7. Juli 2023

Die Ästhetik der Drohung

Warum ist der Motor des Pedelecs auf 25 km/h gedrosselt, während man mit einem Auto oder Motorrad auf 200 km/h beschleunigen kann, was aber legal nur auf deutschen Autobahnen geht? 

Warum fürchten sich Fußgänger:innen ständig lautstark vor Radfahrenden, die 25 km/h schnell fahren, und mit reiner Muskelkraft auch mal 30 km/h, aber nicht vor Autos, die beim innerstädtischen Rasen immer wieder mal in ein Bushäuschen krachen oder Menschen am Straßenrand töten, die in den Gegenverkehr schlingern, weil der Fahrer oder die Fahrerin abgelenkt war oder das Fahrzeug nicht beherrschte, und die sogar von ihren Fahrern absichtlich als Waffen zu Anschlägen missbraucht werden? Hauptsächlich töten Autos (und ihre Fahrer, ob sie wollen oder nicht) Menschen im Straßenverkehr, nicht aber Radfahrer:innen. 

Bis heute hängt die öffentliche Meinung dem Glauben an, dass nur das Auto Freiheit garantiert, wenn auch nur für Erwachsene, und jene, die sich Autos leisten können. Über die Freiheit, die das Fahrrad Kindern und Jugendlichen oftmals auch Frauen schenkt, redet kaum jemand. Wer nicht Auto fährt, erscheint nicht frei und wird deshalb verachtet.

Je stärker sich eine Gruppe fühlt, desto ungenierter zeigt sie diese Verachtung und schüchtert die anderen, die nicht dazugehören ein, und zwar mithilfe des Autos. So werden Autos zu Waffen. Die Autogesellschaft behauptet ihre Vorherrschaft gegenüber Radfahrenden, indem sie hupt, zu dicht auffährt, zu eng überholt, abbiegt, ohne auf Radfahrende zu achten, Autotüren aufstößt, ohne zu gucken, auf Radwegen anhält und parkt oder Radfahrenden die Vorfahrt nimmt. Diese Regelverstöße von Autofahrenden gelten als Kavaliersdelikte, während die Wut auf Radfahrer:innen, die die Regeln nicht einhalten, viel Anerkennung und Zustimmung erfährt. Geschwindkigkeitskontrollen oder Knöllchen gelten als "Abzocke", während man vehement strenge Kontrollen von Radfahrenden fordert. Und wenn von "Verkehrsfrieden" die Rede ist, meint man damit, dass die Radfahrenden jetzt genug gekriegt hätten und nun auch mal Ruhe sein müsse. 

Kein Wunder, dass Autos zunehmend an Kampffahrzeuge erinnern. In den letzten Jahrzehnten wurden Autos, insbesondere die SUVs, so gebaut, dass sie einschüchtern. Das Design macht sie zu Monstern, die mit aufgerissenen Mäulern und gebleckten Zähnen allen mit Vernichtung drohen, die ihnen nicht aus dem Weg gehen. Eine Ästhetik der Einschüchterung und Angst beherrscht unsere Straßen. Die Autodesigner wollen das so. Der Verkehrspsychologe Rüdiger Hossiep stellt fest, dass der Reiz der SUVs darin liege, dass sie ein Gefühl von Überlegenheit vermitteln. Während zu Beginn des 20. Jahrhunderts Autos das Fetischobjekt einer Gesellschaft war, die erwartungsfroh in die Zukunft blickte, erwecken die paramilitärisch anmutenden SUVs heute den Eindruck, als gehe es darum, sich für einen Bürgerkrieg zu wappnen (Quelle). Der Verkehrsexperte Winfried Wolf bezeichnet sie als Teil einer asymmetrischen Kriegsführung im Pkw-Alltag (Wolf: Tempowahn, Promedia-Verlag Wien). Im Panzer schützt man sich selbst und ist für andere eine Gefahr. Das Risiko für Fußgänger:innen und Radfahrende (darunter Kinder), schwer verletzt oder getötet zu werden, ist bei einem Zusammenstoß mit einem SUV fünfzig Prozent höher als bei einem normalen Pkw. 

SUVs sind in Europa beliebt (ca. ein Drittel der Neuzulassungen). In Deutschland sind es ca. ein Viertel der Neuzulassungen, Tendenz steigend. Es scheint, als könne sich die Autoindustrie in der Moblitätskrise, in der wir uns befinden, nur noch retten, indem sie ihren Käufer:innen verspricht, dass sie die Größten und Mächtigsten auf der Straße sind und einen Feldzug anführen gegen all die Radler:innen und E-Scooter-Rollenden und zu Fuß Gehenden, gegen alle Kinder, die auf der Straße spielen wollen, und gegen eine Politik, die - zaghaft genug - versucht, das Auto im öffentlichen Raum zurückzudrängen, kleiner und unauffälliger zu machen. "Nicht mit uns!", sagen die SUV-Fahrer:innen und grinsen grimmig mit ihren Kühlergrills. Und je drängender die Erkenntnis wird, das wir eine Verkehrswende brauchen, um unsere Enkel:innen vor Armut und Elend zu bewahren, desto trotziger wird das Autokaufverhalten. 

Radfahrenden empfiehlt man gelbe Westen, Reflektoren und blinkende Helme, damit sie von den Fahrer:innen in diesen Panzern mit hohen Kühlern und geringer Umsicht überhaupt noch gesehen werden, auch wenn das reine Augenwischerei ist, denn wenn Autofahrer:innen Menschen auf Rädern oder Kinder, die an Zebrastreifen warten, nicht sehen wollen, dann sehen sie sie auch in gelber Kleidung nicht. Und ganz unverblümt empfehlen Verteidiger der Autodominanz den Radfahrenden doch lieber auf ihre Vorfahrt zu verzichten, im Sinne gegenseitiger Rücksichtnahme und natürlich im eigenen Interesse, denn sonst sind sie halt tot oder schwer verletzt, und das können sie ja nicht wollen (z.B in diesen FB-Kommentaren). 

Übrigens, nachdem 1906 die deutschen Behörden eine Führerscheinpflicht und Tempobeschränkungen für Autofahrende eingeführt hatten - gegen wilden Protest der damals noch wenigen und reichen Autobesitzer -, hoben die Faschisten in Deutschland und Italien ab 1933 die Autosteuer, die Pflicht, eine Fahrschule zu besuchen, und die Geschwindigkeitsbeschränkungen außerorts wieder auf und unterstützen Autorennen auf öffentlichen Straßen. Es war eine "Totoalförderung" der Motorisierung im Straßenverkehr. Ein Volk zu Fahrern (und Fliegern) auszubilden war einerseits wichtig für einen künftigen motorisierten Krieg, andererseits diente es der Propaganda für das faschistische Bild des Land erobernden kriegerischen weißen Mannes. An diesen soldatischen Männlichkeitstyp erinnert die wuchtige und aggressive Erscheinung von SUVs (siehe: Autos hassen von von Dinu Gautier und Daniel Hackbarth). Dodge bewarb 2020 seine "Muscle Cars" mit dem Slogan "Domestic. Not domesticated" (Heimisch (inländisch), aber ungezähmt). Der Mann als rücksichtsloser und unzivilisierter Herrscher über Welt und Leben lässt grüßen. Dass viele Frauen SUVs fahren ist nur ein scheinbarer Widerspruch dazu, denn wie sollten wir es Frauen verübeln, wenn sie im Straßenverkehr ebenfalls die Starken sein wollen? Schließlich haben sie im Kleinwagen auch schlechtere Chancen beim Crash mit einem SUV auf der Autobahn oder Landstraße. 


8 Kommentare:

  1. Es wird gerne bei SUVs angeführt, man könne einfacher einsteigen, hätte einen besseren Überblick, mehr Laderaum, geschützter bei Unfällen. Meine Beobachtung ist bei den richtig teurer SUVS regelmäßiges Geprotze (ganz schlimm bei matter Lackierung) und sowie regelmäßige völlige Überforderung beim Führen von diesem Ding (Sieh Dir nur mal an, wie die auf dem Parkplatz stehen). Für mich ist der SUV die materialisierte Aussage "seht her, ich kann nicht Autofahren" und "sehr her, was für ein Protz ich bin". Beides gleichermaßen abschreckend. Man braucht die Kiste um sich "Status" zu verpassen und vor den Nachbarn zu protzen. Ich persönlich möchte nicht so ein Monster fahren. Es passt zudem in kaum eine ältere Garage und steht dann auf der Straße rum. Und ich brauche keinen Status vor den Nachbarn.
    Karin

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  2. Muss in letzter Zeit immer mal drüber nachdenken, was das Auto für die soziale Teilhabe bedeutet.
    "Haus in Stuttgart... unbezahlbar. Aber wenigstens einen Mercedes kann ich mir leasen. Ich habs geschafft!"
    "Als Mensch mit Migrationshintergrund werd ich oft von den Deutschen dumm angelabert - aber ich hab das fettere Auto und zeigs ihnen ein bischen!"
    "Jetzt hab ich jahrzehntelang gearbeitet. Aber einmal son tolles Auto wie die Helden meiner Jugend."
    2. Aspekt: Auf der Straße stehen alle im gleichen Stau. Haben alle die gleichen Rechte. Man kann sich nur hervortun wenn man ein tolleres/teureres/agressives Auto hat und so die soziale Leiter der "Straße" aufsteigen.

    Hattest Du das schon mal als Themen? Fänd ich interessant.

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    1. Das spiet immer mal wieder bei mir eine Rolle, einen entsprechenden Post finde ich gerade nicht. Allerdings möchte ich ungern Menschen beurteilen, die in anderen sozialen Verhältnissen leben und entsprechende Demütigungen erfahren haben. Geurteilt ist nämlich schnell. Es ist aber offensichtlich, dass für viele das dicke Auto immer noch Statussymbol ist. Je Gebildeter jemand ist, desto eher wird das Fahrrad zum Statussymbol. Der Post darüber erscheint demnächst mal.

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  3. Das mit der Bürgerkriegsästhetik der Autos sage ich mir schon seit Jahren. Ich möchte immer kotzen wenn ichvso einen "wankpanzer" sehe.

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  4. mir ist das mit dem überregulierten individualverkehr eh viel zu stressig. als radfahrer bin ich ja an die freiheit gewohnt überall fahren zu können und wenn ich dann doch mal ins auto sitze, geht das alles nicht mehr, weil die karren viel zu viel platz und verbote brauchen, um überhaupt zu funktionieren.
    in kombi mit meiner bc100, steig ich einfach ein, wenn ich irgendwo hin will.
    auch wenn piech und deren schergen alles dagegen an die front werfen, tut das auch für virile leistungsträger ganz gut.
    a propos front: das gleichgewicht der kräfte lässt sich auch dadurch herstellen, dass die schwache seite gestützt wird. weiss mittlereile selbst der toni - und ganz frankreich:
    der (dooring) täter, dem durch die seitenscheibe geschossen wird, wird beim nächsten mal sicher über die schulter schauen.
    auch wenns zynisch klingen mag.

    karl g. fahr

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  5. Ich hätte ja gehofft, dass mit dem Aufkommen des Begriffs "Verkehrswende" vor einigen Jahren auch mal die "harten Fakten" aufs Tapet kommen: Energie-Effizienz beim MIV, Einfluss des Fahrzeuggewichts, Zusammenhang zwischen dem tatsächlichen Energieverbrauch und dem, der eigentlich benötigt würde, etc, etc.

    Nun, ich bin eines Besseren belehrt worden, keine Sau mag drüber reden. Die gesamte Verkehrsdiskussion ist auf einem Niveau mit der Diskussion, ob Schwarze im Bus auch vorne sitzen dürfen, keinen Deut besser, genauso hirn- und faktenfrei.

    Die Autolobby hat sehr, sehr leichtes Spiel, wenn sich die Verkehrswende-Befürworter auf Argumentationen wie "Radfahren macht Spaß" zurückziehen.

    Die Entwicklung der Fahrzeuggröße folgt übrigens ziemlich genau der politischen Vorgabe, seit 2011 ein 2-Tonner EU-weit offiziell umweltverträglicher als ein Kleinwagen ist. Dass diese Irrsinnsregelung auf Betreiben Deutschlands jemals von irgendwem in Frage gestellt wurde, habe ich bisher nicht bemerkt.

    Stefan, Fürstenfeldbruck, Bayern

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  6. Der gelangweilte Mensch sehnt sich nach etwas Gefahr, das seinem Leben etwas Alltag nimmt und Kick gibt.
    Normale Menschen gegen daher Fallschirmspringen, springen am Gummiseil von Brücken, rasen mit dem Fahrrad über Bergkuppen oder durchwandern einen ganzen Kontinent.
    Und dann gibts die Fraktion von Mensch, die für all das "keine Eier in der Hose hat" und sich den Nervenkitzel lieber in der Öffentlichkeit suchen und andere damit in Gefahr bringt oder gar tötet. Egoismus in Reinform.

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  7. Über die Aufrüstung sowohl auto- als auch kleidungstechnisch habe ich vor längerer Zeit einen graphic essay gelesen, den ich hier gern mal teile:
    https://popula.com/2019/02/24/about-face/

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