsein. Gigantisch wird es, wenn man durch strömenden Regen zur Arbeit radelt und dann in die entgeisterten und bewundernden Gesichter der Kolleg:innen guckt: "Was, bei dem Wetter?" Ja, klar, warum denn nicht? Beatyesterday führt eine neuseeländische Studie an, der zufolge Radfahrende zufriedener sind, weil sie Kontrolle über den Arbeitsweg und die Ankunftszeit haben (sie stehen nie im Stau und warten nie auf Bahnen), weil sie die Fahrt als anregend empfanden, weil moderate Bewegung einen Wohlfühleffekt erzeugt und weil man auf dem Rad viel leichter mit anderen Menschen in Kontakt kommt und sich mitten im Leben fühlt. 

Radfahren macht klüger und kreativer. Über Albert Einstein wird kolportiert, dass ihm die Relativitätstheorie beim Radfahren eingefallen sei. So einfach wird es nicht gewesen sein, aber wenn man sich nicht entscheiden kann oder dringend einen Einfall braucht, könnte Radfahren helfen. Bewegung hilft der Durchblutung und Sauerstoffversorgung des Gehirns, Radfahren schult das räumliche Sehen, den Orientierungssinn und verlangt auch schnelle Reaktionen auf Unvorhergesehenes. Manche Radfahrenden zeigen auch recht viel kreatives Verhalten, um den Weg zu finden oder um Ampelstopps zu vermeiden, die allerdings ebenfalls gut sind für unsere Intelligenz. Denn anhalten und starten hat einen Trainingseffekt. Und wer mal selber am Rad schraubt, vermehrt sein oder ihr technisches Wissen und gewinnt an Geschicklichkeit. Einer niederländischen Studie zufolge nehmen beim Radfahren die Nervenverbindungen zu, was man anhand von Kontrollgruppen beweisen konnte. Je mehr Nervenverbindungen im Gehirn, desto besser und schneller kann jemand denken. Radeln ist Dünger fürs Gehirn

Radfahren macht achtsamer.
Mit dem Auto brettert man durch Straßen, zu Fuß kommt man nicht weit. Das Fahrrad hat das ideale Tempo, um voranzukommen und zugleich noch die Kleinigkeiten zu sehen und die Umgebung zu hören: Man hört die Vögel, sieht die Graugansfamilie mit den Küken, riecht den Duft der Rosen am Wegrand, radelt in einen  grandiosen Sonnenaufgang oder -untergang hinein und kann  einfach mal anhalten und den Blick genießen oder ein Foto machen. Man entdeckt die eigene Stadt, weil man oft durch Nebenstraßen radelt. Man sieht einen besonderen Laden, einen schönen Platz, eine Grünanlage, Dinge, die man vom Auto oder der Stadtbahn aus nie gesehen hätte, und wenn, dann hätte man nicht anhalten oder aussteigen können.  

Radfahren nützt dem Einzelhandel.
Die Studie der Uni Birmingham listet eine Unmenge vorn Vorteilen auf, die das Radfahren für den Kiez, das eigene Viertel oder die Innenstadt hat. Dass Radfahrende zwar weniger, aber dafür öfter im lokalen Handel einkaufen und letztlich mehr ausgehen als Autofahrende, wissen wir längst, auch wenn es manche Politiker:innen nicht wahrhaben wollen. Wir kommen weiter herum als Menschen zu Fuß, die mit der Stadtbahn in die Innenstadt oder zu einer Einkaufsmall gefahren sind, wir kennen die Nebenstraßen, die besonderen Läden und sind schnell dort und müssen nie Parkplatz suchen. Fahrradabstellplätze bringen der Studie zufolge einem Geschäft fünfmal mehr Umsatz als Pkw-Stellplätze. 

Radfahren ist gut für die Umwelt. Man spart nicht nur selber viel Geld für Benzin oder ÖPNV, man hilft auch, der Zerstörung unsere Natur entgegenzuwirken. Ein Fahrrad macht keinen Lärm und es produziert so gut wie kein CO2, auch die Bilanz des Pedelecs ist nicht schlechter als die des Normalrads, unter anderem, weil man öfter und längere Strecken radelt, die man sonst mit Auto oder Bahn gefahren wäre. Auch Fahrräder werden teils energieintensiv hergestellt (aus Alu oder Stahl), aber fürs Auto braucht man wesentlich mehr. Zumindest ist Radfahren die am wenigsten schädliche Mobilität auf Alltagsstrecken zwischen fünf und 25 km. Außerdem braucht der Radverkehr nur wenig Platz, verglichen mit dem Autoverkehr. Der braucht nämlich im Schnitt rund das Zehnfache an Verkehrsfläche, auch wegen der Parkplätze. Dafür ist und wird viel Boden versiegelt. 

Radfahren ist ansteckend. Bei schönem Wetter zur Arbeit radeln kann jede und jeder, aber bei Regen oder Minusgraden wird man zur eigenen Heldin oder zum Helden. Auch in den Augen anderer, beispielsweise den Arbeitskolleg:innen, von denen sich einige nun auch ein Pedelec zulegen. Auch die Nachbarschaft bemerkt, dass man bei jedem Wetter losradelt und mit Einkäufen zurückkommt. So kompliziert ist das also gar nicht. Sogar ein bisschen neidisch sind die Gefangenen ihres Autos manchmal auf uns. Ein Nachbar kauft sich ein Pedelec, die zweite tut es ihm nach, Freund:innen und Bekannte legen sich ebenfalls Fahrräder - meist Pedelecs - zu. Alltsgsradfahrende in normalen Klamotten und ohne überbordende Ausrüstung machen Radfahren zu einer normalen Angelegenheit und regen zur Nachahmung an. Schließlich steht man mit dem Rad nicht im Stau und sucht nie einen Parkplatz, es ist bequemer als Autofahren. Und den berühmten (aber vielleicht oft auch unnötigen) Großeinkauf am Samstag kann man ja ruhig mit dem Auto machen. Man kann aber auch mit dem Fahrrad auf dem Heimweg schnell was einkaufen, nicht so viel, dafür öfter. 

Radfahren ist hip
. Für manche ist das Auto nur ein Fortbewegungsmittel, für andere Lifestyle. Und genauso ist es beim Fahrrad. Alle, die die Critical Mass mitfahren sehen, wie viele es gibt, für die das Fahrrad Ausdruck des eigenen Lebensstils sein kann, dass man es stolz ausfährt. Seit ihr im Alltag Rad fahre, kenne ich Gespräche über Räder, über meines, über das, das jemand anders fährt, manchmal auch spontan auf dem Radweg oder an einer Ampel, an der wir ewig lange warten müssen. Radfahren darf auch ein Statement sein, eines für schöne Gegenstände, für eine einfache Technik, für eine origienelle Fortbewegung auf einem Tallbike oder eine Partnerschaft auf dem Tandem. Manchmal zeigen Fahrräder eine Lebensentscheidung, sie führen in neue Welten und neue Zukünfte. Manchmal stehen sie für eine Befreiung vom Auto oder für eine Erweiterung des eigenen Aktionsradius, etwa ein E-Dreirad für eine Person mit Bewegungseinschränkungen. Manche zeigen mit ihre Ausstattung die Abenteuerlust ihrer Fahrer:innen. Und all das sind Anknüpfungspunkte für Gespräche und neue Kontakte. 


8 Kommentare:

  1. Was ein Glück Radfahren ist merkt man wenn man es mal nicht mehr darf. Ich hatte einen Sturz mit Unterleibsverletzung, zwei Wochen Krankenhaus und noch ca. 6 Wochen Sportverbot. Und das zu Begin der "Genusssaison".

    AntwortenLöschen
  2. Schöner Artikel, danke.
    Er ist aber nicht nur per se interessant, sondern auch im Kontrast zu den direkt vorhergehenden, dem von gestern, und dem vom 8. Mai insbesondere.

    Einerseits erklärt er gut, warum wir, also die Dauer-Radler trotz aller negativen Begegnungen, trotz der immer gegenwärtigen Unsicherheit, trotz der schlechten Infrastruktur etc. dennoch jeden Tag wieder losfahren.

    Er zeigt andererseits aber auch, woran es denn liegt, dass nicht mehr Menschen es tun. Wie kann es eigentlich sein, dass eine so rundum postive, angenehme Fortbewegungsart trotz aller Vorzüge im Allgemeinen und im Besonderen so eine absolute Nebenrolle spielt?

    Und die Antwort ist, es liegt ausschließlich an Dingen außerhalb des Radfahrens, an der Politik, die immer noch das Autofahren fördern, oder zumindest nicht reduzieren will. An der völlig überproportionalen Rolle, die die Autoindustrie und andere petrokapitalistische Unternehmen in unserer Gesellschaft und Wirtschaft spielen. An den Widerständen, die das, sowie der ganze Rest einer rückständigen, individualistischen, Ängste und Ressentiments schürenden toxischen Politik des Stärkeren in den Köpfen vieler Menschen schafft. Und sicher auch an der Bräsigkeit und Bequemlichkeit vieler Menschen, die nur zu gerne glauben wollen, dass ein Weiter-So nicht direkt in die Wand führt.

    Daran muss Verkehrspolitik ansetzen, bzw. anders gesagt, Verkehrspolitik ohne Antikapitalismus ist nichts weiter als Modellbahnspielerei.

    AntwortenLöschen
  3. "Ein Pedelec tut's genauso gut wie ein Standardrad. In die Pedale treten, kräftigt sie Muskeln [...]"
    Das lässt ich fundiert bezweifeln. Wer sich Anstrengung erspart, darf auch keine wesentlichen Effekte erwarten: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2214140525000842
    Conclusion
    Despite E-bikes facilitate a more active lifestyle while helping to reduce the emission of air pollutants, when interpreted within the context of the exercise intensity domain framework, the corresponding exertional intensity is likely insufficient to elicit cardiorespiratory benefits.
    Thomas 9

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Es lässt sich aber auch fundiert belegen. Zum Beispiel: https://dasfahrradblog.blogspot.com/2019/09/pedelec-fahren-erhalt-langer-jung.html oder hier: https://dasfahrradblog.blogspot.com/2015/07/radfahren-ist-supergesund-und-erhoht.html#more

      Löschen
    2. In der Studie wurden Pedelecs mit anscheinend hoher Leistung (Wattreduktion für die Fahrer 87 +/- 19 Watt, das ist eine Menge unter 25km/h) durch relativ gesunde Probanden gefahren. Auch war der Fokus auf Trainingsverfahren zur kardiovaskulären Stärkung, wo es am Besten ist sehr nah aber unter der GET (Gas Exchange Threshold) zu bleiben. Die Studie sagt also dass die Probanden mit dem Pedelec nicht die Leistungsintensität für beste Rehabilitation erreicht haben. Das ist eine Zeit-Intensitätsoptimierung.

      Mit dem Pedelec wird in der Regel sehr viel mehr gefahren als ohne (Zeit). Dies ist aber in der Studie gar nicht untersucht worden.

      Im übrigen fahren viele, ich z.B., mit dem Pedelec nur 20-40 Watt weniger als mit dem "normalen" Fahrrad und bewusst auf deutlich mehr als 70% der GET (nach Puls und Leistung).

      Löschen
  4. "In der Studie wurden Pedelecs mit anscheinend hoher Leistung (Wattreduktion für die Fahrer 87 +/- 19 Watt, das ist eine Menge unter 25km/h) durch relativ gesunde Probanden gefahren."
    Das trifft ganz gut zu auf einen wesentlichen Teil dessen, was ich hier auf der Fahrradstraße (Zubringer für 3 Schulen, leichter Anstieg) täglich beobachten kann.
    Es ist für einen grossen Teil der Schülerschaft normal geworden, sich kraftvoll motorisiert in sehr flottem Tempo zur Schule schieben zu lassen.
    Die Anzahl der Zweiradabstellanlagen vor den Schulen ist explodiert.
    Sehr unwahrscheinlich allerdings, dass Schüler Erwägungen zu GET oder dergleichen anstellen - sie nutzen schlicht ihr E-Moped auf die bequemst mögliche Art.
    Das ist die Zukunft dessen, was noch immer als Radverkehr tituliert wird.

    AntwortenLöschen